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Passagiere

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02.11.2001
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Passagiere

Ich habe sie zum ersten Mal vor ein paar Wochen unten am Hafen gesehen. Es war wieder ein Abend, an dem ich vorhatte, mich anständig zu besaufen. Wellen schlugen gegen den Pier und eine Unmenge von Sternen war ins Schwarz über dem Hafen gestreut. Es war die Art von Geruch in der Luft, mit dem sich die Häfen aller Meere verraten. Es roch nach den Stränden des Pazifik, nach dem Eis des Nordmeeres und ich konnte die Ferne darin wittern. Ein berauschendes Gefühl nach der Freiheit von früher machte sich breit und zugleich meinte ich, den Sand von Sumatra auf meinen Wangen zu spüren. Es sind für mich aber auch die Stunden, in denen die Einsamkeit nicht zu ertragen ist, Stunden, in denen alles so zusammenpasst, dass es einem anständig in der Seele gefriert. Ich mache selten schlapp und war auch schon hinter dem Pottwal her. Aber es ist diese Einsamkeit, wenn man vom Boot runtergeht. Trotz der vollen Kneipen in den Häfen, trotz der Bordelle. Die Einsamkeit hatte mich wieder im Griff und ich hatte vor, mir dagegen schnellstens ein Bierchen zu besorgen. Doch es kam anders. Ich hörte jemanden singen und bin dem Klang dieser Stimme gefolgt.
……my friends all drive Porsches……
Nun ja, für manche wäre der Anblick, der sich mir bot, belustigend gewesen. Für mich war es das nicht. Ganz im Gegenteil. Mir fuhr ein Gefühl von Kälte, das ich auch danach nicht beschreiben kann, bis in die letzten Windungen meiner schon angefrorenen Seele.
Das Singen kam vom Pier herauf und legte sich über den aufgebrochenen Asphalt der leeren Hafenstrasse.

Sie war mit Schiffstauen an einen Stahlcontainer gebunden und mit ungemein lauter Stimme gab sie diesen Song von Janis zum Besten. Ihre Jeans, Socken, Schuhe und der Parka lagen in alle Richtungen verstreut. Ich sah, dass sie die Unterwäsche anhatte. Es war grotesk. Zwei Männer in ölverschmierten Overalls standen dicht bei ihr. Einer hatte sich den Schwanz aus der Hose geholt und versuchte umständlich, sich einen abzuwichsen. Der Andere schimpfte mit den unflätigsten Ausdrücken, die ich jemals gehört hatte, auf die Frau runter. Und sie sang zu alldem diesen uralten Song von Janis. Ich war baff und nicht sofort fähig, die Situation einzuschätzen. Ich treibe mich oft hier in der Gegend herum, weil im Frühjahr die Chancen, auf einem Schollenkutter Arbeit zu finden, ziemlich gut stehen. An den Abenden allerdings wird die Gegend zum Niemandsland und keiner schert sich darum, wenn mit einem was passiert. Immer wieder lungern jede Menge Spinner herum, betrunkene Matrosen und Hafenarbeiter, Junkies und von der Nacht ausgespuckte Nutten. Aber dies hier schlug alles. Es war das Schrägste, dass ich hier am Hafen gesehen hatte. Und trotzdem war ich vom ersten Moment fasziniert von dieser Frau und der ganzen unglaublichen Szenerie. So wie sie dalag und sich von den Beiden begaffen ließ, kam die Ahnung in mir hoch, dass da vor meinen Augen eventuell gerade etwas Besonderes seinen Lauf nimmt. Ich war zu nahe heran gekommen und so zu tun, als ob ich nichts gesehen hätte, war nicht möglich. Vor Schlägen hatte ich keinen Bammel, ich hatte in meinem Leben genug davon eingesteckt und ausgeteilt. Ich betrat also diese absurde Bühne mit dem Gefühl, ihr helfen zu müssen und gab dem, der sich mit seinem Schwanz herumspielte, einen kräftigen Tritt in den Hintern. Was dann kam, war unglaublich. Sie hörte auf zu singen und schrie mich an, dass ich mich fortmachen solle. Du störst hier, du Schwein, schrie sie, geh weg, mein Gott, geh weg. Das ist mein Trip, du gottverdammtes Arschloch. Der, dem ich den Tritt verpasst hatte, rappelte sich hoch und machte weiter an seinem Schwanz rum, als ob nichts gewesen wäre. Der Andere hatte seine Schimpftiraden nicht unterbrochen, war wegen ihrem Geschreie dabei nur etwas lauter geworden. Ich hatte keine Ahnung, was hier ablief und machte, dass ich wegkam.
Das unbändige Verlangen nach einem Bier trieb mich die Strasse runter. Ewig mit dem Rücken zur Wand, Junge, dachte ich und es war wieder kaum zu ertragen. In der Kneipe war ich nassgeschwitzt wegen all der Aufregung und dem, was unten am Pier abging. Ich zog mir das erste Bier rein und ließ gleich den Kümmel hinterherlaufen, weil ich möglichst rasch alles zum Drehen bringen wollte.
Die Nächte mit diesen Gerüchen sind nicht gut für mich.

