Was ist neu

Reflektion am Meer

Mitglied
Beitritt
08.06.2004
Beiträge
2
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Reflektion am Meer

Susanna ging am Strand spazieren, wie sie es so oft in den letzten Tagen getan hatte. Die langen Spaziergänge taten ihr gut, halfen ihr ein wenig, sich aus dem Alltag zu befreien und eine gewisse Distanz zu ihrem Leben zu schaffen.
Eigentlich hätte sie ja mit allem zufrieden sein können. Eigentlich..
Und dennoch kam es ihr manchmal so vor, wie wenn sie von einem schwabigen Nebel umhüllt wäre, der ihr die Sicht auf ihre Umwelt zu trüben schien.
Susanna spürte den klebrigen Sand unter ihren nackten Füssen. Was war nur los mit ihr? Sie konnte es sich selber nicht erklären, was es war. Irgendwie hatte sie einfach das Gefühl, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Aber was es genau war, das konnte sie nicht sagen. Sie fühlte sich matt, ausgelaugt, nichts machte ihr mehr Freude. Ob sie wohl krank war? Oder ob sie sich das alles nur einbildete? Ständig blieben ihre Gedanken an den gleichen Fragen hängen.
Ihre Aussenwelt nahm sie nur noch begrenzt wahr. Sie merkte nicht einmal, als sie ein altes Ehepaar freundlich grüsste, noch hörte sie das laute Weinen eines Kindes, das hingefallen war. Früher wären ihr diese kleinen Momente nicht entgangen. Ja früher..
In ihren Gedanken lief sie weiter und weiter, bis sie auf dem vom Meer benetzten Sand eine Muschel fand. Sie sah aus wie jede andere, wie die tausend und abertausend Muscheln, die man für gewöhnlich am Strand finden konnte, wenn man welche suchte. Nur diese hier war noch ganz. Susanna hob sie auf und betrachtete sie eingehend. Eine kleine weisse Muschel, die einen Spalt offen stand. Kleine Furchen bildeten ein gleichmässiges Muster und gegen den Rand hin verfärbte sie sich immer mehr ins Grau-Blaue. Sie liess die Muschel in ihren Fingern kreisen. Woher sie wohl gekommen war? Was sie alles schon "gesehen" hatte? Plötzlich wurde sie von einer Neugierde ergriffen, die sie einst nur als Kind verspürt hatte, als sie ihr Geburtstagsgeschenk schon einige Tage vor ihrem Geburtstag entdeckt hatte, als sie in ihrem Elternhaus verstecken gespielt hatte.
Sie wollte unbedingt wissen, was in der Muschel war. Wahrscheinlich war sie sowieso lehr, aber wer konnte das schon genau sagen? Sie öffnete die Muschel und es schien ihr, als ob sie an Grösse zunäme. Immer grösser und grösser wurde sie, bis Susanna in der Muschel ganz Platz hatte. Die Perlmuttfarben ihrer Innenseiten reflektierten das Sonnenlicht und es war, als ob die Muschel das gesamte Glitzern der Meeresoberfläche in sich trüge. Sie war völlig verzaubert und liess sich immer weiter ins Innere der Muschel treiben. Susanna war nun ein Teil der Muschel und die Muschel sprach in einer sehr alten Sprache zu ihr. Es war ein leises Flüstern, das dem Rauschen des Meeres glich. Die Muschel flüsterte ihr die Geheimnisse des Meeres zu, ihre Seele flog in die Tiefen des Wassers und ihr Herz öffnete sich. Sie verspürte eine überwältigende, universelle Liebe, die sie völlig ausfüllte.
Und dann erwachte Susanne. Wie lange sie in der Muschel gewesen war konnte sie nicht sagen. War sie gealtert? War sie immer noch sie selbst?
Sie sah sich nach der Muschel um, aber sie konnte sie nicht mehr entdecken. Vielleicht war sie an den Ort zurückgekehrt, aus welchem sie gekommen war - zurück ins Meer.
An diesem Tag hatte sich Susanna verändert. Sie hatte einen Teil der Muschel in sich aufgenommen, den sie nie wieder ablegen konnte und hatte die stille Melancholie, von der sie vorher jederzeit umgeben war, in der perlmutschimmernden Welt der Muschel zurückgelassen.

 

Hallo Planswalker!

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen. Du beschreibst mit einer unglaublichen Feinfühligkeit Susannas Erlebnisse mit der Muschel und ihren Kampf gegen die Depressionen.
Ich finde es schön wie du die Natur darstellst und sie in das Geschehen einbringst.
Die Behauptung, dass sich die Natur zum Heilmittel gegen eine psychische Krankheit entwickelt ist wirklich einleuchtend und verständlich.
Wirklich sehr gelungener Text, obwohl, meiner Meinung nach, die Muschel einen zu großen Platz in deinem Text bekommt. Vielleicht könntest du dich eher auf den Gefühlszustand von Susanna beschränken? Wenn du den überarbeitest, versuche den Stil des Anfangs dem Ende anzugleichen. Ich denke das würde den Text nur schöner machen.

Aber das ist nur meine Meinung!
Liebe Grüße
Alastor

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom