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Stempel drauf

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27.08.2000
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Stempel drauf

Da isser: Rempelt mich an. Dabei sind noch mindestens neun Meter Platz auf jeder Seite. Rempelt und guckt mich auch noch schräg von der Seite an. Ein fetter Fleischkloß, Glatze und Bart, bestimmt kommt er nicht mal durch die Gesichtskontrolle im Fitnessstudio. Und zu anderem Sport ist das Vieh zu dämlich, selbst zum Laufen, also sitzt es nur zu Hause vorm Fernseher und stopft sich voll, das stumpfe Ungetüm, bis es total verdickhäutert ist. Und wenn es sich mal auf die Straße wagt, vermutlich hat es sich auf der Suche nach dem Klo verirrt, dann schwankt es vor lauter Blähungen und Verwerfungen in der Körpertektonik so hilflos hin und her, dass es nicht mal mehr im Schrittempo einer Wand ausweichen kann.
Nein, nein, nein. Das reicht mir bereits - da wird der Stempel gezückt. Den habe ich mir anfertigen lassen. Zehn Zentimeter breit, Druckbuchstaben. Noch mal schnell aufs Stempelkissen gedrückt, dann hole aus und stempele den Fettkloß. Auf die hohe Stirn. Der Schriftzug prangt. Er prangt nicht nur, er prangert. Stempel drauf: DOOF.
Verdutzt steht das Monster da. Eben wollte es noch zum Schnellrestaurant und hundert Hamburger auffressen, und nun ist es für immer gebrandmarkt. Bevor das Ungeheuer auch nur merkt, wie ihm geschieht, bin ich schon weg, und die Stempellust hat mich vollends gepackt
„Alter, weissu wer der korrekteste ist?“ So tönt es. „Ich schwöre!“ Ja, redet man denn so, wenn man kein dämlicher Hund ist? Oder trägt man solche Hosen oder sitzt da an der Bushaltestelle mit einem Käppi schräg oben hinten hochgezogen und lose festgezurrtem Trikot und gestikuliert wie ein paarungswilliger Bonobo? Dem blüht der Stempel, keine Frage. Weiß der denn nichts mit seinem Leben anzufangen, als mit zwei anderen Deppen im Wartehäuschen zu sitzen und mittels verfaulter Sprachreste zu schwadronieren? Den lieben langen Tag Gebrabbel und gelegentlich Drogen respektive Dresche als Lebensinhalt, vielleicht auch noch mal zwischendurch dem Kassettenrekorder zuhören, aus dem ein MC erklärt, warum er besser ist, als ein anderer MC. Wohin soll das noch führen? Na klar: Geradewegs zum Abstempeln! Und da ist er auch schon herniedergesaust auf den Kopf des Primaten, geradewegs unter den Rand der Trottelkappe. Stempel drauf: DOOF.
Etwas außer Atem und einige Blocks weiter das nächste Ärgernis: Kaffeekränzchen auf offener Straße. Erna, oder vielleicht Emma im Putzfrauengewand, und Gertrud respektive Anneliese kommt gerade vom Markt mit frischem Sellerie in der Tragetasche. Unfassbar. Wie kaputt muss die Existenz eines Menschen sein um solch ein geblümtes Kopftuch zu tragen? „Der hat Krepps.“ „Was du nicht sagst!“ Oh Mann, die werden Bekanntschaft mit dem Stempel machen. Selber Schuld. Waschen und bügeln und putzen und bohnern und tratschen und für Erwin am Feierabend Kohlsuppe kochen als einzige Perspektive im Leben, das schreit ja förmlich nach dem Stempel. Einmal im Jahr auf den Campingplatz nach Thüringen, dann kommt der Tod zu Besuch. Ein Leben in gepunkteter Schürze und Pantoffeln. Das muss markiert werden. Kurz Luft holen, Stempel drauf: DOOF.
Und dann der Mensch im Buchladen. Steht da mit Brille und Fettmähne und einem Stapel Bücher an der Kasse und schaut sich auf armseligste Weise um, um sicherzugehen, ob ihn auch ja einer sieht. Klar, wenn man kein Geld für einen Benz hat, muss eben das volle Bücherregal als Statussymbol herhalten. Aber das wird dem affektierten Waldschrat auch nicht aus seiner Kümmerexistenz mit Hilfsarbeiterjob raushelfen. Ha, der verlotterte Soziologie-Studienabbrecher hat sich auf der Uni einen faulen Lenz gemacht, aber jetzt ist das süße Leben vorbei. Hörst du? Hier im wirklichen Leben gibt es freilaufende Stempel, und einer davon hat dich im Visier, Freundchen. Ja so ist das. Keine Freundin, kein Geld und eine Karriere als Versuchskaninchen für neue Medikamente: Nein danke! Da bleibe ich lieber bei meinem Stempel. Und der kommt wieder zum Einsatz. Keine Gnade. Stempel drauf: DOOF.
DOOF, DOOF, DOOF. Und weiter geht’s. Ein Stempel für den Industriebaron, der seine Sekretärin vögelt und illegal Abgase im Ozean verklappen lässt. Ein Stempel für den Handyman, der in der U-Bahn laut telefoniert und sich von früh bis spät nur Klingeltöne herunterlädt. Ein Stempel für den Radfahrer, der sich mit über 50 vorm Herzinfarkt fürchtet und einen auf jugendlicher Sportler macht. Ein Stempel für den Fernsehgucker vor dem Schaufenster des Elektronikfachmarktes, der zuhause immer nur in seiner Dachkammer hockt und sabbernd Gameshows anstarrt. Ein Stempel für die Schlampe, die es mit jedem Penner treibt und schon dreitausend mal abgetrieben hat. Auf jeden Topf passt ein Deckel, und auf jeden Kopf ein Stempel. DOOF, DOOF, DOOF.