Irgendwann kam sie bei der Türe rein und fragte, ob ich ein Plätzchen für sie hätte. Ohne meine Antwort abzuwarten, hievte sie sich auf den freien Hocker neben meinem und sagte mit ihrer Janis- Stimme, Sag Joy zu mir’. Ich bot ihr einen Schluck aus der Flasche und sie meinte knapp, dass sie schon selber das Geld für Bier dabei hätte. Aber einen Kümmel könnte ich ihr ausgeben, sagte sie, da hätte sie nichts dagegen. Und das tat ich dann auch.
Wir kamen ins Reden und als die ersten Kutter von der Nachtfahrt hereinkamen und am Pier anlegten, waren wir gerade bei Joys Raumschifftheorie angekommen. Wir hatten nach dem Bier und dem Kümmel mit Aquavit weitergemacht. Die Dröhnung in meinem Kopf klang gefährlich nahe, doch ich konnte nicht damit aufhören, sie reden zu lassen. Sie erklärte mir, warum das so war mit ihr, warum sie den Kick unten am Hafen immer wieder braucht.
Wenn das Raumschiff zu sehr schwankt und bebt, habe ich Angst, dass es ohne mich weiterfliegt, sagte sie. Verstehst du das? Ich wäre runtergefallen, wenn die beiden Jungs nicht gewesen wären, sagte sie und weiter, Ich wollte, dass sie mich festbinden. Du bist ein Passagier, so wie ich, das muss dir klar sein. Du kannst alles tun auf deinem Raumschiff.
Das wissen nur die Wenigsten, sagte sie am Ende und damit gab sie mir noch eines drauf, darum passiert soviel, das unglücklich macht. Für mich war es ganz einfach ein Glück, das mit den beiden Jungs von vorhin, weil ich sonst runtergefallen wäre.
Als sie mit dem Erzählen fertig war, war ich soweit, ihr jedes Wort zu glauben.

Ich bin bei Joy geblieben und lasse die Kutter seitdem ohne mich rausfahren.
Denk dir die Erde als Raumschiff, sagt sie zu mir, wenn wir uns Bilder mit den Sternen ausmalen. Ja, das ist Joys große Idee.
Du fliegst mit mir von einem Stern zum nächsten und wir malen uns die Bilder selbst. Zum Beispiel eine Sonnenblume, wenn uns danach ist. Oder eine Ratte, oder eine blöde Autobatterie. Oder das Lachen von meiner Mum. Wenn du willst, können wir immer so weitermachen. Keiner hat das Recht, uns davon abzuhalten.
Ich gebe keine Antwort darauf. Joy ist ein Mensch mit Wahrheiten, die für andere Illusionen bedeuten. Sie lebt seit Jahrhunderten zwischen Schiffsrümpfen und muschelbewachsenen Ankerketten, sagt sie, wenn das Vibrieren unseres Raumschiffes langsam abklingt. Ich kann ihr ihren Glauben nicht nehmen, weil ich an Joy glaube. Es ist so weit mit uns, dass wir daran zerbrechen würden, wenn es nicht so wäre. Joy glaubt, dass sie von der Erde als ihr Passagier durchs All geschleudert wird und Joy sieht ihre tote Mutter in den Augen betrunkener Matrosen und weiß nicht, wer ihr Vater ist. Auch weiß Joy nicht, wie sie wirklich heißt. Ich habe sie nach ihrem Namen gefragt, doch sie meinte, dass alle Joy zu ihr sagen und dass ihr das reichen würde. Was ist schon ein Name, hatte sie gesagt. Es geht um die richtige Takelage des Schiffes, wenn der Wind günstig steht, sagt sie. Es geht nicht darum, was auf die Bordwand gepinselt ist.
Manchmal hat Joy diese lichten Momente. Ich weiß nicht, ob sie die auch als solche spürt. Aber was sie dabei rauslässt, ist gewaltig für den, der es hört.

