Sein letzter Kampf
Sein letzter Kampf
Er trat auf die dunkle Gasse hinaus.
Die Tür der Wirtschaft schlug hinter ihm zu und die Kälte hielt ihn umfangen. Er roch noch den Rauch der Zigaretten und den Dunst, der in der Kneipe herrschte. Leise Geräusche drangen an sein Ohr und er fühlte sich einsam hier draußen, in der Kälte der Oktobernacht.
Er sank tiefer in seinen alten abgetragenen Mantel, hob fröstelnd die Schultern, wandte sich nach links und ging mit müden Schritten die Gasse hinunter.
Er war ein alter, kleiner Mann, schmächtig und des Lebens müde, der nun unwillig nach Hause schlurfte. Und er war ein ängstlicher Mann.
Früher einmal, als er noch jung und stark war, da war dies anders gewesen. In der vollen Blüte seines Lebens, als seine Säfte noch kochten und er keine müden, alten Gedanken kannte. Da war ihm das Wort Angst fremd. Damals, mit vollem Haar und allen Zähnen, einem jungen, hübschen Gesicht und einem festen, harten Körper, da hatte er der Angst ins hässliche Gesicht gelacht. Und im Krieg hatten viele Angst und einige verloren wegen ihr sogar das Leben. Doch er nicht, er war immer härter gewesen.
Doch das lag nun schon lange hinter ihm. Sein Haar wurde dünn und grau, seine Zähne alt und spröde, seine Knochen weich. Die Ärzte schluckten sein Geld schneller, als sie es vermutlich ausgeben konnten. Nun, er war nie ein armer Mann gewesen und verlor auch nicht viele Gedanken über sie, solange sie ihre Arbeit machten.
Wieder schlich sich Angst in sein Herz und unbewusst ging er schneller.
Sie würde da sein, sie würde auf ihn warten. Lauern, wann er Heim käme. Bewusst verlangsamte er seine Schritte wieder und atmete tief in der ruhigen, kalten Nacht. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern wie es war, als sie beide noch jung Leute waren. Ihr gegenseitiges kennen lernen, ihre Liebe und die folgende Heirat. Alles war fort, von der Zeit verschlungen, wie die gemeinsamen Kinder. Und was war ihm geblieben, was hatte das Leben ihm noch gelassen?
Ein Schaudern lief über seinem alten Rücken.
Aus der Ferne sah er sein großes dunkles Haus, bald schon würde er dort sein. Er zögerte und Verzweiflung stahl sich in deine Gedanken. Der Drang umzukehren wurde stärker, doch auch diesen Kampf gewann sie und er schlurfte mit hängenden Schultern weiter. Die Strassen und Gassen lagen verlassen vor ihm, es war spät geworden an diesem Abend. In der Wirtschaft hatte er, wie sonst auch immer, nur den Gesprächen der anderen Gäste gelauscht und dabei sein Bier getrunken. Doch das Thema des heutigen Abend hatte ihn gefesselt.
Ein Mann der Nachbarschaft hätte in blinder Wut seine Frau getötet und war danach wohl vor den Beamten weinend zusammen gebrochen. Er hätte gestammelt, das es ihm leid täte, er seiner Frau nicht habe weh tun wollte. Doch es war zu spät. Seine Frau tot, seine Kinder im staatlichem Kinderheim und er im Gefängnis. Der alte Mann beneidete ihn, war dieser doch nun frei. Frei und mit sich allein, für sehr lange Zeit.
Er seufzte und sah zu seinem düsteren Haus auf. Auch das Haus hatte sie ihm genommen.
Es war wie sie. Zu groß, zu dunkel und in der Finsternis überall Ecken und Kanten, an die man stoßen und sich verletzen konnte. Dieses Haus war schon lange Zeit kein Heim mehr. Es wurde von ihr erfüllt, ausgefüllt und besudelt. Sie hatte ihm den Geist genommen, wie sie alles verschlang, was sich ihr näherte.
