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Paint it black
„Da! Da hast du ihn zurück. Ich kann ihn nicht mehr brauchen, du verdammtes, verlogenes Arschloch!“, kreischt Martha mit schriller, sich überschlagender Stimme. Angeekelt, mit weit ausgestrecktem Arm hält sie den Ehering von sich weg, als hätte sie nicht den Ring, sondern die Schwanzspitze einer toten Ratte zwischen Zeigefinger und Daumen. Ein gesetzter Herr mit grau melierten Schläfen zieht sich peinlich berührt aus dem Raum zurück und murmelt: „Wir besprechen den Geschäftsabschluss besser ein anderes Mal.“
Martha lässt den Ring auf den spiegelglatten Parkettboden des Bürozimmers fallen und nimmt das harte Klimpern des Metalls nur wie aus weiter Entfernung wahr. Peters Finger krampfen sich um die Lehnen seinen Schreibtischsessels, das unaufhörliche Läuten des Telefons dringt kaum in sein Bewusstsein. Er starrt auf den Ring, der nun endlich auf den glänzenden Dielen zu kullern aufgehört hat. Sein Blick wandert empor über die hochhakigen schwarzen Stiefel, die feinen Seidenstrümpfe, das schwarze Minikleid zum Antlitz seiner Frau, das ihm Schrecken einflößt. „Martha, was hast du getan?“ Beim Anblick ihrer schwarzen kinnlangen Haare, erfasst ihn eine leichte Übelkeit. Der hasserfüllte Blick aus ihren unnatürlich grünen Augen lassen einen zuvor nicht gekannten Ekel in ihm aufsteigen. Angewidert registriert er ihr stark geschminktes Gesicht. „Wie konntest du das machen?“ kommt es stockend über seine Lippen.
Erst jetzt registriert er das Läuten des Telefons und hebt ab. „Sie ist -. Sie ist übergeschnappt. Ich konnte sie nicht stoppen, sie ist wie eine Irre an mir vorbeigerannt, ohne mich zu beachten. Sie ist verrückt. Das ist Wahnsinn. Herr von Heimhausen hat gesagt ...“, dringt die Stimme seiner Assistentin hysterisch an sein Ohr. „Es ist gut. Es ist vorbei, Karla. Alles ist vorbei. Es ist gut, vorbei.“ unterbricht er sie. Mit zitternder Hand lässt er den Hörer auf die Gabel gleiten. Der Knall der von Martha zugeschlagenen Türe hallt in seinem Kopf wieder. Schweißgebadet stürzt er zum mamornen Waschbecken und übergibt sich geräuschvoll.
Die langen blonden Locken fallen weich auf den Fußboden. In die Haare wird eine intensiv riechende Masse einmassiert. Nach dem Auswaschen der Farbe werden die blauschwarzen Haare in einer strengen geraden Linie entlang des Kinns geschnitten und glatt gefönt.
Auf dem Hotelbett liegen Turnschuhe, eine Jeanshose, ein weiter Wollpullover, eine Schuhschachtel, leere Einkaufstüten und eine aufgerissene Strumpfpackung. Martha schlüpft in die weichen, duftenden Seidenstrümpfe. Mechanisch nimmt sie das schwarze Kleid, schneidet das Etikett ab und zieht es über. Im Badezimmer blickt sie ein paar Sekunden lang in ihre blauen Augen, zieht die Lider auseinander und setzt grüne Kontaktlinsen ein. Auf ihr braungebranntes Gesicht trägt sie dick eine helle Make-Up-Masse auf, so dass ihr Gesicht wie das einer Porzellanpuppe wirkt. Sie schminkt Lippen, Augen und Wangen stark. Immer wieder streicht sie mit der schwarzen Wimperndusche über ihre von Natur aus hellen Wimpern. Martha ist dieser erstarrte, künstliche Ausdruck der Frau im Spiegel ebenso fremd, wie der kalte Schockzustand, in dem sie sich seit gestern Abend befindet.
Nicht an die hohen Absätze der Stiefel gewöhnt, begibt sie sich stolpernd zum Wagen. Hämmernd dröhnt Technomusik aus dem Radio. Mit rasendem Puls fährt sie zu Peters Büro.
Glücklich summt Martha die Ethnosongs mit, die aus dem Autoradio dringen. Das Wochenendseminar über den Zusammenhang zwischen Mondphasen und Kräutern hat aufgrund der Verkühlung der Leiterin einen Tag eher als geplant aufgehört. Nun will Martha ihren Mann mit ihrer verfrühten Heimkehr überraschen. Sie malt sich in Gedanken seinen erstaunten Gesichtsausdruck aus, wenn sie plötzlich im Feng-Shui geprägten Wohnzimmer erscheint.
Seit fünf Jahren ist sie mit Peter glücklich verheiratet. Zwar ist er häufig auf Geschäftsreisen und scheint manchmal seinen Beruf mehr als sie zu lieben, aber auch sie geht leidenschaftlich ihrem Hobby, dem Kräuteranbau, nach. Stunden verbringt sie in ihrem Steingarten, betreut die Pflanzen und beobachtet ihre indischen Laufenten dabei, wie sie nach Schnecken jagen. Nichts bereitet Martha mehr Sorgen als die Schnecken, die eine Gefahr für ihre Pflanzen darstellen. Manchmal lädt Peter Kollegen aus seiner Firma oder Geschäftspartner nach Hause ein, und sie liebt es, diese mit exotischen Gerichten zu verwöhnen, die sie mit Kräutern aus eigenem Anbau würzt. Seine Assistentin Karla wurde ihr inzwischen zu einer Vertrauten, mit der sie alle ihre kleinen und großen Sorgen teilt. Karla gab ihr auch den Rat, indische Laufenten gegen die Schneckenplage einzusetzen.
Im Vorraum kann Martha leise Klaviermusik aus dem Wohnzimmer vernehmen. „Wie passend für meinen Überraschungsauftritt.“, denkt sie und lächelt in sich hinein, während sie erwartungsvoll auf Zehenspitzen durch die Diele schleicht. –
Und dann entdeckt sie diese schwarzen Strümpfe, dieses schwarze Kleid und diese schwarzen Stiefel vor der Tür zum Schlafzimmer. Ein Haufen aus Schwarz. Sie öffnet die Tür einen Spalt breit und sieht die beiden in heißer Umklammerung, in eindeutigem Zucken, in uralter Stellung. In diesem Gerangel leuchtet Karlas Pagenkopf blauschwarz hervor. –
Erst nachdem die Haustür mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss gefallen ist, kann sie wieder atmen. Mit dem Einsaugen der lauen Abendluft ist gleichzeitig etwas für immer in ihr zerbrochen.
Nach einer schlaflosen Nacht in einem Hotel führt Martha der erste Weg an diesem Tag in ein Schuhgeschäft, in dem sie sich schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen besorgt.