Ich kenne Joy schon ganz gut.
Die Zeit mit ihr vergeht wie im Flug.
Es ist nicht Liebe. Es ist unaussprechlicher.
Sie hat mit allem recht behalten. Es ist auch mein Raumschiff, auf dem ich atme, gehe oder schlafe. Niemand darf mich benutzen und mir die Zeit stehlen, die ich für die Flüge mit Joy brauche. Darum sollen die Kutter ohne mich rausfahren. Ich will Joy nicht alleine lassen, da unser Raumschiff jederzeit schwanken und beben kann. Dann muss ich mit den Tauen bereit sein. Und ich habe beschlossen, nichts zwischen Joy und mich kommen zu lassen, den Flug gemeinsam zu Ende zu bringen und dem Geruch, mit dem sich alle Häfen dieser Meere verraten, zu vertrauen. Wir haben hinten beim Trockendock den aufgebockten Rumpf eines vergammelten Zweimasters gefunden. Darin hausen wir auf ein paar alten Matratzen. Wenn wir Geld für unseren Flug brauchen, geht Joy rüber in die Kneipe und knöpft den Männern mit ihrem schmollenden Lächeln ein paar Geldscheine ab. Danach haben wir wieder Treibstoff, um zu den Galaxien fliegen zu können, die noch auf uns warten. Ich weiß zwar, wie sie es immer wieder anstellt, mit ein paar Scheinen zurückzukommen und dass es nicht nur ihr Lächeln ist. Aber, wie Joy sagt, keiner hat das Recht, jemanden von etwas abzuhalten.

Einmal wäre es fast soweit gewesen.
Einmal wäre Joy bei einem Flug fast über Bord gegangen.
Nach dem Kümmel hatte die Flut unser Raumschiff die halbe Nacht durchgeschüttelt und die Sterne waren wie riesige Goldkörner an uns vorbeigerast. Mir war es vorgekommen, als ob der Himmel auf uns herablachen würde und ich zeigte rauf zu den Sternen. Sieh mal, Joy, das viele Gold , krächzte ich und reckte meinen ausgestreckten Arm nach oben.
Muuuuum, bäumte sich Joy plötzlich mit gellender Stimme auf, Mum, hier, hier unten bin ich. Hier unten, Muuuuum, schrie sie.
Ihr Körper wand sich, festgezurrt in den Tauen und sie war nicht zu bändigen. Sie schrie und weinte und ich hatte Mühe mit ihr, weil ich wieder nichts verstand von dem, das hier abging. Es war gespenstisch: Joys Schreie, ihr Körper, der sich mit aller Gewalt gegen den Himmel bäumte, das Tosen der Flut unten am Pier und die Sterne, die in ihrem Rasen hoch droben tatsächlich für einen kurzen Augenblick das Profil eines Frauengesichts wiederspiegelten. Gott, ich war froh, nicht in Joys Augen sehen zu müssen. Ich ließ sie in Ruhe, versuchte den letzten Rest aus der Flasche zu bekommen und stammelte zu meinem Gott, dass die Sterne da oben Joy ja wieder loslassen sollen.
Er musste mich gehört haben. Von der offenen See kroch eine Nebelwand gegen den Hafen und verpackte das trügerische Geglitzer in feine weiße Watte. Ich traute meinen Augen nicht, aber der Nebel sah absolut wie Watte aus. Joy wurde ruhiger und dann begann sie zu singen. Es war der Song, den sie damals unten am Pier zum Besten gegeben hatte, der von der guten alten Janis.
‚Oh Lord, want you to buy me, a Mercedes Benz – my friends all drive Porsches.....’
Wir hatten es gerade noch zurück in den Hafen geschafft.

