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Postbeamte
„Ich weiß gar nicht, warum du dich beschwerst, eigentlich haben wir es doch sehr gut hier.“ Dedrax räkelte sich auf seiner Liege und betrachtete durch sein Wandfenster ein paar gequälte Seelen im Fegefeuer. Ab und zu kratzte er etwas Schwefel von der Wand und stopfte ihn genüsslich in seinen Mund.
„Ach ich weiß nicht“, Ixatus Stimme klang nörgelig, wie immer, wenn ihr Dedrax’ Meinung im Grunde schnurzpiepegal war. Sie schlug lässig mit ihrem dornengekrönten Schweif nach einer kleinen Seele, die sich irgendwie in den Wohnraum verirrt hatte. Die Seele quietschte schrill, zischte quer durch das Wohnzimmer, und blieb dann an einem Teerfleck kleben. Dedrax kniff sie zwischen seinen schwarzen Fingernägeln ein und warf sie nach draußen. Er hasste Parasiten.
„Es ist doch immer das Selbe. Seelen kaufen, Seelen abholen, Seelen einfangen, Seelen quälen, Seelen wiedereinfangen. Tagaus tagein der gleiche Ärger. Und der Boss kann manchmal richtig unleidlich sein. Außerdem hast du gut reden. Du musst ja nicht den Haushalt machen und jeden Tag mit ihm auskommen!“ Dabei deutete Ixatu auf Gnorrik, Dedrax’ Urururururgroßvater.
„Ignafkh kunmuhj grmf“, sagte Gnorrik. Er war schon sehr alt und sprach nur mittelhochdämonisch, was die Verständigung mit ihm manchmal erheblich erschwerte.
„Ja Großväterchen, du mich auch“, murmelte Dedrax und seufzte. Ein kleines Feuerchen brach unvermittelt in der Ecke des Wohnzimmers aus. „Können wir mit dem Umzug nicht warten? Schließlich ist Kordrak in einer schwierigen Phase.“ Dedrax betrachtete liebevoll seinen kleinen Sohn, der inzwischen dazu übergegangen war, auch die teuren Menschenhautvorhänge in Brand zu setzen.
„Ich bin der Meinung, eine kleine Luftveränderung wird Kordrak nur gut tun. Schließlich soll er auch mal etwas Neues kennenlernen. Und denk an die Aufstiegsmöglichkeiten. Heutzutage ist mit Seelen doch kein großes Geschäft mehr zu machen. Sind doch sowieso schon alle verpfändet, wo bleibt denn da der Spaß?“
„Da hast du recht“, Dedrax seufzte. „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal eine Jungfrau verführt habe. Neulich dachte ich, ich hätte eine, elf Jahre alt, blond, blauäugig und so weiter, aber da lag sie auch schon mit dem Nachbarsjungen in der Kiste. Viel zu frühreif, die Kinder von heute.“
„Das liegt an diesen ganzen Magazinen“, konstatierte Ixatu trocken.
„Zfhginnun jjik“, kommentierte Gnorrik. Die aufdringliche Seele war schon wieder zurückgekehrt und schwirrte um seinen Kopf. Kurz darauf ging sie schrill kreischend in Flammen auf.
„Guter Junge!“ Ixatu tätschelte stolz den Kopf ihres Sohnes. „Dedrax, versprich mir, dass du mit diesem Menschen sprichst, wegen einer Anstellung!“ Dedrax nickte ergeben. Wer wusste schon, vielleicht würden sie alle in einem neuen Heim glücklich werden.
„Also, Sie haben verstanden, was Ihre Aufgabe ist?“
Dedrax nickte eifrig. Dieser Mensch hatte tatsächlich Ahnung. Es schien ganz so, als habe Ixatu recht gehabt.
„Für einen reibungslosen Ablauf in ihrem Laden sorgen. Immer im Hintergrund bleiben. Sich nie zeigen.“ Das würde Spaß machen. Er hatte lange nicht mehr undercover gearbeitet. Heutzutage musste man die Menschen ja mit der Nase darauf stoßen, wer man war, sonst glaubten sie einem nicht. Und selbst dann bekamen sie noch nicht einmal Angst. Dedrax erinnerte sich noch mit Schaudern an den letzten Jugendlichen in den schwarzen Klamotten mit den Nietenarmbändern und dem ganzen Metall im Gesicht. „Abgefahren, Mann!“, hatte der nur gesagt, als Dedrax sich ihm gezeigt hatte.
„Und Sie sagen, wir dürfen kräftig Unruhe stiften?“
Der Mann nickte bedeutungsvoll. „Je mehr Unruhe, umso besser. Die Leute werden verunsichert sein, und sich an uns wenden. Dann verkaufen wir ihnen die neusten Produkte, die ihnen Sicherheit versprechen. Selbstverständlich müssen Sie sich um die auch kümmern. Aber Ihre Arbeit muss subtil sein, verstehen Sie? Auf keinen Fall zu auffällig. Wir wollen nicht, dass die Kunden sich abwenden.“
Dedrax nickte wieder. „Und das Sprachproblem meines Großvaters ist kein Hindernis?“
„Ach Sie wissen ja, was die ganzen Textverarbeitungsprogramme für Unsinn produzieren. Da fällt die Sprache gar nicht ins Gewicht!“
„Und mein Sohn...“
„Wissen Sie, ab und zu muss sich jeder mal eine neue Festplatte besorgen...“
„Tja dann“, Dedrax erhob sich und reichte dem Mann die Klaue. „Hat mich sehr gefreut, Mister Gates“
Ixatu war gerade dabei, die Schwefelvorräte in eine Knochenkiste zu packen, als Dedrax nach Hause kam.
„Und?“ Ihr Gesicht schimmerte erwartungsvoll.
„Es hat alles bestens geklappt“, erwiderte Dedrax. „Wir beide sind jetzt Postbeamte!“