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Paris, Picasso et moi

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09.02.2004
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Paris, Picasso et moi

Ich war schon einmal in Paris. Das war gerade mal 'ne Woche her. Jetzt stehe ich da capo am Gare de l'est und schnuppere – aach – den Duft der Freiheit. Als ich das letzte Mal hier war, das war mit einem Kumpel, tingelte ich tagelang allein in der Hauptstadt rum und sog diese Poesie auf den Strassen, in den Bistros und den Parks regelrecht in mich hinein. Ich konnte nie genug davon kriegen, mich einfach irgendwohinzusetzen und diesen Puls schlagen zu sehen. Dazu muss man vielleicht sagen, dass ich vom Lande stamme und mich schon die vielen Gleise des Bahnhofs Zürich in Staunen versetzen. Nichtsdestotrotz geht von dieser Stadt mehr aus, als dass man diese Faszination alleine mit dem Argument «Grösse» treffend beschreiben könnte. Diese Stadt wird geliebt. Paris hat auch mich verliebt gemacht. Und jetzt bin ich wieder hier.

Das wäre ganz anders gekommen, wenn ich im Südwesten Frankreichs, wo wir unsere Tour weiterführen wollten, nicht mit «einem in der Krone » von einem Klettergerüst eines Kinderspielplatzes runtergesegelt wäre. Da hab ich mir nämlich an der Schulter eine Konquassation (Prellung klingt so schrecklich unspektakulär) zugezogen. Backpacker-Ferien zu tätigen, ohne einen Rucksack tragen zu können, ist alles andere als angenehm. Zwar war mein Kumpel äusserst kooperativ – Elias hatte nach vier Tagen Oberarme wie Popeye mit einer Überdosis Spinat, doch ich schnappte mir trotzdem den übernächsten Zug nachhause und liess meinen lieben Freund alleine in der grossen Welt zurück.

Nach neun Stunden Zugfahrt haben wirs also hinter uns; die endlos quatschenden Touris aus Deutschland in unserem Couche, das Rückwärts-Zählen nach zu viel Fast-Food und über den chinesischen Geschäftsmann, der um fünf Uhr in der Früh zuerst eine Viertelstunde heiter mit seiner Frau plauderte und nachher mit seiner linken Pobacke meinem Gesicht guten Tag sagte, können wir jetzt nur noch lachen. Mann, wir sind in Paris! Ach, wie unhöflich, noch gar nicht vorgestellt: mit «wir» meine ich Emil und mich. Emil ist mein Freund. Noch nicht sehr lange, aber doch, er ist mein Freund. Immerhin weiss er das. Und ich glaube daran. Vermutlich.

Emil und ich, wir packen also unsere sieben Sachen zusammen (die er trägt, immerhin hab ich noch immer «Aua» an meiner Schulter) und suchen uns ein Café. Fast an jeder Strassenecke stolpert man hier über ein Bistro, also kein Problem, eines zu finden. Wie mein weiser Erzeuger immer wieder sagt: «Man sollte gut bedenken, mit wem man auf Reisen geht.» Recht hat er; Emil geht mir nach zehn Minuten schon auf den Keks, als er nur so von «Savoire Vivre» zu sprühen versucht; er mir Komplimente macht wo eigentlich gar keine sind, sich schlapp lacht über meine – durch Müdigkeit bedingt – äusserst mittelmässigen Witze, und über die des Garçon, er mit einem üblen Akzent Französisch stammelt und sich einfach nicht für ein Getränk entscheiden kann. Kennen Sie, lieber Leser, vielleicht das beklemmende Gefühl, in einem ganz engen Raum zu sein? Genauso fühle ich mich. Jetzt. Ich fühle mich, als wäre ich in einem engen Raum gefangen. Luftversiegelt. Der Groschen fällt; mit Emil hab ich mir die ganze Zeit was vorgegaukelt. Denn im Grunde bin ich ein Kind der Freiheit und habe nichts am Hut mit Treue oder Gemütlichkeit. Zumindest nicht jetzt. Und nicht morgen. Und zuletzt mit Emil.
__Ich taste nervös nach einer Kippe und will sie anstecken – da zieht sie mir dieser Einfaltspinsel mit einem Grinsen aus der Fresse. Das ist jetzt aber wirklich zu viel des Guten! Ich angle mir meine Handtasche – mehr geht ja nicht, er hat darauf bestanden, dass wir nur einen Rucksack mitnehmen_– und stürze aus dem Bistro. Hinaus auf die Strasse, rein ins Leben, weg von diesem … diesem … na Sie wissen schon. Draussen auf der Strasse beruhige ich mich wieder. Und? Wohin mit mir? Was beliebt Madame? Die ganze Stadt liegt mir zu Füssen. Das Sündenbabel hat seine Tore geöffnet. Rock'n'Roll, Baby! Leider kann man sich selbst in Paris um halb sieben morgens schlecht ordentlich einen hinter die Binde kippen. Option eins also gestrichen. Ne, und mal im Ernst: Alkohol ist ja bekanntlich keine Lösung. Ich entscheide mich für Option drei, da ich für die zweite Option um die Hüfte ein wenig zu viel zugelegt habe (haha): ich besuche den Place Tertre am Montmartre. Das Heiligtum schlechthin. Seit ich denken kann, erzählt mir mein Vater vom Platz der Künstler in Paris. Von diesem Zauber, der ihn in seinen Jugendjahren dort gefangen hielt, von schönen Bildern und charmanten Menschen mit Charakter. Eigentlich wollte ich mit meinem Vater diesen Platz besuchen. Aber nachdem er mir 19 Jahre den Mund wässrig geredet hat, kann ich jetzt nicht mehr warten.

