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Sell kaa et sei

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27.07.2003
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Sell kaa et sei

„Wieviel willsch eimacha?“
„Ha, so fufzea Pfond. Der Winter kommt, sell isch gwiss wohr!“
„Wart ma ... Hasch dau au so Gummis, so raute zum zumacha?“
„Jo, haun i. Krieagsch in jedem Supermarkt.“
„Ha no...“
„Und, wa machsch mit dem ganze Zeig, wenn’s uf oamol Froscht geit im April?“
„Ha, wenn’s nenc wird, schmeiss i halt des ganze Gelompp ausm Fenschter...“

Nobby rammte das Fenster zu, dass die Wohnung bebte. Dieses Waschweib-Gelaber am frühen Morgen fand er zum kotzen. Als ob es nichts wichtigeres gab, worüber man sich unterhalten konnte als so einen Scheiß. Niemand interessierten Kriege. Keiner dachte über MISSVERHÄLTNISSE nach, obwohl man doch ständig darüber stolperte!
Nobby zog die Gitarre heraus und klimperte ein paar Takte.
„Zing-zang-zang, Zing-zing, Zing-zang-zang“
Jawohl, der Rhythmus war traurig genug- passte genau zu diesem ganzen Scheißdreck in der Welt. Er warf den Rekorder an und nahm seine Komposition auf.
Wenn er seine Nachbarin nicht hätte, wo würde er heute sein? Wahrscheinlich irgendwo in der Gosse, vollgepumpt mit Heroin- oder noch schlimmer... höchstwahrscheinlich sogar tot.
Sosehr er diese Kleinkarierten hasste, er musste zugeben, dass sie reinste Inspiration für seine Kompositionen waren. Seine Band „Death Angels“ wäre nie in die europäische Rock-Top-Ten eingestiegen ohne den morgendlichen Plausch, dessen Zeuge er jeden Tag vor dem Frühstück war. Es funktionierte vorzüglich. Je biederer das Gespräch der Nachbarsweiber, desto düsterer seine Texte.

Nachmittags hatte Nobby „The Skulleater“ ein Interview mit MTV, in dem er mindestens zwanzig Mal „Fuck“ von sich gab, hier und da mit einigen „Gottverdammt“ gewürzt. Alles theatralisch mit viel weißer Schminke und eloxiertem Haar vorgetragen. Die Moderatoren hielten dabei instinktiv einen Sicherheitsabstand von zwei Metern von „Skulleater“ ein, was in ihrem Selbsterhaltunstrieb Ursache hatte. Seine Anwesenheit hauchte dem Teenie-bunten Studio etwas nokturn-philosophisches ein und alle schienen Angst zu haben, dass sich etwas von seinem Weltschmerz auf sie übertragen könnte.

Später traf sich „Skulleater“ mit Bat, Jason und Bukowski, seine Bandmitglieder, die er allesamt hasste. Er wusste, warum sie bei „Death-Angel“ mitmachten. Es ging ihnen natürlich nur um das Geld. Bat vögelte täglich den Groupies das Hirn aus dem Leib, Jason handelte heimlich mit Immobilien und Bukowski versuchte die Band als Sprungbrett für seine Schriftsteller-Karriere zu nutzen. Alles korrupte, Sex- und Geldgeile Arschlöcher. Das Showgeschäft war voll davon.
Im Kerzenerleuchteten Proberaum saßen sie eine Zeitlang herum und schwiegen sich dabei an, wie es sich für eine höchst authentische Todesmetalband gehörte. Später händigte „Skulleater“ seiner Band ihre Tapes aus, wies sie darauf hin, dass ihm ein noch düstererer Sound als auf der letzten Platte vorschwebte und zog wieder von dannen.

