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Samstags

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14.05.2002
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Samstags

Als Martin erwachte, war es Samstag und er wusste das dies der richtige Tag war um verrückt zu werden. Er hatte sich nichts vorgenommen, keine Besuche, keine Aufgaben, sein Kühlschrank war gefüllt und seine Zwei-Zimmer-Wohnung ordentlich und fein. Mit anderen Worten, er hatte Zeit. Das erste, was er im Zuge seiner nahenden Geisteskrankheit in die Tat umsetze, war ohne Umschweife im Bett liegen zu bleiben. Nach einer Stunde und zwölf Minuten hielt er die Spannung nicht mehr aus. Er wollte wissen, wie sich ein Verrückter verhält und stand auf. Er stellte sich unter die Dusche, griff zur Zahnbürste und überlegte, ob er statt der Zahnpasta seine Haarwachslotion zum Zähneputzen verwenden sollte. Jeder fängt klein an, entschied er und begann seine Kopfhaut mit der Zahnpasta zu behandeln. Erfrischt und mit kühlem Kopf stieg er aus der Duschkabine, trocknete sich ab und setzte sich an den Frühstückstisch, natürlich nicht ohne den Bademantel vorher auf links zu krempeln.
Um seinen Fortschritt zu kontrollieren, verwendete er das Punktesystem. Für die Zahnpasta, dachte er, gab es vielleicht fünf Punkte, für den Bademantel maximal drei. Also hatte er bisher klägliche acht Punkte, das Liegenbleiben konnte man vermutlich gar nicht zählen. Aber der Tag war noch lang und Rom war schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden.
Nach dem Frühstück, Martin gab sich drei Punkte für das separate Essen von Brot, Butter und Aufschnitt, war es an der Zeit, Menschen gegenüber zu treten. Er nahm seinen Mantel, widerstand dem Gedanken, den Hut verkehrt herum aufzusetzen, öffnete die Haustür und trat in die Frühlingssonne.
Im Park waren viele Menschen. Manch einer führte seinen Hund spazieren, bei Anderen war es umgekehrt. Die Hunde beschnüffelten sich und wedelten sich mit den Schwänzen die Mailuft zu. Die Herrchen gaben sich die Hände. Martin fühlte sich bestätigt: Es war ein herrlicher Tag zum verrückt werden.
Auf einer Bank, direkt neben einer, auf der ein junges Pärchen saß, lehnte in etwa Martins Alter eine Frau. Er lächelte ihr zu, deutete auf den Platz neben ihr, sie nickte und er setzte sich. Da er sich nicht erinnerte, Vergleichbares jemals gewagt zu haben, gab er sich dafür spontan satte acht Punkte. Gleich darauf versprach er sich drei weitere, wenn er sie auf das Wetter ansprach. Er holte Luft, hielt sie an und verwandelte sie beim Ausatmen in ein ausgedehntes ‘Jaja‘. Stolz betrachtete er die Baumkrone, die fast in Richtung seiner Nachbarin stand. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass sie auf dem besten Wege war ihn anzusehen. Nach einer Weile hob seine Hand und klopfte kurz und schnell auf das Knie der Frau.
„Na, das ist aber ein Wetter, wie?“
„Entschuldigung, kennen wir uns?“
„Nein“, sagte Martin, erhob sich wieder und lüftete seinen Hut. „Aber man kann ja nie wissen.“ Pfeifend ging er weiter den Weg entlang.
Natürlich konnte man nie wissen, das wusste die Dame wahrscheinlich auch. Was wollte er dann damit sagen. Vielleicht gar nichts. In jedem Fall war dieser Satz ein deutliches Anzeichen seiner nahenden Verrücktheit. Fünf Punkte.