Ich weiß ganz sicher, dass Joy und ich eines Tages die eine Galaxie finden werden, von der wir nicht mehr zurückkehren wollen. Wir stehen ganz oben auf der Passagierliste und wir denken nicht daran, da was zu ändern. Sollen doch die Anderen ihre öden Jobs machen und im Affentempo den Sardinenschwärmen oder dem Blue Merlin hinterher jagen. Wir haben uns davon befreit. Wir sind frei. Wenn Joy aus der Kneipe kommt, starten wir wieder durch. Wir wissen, dass es die eine Galaxie irgendwo da draußen gibt und wenn wir die gefunden haben, können uns alle ganz kräftig am Arsch lecken.

 

Hei Aq, ziemlich bizarre story. Zwei verlorenen Seelen, die gemeindam abheben. Tja, diesmal ist es schwer. Klar! gut geschrieben. Allerdings fällt es mir doch schwer das alles vorzustellen. Ich entdecke Sehnsüchte in dieser Story. Dann entdecke ich irgendwo die Schizophrenie und irgendwann frag ich mich, ob es eine einzige Metapher ist.

Übrigens:"...mir dagegen schnellstens ein Bierchen zu besorgen" klingt nicht gut. Klingt als ob jemand mal eben zum Kiosk rennen will, aber das hattest du nicht vor! Fällt jedenfalls aus dem Rahmen dieser Satz.

Liebe Grüsse Stefan

 

Ein schöner funkelnder Sternenreigen, mit dem Du das Glitzerbild in das Firmament wirfst!:bounce:

Die Nabelschau des Prots ist zu intensiv geraten, kurz hingucken reicht allemal.
Der Typ kondensiert sich doch bestens in seinem Tun und Lassen aus!

Einen Extragummipunkt für die Reminiszenz an good ol' Janis!

Jedoch hätte sie an Joys Stelle anderes gesungen:
"Freedom is just another word for nothing have to loose..."

Sprach's und zerstob in einer Glitzerwolke

 

Hi Arche,

hab ein bissel rumgetrödelt die letzten Tage, drum das späte Danke an dich. Zwei verlorene Seelen auf einem schlußendlich gemeinsamen, schizophrenen Trip, in einem Hafen am Ende der Zeit. Fast nicht zu glauben, aber Joy, wie sie heißt, gibts wirklich. Ich hab sie vor Jahren in Tanger kennengelernt und ihre metaphernhafte Raumschifftheorie nicht vergessen können. Mehr weiß ich dazu nicht, Stefan. Nur: Vielleicht ist sie noch dort und eventuell hatte sie recht...

Tag Rumpelsstilzchen,

die gute alte Janis hatte es drauf. Joy war ihr ähnlich, als ich sie traf. Aber ich glaube, dass Joy sich noch weniger um die Leute rundum geschert hatte. Ich dank dir fürs lesen und deine Worte zum Text.

Liebe Grüße an euch - Aqua

 
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Aq, rumtrödeln? Achja, du artbeitest ja bei....

Wenn sie recht hat!
Das darf nicht sein, das darf ich auch nicht glauben, dann verliere ich meine Orientierung in dieser Welt.
Also ich hoffe, sie hat nicht recht, dann kann ich einigermaßen beruhigt leben!

Morgen spielt Dortmund gegen Austria!!

Liebe grüsse stefan

 

hallo aqua, hab mal wieder in deinen alten stories rungestöbert.
ich finde es schon stark, wie du es schaffst auf wenigen seiten ideen und träume von zwei menschen darzustellen. phantastisch zwar, aber doch so, dass es nachvollziehbar ist. mir hat die geschichte vom inhalt und vom stil her sehr gut gefallen

herzliche grüße
ernst

 

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