Er schüttelte bedrückt seinen Kopf, stieß die Gartenforte auf und betrat sein Grundstück. Der Kies knirschte leise unter seinen Füßen und keine Laterne erhellte seinen Weg, nur der kalte Mond schien ihm seinen Weg zu leuchten. Er stieg langsam die Stufen zur Tür hinauf und kramte dabei in seinen Manteltaschen nach dem Schlüssel. Ein kleiner Funken Hoffnung stahl sich in seine Brust, als er glaubte ihn verloren zu haben und noch einmal zurück zu müssen. Doch dann schlossen sich seine mageren Finger um ihn und die Hoffnung schwand. Leise schloss er auf und betrat zögernd das dunkle Haus, als würde er in einen Schlund treten der ihn verschlingen wolle. Resigniert ließ er die Schultern hängen, schloss hinter sich leise die Tür und trat zur Garderobe. Er hing seinen abgetragenen Mantel auf und schlich im Dämmer-licht, das aus dem Salon schien, ins Bad.
Er urinierte lange und unter Qual. Wahrscheinlich die Prostata, dachte er müde, kommt und geht mit dem Wetter. Neues Futter für die gierigen Ärzte. Er spülte, wusch sich die Hände und löschte das Licht im Bad. Langsam trat er zum Salon und blieb in der geöffneten Tür stehen. Den alten Mann verwunderte der gebotene Anblick nicht, kannte er ihn doch zur Genüge.
Da lag sie.
Groß und fett. Ausgestreckt auf dem Sofa schlafend, auf dem Einst sein Vater mit ihm gesessen hatte. Das alte rote Sofa, das er als Kind so geliebt hatte. Geliebt, weil der Stoff sich immer so weich und glatt anfühlte. Früher kannte er nichts Schöneres. Sein Vater, ein harter und gerechter Mann, der nicht viel mit seinem Sohn anfangen konnte, hatte es angeschafft. Die ruhigen Nachmittage, die er hier mit ihm verbracht hatte, waren dennoch eine gute Zeit gewesen. Doch schon vor Jahren hatte er den Kampf um das Sofa verloren und seid dem nahm sie es in Beschlag. Jetzt trohnte ihr Haar wie ein wirrer Heiligenschein auf ihrem Kopf. Ihr fleischiger Körper nur von einer alten, schmutzigen Decke verhüllt. Das aufgedunsene Gesicht war leicht gerötet, ihr Mund geöffnet. Sie schnarchte leise.
Er sah sie angstvoll an und betete im Geiste, sie möge nicht erwachen.
Sechs ihrer kleinen Hunde leisteten ihr Gesellschaft, wo sich der Rest befand vermochte er nicht zu sagen. Such nicht wie viele es derzeit waren. Er hatte einfach aufgehört sie zu zählen.
Sie nannte diese widerlichen, kleinen Viecher ihre Lieblinge, doch ihn stieß diese stinkende Meute nur ab. Er hasste diese Köter, die sein Haus mit ihren Hinterlassenschaften schmückten. Von den Dienstbooten ging keiner mit den Tölen hinaus und die Jungen der Stadt ließen sich auch nicht mehr blicken, abgeschreckt von der allzu spitzen Zunge seiner Frau.
Ja, sie war fett, hässlich und schwerfällig. Doch ihr Verstand war so scharf wie ein Messer, so glühend wie ihr Blick und so schnell wie die Köter zur Essenszeit.
Er hasste sie mindestens ebenso sehr, wie ihre lärmende Meute. Doch nun schlief sie, im Schein des flimmernden, leisen Fernsehers, umgeben von den sechs ebenso fetten Hunden. Erleichtert atmete der alte Mann auf. Also, erst morgen früh würde es wieder losgehen mit ihrer ewigen Litanei, aber heut Abend hätte er einmal Ruhe vor ihr. Er wollte sich schon erleichtert abwenden, als sich etwas in seinen Blick stahl.
Verwirrt schaute er zurück.