Ein anstrengender Tag geht zu Ende. Jede Menge neuer Bekanntschaften an diesem Tag, und allesamt haben sie sich mit meinem treuen Begleiter getroffen, dem Stempel. Nun macht sich die Müdigkeit breit. Ich bin fix und alle.
Wahrscheinlich werden sie sich jetzt fragen: Hat der Mann nichts besseres zu tun, als den ganzen Tag herumzulaufen und den Leuten seinen Stempel aufzudrücken? Sollte er sich nicht vielleicht besser mal selbst stempeln?
Und wissen sie was? Sie haben Recht! Stempel nummer zwo aus der Tasche gekramt, kurz gegähnt und Zack, da sitzt der Stempelabdruck auch schon, mitten auf der Stirn, wo es jeder sehen kann.
Stempel drauf: ERLEDIGT.

 

Hallo Ben Jockisch,

was mir an deiner Satire gut gefallen hat, ist, dass sie nicht mit einem durchschnittlichen Plot daher kommt, sondern gut verpackt ist.
Dein Schreibstil ist einer Satire stimmig angemessen, aber nicht besonders hervorzuheben, ich denke, du könntest da wesentlich besser formulieren, wenn du dir keine Zügel anlegst.
Die Geschichte ist leider wenig spannungsgeladen, einerseits möchte man schon wissen, wies nun mit dem Protagonisten weitergeht, aber einen Spannungsbogen, der mich Leser mitführt, habe ich ein wenig vermisst.
Die Überschrift ist bereits Thema und obwohl sie damit den Leser von großen Überraschungen fernhält, ist es ein gut gewählter Titel. Ich finde er passt.

Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine wesentlich schärfere satirische Gangart gewesen, mehr Bissigkeit in den Formulierungen, mehr Spitzen.
Wenn ich den Plot richtig verstanden habe, geht es ja um unser sog. Schubladendenken. Wir stempeln allzu häufig Menschen einfach ab. Geht es darum?

Dann aber hättest du doch alle Freiheiten, deinen Protagonisten über alle möglichen Leute herziehen zu lassen. Da hast du für meine Begriffe teils seichte Formulierungen gewählt, die griffiger sein könnten.

Z.B. diese Formulierung fand ich entweder überflüssig oder viel zu harmlos :"vermutlich hat es sich auf der Suche nach dem Klo verirrt"

oder

"Den lieben langen Tag Gebrabbel und gelegentlich Drogen respektive Dresche als Lebensinhalt, vielleicht auch noch mal zwischendurch dem Kassettenrekorder zuhören, aus dem ein MC erklärt, warum er besser ist, als ein anderer MC. " Hier finde ich die ganze Formulierung auch zu leichtfüssig.

Hoffe, du verstehst, was ich meine. Aus meiner Sicht hast du in dieser Satire Potential verschenkt.

Lieben Gruß
lakita

 

Moarjen!

Danke fürs Lesen und die Kommentare.

Wolln mal sehen...

@lakita:

Dein Schreibstil ist einer Satire stimmig angemessen, aber nicht besonders hervorzuheben, ich denke, du könntest da wesentlich besser formulieren, wenn du dir keine Zügel anlegst.(...)
Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine wesentlich schärfere satirische Gangart gewesen, mehr Bissigkeit in den Formulierungen, mehr Spitzen.
Hmja, Zügel ist gut. Vermutlich kommt die zahmere Gangart der Formulierungen daher, dass bei meiner Story "Bort Zielinski", deren Protagonist sich noch wesentlich bösartiger ausdrückte, einige Leser offenbar tatsächlich gedacht haben, es handle sich um eine dieser "Die Masse ist dumm"-Stories. Liegt vermutlich daran, dass so viele Satiren "Die Masse ist dumm"-Stories sind, und dass diese Denkweise quasi die Default-Position für den Künstler dastellt. *Stempel raushol* *Künstler abstempel*
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Protagonist die Leute bloß stempelt und nicht gleich an die Wand stellen will.

Mal gucken, ob ich an dem Stil noch was machen kann.

Die Geschichte ist leider wenig spannungsgeladen, einerseits möchte man schon wissen, wies nun mit dem Protagonisten weitergeht, aber einen Spannungsbogen, der mich Leser mitführt, habe ich ein wenig vermisst.
Nunja, irgendwie sinde die meisten meiner Geschichten eher weniger Plot-getrieben.
Hier erforderte es meine Grundidee, dass der Protagonist lauter ihm unbekannte Leute trifft, und mit ihnen (außer dem Stempeln natürlich) nicht interagiert.
Wenn ich den Plot richtig verstanden habe, geht es ja um unser sog. Schubladendenken. Wir stempeln allzu häufig Menschen einfach ab. Geht es darum?
Wenn du schon so fragst: So ähnlich, ja. Die Floskel des "Abstempelns" hab ich hier mal in ein Bild verpackt (lustig wäre auch gewesen, wenn der Protagonist die Leute tatsächlich in Schubladen stecken würde, hehehe. Rattern, portionieren und ab inne Truhe).
Aber vermutlich können wir garnix dafür. Die berühmte Sache mit dem "Ersten Eindruck" fällt mir da ein.
Die meisten Satiren sind mehr oder weniger offenkundig aus Ressentiments heraus geschrieben worden, und diese Story ist vermutlich aus Ressentiments gegenüber Leuten mit Ressentiments geschrieben, und das macht mich wahrscheinlich selbst reif für den Stempel. *Stempel raushol* *Selbst stempel*

@Vanitas:

Herzlichen Dank! :)

Gruß

Ben

 

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