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Paint it black

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04.08.2002
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Paint it black

„Da! Da hast du ihn zurück. Ich kann ihn nicht mehr brauchen, du verdammtes, verlogenes Arschloch!“, kreischt Martha mit schriller, sich überschlagender Stimme. Angeekelt, mit weit ausgestrecktem Arm hält sie den Ehering von sich weg, als hätte sie nicht den Ring, sondern die Schwanzspitze einer toten Ratte zwischen Zeigefinger und Daumen. Ein gesetzter Herr mit grau melierten Schläfen zieht sich peinlich berührt aus dem Raum zurück und murmelt: „Wir besprechen den Geschäftsabschluss besser ein anderes Mal.“
Martha lässt den Ring auf den spiegelglatten Parkettboden des Bürozimmers fallen und nimmt das harte Klimpern des Metalls nur wie aus weiter Entfernung wahr. Peters Finger krampfen sich um die Lehnen seinen Schreibtischsessels, das unaufhörliche Läuten des Telefons dringt kaum in sein Bewusstsein. Er starrt auf den Ring, der nun endlich auf den glänzenden Dielen zu kullern aufgehört hat. Sein Blick wandert empor über die hochhakigen schwarzen Stiefel, die feinen Seidenstrümpfe, das schwarze Minikleid zum Antlitz seiner Frau, das ihm Schrecken einflößt. „Martha, was hast du getan?“ Beim Anblick ihrer schwarzen kinnlangen Haare, erfasst ihn eine leichte Übelkeit. Der hasserfüllte Blick aus ihren unnatürlich grünen Augen lassen einen zuvor nicht gekannten Ekel in ihm aufsteigen. Angewidert registriert er ihr stark geschminktes Gesicht. „Wie konntest du das machen?“ kommt es stockend über seine Lippen.
Erst jetzt registriert er das Läuten des Telefons und hebt ab. „Sie ist -. Sie ist übergeschnappt. Ich konnte sie nicht stoppen, sie ist wie eine Irre an mir vorbeigerannt, ohne mich zu beachten. Sie ist verrückt. Das ist Wahnsinn. Herr von Heimhausen hat gesagt ...“, dringt die Stimme seiner Assistentin hysterisch an sein Ohr. „Es ist gut. Es ist vorbei, Karla. Alles ist vorbei. Es ist gut, vorbei.“ unterbricht er sie. Mit zitternder Hand lässt er den Hörer auf die Gabel gleiten. Der Knall der von Martha zugeschlagenen Türe hallt in seinem Kopf wieder. Schweißgebadet stürzt er zum mamornen Waschbecken und übergibt sich geräuschvoll.

Die langen blonden Locken fallen weich auf den Fußboden. In die Haare wird eine intensiv riechende Masse einmassiert. Nach dem Auswaschen der Farbe werden die blauschwarzen Haare in einer strengen geraden Linie entlang des Kinns geschnitten und glatt gefönt.
Auf dem Hotelbett liegen Turnschuhe, eine Jeanshose, ein weiter Wollpullover, eine Schuhschachtel, leere Einkaufstüten und eine aufgerissene Strumpfpackung. Martha schlüpft in die weichen, duftenden Seidenstrümpfe. Mechanisch nimmt sie das schwarze Kleid, schneidet das Etikett ab und zieht es über. Im Badezimmer blickt sie ein paar Sekunden lang in ihre blauen Augen, zieht die Lider auseinander und setzt grüne Kontaktlinsen ein. Auf ihr braungebranntes Gesicht trägt sie dick eine helle Make-Up-Masse auf, so dass ihr Gesicht wie das einer Porzellanpuppe wirkt. Sie schminkt Lippen, Augen und Wangen stark. Immer wieder streicht sie mit der schwarzen Wimperndusche über ihre von Natur aus hellen Wimpern. Martha ist dieser erstarrte, künstliche Ausdruck der Frau im Spiegel ebenso fremd, wie der kalte Schockzustand, in dem sie sich seit gestern Abend befindet.
Nicht an die hohen Absätze der Stiefel gewöhnt, begibt sie sich stolpernd zum Wagen. Hämmernd dröhnt Technomusik aus dem Radio. Mit rasendem Puls fährt sie zu Peters Büro.

Glücklich summt Martha die Ethnosongs mit, die aus dem Autoradio dringen. Das Wochenendseminar über den Zusammenhang zwischen Mondphasen und Kräutern hat aufgrund der Verkühlung der Leiterin einen Tag eher als geplant aufgehört. Nun will Martha ihren Mann mit ihrer verfrühten Heimkehr überraschen. Sie malt sich in Gedanken seinen erstaunten Gesichtsausdruck aus, wenn sie plötzlich im Feng-Shui geprägten Wohnzimmer erscheint.
Seit fünf Jahren ist sie mit Peter glücklich verheiratet. Zwar ist er häufig auf Geschäftsreisen und scheint manchmal seinen Beruf mehr als sie zu lieben, aber auch sie geht leidenschaftlich ihrem Hobby, dem Kräuteranbau, nach. Stunden verbringt sie in ihrem Steingarten, betreut die Pflanzen und beobachtet ihre indischen Laufenten dabei, wie sie nach Schnecken jagen. Nichts bereitet Martha mehr Sorgen als die Schnecken, die eine Gefahr für ihre Pflanzen darstellen. Manchmal lädt Peter Kollegen aus seiner Firma oder Geschäftspartner nach Hause ein, und sie liebt es, diese mit exotischen Gerichten zu verwöhnen, die sie mit Kräutern aus eigenem Anbau würzt. Seine Assistentin Karla wurde ihr inzwischen zu einer Vertrauten, mit der sie alle ihre kleinen und großen Sorgen teilt. Karla gab ihr auch den Rat, indische Laufenten gegen die Schneckenplage einzusetzen.
Im Vorraum kann Martha leise Klaviermusik aus dem Wohnzimmer vernehmen. „Wie passend für meinen Überraschungsauftritt.“, denkt sie und lächelt in sich hinein, während sie erwartungsvoll auf Zehenspitzen durch die Diele schleicht. –

Und dann entdeckt sie diese schwarzen Strümpfe, dieses schwarze Kleid und diese schwarzen Stiefel vor der Tür zum Schlafzimmer. Ein Haufen aus Schwarz. Sie öffnet die Tür einen Spalt breit und sieht die beiden in heißer Umklammerung, in eindeutigem Zucken, in uralter Stellung. In diesem Gerangel leuchtet Karlas Pagenkopf blauschwarz hervor. –
Erst nachdem die Haustür mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss gefallen ist, kann sie wieder atmen. Mit dem Einsaugen der lauen Abendluft ist gleichzeitig etwas für immer in ihr zerbrochen.

Nach einer schlaflosen Nacht in einem Hotel führt Martha der erste Weg an diesem Tag in ein Schuhgeschäft, in dem sie sich schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen besorgt.

 

Hi Klara - cool.

*smile* - die story gefält mir richtig gut, wegen ihres ungewöhnlichen aufbaus..irgendwie gefällt mir das. als ich heute über in medias res nachdachte, mußte ich an den film "memento" denken - deine story hat was davon...

eigentlich eine ganz alltägliche geschichte...aber durch die verschachtelungen (nicht zuviele, nicht zuwenig) bekommt sie eine super interessante eigendynamik..und dazu gut formuliert..

grüße, streicher

 

Hallo klara,

trotz des besonderen Aufbaus Deiner Geschichte liest sie sich gut. Die Schilderung der alltäglichen Tätigkeiten der Frau gibt einen schönen Hintergrund für ihren Auftritt, eigentlich für ihre zwei Auftritte, eimal die versuchte Überraschung, zum anderen die `Abschlußszene´ im Büro.
Das Ehebruchszenario ist ja altbekannt, doch die Reaktion der Frau finde ich sehr originell und psychologisch interessant.
Noch zwei Kleinigkeiten: `... die Stimme seiner Assistentin´ ; `... im Badezimmer blickt sie ...´ - so kann man die drei `s´ (sieht sie sich) vermeiden (falls man das will).

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo klara,

auch ich kann die Bemerkung nicht verkneifen: die Geschichte ist schon -zigmal erzählt worden, so oder ähnlich. Aber wie die Vorredner schon bermerkten: Du hast einen ungewöhnlichen, interessanten Aufbau gewählt. Und gut erzählt ist sie allemal.

Gruß
Bobo

 

*smile*..ich muss wohl nochmal ergänzen..das "ganz alltägliche geschichte" positiv gemeint war.."krude" sachen zu schrieben..ist leichter..als etwas alltägliches, das trotzdem interessant für den leser ist..

grüße, streicher

 

Hallo!

Ich habe mich sehr über eure Beiträge zu meiner Geschichte gefreut und will mich gleich vorweg dafür bedanken. :)

Zur Alltäglichkeit der Geschichte: Ihr habt recht. Dass eine Ehefrau betrogen wird, passiert wohl täglich zig-mal. Dass sie ihren Mann aber sozusagen inflagranti dabei ertappt hoffentlich schon weniger häufig. Und für die Menschen, denen das passiert, ist es bestimmt in den meisten Fällen eine persönliche Katastrophe, ein Schock, der wohl immer in Erinnerung bleiben wird.
Was ich sagen will: Die Handlung der Geschichte ist zwar allgemein gesehen alltäglich, in dem Sinn, dass sie täglich überall vorkommt. Im persönlichen Erleben ist das aber sicherlich kein Erlebnis, das die Betroffenen unter Alltag einreihen würden.

