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Risiken des Alltags: Der Fall B.
Wechselwirkungen: Bodes Fall
Die ganze Sache fing damit an, dass er einen Fehler machte. Keinen Großen, sondern einen allzu menschlichen, wegen dem man sich im Übrigen und im Normalfall nicht länger als zehn Sekunden oder fünf Minuten ärgert, je nach Tagesform.
Sein Wohnort: Tristesse auf Graubeton, serviert mit Pommes Schranke. Hinter den farblosen Fassadenlücken flimmert farbliches Stakkato: Prime time. Die beste Zeit im Abend eines deutschen Mannes zwischen fünfunddreißig und siebzig Lenzen.
Er hatte das Haus noch einmal kurz verlassen, trotz der späten Stunde und weil Götz George ihn nicht vor die Scheibe locken konnte, dieser Prolet. War durch die beginnende Nacht geeilt, weil ihm doch ab und an mal ein Pülleken Pils fehlte und er vergessen hatte, sich zu bevorraten. Leider war der Supermarkt schon geschlossen. Noch während er den leerstehenden Parkplatz anseufzte, kam ihm der rettende Gedanke: Er erinnerte sich an den türkischen Gemischtwarenladen zwei Straßen weiter. Normalerweise kaufte er lieber im Lidl, aber das war ein Sonderfall, eine Notsituation, die ihn in die Verkaufsräume des Anatolen trieb. Von diesem erwarb er zwei Flaschen eines komischen kleinasiatischen Krombacherverschnitts, 200 Gramm Funnychips, ungarisch, und, weil er auch dieses vergessen hatte, eine Sprühdose Deodorant.
Als er fünf Euro fünfzig später den Laden verließ, streichelte der Verkäufer seinen graumelierten Bart und lächelte. Ob aus Höflichkeit oder weil er um das spätere Schicksal seines späten Kunden wusste, lässt sich in Nachhinein nicht mehr feststellen.
Kurze Zeit darauf betrat Bode wieder seine Wohnung, streifte die Schuhe ab, stellte seine Einkäufe auf den Wohnzimmertisch und ließ sich in den Sessel fallen. Unmotiviert zappte er George weg und die Kanäle durch, landete schließlich bei irgendeinem bedeutungslosen alten Amischinken, öffnete ein Bier und lehnte sich zurück.
Die Plörre war recht warm und schmeckte nicht gerade nach Reinheitsgebot, also riss er die Chipstüte auf und knabberte gegen den süßlichen Geschmack an. Während der nächsten Werbepause wurde ihm merkwürdig und er nickte ein.
Als er erwachte bemerkte er, dass die in seiner Hand befindliche Flasche Bier zum Teil ausgelaufen war und den Raum vollstank – Fehler Nummer Eins –, weshalb er zuallererst fluchte und danach zur Sprühdose griff. Fehler Nummer Zwei.
Wir wissen wenig über die chemischen Wechselwirkungen zwischen Deodorantinhaltsstoffen wie Isopropyl-Myristrate, Diisopropylamine oder Ethylhexyglycerin und den einzelnen Bestandteilen abgestandenen Billigbieres. Vielleicht wird aus diesem Grunde in der Türkei nur wenig Bier gebraut und man versieht Deodosen oft mit nützlichen kleingedruckten Hinweisen wie „tiefe Inhalation vermeiden“.
Doch das sollte Bode nicht mehr helfen. Eine eklige Mischung aus süßlich-schalem Bierodem und sportlich-herben Billigparfum umgab ihn. Er atmete einmal zu viel, stand auf und brach zusammen.
Er erlangte sein Bewusstsein erst wieder, als Officer Miller ihn zum dritten Male ansprach. „Junge, du gehst jetzt besser in´s Bett“, riet er ihm und nestelte an seinem Gürtel, bevor er sich Harris zuwandte und meinte: „Verdammte Hippies.“
Bode war reichlich verwirrt, wollte den Cop aber nicht unnötig provozieren. Also stand er schnell auf, schüttelte die Geckos von seinen Hosenbeinen und bemerkte gleichzeitig, dass die Sechzig-Watt-Birne über dem Wohnzimmertisch seine Kleidung getrocknet hatte.
