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Sterbender Hahn

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11.12.2001
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Sterbender Hahn

Sterbender Hahn

Ich erwachte und meine Welt war aus den Fugen geraten. Ich kroch aus den Laken, öffnete die Tür zum Balkon und blickte hinaus. Frische, klare Luft ließ die Welt glänzen, die Nacht war bereit zu gehen. Schwarz lag die Straße tief unter mir. Daneben Türme aus Beton, an denen leuchtende Autos wie wahnsinnige Käfer vorbeirasten. In solch ein Viertel kommt Wärme nur durch Rohre. Und umgeben von dieser samtenen Szene lag mein Freund röchelnd auf feuchtem Stroh.

Ich kniete mich nieder, beugte mich über ihn, strich seine Federn glatt. Ein prächtiger Hahn war er gewesen. Der Tau auf seinem Körper glänzte, malte die Welt in purpurnen Tönen. Ein surrealer Anblick und ich legte die Hand auf ihn. Sein Kopf war so klein und rund, mit zwei Fingern könnte man ihn zerdrücken. Diesen Hahn kannte ich seit meiner Jugend, ich liebte ihn, pflegte ihn, er war alles für mich und nun sollte er sterben. Tausendfach spiegelte sich mein Gesicht in ihm. Weiß und leer.

Ich blickte in die Ferne, die Sonne stieg auf, ein Lampion, wie an einem Faden emporgezogen. Das alte Spiel. Die ersten Strahlen fielen auf den Beton und ein Schauer durchfuhr mich, warf mich zurück ins Bett. Die Welt begann zu verschwimmen. Mein Hahn schrie.

Als ich mich wieder aufraffte war es heiß, die Sonne stand drückend über dem Block. Schweiß lief meinen Körper hinunter, mein Hahn starrte mich verloren an. Ich ging zu ihm, er musste durstig sein. Die Vorstellung des Abschieds schnitt mir wie ein Stück Schilf ins Herz. Ein schmieriger Schleier senkte sich bereits über seine Augen.

Nun stand ich also auf der Brüstung des Balkons. Hinter mir mein geliebter Hahn, unter mir 10 Stockwerke Nichts, dann rissige Trostlosigkeit. Zu meinen Füßen bunte Leute. Sie glotzten hinauf zu diesem entschlosenen, nackten Mann. Frauen flüsterten sich zu, Kinder staunten, Männer lachten und ich fiel. Der Hahn weinte, flatterte mit den Flügeln. Kurzes Schweben, dann Ruhe.

Die Menschen behaupten, Liebe sei die schönste Angelegenheit der Welt. Aber die Leute sagen auch, dass Krieg notwendig sei. Und während ich neben meinem geliebten Hahn lag wurde mir klar, dass jeder Atemzug eine Lügen und eine Wahrheit enthält. Man durfte sie nur nicht verwechseln.

Und hinter dem Block stürzte die Sonne hinab, lange hörte ich sie rauschen. Schließlich stand ich auf. Mein Mund schmeckte nach Tränen. Ein Flecken Blut war alles, das blieb. Noch einmal sah ich mich um, dann gingen wir und die Nacht hüllte uns ein. Mich und meinen sterbenden Hahn.

 

Olafson schrieb

Hi Leute,

nach längerer Abwesenheit mal wieder eine Geschichte. Viel Vergnügen, freu mich schon auf Eure Meinungen!

liebe Grüße, Olafson

@ olafson: Solche Kommentare bitte zukünftig unterhalb des Geschichtenbeitrages in einem separatem Posting. :)

 

Von mir nur ganz kurz: Eine leicht surreale, sprachlich nicht schlechte Geschichte, die aber thematisch nicht über das altbekannte Selbstmord-Motiv hinaus kommt.

 

Hi,
also ich werde nun nicht den Anspruch erheben, diese Geschichte im Ganzen verstanden zu haben. Ich mag es zwar, wenn man noch einen gewissen Spielraum besitzt, was die Interpretation einer story angeht, aber dies hier ist ein Tick zuviel. Sprachlich gibt es allerdings kaum etwas auszusetzen. Das wars auch schon. Nicht viel negatives, aber demgegenüber auch nicht viel positives.

Grüße...
morti

 

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