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Therapie

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20.11.2003
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Therapie

Sie hüpfte kichernd über den Baumstamm auf dem ich saß. Ihre kleinen, klebrigen Finger klammerten sich in meinen Pullover. Sie lachte immer noch und ich starrte vor mich hin, wie hypnotisiert, von ihrer Stimme eingeschläfert. Ich genoss den Schauer, der mir über den Rücken lief, wenn sie mit ihren warmen Händen durch mein Haar wuselte. Sie störte sich nicht daran, dass ich ihre Fragen nicht beantwortete, sondern redete einfach weiter. Und wenn sie doch einmal Ruhe gab, dann war es, wie Aufwachen am Sonntagmorgen und wissen, dass man einfach liegen bleiben kann.
Wir hatten den ganzen Tag Zeit. Das war selten. Es hieß, dass sie alles hinter sich lassen sollte. Sie hatte jetzt eine neue Mutter und diesmal auch einen Vater. Es hieß auch, dass sie in Konflikte käme, wenn wir zuviel Kontakt hätten. Ich glaube sie war unbeschwert, sie war zu jung, um sich zu erinnern und doch verriet ihr Gesicht, zu wem sie gehörte. Sie war meine Therapie.
Ihre Hand strich über meine Wange. „Wieso weinst du, Tante Julia?“ Ich lächelte.
„Du erinnerst mich an jemanden, den ich sehr vermisse.“
„Liest du mir nachher was vor?“
Ich war glücklich.

 
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Hallo Diebin,
herzlich willkommen erstmal. Ich hab ´ne Weile gebraucht, um deinen Text zu verstehen, aber ich bin auch nicht immer voll auf der Höhe...
:rolleyes:
Also, ich nehme mal an, "Tante Julia" ist in Wirklichkeit die vormals alleinerziehende Mutter des Kindes mit den klebrigen Fingern.
Sie trifft sich mit ihm, genießt es - wagt aber nicht, ihm die Wahrheit zu sagen (nämlich, dass sie nur noch die leibliche Mutter ist und andere sie erziehen), bleibt eben die "Tante" und flüchtet sich in Ausreden - "Mami gestorben".
Das Kind, zu klein, zu naiv zu verstehen, kennt ihre Sorgen nicht und baut sie wieder auf - "Liest du mir was vor?".

Gut gefallen hat mir die starke Minimierung des Textes. Sie macht es dem Leser zwar nicht besonders einfach, ist aber in sich schlüssig.
Der Stil ist weder steril noch übertieben ausgeschmückt, passt somit gut.
Vielleicht nicht unbedingt eine Kurzgeschichte im klassischen Sinn, sondern ein Stimmungsbild, aber das macht nichts- würd mich freuen, wenn du noch ein paar Kommentare kriegen würdest.

Viele Grüße,
...para

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„Meine Mami ist vor zwei Jahren gestorben und du erinnerst mich sehr an sie“
Satzzeichen fehlt.

 

Hallo Diebin

auch von mir ein herzliches Willkommen. Nun zu deiner kleinen Geschichte. Paranova hat ja wohl schon dein kleines Geheimnis gelüftet. Obwohl sie tatsächlich sehr kurz ist, steht ja alles wichtige um sie zu verstehen darin. Ich konnte die (alte) Mutter mit ihrer Tochter spielend auf dem Baumstamm sitzen sehen. Wie du ja auch mit wenig Sätzen, das tröstende Ende, sie fühlt sich sichtlich wohl bei den neuen Eltern, herüberbrachtest.

Insgesamt, eine sehr schön beschriebene Geschichte.

Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 

Hallo Diebin!

Auch von mir ein herzliches Willkommen auf kg.de! :)

Mir gefällt Deine Geschichte ebenfalls sehr gut, insbesondere die Stimmung und wie Du sie aufgebaut hast.
Was mir allerdings fehlt, und weshalb die Geschichte ein bisschen ein Rätsel für mich ist: der Grund, warum das Kind von ihrer Mutter weggekommen ist. Woran soll sie sich nicht erinnern?
Wie es scheint, hat sie sie doch sehr lieb, und wenn sie sie jede Woche besucht, dürfte sie auch zuverlässig sein. Diese Frage fände ich daher wichtig, in der Geschichte zu beantworten, denn mit einem einleuchtenden Grund würde sie, zumindest für mich, in diesem Punkt glaubwürdiger.

Daß sie gleich für tot erklärt wird, halte ich für etwas zu viel, bzw. dem Kind gegenüber nicht richtig, aber der Fehler wird natürlich leider immer wieder von Adoptiveltern gemacht, aus Angst, es könnte sie wieder verlassen.

Ich habe Deine Geschichte sehr gern gelesen, auch wenn es mir ein Rätsel bleibt, wie es zu der Situation kommen kann. :)

Liebe Grüße,
Susi

 

Hallöchen!!!

Danke für die nette Begrüßung und eure Kommentare. Schön, dass die Stimmung bei euch rüber gekommen ist, hatte befürchtet, dass der text einfach zu kurz ist um ihn zu verstehen :)

allerdings habe ich das ende jetzt geändert, das kind ist mir, wenn ich überlege, auch zu jung für so eine aussage.

wie es zu der situation kam lasse ich offen, ich denke viele mütter lieben ihr kind und geben es trotzdem weg. mir geht es um die stimmung, die situation, mit der die mutter umgehen muss, nicht wie es dazu kam. es ist auch nicht meine stärke über komplizierte zusammenhänge zu schreiben, ohne dass es aufgesetzt wirkt. vielleicht interpretiert jeder selbst.. ich glaube das hast du schon getan, häferl :)

Gute Nacht!

 

Ist fast schon wie ein kleines Gedicht ... wirklich einfallsreich:) Doch, gefällt mir wirklich gut, auch wenn es, wie gesagt, keine wirkliche Kurzgeschichte im eigentlichen Sinn ist.

 

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