„Hass überall, die Welt ist Scheisse“, sagte er zu sich auf dem Weg in seine Betonbau-Wohnung. „Nein, Moment Mal“, korrigierte er sich, als er in den Aufzug stieg, „Moment mal, das passt nicht zum Rhythmus. Wie wärs mit- Alle kacken auf die Welt und machen sich nur sorgen um erfrorene Kartoffel...“
Das war natürlich besser, obwohl es zu lang war und auch bestimmt nicht zum Rhythmus passte. „Erfrorene Kartoffel, hmm das wär ein geiler Titel“
Erfreut sprang er aus dem Aufzug in den dunklen Gang, ohne auf die Stockwerknummer zu achten. Feierlich trommelte er mit den Fingern auf seiner Brust. „Jawohl, der Titel steht. Den Text haben wir gleich.“
Aufgeregt hantierte er mit dem Schlüssel in der Tür, bis er merkte, dass er nicht passte.
„Wer isch do?“, kam aus dem Inneren des Zimmers.
Nobby hob die Brauen in die Höhe. Falsches Stockwerk. Und SIE war es, seine Nachbarin unter ihm. Deutlicher zu hören denn je. Unerschöpfliche Quelle des Kleinbürgertums, Königin der Einmachgläser und ...

Die Stimme verfiel wieder in einen Plauderton.
„Woasch, denn wies Wetter heut wird?“
„Jo, sie wollet Rega“, antwortete jemand.

... Und neuerdings Königin der Wettervorhersage. Nobby hielt den Kopf an die Tür, nur um ja nichts zu verpassen. „Kacke“, er wollte sich dafür ohrfeigen, dass er keinen Rekorder mithatte.

„Ne, kai Rega, sell kasch mir et verzähla...“
„Von wo konnt na heit der Wind? Hosch uffpasst?“
„Jo.Vom Süda!“
„Awa, i sag vom Weschda... Hasch wieder gschlofa bei der Tagesschau...“
„Ach lass mi in Ruh..“

Herrlich, dachte Nobby. Was spießigeres gab es wohl auf der Welt nicht, als sich so über das Wetter zu unterhalten. Herrlich. Es brodelte in ihm. Inspiration wallte auf. Songtexte- und Strukturen standen in nie dagewesener Klarheit vor ihm. Sofort rannte er wieder in den Aufzug und betätigte ungeschickt einen Knopf. Der Aufzug setzte sich in Bewegung.
„Schneller, mach schon, mach schon“, schrie Nobby zur Blechtür, „Geh schon auf, geh schon auf!“
Dann ging sie nach unendlich langer Fahrt endlich auf. Nobby sprang wie ein Berserker aus dem Fahrstuhl. Die Rhytmen in seinem Kopf waren göttlich. Das WAR die Neuerfindung des Death-Metal, nur durfte er sie auf keinem Fall vergessen. Nicht jetzt. Er schloss die Augen um das Gefühl in ihm zu bewahren und bewegte sich in die Richtung, in der er sein Zimmer vermutete. Hier kannte er sich ohne Sicht aus. Wie oft hatte er besoffen nach Mitternacht blind in sein Zimmer gefunden. Nur noch wenige Schritte...

Als Nobby die Augen wieder öffnete, stand er mitten im Nichts. Er konnte weder Boden, noch Wände ertasten. Ja nicht einmal der typische Uringeruch, der normalerweise das Stockwerk bereicherte, war zu vernehmen. Eine Sekunde fühlte er sich schwerelos, dann beschleunigte sein Körper nach unten.
Nobby sah Fenster um Fenster an sich vorbeizischen, blickte nach Oben und sah, dass er eben einen Schritt zuviel auf dem Dach gemacht hatte.

