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Pralinenschachtel

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24.04.2003
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Pralinenschachtel

Der Ursprung allen Wissens liegt in einer kleinen Schachtel verborgen.
Die Gilde hat viele Versuche unternommen, zu den Wurzeln der Menschheit zurückzukehren. Diese Mission stellt den einundzwanzigsten dar.
Ein dutzend Besatzungsmitglieder an Bord. Mehr braucht es nicht.
Ich habe Angst vor dem Verderben.
Möge Gott diese Mission segnen.

Das zigarrenförmige Sternenschiff durchwanderte das Universum seit Äonen. Der Faktor Zeit war schon lange kein bedeutender mehr.
Auf den quadratischen Mannschaftsbetten lagen die Skelette derer, die einst mit auf die Reise gegangen waren. Sie hatten sich mit dem Wissen, niemals wieder aufzuwachen, freiwillig dem künstlichen Tiefschlaf hingegeben. Die Verbindungskränze, die auf den blanken Schädeln thronten, verliehen ihnen das Aussehen bizarrer Könige.
Die Beleuchtung, lediglich für menschliche Augen von Sinn, war vom System bereits vor Ewigkeiten abgeschaltet worden und so schimmerten die langen Korridore der Matrador in dem gespenstischen Schein abertausender, winziger Kontrollämpchen.
Ein monotones Summen durchbrach die Stille, als der Wartungsroboter aktiviert wurde. Rotes Licht drang aus seinen metallenen Augen und brach sich an dem feinen Kondensnebel, der mittlerweile das gesamte Schiff durchflutete. Ein Leck im Kühlsystem, das sich die Kälte aus der Ewigkeit des Alls holte. Nur ein Mensch wäre im stande gewesen, es zu dichten. Aber lebende Crewmitglieder gab es keine mehr und so bahnte sich der kleine Android seinen Weg durch die Kälte, die ihn nicht frieren ließ, um ein defektes Relais auszutauschen. Er benötigte mehr als eine Stunde, um die entsprechende Stelle zu erreichen. Das Relais war in seinem integrierten Lager vorrätig, da es zu jenen gehörte, die regelmäßig getauscht werden mussten und so konnte er sich zumindest die energiezehrende Fahrt zur Werkstatt sparen. Was nun folgte, war Routine. Mit seinem multifunktionalen Arm entfernte er die Abdeckplatte und stellte sie behutsam zur Seite. Das benötigte Bauteil durchlief von seinem Inneren aus einen engen Schlauchkanal, der an der Unterseite eines kleinen Greifers mündete. Das noch eingesetzte Relais ließ der Roboter unter die Klappe fallen, an deren Vorderseite sich die Aufladeschnittstelle seines Akkus befand. Dann setzte er das neue ein.
Ein Gewirr aus Zahlen und Programmbefehlen, welches ihm vom Hauptrechner höchstpersönlich zugefunkt wurde und das nur er verstehen konnte, bestätigte die Wiederinbetriebnahme der Leitung, die kurzfristig umverteilt worden war und sprach ihm ein ernstgemeintes "Danke" aus. Mit einem imaginären Lächeln der Zufriedenheit, nahm er die beiseite gestellte Platte auf und ließ sie in der Wand verschwinden.
Sein Dienst war für den Moment getan. Er schaltete sich ab und das Summen erlosch.
Es war wieder ruhig an Bord der Matrador.

Einige Monate später startete das Kontrollprogramm. Es kam nur noch selten zum Einsatz, da die Energie knapp war. Sämtliche Anlagen und Computersysteme wurden in Sekundenbruchteilen durchgecheckt, wobei auch die dazugehörigen Bildschirme, sowie sämtliche Anzeigentableaus einer Prüfung unterzogen wurden. Für einen flüchtigen Augenblick erstrahlte das Schiff in seinem ursprünglichen Glanz, als wäre es gerade erst gestartet.
Dann endete der automatisierte Zauber wieder und die schummerige Halbfinsternis rückte an ihren Platz zurück.
Auf der Kommandobrücke wertete der Hauptrechner das angefertigte Protokoll aus. Das Leck im Kühlsystem klaffte noch immer. Kein Umstand, der ihn verwunderte, schließlich gab es niemanden, der es dichten konnte. Ansonsten standen viele Kleinigkeiten auf der Liste erwähnt, die für den Weiterflug keine Gefährdung darstellten.
Diesesmal brauchte er die Dienste des Wartungsroboters nicht in Anspruch zu nehmen.
Die Matrador flog weiter durch die Ewigkeit, ihrem Ziel entgegen.