Da erschien auf einen Schlag ein riesiger Glatzkopf, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkend und den verdutzten Bode von oben herab betrachtend. Dieser machte ein ziemlich blödes Gesicht, konnte er sich doch keinen Reim auf die Anwesenheit von Miller und Harris machen, ebenso wenig einen auf das unvermittelte Erscheinen dieses Hünen vor
ihm, dessen glänzender Ohrring und strahlend weiße Kleidung den Raum in ein klares helles Licht tauchte.
Das Licht der Erkenntnis?
„Bist du... Gott?“, fragte er vorsichtig.
Harris lachte auf. Er hatte in seiner Tätigkeit als Privatdetektiv in Frisco schon viel erlebt, aber im Gegensatz zu Officer Miller konnte er immer noch über verstrahlte Hippies lachen.
Meister Proper dagegen verhielt sich ruhig und schüttelte den Kopf. Daraufhin überfuhr ihn Michael Ballack auf der Suche nach einem Drive-In: er hatte versucht, mit seinem neuen Handy gleichzeitig Fotos zu schießen, Faxe zu verschicken und das Radioprogramm zu wechseln. Und das auch noch während der Fahrt.
Proper verzog keine Miene, als ihn der Aufprall gegen die Heizung schleuderte. Allerdings begann er deutlich an Farbe zu verlieren. Harris und Miller jedoch stiegen in ihren klobigen General Motors aus Technicolor und nahmen die Verfolgung auf.
Bode fühlte sich auf einmal sehr einsam.
Die Funnychips begannen, zu tanzen.
Ein Geier umkreiste die Glühbirne hoch über seinem Kopf.
Einer der Geckos gestand der Frau seines besten Freundes, dass er nicht nur sie, sondern auch seine Schwester geschwängert habe. Zudem habe er auf Bodes Hose onaniert. „Schwanzgesteuertes Arschloch!“, schrie die Fernbedienung. Wären die Teppichfransen nicht dazwischen gegangen, wäre die Sache bestimmt schlimm ausgegangen. Die Blümchentapete verlangte schreiend nach Satisfaktion.
Inmitten des allgemeinen Trubels entstieg der Steckdose plötzlich eine Traumfrau. Sie rückte ihr Kleid zurecht, strich sich ein Ampere aus dem wallenden Walkürenhaar und gab sich genügend Zeit, betrachtet zu werden. Für ihr bezauberndes Lächeln konnte nur Frodol der Frische – in der Blütezeit seines Schaffens – verantwortlich sein, kam es Bode in den besinnlichten Sinn, bevor sie ihn ansprach:
„Du umwerfend heißer Typ, wie konnte ich dir in meinem bisherigen Leben nur keine Beachtung schenken? Und – ist das etwa ein echter Delphin?“
Eher beiläufig folgte Bode ihrem bewunderndem Blick, der über dem garagengroßen Kamin hängen geblieben war.
„Ich heize eigentlich mit der Fernwärme jungfräulicher Araberstuten“, erklärte er, dem die Anwesenheit des Kamins bisher entgangen war, etwas verlegen und dachte kurz an die Wärmflasche im Schlafzimmer. Erst dann wandte er seine Aufmerksamkeit der darüber angebrachten Trophäe zu.
„Ach so, ja“, er wurde ein wenig rot, „du weißt ja, Mammuts, Tiger und Einhörner sind leider ausgestorben. Also blieb mir quasi nichts anderes übrig, als einen Delphin zu schießen.“
„Du tapferer Mann“, raunte die Traumfrau, „für so etwas hat nicht jeder die nötige Nervenstärke.“ Dabei fuhr ihre Zunge wie nebenbei über die wohlmodellierten Lippen.
Dem Gecko kam es schon wieder.
Bode schwitzte.
„Tja, wenn ich so an früher denke, noch bevor ich Schalke übernommen und Brunei gekauft habe, also noch lange bevor ich den Mediengenerator, den Wohlstandsturbo und den Lösungshebel erfand...“, sinnierte er und seufzte.
„Ich war damals noch nicht mal Vorsitzender unseres Kegelklubs, geschweige denn Ehrenmitglied bei den Freimaurern, sondern nur gewöhnlicher Werkzeugmacher ohne Überstundenzuschlag, kannst du dir das vorstellen?"