Er sprintete über die Fußgängerampel einer Hauptverkehrsstraße, direkt nachdem sie auf grün gesprungen war. An einem Straßencafe blieb er stehen. Ein Großteil der Stühle war gefüllt mit Milchkaffees, Heißer Schokolade und Kuchen, die sich ein wenig erfolgreicher als er über das Wetter, aber auch über die Tagespolitik und das neuesten Kinoepos unterhielten.
Er nahm einen freien Stuhl und setzte sich an den Tisch, an dem eine fünfköpfige Familie saß. Er blickte in die Runde und in irritierte und neugierige Gesichter.
„Hätten sie‘s gewusst?“ fragte Martin.
„Was denn?“ fragte einer der neugierigen und verschmierten Münder.
„Also offensichtlich nicht, aber ich sehe, sie trinken einen Milchkaffee“, wandte er sich an den Vater. „Ich habe Lust auf einen. Können sie den empfehlen?“
„Schon“, antwortete der Familienvorstand nüchtern, „aber möchten sie den hier trinken?“
„Gerne. Danke“, sagte Martin griff nach der Tasse und leerte den Rest in zwei Schlucken, „sehr großzügig.“
Der Vater legte seine Hände auf den Tisch und sagte sehr langsam und deutlich: „Ich möchte sie nun bitten, unseren Tisch umgehend zu verlassen.“
„Das ist nun wirklich zu viel der Ehre“, antwortete Martin, „aber wenn sie darauf bestehen.“
Er strahlte den Sohn der Familie an und dieser lächelte interessiert zurück.
„Sebastian!“ ermahnte ihn die Mutter und Sebastians Interesse galt daraufhin seiner Kakaotasse.
Martin fühlte sich saumäßig. Er beschloss den Rest seines Lebens an diesem Tisch zu verbringen.
Vielleicht waren es die Fans der auswärtigen Mannschaft, unter die er sich gemischt hatte, aber das war ihm egal. Es war an der Zeit, das inzwischen fortgeschrittene Stadium seiner Verrücktheit in einer Extremsituation zu testen. Er hatte den Schal auf der Straße liegend gefunden, ihn umgebunden, sich dafür vier Punkte gegeben (eigentlich erst zwei, aber weil es so warm war doch doppelt so viel), und sich dann der Gruppe angeschlossen, die auf der anderen Straßenseite grölte. Die Lieder konnte er auf Anhieb mitintonieren. Zumindest tat er so. Er sang so laut er konnte und vielleicht war dies die Ursache für das Tuscheln und Kichern der Jugendlichen. Vielleicht war es auch, weil er der Einzige war, der einen Mantel statt eines Trikots trug, oder einfach nur wegen des Altersunterschieds. Er stieß einen der Fans mit dem Ellenbogen in die Seite und zwinkerte ihm zu, ohne den Schlachtgesang zu unterbrechen.
„Verpiss dich, Opa“, zischte der Mund unter der Schirmmütze.
„Na hören sie mal, junger Mann. Ich könnte ihr Vater sein“, witzelte Martin. Er holte zu einem Klaps auf die Schirmmütze aus, doch der Junge schlug den Arm zur Seite und schubste ihn auf die Straße. Dort fand er einen großen Stein, den er aufhob, in der Hand wog und dem Fußballfan mit aller Kraft an den Kopf warf. Er musste immer noch grinsen, als er viele Häuserecken weiter und einigermaßen außer Atem war. Er versuchte sich in Neudeutsch und dachte: „Das war wirklich mal Fun mit den Fans“ und fragte den Mann, der seinen Haustürschlüssel aus der Tasche fischte, ob ‚Fan‘ eigentlich von ‚fantastisch‘ oder von ‚fanatisch‘ käme, aber der wusste es nicht. Martin entschied heimlich, dass es anders herum war und gab sich aus Übermut einen halben Punkt mal Pi.
Martin blickte sich um und stellte fest, dass er ziemlich weit von zu hause weg war. Er fragte die nächst beste Passantin nach dem Weg, hielt ihr zum Dank die Hand hin, ließ sie ins Leere greifen und drehte ihr eine Nase.
„Ach, sie sind doch verrückt“, knurrte sie und zog weiter.