Obwohl es für den Computer nicht den geringsten Unterschied machte und kein Mensch anwesend war, der die Ironie erkannte, so geschah das Unvorhergesehene dennoch an einem dreizehnten Freitag. Ein kleiner Asteroid hatte seinen Weg durch das abgeschwächte Schutzschild hindurch gefunden und dies zudem noch an einer denkbar kritischen Stelle. Der Reaktor war heftig durchgeschüttelt worden und hatte seine Tätigkeit aus Sicherheitsgründen vorübergehend eingestellt.
Jetzt konnte er nicht mehr hochgefahren werden.
Der Hauptrechner besaß zwar die Ermächtigung, ihn in Notsituationen zu reaktivieren, allerdings lag die letzte Wartung mehr als dreihundert Jahre zurück und so bestand das greifbare Risiko, mit einer neuen Kernfusion das komplette Schiff zu sprengen. Es mussten unzählige Partikel aus der Schwerelosigkeit angesaugt werden, um den Vorgang gewährleisten zu können und die zugeschalteten Kernreaktoren funktionierten schon seit Ewigkeiten nicht mehr.
Der Rechner dachte an das Leck im Kühlsystem. Möglicherweise zerstörte das plötzliche Mehr an Kondens die Systeme, selbst wenn der Vorgang der Inbetriebnahme erfolgreich sein sollte.
Mit der gespeicherten Energie wäre die Matrador in der Lage gewesen, ihren Kurs für zwei weitere Monate zu halten. Nicht annähernd genug.
Es verging eine lange Zeit, bis der Rechner zu einem Ergebnis gekommen war...

Ein lautes Summen ertönte. Die Rollen setzten sich in Bewegung und bald schon hatten sie den verschlossenen Durchgang erreicht, hinter dem sich das Lager befand. Der Roboter hielt eine letzte Rücksprache über Funk, ehe er die Luke zum Öffnen aufforderte.
Die kleine Schachtel stand vor ihm auf dem Boden. Unberührt, versiegelt, drohend.
Sie stellte den eigentlichen Zweck dieser Mission dar; der einundzwanzigsten ihrer Art.
Kommandant Phillipo war es gewesen, der sie voller Stolz an Bord gebracht hatte. Damals, als die Besatzung noch nichts davon ahnen konnte, dass sie die Rückreise nicht überleben würde.
Ein auf den ersten Blick minimaler Fehler. Der Raum ließ sich nur anhand präzisester Vorausberechnungen krümmen. Die ausgelagerte Datei, die alle relevanten Daten sammelte, verschwand ganz einfach. Aus Gründen der Sicherheit hatte man sie nicht mit dem Hauptrechner vernetzt und so gab es auch keine zweite Speicherung von ihr. Auf alles hatte man dieses Schiff vorbereitet, nur nicht auf ein defektes Medium, welches das wichtigste Triebwerk nutzlos machte.
Mit Unter-Lichtgeschwindigkeit brauchte es eine sehr lange Zeit, um zur Erde zurückzukehren.
Der Roboter näherte sich der Schachtel und fuhr seinen Greifarm aus. Es war ihm ein leichtes, das Siegel zu brechen.
Bläuliches Licht, das aus ihr drang, verlieh dem engen Lagerraum eine märchenhafte Atmosphäre.
Als er nach dem Inhalt langte, begriff er. Über Funk sendete er seine neuen Erkenntnisse.
Die Crewmitglieder sprachen oft von der gewaltigen Energie innerhalb der Schachtel, als sie noch am Leben waren. Der Computer konnte sich keinen tatsächlichen Sinn - wie sie es immer ausdrückten - in ihr vorstellen, wohl aber eine Alternative, um den Einsatz zuende zu führen.
Die Matrador setzte ihren Weg fort. Äußerlich vollkommen verändert.