Hätte er dies nicht getan, wäre nach oben in sein Bett gegangen und hätte sich schlafen gelegt, wäre alles anders gekommen. Doch er schaute noch einmal hin und plötzlich packte kalte Wut sein Herz. Wie konnte sie es wagen, wer gab ihr das Recht dazu. Der Zorn brandete in ihm auf, gab ihm Leben, gab ihm neue Kraft. Hinter seinen Augen tanzten grelle Blitze, sein Mund wurde trocken, sein Herz begann zu hämmern. Er hörte sein Blut den Adern rauschen. Sein aufgestauter Hass brach hervor, aus jeder seiner Zellen und bekämpfte erfolgreich die schwächer werdende Angst. Er wurde von den starken Gefühlen überflutet. Dennoch wandte er sich ruhig um, ging den Flur hinunter um kurz danach zurück zu kehren.
Doch diesmal nicht mit leeren Händen.
Er hielt eine alte, rostige Axt.
Die Augen des alten Mannes blitzten vor Zorn und er trat leise näher ans Sofa heran. Nichts war mehr zu sehen von den gebeugten Schultern, dem krummen Rücken und der Resignation in seiner Haltung. Zum letzten mal in seinem Leben sollte er jung sein.
Doch all dies bemerkte er nicht, sein starrer Blick sah nur das Abscheulichste, das Entwürdigenste ... das, was sein ganzes Leben beschrieb.
Die Hunde begannen sich zu rühren. Erwachten ob der Spannung, die in der Luft lag und auch sie erwachte zögernd und blinzelnd aus ihrem leichten Schlaf. Dies war der Moment an dem er die Axt hob und sie der erste Schlag traf.
Sie kreischte auf und war sofort hellwach. Doch durch ihre Körperfülle behindert konnte sie sich einfach nicht wehren, als er immer wieder auf sie einschlug. Wieder schrie sie und ihre Hunde rannten dabei aufgeregt bellend umher. Doch er war innerlich taub für all das, hörte nur noch sein Blut rauschen. Sie schrie und er sah im Geiste ein Schwein. Er schlug immer härter zu, wollte, musste es töten. Diese Schreie mussten aufhören. Für immer. Ihr Blut floss in Strömen, sie erschlaffte ganz langsam und auch ihre Schreie verebben schließlich ganz.
Doch der alte Mann arbeitete wie besessen weiter.
Die halbe Nacht lang. Wie im Fieber tat er all die Dinge, die nun gemacht werden mussten. Er zerteilte und räumte Dinge weg, er putzte, er wusch. Im Keller wurde das Futter der Hunde in großen Tiefkühltruhen gelagert. Die am Abend fast leeren Truhen wurden nun gut gefüllt und während seiner Tätigkeit tanzten ihm eine Menge kleiner Hunde um seine dünnen Beine herum. Und wo auch nur ein noch so kleines Stück beiseite fiel, wurde es augenblicklich von diesen verschlungen. Als er sich noch entkleidet und diese im Kamin verbrannt hatte, fiel er erschöpft in sein Bett und schlief augenblicklich ein.
Als er am Morgen erwachte fühlte er sich völlig zerschlagen.
Jede Faser seines Körpers bereitete im Schmerzen und die Erinnerungen des Abends waren verschwommen und wirr. Er wusste noch, das seine Frau etwas getan hatte, etwas Unverzeihliches und das er sie fortgebracht hatte. Wohin war ihm gleichgültig, er hatte es vergessen. Sie würde sich schon melden, irgendwann. Nur wunderte er sich über seinen schmerzenden Körper. Er erhob sich schwerfällig, prüfte stöhnend seine Muskeln und wurde sofort von den vie-len, kleinen Hunden freudig umtanzt. Warum hatte sie diese nicht mitgenommen? Er ging erst ins Bad, zog sich danach an und stieg vorsichtig die Treppe hinunter. Danach betrat er den Salon und setzte sich erst einmal auf sein altes rotes Sofa. Augenblicklich umringten ihn wieder die kleinen fetten Hunde. Er nahm einen auf seinen Schoß und begann ihn zu streicheln, den Blick dabei abwesend in die Ferne gerichtet.
„Ist gut ihr Süßen, ich hole euch gleich Futter“, und eine verschwommene Erinnerung stand ihm dabei flüchtig vor Augen.
„Aber keiner von euch sabbert mir auf mein Sofa, verstanden?“