„Einen Schritt zuviel... Toller Titel“, dachte er. Doch sein allzeit leidender Körper wurde immer schneller und Nobby bekam es langsam wirklich mit der Angst zu tun.
„Nicht wie Cobain, alles, nur nicht ein Ende wie Cobain! Sie werden denken, ich hätte es mit Absicht getan. Death-Angels wird Kult, Bat, Jason und Buk werden stinkreich, nur ich hab nix davon. Nein, nicht wie Cobain!“
Doch mittlerweile sausten die Fenster ziemlich schnell an ihm vorbei und Cobain war nur noch einige zig Meter entfernt.
„Was nun“, dachte Nobby, „Scheißegal wie Scheiße die Welt ist, ich will noch nicht abtreten!“

Sein langer Umhang bremste ihn ein wenig ab, doch würde die Geschwindigkeit noch immer ausreichen, um Muss aus ihm auf dem Gehweg zu machen. Sein Gesicht war noch immer nach Oben gerichtet. Er zog am rechten Zipfel seines Umhangs, woraufhin ihn der Fahrtwind in die Kopfüber-Position brachte. Schnell erfasste er die Umgebung da Unten. Links von ihm stand eine offene Mülltonne, in der bis zum Rand Wasser stand. Rechts erstreckte sich ein riesiger blauer Papiercontainer, bis zum Rand voll mit Zeitungen. Nur direkt in seiner Flugrichtung konnte er nichts als harten Beton ausmachen.
„Und nun?“
Er war noch etwa vierzig Meter über dem Boden. Wenn der Wind nur ein bisschen nachhelfen würde... Nobby ging das Gespräch der alten Weiber durch den Kopf. Seine Inspiration.


„Von wo konnt na heit der Wind? Hosch uffpasst?“
„Jo.Vom Süda!“
„Awa, i sag vom Weschda... Hasch wieder gschlofa

Vom Süden oder vom Westen, darauf kam es jetzt an. Er hoffte inbrünstig, dass eine der Alten recht behielt und keine Brise vom Norden auffrischte.
„Bitte...“, flehte Nobby im Fallen, „auch wenn ich sie gehasst habe. Grundgütiger, lass wenigstens eine meiner Nachbarinnen Recht haben...“

Nobby wusste nicht, ob er es als Antwort auffassen wollte, dass der Wind auf einmal vom Norden kam. Es zog ihn immer weiter vom Gebäude weg, in sein Verderben.

Helga stand mit einem großen Leinensack in der Hand, den Rock dreckig, das Gesicht von Wut entstellt im Zimmer.
„Hosch reacht ghett mit dem Froscht, Frieda“
„Die Eisheiliga. Des passiert halt“, antwortete eine Stimme aus dem Badezimmer, „Dau woasch niea, wann sie zuaschlaget“
Eine kurze Pause entstand, als Helga den Wind draußen auffrischen hörte.
„Und wa masch jez mit den Krombiera? Kocha kannsch die jez nemme...“
„I mach des wan i gsagt haun. Aus dem Fenschter damit!“

Nobby hatte bereits mit der Welt abgeschlossen. Die Tatsache, dass der Wind in die Richtung blies in die er nun mal blies, musste mehr als Schicksal sein. Er versuchte letzte Gedanken des Abschieds zu fassen, als ihn ein großer Kartoffelsack seitlich am Kopf traf. Nach physikalischen Gesetzen von Aktion=Reaktion bekam er einen leichten linksdrall und steuerte nun schnurstracks auf die wassergefüllte Mülltonne zu.

Helga Hellstern verfluchte noch immer diesen frostigen Tag und wusste nicht, wie sehr sie jemandem Heute geholfen hatte.

 

Hi Megarat!

Den Titel fand ich unglaublich Klasse. Auch oder weil wenn ich nicht verstanden hab, was das heißt.

Ähnlich geht es mir beim ersten Absatz, wo ich auch nur erahne, was da eigentlich geredet wird.

„Zing-zang-zang, Zing-zing, Zing-zang-zang“
Jawohl, der Rhythmus war traurig genug- passte genau zu diesem ganzen Scheißdreck in der Welt. Er warf den Rekorder an und nahm seine Komposition auf.
Jetzt mag ich Nobby.

kleinkarierten
Kleinkarierten groß

Interview mit MTV
Da könnte man doch noch ausbauen, oder? Mtv-Moderatoren können doch immer für den einen oder anderen Gag herhalten, oder?