Place Tertre
Ich steige also in die Métro, hüpfe bei Anvers wieder raus und keuche die riesige Treppe bei der Sacre-Coeur rauf. Was ich vor mir sehe, ist enttäuschend: Touristen mit Fotoapparaten, Touristen mit Eis, Touristen in Touristenbussen, Touristen mit Stadtplänen, Touristen in Touristenlocks, Touristen mit brauner Haut, verliebte Touristen, Touristen mit gelber Haut, Touristen mit albernen Souvenirs und Touristen, mit kleinen quengelnden Touristen. Fantastisch. Also nichts mehr da vom Paris der Sechzigerjahre. Paris, c'est mort.

Bertrand
Enttäuscht schlendere ich doch noch über den Platz. Wo man hinsieht Deutsche und Briten. Nicht dass ich fremdenfeindlich wäre, aber dieser Anblick ist recht ernüchternd. Die Sujets auf den Gemälden sind meist nicht allzu fantasievoll; Eiffeltürme so weit das Auge blickt. Damit bei Omi über dem Kamin dann auch ein «echtes» Souvenir hängt. Alles in allem also eine riesengrosse Enttäuschung; der Platz auf den ich mich schon so lange gefreut habe, ist nichts weiter als ein Touristenmagnet. Ständig wird irgendein Künstler aufdringlich und will unbedingt ein Bild von mir malen. Ich bin genervt und will gerade abschieben, als mir jemand auf die Schultern klopft. Erschrocken drehe ich mich um und sehe einem etwa fünfzigjährigen Mann geradewegs in die Augen. Auch er bittet mich dass er mich, zeichnen darf. Ich sage ihm, dass ich kein Geld dabei habe. «Ça ne fait rien», antwortet der Monsieur und dirigiert mich zu einem Stuhl «asseyez-vous», lautet seine freundliche Bitte, und ich setze mich.

Ich komme mir gerade ziemlich bescheuert vor, weil dutzende Menschen eben die Lizenz bekommen haben, mich hemmungslos anzuglotzen, um zu prüfen, ob ich wirklich was mit der Karrikatur gemein habe. Ich gebe mir gerade grosse Mühe gut und fröhlich auszusehen, als der alte Mann bemerkt, ich habe Melancholie in meinen Augen. Als er dann endlich fertig ist – nebenbei bemerkt erkenne ich keine grosse Ähnlichkeit mit mir selber – lädt er mich zu einem Kaffee ein.