@Streicher
Es freut mich sehr, dass dir der Aufbau gefällt und du die Geschichte interessant findest.
Leider kenne ich den Film memento nicht. :shy: Aber dein Kommentar motiviert mich dazu, ihn mir bei der nächsten Gelegenheit in der Videothek auszuborgen. :)

@Woltochinon
Ja, die Reaktion der Frau ist tatsächlich ungewöhnlich. Es ging mir beim Erzählen zwar nicht in erster Linie um die psychologische Perspektive, aber dein Kommentar regt mich irgendwie dazu an, darüber nachzudenken.
Danke für deine beiden sprachlichen Hinweise!

@Bobo
Gut, dass du dir die Bemerkung nicht verkniffen hast. ;)
Du hast ja wie gesagt recht, Geschichten über Ehebetrug wurden schon ziemlich oft aufs Papier gebracht. Umso mehr freut mich, dass du meinen Aufbau ungewöhlich und interessant ist, und hoffe, dass du auch der inhaltlichen Auflösung ein bisschen was "Außeralltägliches" abgewinnen kannst.

lg
klara

 

Hi klar!

Ich kann nur zustimmen - ein interssanter Aufbau, sehr gelungen, da nicht zu verwirrend. Auch ich musst an memento denken - schau ihn dir wirklich mal an, er ist gut.
Was mir noch auffiehl: nach den ersten Sätze war mir Martha sowas von unsmpatisch - Peter hat mir richtig leid getan, obwohl ich schon ahnte, dass er sie wohl betrogen haben musste. Das kehrt sich aber geschickt um, um am Schluss, also am Anfang, ist alles so, wie es sein muss...
ziemlich gefinkelt gemacht, klasse!

liebe Grüße
Anne

 

Hallo Maus!

Ich freue mich sehr über deinen Kommentar und renn gleich morgen los und besorg mir den Film ...

Ich habe versucht, die Geschichte rückwärts zu erzählen. Super, wenn das Lesen gut rüberkommt. :)

lg
klara

 

Hallo, Klara!

Hey! Ich könnte mir denken, dass ich in einer solchen Situation ähnlich reagiert hätte, wie Martha. Klasse Vorstellung! :rotfl:

Die Staffelung der einzelnen Szenen ist Dir gut geglückt und bringt Tempo und Spannung. Auch die Enttäuschung und Wut von Martha wird spürbar. Immerhin ist sie doppelt betrogen worden. Vertrauensbruch auf der ganzen Linie. Technomusik? Genau das Richtige.

Einzig zwei Sätze stören mich:

"Wie konntest du das machen?"
Er erdreistet sich, das zu fragen? Und:
"...Es ist gut, vorbei."
Etwas zuviel des "Guten".

Dies ist eine alltägliche Geschichte mit einem wahrlich überraschenden Ende. :thumbsup:
Gefällt mir!


Ciao
Antonia

 

Hi Klara!

Hehe, hast ja doch noch am Challenge teilgenommen (ich erinner mich da grad an unser Gespräch im Chat, da warst du dir noch nicht so sicher, weil du keiner Idee hattest *gg*). Zum Glück hast du dann doch noch deinen Beitrag abgeliefert. :)

Ich persönlich fand die Geschichte so gut, weil sie diesen Aufbau hat. Ob das jetzt an den Film memento erinnert oder nicht, kann ich nicht sagen, da ich den nicht kenne.
Das Tempo der Geschichte kommt meiner Ansicht nach durch deine Schreibweise (Satzstellung und der Aufbau) - und genau ein solches Tempo braucht die Geschichte, um nicht langweilig zu werden und den Leser bis zum Ende zu fesseln (obwohl man sich von Anfang an denkt, was los ist).

Ist dir echt gut gelungen!

Greetinx
Alisha

 

Hallo Antonia & Alisha!

Danke für eure positiven Beiträge. *freu* :)

@Antonia
Ja, Martha greift wohl zu ziemlich ungewöhnlichen Mitteln. Sie ist in einem Ausnahmezustand, in dem sämtliche Schranken über Bord geworfen werden. Sie denkt nicht nach, sondern handelt und tauscht die Ehnomusik gegen Techno. ;)
Seine beiden Kommentare lass ich mal so stehen. Er ist selbst ziemlich verwirrt und das soll sich in seinen Aussagen widerspiegeln.

