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Rotfuchs

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02.01.2002
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Rotfuchs

Das Haus meiner Eltern lag in einer ruhigen, ländlichen Gegend und der hintere Teil des Gartens grenzte direkt an den Wald. Nach einem Sturm im Frühjahr war der Zaun an einer Stelle beschädigt. Meine Mutter drängte darauf ihn zu reparieren, aber mein Vater schob es immer wieder hinaus. Insgeheim freute ich mich darüber, denn seit dem Loch im Zaun bekamen wir in unserem Garten regelmäßig Besuch aus dem Wald. Bereits wenige Tage nach dem Sturm fand ich einen Igel neben unserem Gartenhaus und stellte von da an stets ein Schüsselchen Katzenfutter bereit. Eichhörnchen hüpften über unsere Bäume und eines Tages entdeckte ich zu meiner Begeisterung einen Dachs, der sich gerade durch die Öffnung zwängte.

An einem lauen Sommerabend lag ich mit einem Buch im Garten. Ich war ganz vertieft, bis mich ein Geräusch aufmerken ließ. Als ich den Kopf hob, fiel mein Blick auf das Loch im Zaun. Vor dem Zaun stand ein Fuchs. Mein Herz klopfte schneller. Bislang war der Dachs das größte Tier gewesen, das sich in unseren Garten verirrt hatte. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Der Fuchs sah in meine Richtung. Seine goldenen Augen waren schwarzumrandet wie die einer ägyptischen Königin, das rostrote Fell glänzte in der untergehenden Sonne. Mit vorsichtigen Schritten tapste er über das Gras. Die spitzen Ohren drehten sich bei jedem Laut und die schmale Schnauze schnupperte in die Luft. Ich wünschte mir, diesen Anblick mit jemandem zu teilen und gleichzeitig war ich froh, dass er mir allein gehörte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich der Rote umdrehte und durch das Loch verschwand.

Mein Verstand riet mir noch am gleichen Abend, meinen Eltern Bescheid zu geben. Aber ich wusste, dass mein Vater sich damit endgültig aufraffen würde, den Zaun zu reparieren. Ich machte mir keine Hoffnungen, den Fuchs im Wald zu treffen. Ich wollte ihn in unserem Garten haben. Einmal noch das leuchtende Fell und diese goldenen Augen sehen. Einmal noch.

Es war etwa eine Woche später. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als ich ein Geräusch am Zaun hörte. Ich hielt einen Moment den Atem an und hätte beinah gejubelt - etwas Rotes schob sich durch die Öffnung. Doch in dem Moment, als der Fuchs in mein Blickfeld kam, erstarb mein Lächeln. Der Körper des Tieres war abgemagert. Das zerzauste Fell hatte jeden Glanz verloren, der einstmals buschige Schwanz war eingekniffen. Ich fuhr auf und stieß dabei gegen einen Stuhl. Der Fuchs rührte sich nicht, sondern hielt seine großen, bernsteinfarbenen Augen auf mich gerichtet. Der Stolz, den ich noch vor wenigen Tagen in ihnen gelesen hatte, war verschwunden. Geblieben war nichts als eine unendliche Leere. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich spürte, wie ich zitterte. So langsam wie möglich schritt ich rückwärts, ohne den Blick vom Tier abzuwenden. Der Fuchs kam nicht näher. Er stand bloß da und sah, wie ich ins Haus flüchtete.

Binnen einer Stunde war alles vorbei. Der herbeigerufene Förster lobte meine Aufmerksamkeit. Ich nickte nur. Am nächsten Tag zogen meine Eltern einen neuen, stabileren Zaun auf und verboten mir im Wald zu spielen, bis die Tollwutgefahr gebannt sei. Auch in den nächsten Jahren verliefen sich hin und wieder Tiere in unseren Garten. Einen freilebenden Fuchs sah ich jedoch nie wieder.

 

Hallo,

klingt wunderschön idyllisch, deine Geschichte, man hat die Szene gleich vor Augen: eines dieser etwas aus dem Dorf herausgebauten Häuschen, die man bei Radtouren manchmal sieht.

Sprachlich hat's mich manchmal aus dem Rythmus herausgehauen. Die zwei Eingangssätze haben etwas leicht Steifes - ich weiß nicht recht - aber der Lesefluss kommt erst danach auf. Auch hier:

Binnen einer Stunde war alles vorbei. Der herbeigerufene Förster lobte meine Aufmerksamkeit.
Das ist die andere Stelle, an der ich beim Lesen ein leichtes "Bauklotzgefühl" habe, also dass die Aufmerksamkeit auf den Satzbau bzw. dessen Wiederholung gelenkt wird. Sonst bin ich nicht so pingelig, aber bei einer derart athmosphärischen Geschichte (nicht im Sinne Dalis, natürlich ;) ) fällt es halt irgendwie auf.

Gruß, Alli

 

Hallo Ginny,
auch mir hat deine Geschichte gut gefallen. Wie schon Alli sagte, man hat die Szene direkt vor Augen. Mir hat es sprachlich rundum gefallen, die von Alli erwähnten Sätze haben mich jetzt nicht gestört. Deine Geschichte hat mich an letzte Woche erinnert, wo ich mit meiner Tochter und unserem Hund spazieren gegangen bin. Wir haben ein sehr grosses Grundstück und der meiste Teil ist naturbelassen. Als wir dann von einem Weg, der zwischen den Weinfeldern entlangführt wieder auf unser Grundstück kamen, stand er plötzlich vor uns, genauso, wie du ihn beschrieben hast, goldene Augen, rostrotes Fell mit einem langen buschigen Schwanz und schaute uns einen Moment lang in die Augen. War schon toll, denn wir hatten beide noch keinen Fuchs so aus der Nähe gesehen.

LG
Blanca :)

 

Hallo Ginny!

mir hat der Text ebenfallls gut gefallen. Durch Deine Beschreibungen wird er lebendig...
Ich kann dieses Gefühl der Prot gut nachvollziehen - auf der einen Seite das teilenwollen, rjemanden haben, mit dem man sich freuen kann, auf der anderen Seite das Besondere für sich behaltenwollen.
Am Schluss: ich hätte wohl nicht so schnell wie die Prot gemerkt, was mit dem Fuch los sit, hätte an Tollwut erstmal nicht gedacht...
Zum Schluss hin verliert die Geschichte an Intensität und Zauber - nciht nur durch die Wende im Inhalt, meiner Meinung nach.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Ginny-Rose,

Deine ruhige, zum Geschehen passende Sprache hat mir gut gefallen. Zuerst kam mir der Text wie eine einfache Berichterstattung vor, nach dem Motto `mein wichtigstes Ferienerlebnis´. Doch der Inhalt vermittelt auch ein wenig die Wehmut, einen Augenblick nicht festhalten oder wiederholen zu können. Vernunft muss schließlich über Wunschdenken triumphieren. Dies könnte man vielleicht noch etwas herausstellen.


Zitat:
Er stand bloß da und sah mir nach, wie ich ins Haus flüchtete - als.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

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