Er führt mich in ein pompöses Restaurant neben dem Platz, wir setzen uns und bestellen «Negerschweiss». Eigentlich ist es ja überhaupt nicht meine Art, mit wildfremden Männern Kaffee trinken zu gehen, aber Bertrand hat mich irgendwie… ja… verzaubert. Als ich mir gerade überlege, was um Himmels-Willen ich hier mit diesem Mann mache, beginnt Bertrand zu erzählen. Nicht von sich, nein. Von mir! Er kehrt mein Innerstes nach aussen, erzählt mir Sachen über mich, die so sehr intim sind, dass ich sie manchmal selber nicht mal wissen will. Über die Liebe und den Verlust und den Lebenswillen und all diese Dinge. Nach seiner Rede schmeisse ich ohne Bedenken meine Zweifel über Bord und rede mir den ganzen Frust von der Seele. Ich höre mir gerade selber zu, als ich mich frage: «Du kennst diesen Menschen nicht, warum bitteschön bist du so offen?». Als er mir einen Handkuss gibt, mir in die Augen schaut und sagt: «Sie sind so eine schöne Frau mit einem schönen, traurigen Blick. Sie haben die ganz grosse Liebe verdient», habe ich das Gefühl, als werde ich gerade erleuchtet.

Bertrand erhebt sich aus seinem Stuhl, wirft mir nochmals einen Blick zu und geht. Als ich selber dann ziemlich durcheinander nach draussen – ja fast stolpere, ist er nicht mehr da. Irritiert sehe ich mich um, aber von Bertrand ist nichts mehr zu sehen.

Schwerelos
Auf dem Weg zur Jugendherberge fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Alles scheint in völligem Einklang mit mir selbst zu sein, so gut gehts mir schon lange nicht mehr. Ich habe einen Menschen getroffen, der weiss, wie ich mich fühle, ohne dass ich etwas sagen muss. Den werde ich zwar nie wieder sehen, doch werde ich ewig diese Erinnerung haben und wissen, dass es Leute gibt, die mich verstehen können und vor allem verstehen wollen. Ganz in Harmonie mit mir selber stiefle ich die Treppe der Sacre-Coeur wieder runter und gehe zum «Woodstock», dem Hostel, in dem wir schon eine Woche vorher waren. Ein lustiges, kleines amerikanisiertes Jugendherbergchen, in dem man viel Spass hat mit Backpackern aus aller Welt – und was noch viel wichtiger ist, dass man nicht zu zweit, sondern zu viert oder zu fünft in einem Zimmer ist. Ich danke gerade noch einmal Gott, bevor ich keinen Grund mehr sehe dies zu tun; Emil steht an der Reception im Hotel (wohlbemerkt ohne «s») gegenüber und zückt gerade seine Visa. Eigentlich haben wir ausgemacht, dass wir ins «Woodstock» gehen und nicht in ein Hotel, schliesslich komme ich als Lehrmädchen nicht gerade an das grosse Geld. Ausserdem musste ich ja auch seinem Willen nachgeben und auf meinen eigenen Rucksack verzichten, was mir ziemlich stinkt. Überhaupt kenne ich diesen Typen, der gerade über meinen Kopf hinwegbestimmt, keine drei Wochen. Und jetzt steht dieser Idiot in einem Hotel und zahlt. So wie ich das kenne, wird dieser Rappenspalter jeden müden Cent von mir zurückerstatten, obwohl ich einmal unkompliziert gewesen, und in eine Jugendherberge gegangen wäre.

Durch meine inspirierende Begegnung von vorher aber entscheide ich mich, mitzuspielen. Ich schlucke – obwohl würgen wohl angebrachter wäre – die rote Gesichtsfarbe runter und ignoriere die Wand, die immer näher kommt um mich zu erdrücken. Wortlos beziehen wir unser Zimmer –_okay, klar hat so ein Hotel Klasse für sich; eigenes Lavabo, eigene Dusche – das Zimmer im «Woodstock» gleicht eher einer Wohnung mitten im Busch als einer schnieken Jugendherberge in Paris. Fast schon bin ich glücklich, bis Emil wieder diese extrem aufdringlichen Annäherungsversuche unternimmt. Ich klemme meine Tasche unter den Arm, sage ihm, dass ich um sieben wieder hier bin, und suche mein Heil in der Flucht auf die Strasse. Ich setze mich in irgendein Bistro und zeichne mir drei Stunden lang den Katzenjammer aus meinen Gedanken.