Alle kacken auf die Welt und machen sich nur sorgen um erfrorene Kartoffel...
:thumbsup:

„Wer isch do?“
Hehe, findet ein normaler Mensch das komisch? Ich finde es komisch. :thumbsup:

Es heißt doch Noby, oder?

spießigeres
Groß!

Du hast jetzt schon wieder mehrmals Noby geschrieben.

Der Schluss: Ja, so was gefällt mir!

Bis auf ein paar Tippfehler (wie ich annehme) ein toller Text. Die Dialekt-Dialoge waren Klasse, obwohl ich anfangs skeptisch war. Viele tolle Ideen (Songtext-Ideen, wenn man Spießer belauscht, die ganze Band, Nobby!), echt gut gelungen.

:thumbsup: :thumbsup:

In diesem Sinne
c

 

Hallo megarat,

auch von mir :thumbsup:

Ich find Deine Geschichte echt lustig, diesen Dialekt zu lesen sowieso, aber Du hast hier gut was auf die Schippe genommen. Und mit der unerwarteten Wendung habe ich nicht gerechnet. Am meisten musste ich lachen, als er im Angesicht des Todes über den Wind nachdenkt und die Wettervorhersage seiner Nachbarinnen.

vio

 

Hi vio && chazar,

dank Euch beiden *erfreutguck*
Die Fehler :aua: sind natürlich oberpeinlich. Noby, Nobby und Noby, oh graus. Werd mal sofort drangehn *sichschäm*
Tja und den Dialekt (schwäbisch) werd ich dann für alle Nicht-Schwaben eben kurz mal übersetzen :D

Der Anfang heisst dann:

"Wieviel willst du einmachen?"
"Ha, so fünfzehn Pfund. Der Winter kommt. Das ist gewiss wahr."
"Warte mal. Hast du auch so Gummis. So rote, zum zumachen."
"Ja, hab ich. Kriegst Du in jedem Supermarkt."
"Ja, dann ..."
"Und was machst Du mit dem ganzen Zeug, wenn es auf einmal Frost gibt im April?"
"Ha, wenns nix wird, schmeiss ich halt das ganze Gelump aus dem Fenster"

G

megarat

P.S. achso, habs vergessen :D der Titel bedeutet "Das kann nicht sein"

 

Hallo megarat

do sieht mo mol wozu de schwobe guet sen, gell?
Eigentlich würde noch ein Hügel aus zusammengefegtem Laub als Abbremshilfe fehlen. Da ja die Kehrwoche des Schwaben liebste Wochenendbeschäftigung ist.
Doch, hat mir wirklich sehr gefallen, deine Geschichte.


Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 

Hihi
Tag Morpheus
Woasch jo wie diea Hausmaischter für Kerle seine. Sagsch, räum uff, stoht er wochalang umeinand. Willsch, dass lieagableibt, isch am nexschter tag nenc mai dvo übrich :teach:

G

megarat :Pfeif:

 

Moin Megarat,

Ich hab dir ja schon an anderer Stelle gesagt, daß mir die Geschichte gut gefallen hat. Besonders die beiden Schwäbinnen fand ich toll - nicht unbedingt wegen des Dialekts, sondern auch und vor allem wegen der Gesprächsinhalte.
Am Ende hat mir zwar irgendein humoristischer Höhepunkt gefehlt (das ganze plätscherte irgendwie aus), aber insgesamt wars ziemlich lustig.

vollgepumpt mit Heroin- oder noch schlimmer... höchstwahrscheinlich sogar tot.
Das "höchstwahrscheinlich" würde ich weglassen - nimmt dem Satz das Tempo
päter traf sich „Skulleater“ mit Bat, Jason und Bukowski, seine Bandmitglieder, die er allesamt hasste.
:thumbsup:
(Das und der Kurt-Cobain-Gag sind für mich die Highlights - neben den Schwäbinnen natürlich)
Nach physikalischen Gesetzen von Aktion=Reaktion
Besser: nach dem phys. Gesetz von Aktion und Reaktion

 

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