@Alisha
Ja, da denkt man verkrampft nach, was man schreiben könnte und plötzlich kommen die Ideen völlig von alleine. :cool:
Das mit dem Film kann ich auch nicht beurteilen, freue mich aber, dass die Geschichte an einen Film erinnert, weil ich mir beim Schreiben das ganze auch irgendwie als Film vorgestellt habe.

lg
klara

 

Hallo Karla, sorry, Klara :D

schließe mich den positiven Kritiken hemmungslos an. Zwei (kritische?) Anmerkungen möchte ich machen, die mir beim Lesen so durch den Kopf gingen:

als hätte sie nicht den Ring, sondern die Schwanzspitze einer toten Ratte zwischen Zeigefinger und Daumen.
hmmm, wenn ich in Rage bin und voller Wut etwas in der Hand halte, dann halte ich es sicherlich in der Faust und nicht zwischen Daumen und Zeigefinger (...und mit abgespreitztem kleinen Finger :lol: )

der erste Weg an diesem Tag in ein Schuhgeschäft, in dem sie sich schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen besorgt
typisch, dieser Weiber, immer nur Schuhe im Kopf... erinnert mich irgendwie an zuhause.

:thumbsup:

lg
Maris

 

Morgen querkopp!

Super, dass du dich den positiven Kritiken hemmungslos anschließt. :)

Zur ersten Anmerkung: Hmm. Sie hält den Ring so, weil sie sich davor "ekelt". Ich glaub das passt schon damit zusammen, dass sie wütend ist. Ausserdem geht es ja um die Inszenierung. ;)

Zur zweiten Anmerkung: Nun - was soll ich sagen .. Zuerst das Schuhgeschäft, dann der Rest ... :D

lg
klara

 

Liebe Klara!

Als ich von in medias res hörte hab ich mir auch gedacht, dass eine Verkehrtgeschichte eigentlich ideal wäre. Hab ich dann auch geschrieben, aber schon viel früher in einer anderen Rubrik gepostet. Und ich muss sagen, gut dass ich es so gemacht habe, denn deine Geschichte ist um Häuser besser.

Wirklich absolut toll gemacht, gut erzählt, stilistisch gut und vor allem, eine kreative Umsetzung des Themas!

Fazit: Gelungen

Note: 1-

Liebe Grüße aus Wien, Peter Hrubi

 

Morgen Peter!

Ich kann nur sagen, ich freue mich total über deinen Kommentar.

Zur Umsetzung: Ich wollte eine überdrehte, schrille Geschichte schreiben, ohne Anspruch darauf, realistisch zu sein. Ausgegangen bin ich von einer kompletten Typveränderung des Prot. Ich wollte zuerst auch eine Flucht (etwa vor der Mafia) beschreiben, habe aber dann die Finger davon gelassen, weil das nicht unbedingt mein "Metier" ist und das andere sicherlich um Häuser besser können.
Schließlich habe ich in die Beziehungskiste gegriffen und daraus ist dann obiges entstanden.

Vielen Dank für die einsminus und lieben Gruß aus Linz
klara

 

Heja Klara,

schon ab dem ersten Satz ist man völlig in der Story drinnen, rasant führst du durch die Handlung. Ich finde die Geschichte deswegen so gut, weil du dich eines Themas angenommen hast, dass sehr alltäglich erscheint – du hast es aber total schrill und sprachlich hervorragend umgesetzt. Die Verwandlung von Martha, die liebevoll ihre Blumen pflegt in Martha den Vamp, die ihren betrügerischen Gatten einen gehörigen Schock versetzt, hat was! Die Handlungsstränge hast du geschickt ineinander verwoben. Klasse Story!

 

@Liz

danke für deinen Kommentar. Es freut mich natürlich ziemlich, dass die Geschichte rasant rüberkommt. Die Passagen über die Gartenarbeit sind wichtig, damit der Kontrast stärker wird. Super, dass die Geschichte auf dich von Beginn weg "wirkt". :)

@Maus und Streicher
Habe den Film Memento inzwischen gesehen. Es ist tatsächlich ein ziemlich guter Film. Inhaltlich geht es natürlich um etwas komplett anderes, aber vom Aufbau her ist er ähnlich, wobei ich da wohl noch einiges lernen kann. ;)

lg
klara

 

Hallo Klara,

vor kurzem kam der Film "Memento" im Free-TV. Hat auch mir sehr gut gefallen. Hab einfach mal den Suchbegriff bei KG.de eingegeben und bin so auf deine tolle Story gestoßen. Eine Geschichte rückwärts zu erzählen, find ich ganz schön schwer. Dir ist es jedenfalls super gelungen. :thumbsup:

Liebe Grüße von F.P.

 

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