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Therapie
Sie hüpfte kichernd über den Baumstamm auf dem ich saß. Ihre kleinen, klebrigen Finger klammerten sich in meinen Pullover. Sie lachte immer noch und ich starrte vor mich hin, wie hypnotisiert, von ihrer Stimme eingeschläfert. Ich genoss den Schauer, der mir über den Rücken lief, wenn sie mit ihren warmen Händen durch mein Haar wuselte. Sie störte sich nicht daran, dass ich ihre Fragen nicht beantwortete, sondern redete einfach weiter. Und wenn sie doch einmal Ruhe gab, dann war es, wie Aufwachen am Sonntagmorgen und wissen, dass man einfach liegen bleiben kann.
Wir hatten den ganzen Tag Zeit. Das war selten. Es hieß, dass sie alles hinter sich lassen sollte. Sie hatte jetzt eine neue Mutter und diesmal auch einen Vater. Es hieß auch, dass sie in Konflikte käme, wenn wir zuviel Kontakt hätten. Ich glaube sie war unbeschwert, sie war zu jung, um sich zu erinnern und doch verriet ihr Gesicht, zu wem sie gehörte. Sie war meine Therapie.
Ihre Hand strich über meine Wange. „Wieso weinst du, Tante Julia?“ Ich lächelte.
„Du erinnerst mich an jemanden, den ich sehr vermisse.“
„Liest du mir nachher was vor?“
Ich war glücklich.