Le premier rendez-vous
Dann möchte ich doch noch etwas Sinnvolles tun und erkundige mich in meinem Lieblingsbistro nach dem Weg zum Picasso-Museum._Ich weiss zwar, was er ungefähr gemacht hat, jedoch fehlt mir das Interesse, mich mit so einem Kommerz-Bündel auseinander zu setzen. Jemand, der bekannt ist, muss ja nicht gleich Ebenbürtiges gemeistert haben. (Was Stars wie beispielsweise Britney Spears immer wieder eindrücklich bestätigen.) Ich suche mir im ziemlich komplizierten Métro-System von Paris meine Route raus und kurze Zeit später stehe ich dann vor dem Museum. Ich zahle drei Euro Eintritt und stürze mich in die Welt des Künstlers. Was mich drinnen erwartet, lässt mich dumm aus der Wäsche gucken. Ich hatte ja keine Ahnung, dass… na wie soll man sagen. Da hängen hunderte Bilder, jedes einzelne hätte Aufmerksamkeit verdient. Ich werde fast krötig beim Anblick kleiner Kinder, die der Mama quengelnd am Rockzipfel hängen und sich langweilen. Kind, mach die Augen auf! Das hier, ja das ist der Meister höchstpersönlich! Fast schon andächtig hänge ich an den Bildern. Ich muss viermal nach draussen gehen, um mich zu erholen. Während des Staunens noch freue ich mich auf den Moment, wenn ich wieder draussen bin; die Muse wird mich küssen. Ne, Schwachsinn, die Musen werden mich küssen, dutzende, tausende! Ich werde meinen Zeichenblock hervorholen und etwas aufs Papier zaubern, was die ganze Welt bewegen wird.
__Aber denkste, weit gefehlt. Als ich dann wirklich draussen stehe, bin ich nur deprimiert. Ich kann vierhundert Jahre lang zeichnen, niemals wird meine Kunst an die des grossen Meisters rankommen.

Um sieben wieder angekommen, benimmt sich Emil, als wäre nichts passiert. Irgendwie doch schön, denke ich mir, und werfe mich in Wichs; wir wollen fein Essen gehen. Diesmal macht er mir Komplimente, wo es welche zu machen gibt, irgendwie ist es mir gelungen, mich wieder zu fangen. Das ist sowieso kein alter Hut, wankelmütig war ich ja schon immer. Ist ja auch toll, wenn man nicht immer alles aufs Goldwäglein legt. Mir wird zwar fast schlecht vom vielen Honig, den er mir ständig um den Mund schmiert, aber alles ist okay. Heute ist ein schöner Abend. Wir essen Moules und Calamari, meckern über die ecklige Deko an den Wänden der pseudo-karibischen Spelunke, trinken Wein... na halt. Eigentlich wollen wir Wein trinken. Aber ich – ich blöde Schneegans aber auch –_habe bereits Wasser in mein Weinglas geschüttet, was es ja gänzlich verunmöglicht, da noch irgendwann Wein reinzukippen. (Falls irgendjemandem der geschätzten Leserschaft der ironische Unterton nicht aufgefallen ist; in diesem Satz herrscht ein ironischer Unterton.) Emil beruft mit dem Kellner eine Krisensitzung ein – und jetzt halten Sie sich gut fest – um ein neues Glas zu bekommen! Mit heruntergeklappter Kinnlade betrachte ich meinen Freund, den Spiesser. Und in diesem Moment hab ichs gelöffelt: Emil war nie, ist nie und wird niemals ein Prinz sein, sondern für immer ein Frosch bleiben. Zumindest für mich.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so schreiben sie sich auch heute nur noch E-Mails.

 
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Hallo Sternenkatze

Eine kleine, locker-flockige Geschichte. Manchmal etwas sprunghaft, aber so ist halt deine Prot., darum - meiner Meinung nach - passend.

Ich würde jedoch die Passagen, wo du den Leser direkt ansprichst, entfernen. Für mich sind sie unpassend und wenn du darauf hinweisen must "da hats einen zynischen Unterton" stimmt was nicht.
Ich stellte von alleine fest, dass er zynisch war, ärgerte mich aber sofort, dass du mir nicht zu traust dies selber zu merken, sonder mir es explizit noch sagst!
"Zweifle nicht am Gespür deiner Leser!"

Gelungen finde ich die Passage mit dem Vater und nach 19 Jahren Mund wässern kann sie nicht mehr warten....

Lieber Gruss
Muchel

 

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