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Schneckenhaus
Schneckenhaus
Der Wecker klingelte einmal kurz und Klaus drückte schnell die Taste, diese wunderbare Taste, die es einem ermöglicht noch 5 Minuten weiterzuschlafen. Nur noch 5 Minuten, dachte Klaus. Der Wecker klingelte erneut und wieder dachte Klaus, nur noch 5 Minuten. Es war sein allmorgendliches Ritual, der Kampf mit dem Wecker. Diese kleine Taste war auch der Grund, warum er den Wecker immer schon eine halbe Stunde früher stellen musste, er musste spätestens um 6.00 aufstehen, aber der Kampf begann immer schon um 5.30. Er konnte ihn nicht gewinnen um 5.55 stand er auf, trottete ins Bad um zu duschen, warm kalt und dann wieder warm, das hatte ihm sein Arzt empfohlen, das hält fit. Brote schmieren, eine Kaffee frühstücken und dann am Kiosk vorbei, eine Zeitung kaufen, ja die besagt Zeitung, die mit der größten Auflage in Deutschland. Er war sich bewusst, dass diese Zeitung kein hochgestochenes Blatt war und die Reportagen vielleicht manchmal etwas einseitig oder populistisch waren, aber er war auch nicht politisch, er las sie zum Zeitvertreib und weil sie alle lasen, außerdem hatte sie einen guten Sportteil, ach wen interessierte schon wer in der Politik jetzt wirklich recht hatte und wer ein Sozialschmarotzer war oder wen die neue Reform der Regierung wirklich ungerechterweise hart traf. Sollten sie doch demonstrieren, er war müde, wenn er von der Arbeit kam außerdem er hatte Arbeit und dann war da ja auch noch die Skatrunde und man spielte ja auch Fußball in der Altherrenmannschaft.
Klaus setzte sich in die Straßenbahn las Zeitung und entspannte sich bevor er wieder 8 Stunden Gabelstapler fahren musste. Es war nicht so, dass Gabelstaplerfahrer sein Traumberuf gewesen wäre, aber es war ok und er hätte auch nicht gewusst, was er anderes hätte tun sollen, also er hatte keinen anderen Qualifikationen und mit 45 da lernt man ja auch nicht einfach so etwas anderes, er hatte auch nie das Bedürfnis danach gehabt, auszubrechen wie es heutzutage die Jugendlichen quälte, man wollte nur noch Superstar werden um sich selbst zu verwirklichen. Wenn er so was im Fernsehen sah, dann fragte er sich manchmal, selbst verwirklichen, waren sie nicht auch einfach nur Menschen, mehr oder weniger unperfekt, was wollten sie werden vielleicht Super oder Spiderman so ein Quatsch. Man sollte sich mit dem zufrieden geben was man hatte und zufrieden, waren sie alle nicht die jungen.
Die Straßenbahn hielt und Klaus stieg aus, er müsste noch ein kleines Stück zu Fuß gehen und dann war er da. Er betrat die große Lagerhalle und ging rechts zu den Mitarbeiterräumen um seine Tasche mit den Broten abzustellen und sich umzuziehen. Er musste sich beeilen alle anderen waren schon da. Das interessante am seiner Arbeit war, dass es immer eine Überraschung war, was man von den LKWs abladen würde, was sich hinter all den Kisten verbarg, natürlich stand es immer auf den Lieferlisten, die ausgegeben wurden, also zumindest der Lagerhallenleiter wusste immer was in den Kisten war, aber trotzdem sie waren verschlossen und man konnte sich in seiner Fantasie unendlich viele Dinge vorstellen, die in den Kisten sein könnten, vielleicht Waffen oder Drogen, vielleicht auch eine Leiche und wo diese ganzen Kisten alle herkamen, manchmal aus Paraguay, er hatte das mal zu hause in seinem Atlas nachgeschlagen, es lag in Südamerika, auf der anderen Seite der Welt, er würde wohl nie dahin kommen, aber er hatte wenigstens schon mal Kisten aus diesem Land verladen, das hatte auch nicht jeder.
Alles war ganz normal an diesem Tag um 12.00 wurde Mittag gemacht und dann kam plötzlich der Chef vorbei, das war schon sehr ungewöhnlich normalerweise sah Klaus ihn nur zu den Betriebsfeiern, er bequemte sich sonst nie in die Lagerhalle, man hatte ja schließlich wichtigeres zu tun, man musste Anträge an Land holen und viel essen gehen mit wichtigen Persönlichkeiten.
Klaus bekam ein beklemmendes Gefühl der Chef guckte auch sehr ernst, Klaus fühlte sich unwohl und dann kam er auch noch direkt auf ihn zu und sprach ihn an: „Herr Schmidt würden sie vielleicht mit zu mir ins Büro kommen?“ Klaus nahm seine Worte wie durch eine Wolke war, er sprach mit ihm keinen Zweifel, Klaus nickte und folgte ihm. Er konnte sich nicht daran erinnern schon jemals in dem Büro des Chefs gewesen zu sein, wie finster und streng er heute guckte, auf den Betriebsfeiern war er Klaus immer als ein lustiger Mensch vorgekommen. “Setzen sie sich Herr Schmidt.“ Klaus setzte sich. „Ich habe eine schlechte Nachricht für sie“, sagte der Chef kalt, „ich werde es ihnen ganz frei heraus sagen, wir müssen ihnen leider betriebsbedingt kündigen, die wirtschaftlich Lage sie wissen ja.“ Er sprach noch weiter von all den Zwängen denen er unterlag und das Klaus nun mal der jüngste in der Belegschaft war, aber Klaus nahm das alles nicht mehr wahr durch seine Kopf ging nur Kündigung, Kündigung, ich bin gekündigt, arbeitslos, ohne Arbeit, was werden die vom Fußball dazu sagen, ich bin bald ein Arbeitsloser, einer von über 4 Millionen anderen, ich werde bald nicht mehr jeden Werktag hierher kommen müssen, was werde ich tun, was werden die vom Fußball sagen und die Skatbrüder, war es meine Schuld, habe ich schlecht gearbeitet. Er fühlte wie er immer kleiner wurde und alles um ihn herum immer größer und bedrohlicher jetzt war er auf Tischhöhe, dann reichte er seinem Chef nur noch bis zu den Knien, dann war er kaum mehr größer als der kleine Finger. Er würde sich verkriechen, er würde sich ein Schneckenhaus suchen und nie wieder heraus kommen, in die große bedrohliche Welt.