„Noch lange nicht, Fräulein, aber wenn sie es sagen: fünfzehn Punkte.“ Er lüftete den Hut und setzte ihn verkehrt herum wieder auf.
„Plus zwei.“
Auf dem Nachhauseweg rechnete er seine Punkte für den Tag zusammen und kam auf gut fünfzig. Das war zu wenig. Wenn er sein Ergebnis vom letzten Samstag wieder übertreffen wollte brauchte er wenigstens dreiundneunzig. Wie wäre es mit einer Runde „Doppelt oder Nichts“ bot er sich an. Er blieb stehen und grübelte. Was, wenn er verlieren und vollständig leer ausgehen würde? Schließlich entschied er sich dafür, die Herausforderung anzunehmen. Für diesen Preis würde er jedoch etwas grandios Verrücktes tun müssen.
Er sah sich um, aber das einzig inspirierende war ein Kind, das mit einem Peitschenkreisel spielte. Mangels einer besseren Idee nahm er sich vor, das Kind zu überreden mit ihm nach hause zu kommen. Er gesellte sich zu dem Kleinen und schaute ihm eine Weile zu.
„Schön machst du das, Kleines“, sagte Martin. „Ich hatte früher auch so einen Kreisel. Wusste gar nicht, dass es die noch gibt. Wo hast du den her.“
„Opa“, sagte es zu dem Kreisel.
„Das muss aber ein lieber Opa sein“, sagte er. Der ehrwürdige Kreisel war vielleicht schon damals das Spielzeug des Großvaters gewesen.
„Mein Opa hat mir früher auch Spielzeug geschenkt. Eine ganze Kiste voll. Wie heißt du denn?“
„Kai“, peitschte es den Kreisel.
„Das ist aber ein schöner Name. Und wie alt bist du, Kai?“
„Sechs.“
„Sechs Jahre schon! Dann ist der Kai ja bald ein Großer. „
Ein Kinderrücken schob sich vor den Kreisel.
„Sag mal, gehst du dann schon in die Schule.“
„Nein. Ich komme nächstes Jahr dahin.“
„Und, freust du dich schon?“
„Ja.“
„Zeigst du mir, wie man das mit dem Kreisel macht, Kai?“
Das Kind hob das Spielzeug auf.
„Zuerst muss man den Faden hier so herumwickeln. Dann macht man ganz schnell so und dann dreht sich der Kreisel. Und dann muss man immer so da drauf peitschen, damit sich der weiterdreht.“
„Das ist ja toll, aber warum singt der denn nicht?“
„Ein Kreisel kann doch nicht singen.“
„Aber klar. Ich habe einen, der kann das.“
Martin hockte sich vor das Kind.
„Der ist in der Kiste mit den ganzen anderen Spielsachen bei mir zu hause.“
Der Kreisel schrappte den Asphalt.
„Und der kann singen?“
„Genau. Möchtest du ihn sehen?“
Das Kinderkinn presste die Lippen an die Nase.
„Mein Papagei kann auch singen.“
Martin erhob sich und hielt seine Hand hin.
„Komm.“
„Lassen sie mein Kind in Ruhe!“ bellte es aus dem Hauseingang. „Verschwinde, oder ich rufe die Polizei.“
Martin presste seinen Hut an den Kopf und eilte die Straße entlang.
„Mist. Dachte er“, als er seine Wohnungstür aufschloss. „Jetzt habe ich mir so viel Mühe gegeben und komme mit nichts nach hause.“
Als er sich aber im Schlafanzug vorm Badezimmerspiegel die Zähne putze, war er schon wieder optimistisch. „Nächste Woche gibt es wieder einen Samstag und dann schaffe ich bestimmt die Hundertpunktegrenze.“

 

Hallo Futz,
die Art, wie du schreibst, gefällt mir sehr gut. Am Anfang fand ich deine Geschichte wirklich toll. Sie ist albern, aber so witzig, dass ich ein paar Mal laut gelacht habe. Der Schlussteil hat mir aber überhaupt nicht gefallen. Ich dachte schon, du machst aus dem lustigen Opa einen Pederasten. Zum Glück hat die Mutter rechtzeitig reagiert.
Nochwas: du solltest die Geschichte noch einmal korrekturlesen. Es sind ziemlich viele Rechtschreib-, Tipp- und Zeichenfehler drin.
Gruß,
Ellen

 

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