Die Antwort bestand aus einem wollüstig langgezogenen „Ooah, nicht möööglich...“, was Bode ermutigte, fortzufahren:
„Ich ging damals inne Bank und wollte Kredit für meinen alten Passat haben, weil ich die Kohle für die Werkstatt bei Eddi verzockt hatte. Unvorstellbar, nich? Und dieser junge Hirsch hinter dem Schreibtisch schaut mich an und sagt: »Tut mir leid, Herr Bode«, meint der, »Sie sind nicht ausreichend kreditwürdig, da unserer Bank Ihre finanzielle Glaubwürdigkeit nicht ausreichend bekannt ist.«
Und weißt du, was ich gesagt hab, damals? »Ich werd´s auch bestimmt nicht verspielen«, hab ich gesagt, »ich hab da nämlich ´n idiotensicheres System...« Aber der wollte einfach nicht, das Arschloch. Seit zwei Jahren hängt der Heini jetzt übrigens im Trophäenzimmer meines Wasserschlosses in der Normandie.“
Seine Bewunderin lachte und begann sich aufreizend langsam zu entkleiden, während sie vor Spannung knisterte.
Bode genoss den Anblick. Er stand auf dem Höhepunkt seiner Macht, und er wusste es. „Himmlisch“, dachte er, das Prachtweib angrinsend und an das Paradies denkend.
Doch mit einem Male ging das Gezeter zwischen Fernbedienung und Teppichfransen wieder los, was der erotischen Stimmung zwar ein wenig abträglich, an sich allerdings nicht so schlimm gewesen wäre, hätte nicht im selben Moment die Klobürste die Wohnzimmertür eingetreten und nach „Stoff gegen diese furchtbaren Kopfschmerzen“ verlangt. Zudem nutzte der Gecko die Gunst der Stunde, um Elektra anzugraben.
Noch bevor Bode begriff, wie ihm geschah, verschwand seine Angebetete zusammen mit dem Nebenbuhler in der Steckdose, gefolgt von einer ganzen Reihe von Einrichtungsgegenständen, die lautstark Vulgärlieder grölten.
Nun ließ auch die zweite Flasche Bier ihre Etikette fallen und versuchte sich lüstern lallend am Telefon zu vergreifen. Eigentlich nicht standesgemäß, damit brach sie sich im allgemeinen Ausnahmezustand aber keinen Zacken aus der Krone.
Wütendes Piepen hallte durch das Wohnzimmer. Als die Klobürste herausfand, das der regungslose Proper kein Bargeld mit sich führte, begann sie, wie von Sinnen zu randalieren. Jemand verlangte, die 0190/555 666 zu wählen. Jetzt!
Man rief stattdessen die Polizei, da die beiden Cops nicht wiederzukommen schienen.
Ihrem Bericht zufolge fanden Polizeiobermeister Nowzec und Kollege Ahrens fünfundzwanzig Minuten später den allein lebenden B. (41) in verwirrtem Zustand in der Küche seine Wohnung vor. Er bereitete gerade ein Aspirin zu und beschimpfte den Warmwasserboiler auf´s Schamverletzendste. Zudem berichtete er zusammenhanglos stammelnd von Orgien feiernder Wohnzimmereinrichtung und einem Autounfall mit Fahrerflucht. Der Geier möge seine Chips holen, und diese Schlampe und den blöden Delphinkopf gleich dazu. Er habe im allgemeinen Tumult die Beherrschung verloren, versuchte er sich zu rechtfertigen, und ein Schwall von bierverkrusteten Teppichflusen und astronomischer Speichelfluss ruinierte seine Glaubwürdigkeit. Der nicht vorgestrafte Werkzeugmacher ließ sich widerstandslos festnehmen. Nachbarn zufolge soll er zudem lautstark über Türken geschimpft und nach Bier verlangt haben. Auf Anfrage dieser Zeitung schloss man auf Seiten der beteiligten Beamten jedoch einen fremdenfeindlichen Hintergrund aus.
Eine Person musste ambulant behandelt werden. Ihre Identität konnte noch nicht festgestellt werden. Nach Aussagen des behandelnden Arztes drohte sie jedoch zu verblassen.
Gesundheitsgefahr habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Trotzdem bittet die Polizei alle Anwohner, weiterhin Türen und Fenster geschlossen zu halten.