Im Jahre 8745 nach Christi Geburt, wie es die integrierten Kalender des seltsam wirkenden Schiffes verrieten, meldete sich ein automatischer Funkspruch zu Wort.
"Dies ist eine Warnung. Sollten Sie zu jenen glücklichen gehören, die ihr Startrecht noch vor Ausbruch des Krieges erhielten, so steuern Sie nicht wieder auf die Erde zu. Hier unten ist bald alles verloren. Flüchten Sie sich zu einer der Kolonien. Mögen Sie ihr Glück dort finden."
Die menschliche Stimme brach ab und wurde von einer mechanischen abgelöst.
"Landungssequenz einleiten?"
Der Computer der ehemaligen Matrador bejahte dies. Es machte keinen Unterschied. Dort unten gab es nichts mehr. Die Erde war gelb geworden. Vermutlich kam das Warnsignal von irgendeinem Satelliten, der stur seine Runden um den Planeten drehte und nichts davon wusste, dass er seine Bedeutung längst verloren hatte.
Als das Schiff schließlich auf der Oberfläche aufsetzte, sah es wie ein Hoffnungsschimmer inmitten der Einöde aus. Die beiden Augen, die sich am Rumpf gebildet hatten, blickten hinunter zum Ausstieg, der sich in diesem Moment öffnete.
Ein Summen erklang und der Wartungsroboter fuhr auf seinen Rollen der Wüste entgegen. In seinem multifunktionalen Arm hielt er die kleine Schachtel.
Er benötigte mehrere Stunden, bis er schließlich auf der Spitze einer hohen Düne seinen Platz fand.
Die Schachtel weit von sich weg gen Himmel gestreckt, funkte er die Worte in Richtung des Schiffes, die er solange für sich behalten hatte.
"Der Sinn des Lebens ist der Neuanfang!"

Unzählige Explosionen verdunkelten die Steppen. Wasser regnete in Strömen herab und Vulkane schossen aus dem Boden.
Schließlich, als das Chaos vorbei war, schwammen millionen Tiere in den entstandenen Ozeanen herum.
Immer, wenn sie an die Steine stießen, die die Küsten umgaben, erklangen metallische Laute.
Es kam dann schnell noch kleineres Getier zur Hilfe und reparierte die größeren Fische.

 

Tja Cerberus,

da kann ich mich Noel nur anschließen. Von dem kitschigen Titel mal abgesehen ist Deine Sprache fehlerfrei, rund und stimmig und erzeugt eine, für die Kürze der Geschichte erstaunlich dichte Atmosphäre, die gekonnt zwischen Melancholie, Einsamkeit und Hoffnung balanciert! Und die Geschichte selbst ist ebenfalls sehr gut gelungen, wie ich finde: schnörkellos, stringent und spannend.
Respekt

SilentSoul

 

so gab es auch keine zweite Speicherung von ihr.
Das ist ein Beispiel für eine Handvoll Stellen, die sich sprachlich noch verbessern lassen. Insgesamt sind aber viele sprachlich gute Strecken drin.

Der erste Absatz ist große Klasse und verheißt viel - und der weitere Text kann es nicht verfüllen, weil es die x-te Neuauflage des Motivs vom verloren dahin treibenden Raumschiff ist. Der zweite Absatz z.B. ist für mich inhaltlich todlangweilig, weil ich das Gefühl habe, sowas schon hundertmal gelesen zu haben.
Das Ende ist beinahe die alte Leier vom zyklischen Wiedererstehen, wenn auch diesmal metallisch, aus welchem Grund auch immer. Es wäre okay, dass es im Dunkeln bleibt, wenn das eigentlich anfangs gelungene Flair nicht durch die gepflegte Langeweile des Mittelteils zunichte gemacht worden wäre. So aber hinterlässt mich die Story völlig unbefriedigt. Cerberus, das kannst Du besser.

Fazit: sprachlich über weite Strecken gut, inhaltlich nichts neues.

Uwe
:cool:

 

Guten Tag!

@Noel Smith

Freut mich natürlich, wenn du so begeistert bist. Was die technischen Dinge anbelangt, so kratze ich meist absichtlich nur an der Oberfläche, da mein physikalisches Wissen arg begrenzt ist und ich so Unstimmigkeiten vermeiden möchte.

@ Silent Soul

Auch dir einen Dank fürs Lob! Weiss gar net, was ich weiter schreiben soll...

@Uwe Post

Du hast Recht; der mittlere Teil zieht sich tatsächlich sehr in die Länge. Meine Intention war es ursprünglich, eine Geschichte ohne lebende Charaktere zu schreiben. Die Idee mit der Schachtel, die den Sinn des Lebens enthält, kam mir erst während des Schreibens und so habe ich sie in den Text eingeflochten. Zum Ende hin wollte ich dann wieder Geschwindigkeit in die Story bringen, was mir scheinbar nicht so recht gelungen ist.
Dazu muss ich allerdings sagen, das der gesamte Text quasi an einem langen Nachmittag entstanden ist, weshalb ich jedem Verbesserungsvorschlag offen gegenüberstehe (was ich ansonsten natürlich auch tun würde).
Wenn du die Zeit findest, kannst du mir ja die Stellen herauspflücken, die deiner Meinung nach überarbeitet werden sollten und falls ich weitere Resonanz in deine Richtung gehend erhalte, werde ich die komplette Story vielleicht nocheinmal völlig überarbeiten. Ansonsten kann ich wenigstens einzelne Sätze verbessern.

Euch dreien vielen Dank fürs lesen und kommentieren!

Beste Grüße

Cerberus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Cerberus,

bin eigentlich gerade scheibfaul, aber ich versuchs mal ...

wie Uwe schon sagte ist der Anfang super, mit den Königen und so, tolles Bild, ich sehe so richtig die stränigen Haare und die Hautreste vor mir, und dann gehts los, oder halt nicht ;) :

1) Wenn du auf so einen Schöpfungszyklus hinaus willst, würde ich das besser herausstellen, besser andeuten, irgend etwas ungewöhnliches, das Raumschiff soll nach 8000 Jahren oder so zurückkehren und eine neue Schöpfung initieren (hab ich das richtig verstanden???), was für Weichen muss man hierfür stellen? Sind die Maschienen hierfür verantworlich oder warum gibt es eine mechanische Evolution nachher??

2) Protagonist Roboter find ich okay, aber beschreib nicht jede Schraube ;)

3) Vielleicht so eine Art Tagebuchstil, nur so kurze Schlaglichter auf den Verlauf der Reise (Bordcomputer oder so) keine Ahnung, nur die wichtigsten Ereignisse halt

So das waren meine Hinweise, bin jetzt seehr erschöpft ...

Ach ja: das Philosophische mit der Schachtel und dem Sinn des Lebens: RAUS, das ist nur Ballast.

Dante_1

 

Hi Cerbverus,
naja, im Prinzip ist deine Geschichte ja recht stimmungsvoll geschreiben, aber mit ein paar Dingen konnte ich mich einfach nicht anfreunden. Die Schachtel, die das Leben enthält, oder auch den Sinn des Lebens - Idee fand ich etwas abstrus.
Außerdem sind einige unnötige Sätze und verworrene Ausdrücke in dem Text enthalten, die man streichen könnte.

Recht neu ist das Thema zudem auch nicht.

glg Hunter

 

Ich gebe zu, nicht so belesen in Science-Fiction zu sein, um beurteilen zu können, wie neu oder nicht neu diese Geschichte ist, aber mir gefiel der Ansatz, auf lebende Protagonisten zu verzichten.
Langweilig war für mich gar nichts, ich habe jede Schraube genossen. Nur das "Danke" vom Zentralrechner fand ich unnötig vermenschlichend.

Allerdings war das Ende dann doch ein wenig wirr für mich. Was war denn nun der Sinn dieser Mission gewesen und was war in der Schachtel? Du willst mir doch nicht erzählen, daß Menschen, die voraussehen, daß die Erde eines Tages verödet, ein bemanntes Raumschiff ins Nichts losschicken, nur damit es irgendwann wieder die Erde mit Robo-Leben bevölkert?

r

 

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