Was ist neu

Tod in der Tiefe

Mitglied
Beitritt
07.02.2004
Beiträge
14

Tod in der Tiefe

„Dieser verdammte Hurensohn! Er hat mich reingelegt!“ tobte Serina los und schmiss den Hörer so heftig auf, das das ganze Telefon mit lautem Scheppern vom Tisch fiel.
„Karl, wo steckst du? Ich reiß dir den Kopf ab du Arsch!“ schrie sie wild durch die Wohnung. Eine Tür fiel ins Schloss. Zitternd und schnaubend vor Wut rannte sie hinterher, riss die Tür auf und brüllte hinter ihrem schweigend das Haus verlassenden Freund her. „Warum hast du mir nichts von den Anruf erzählt, du Scheißkerl? Wer verdient denn hier das Geld, he? Wer? Ich rede mit dir!“ Er sah nur einmal vorwurfsvoll zurück und dann klappte die Haustür hinter ihm ins Schloss. Kein Ton, keine Rechtfertigung, nichts. Nur Schweigen, wie immer.
Außer sich vor Zorn verpasste sie der Tür einen wilden Tritt, so dass sie mit einem ohrenbetäubenden Knall zufiel. Frau Schenke, die alte Meckerziege von nebenan, fing sofort wieder an zu keifen. Serina war es egal.
Ein Anruf von Cathal war Gold wert, brachte Kohle. Karl wusste das, aber er wollte nicht, das sie ging und für ihn arbeitete, hasste es, sie auf den immer äußerst riskanten Tauchgängen zu wissen, die fast nie legal waren. Immer noch wütend packte sie ihre stets bereite Tasche mit ihrer Tauchausrüstung und verließ die Wohnung. „Schwing sofort deinen Arsch her, wenn dir dein Job was wert ist“ hatte Cathal in den Hörer gebrüllt. „Soll ich etwa jedes Mal eine Extraeinladung für unsere Madam schreiben, wenn ich dich brauche oder was? In einer Stunde bist du auf meinem Schiff oder du bist aus dem Team raus, verstanden?“
Cathal war Schatzjäger, ein 1,95 großer, muskelbepackter Ire mit mehr Metall im Gesicht als ein Vietnamveteran. Er liebte Tätowierungen und Piercings über alles, fast so sehr wie die riskanten Unternehmungen, zu denen er seine 4 köpfige Mannschaft in unregelmäßigen Abständen zusammen zu trommeln pflegte. Und wehe dem, der nicht rechtzeitig auftauchte!
Raus aus dem Team war man schnell und Cathal war weder für seine Geduld noch für seine menschenfreundliche Gesinnung bekannt. Wahrscheinlich, weil er immer vor irgendeiner Regierung auf der Flucht war, dachte Serina sarkastisch, trat voll aufs Gas und ließ die Räder ihres schnittigen Sportwagens auf der Straße durchdrehen. Sie musste sich beeilen.
Cathals Schiff, die Nautilus II, lag derzeit im Hafen von Marseilles vertäut und der war einige Kilometer Landstrasse von ihr entfernt.
Motiviert durch ihren Zorn schaffte sie die Strecke in Rekordzeit.
Als sie mit quietschenden Reifen den Wagen parkte und mit ihrer schweren Tasche zum Schiff rannte, konnte sie Cathal schon weitem sehen. Hoch aufgerichtet stand er an der Reling, die obligatorische Kippe im Mundwinkel und auf die Uhr sehend. Als sie 2 Minuten später die Tasche aufs Schiff warf und hinterher sprang, grinste er sie nur wissend an und gab den Befehl zum Ablegen. Serina hasste den Kerl so sehr wie sie ihn brauchte und das machte es nicht besser. Sie war arbeitslos und seit sie sich von Cathal einmal zu einer illegalen Tauch- und Stehlaktion hatte überreden lassen, war sie ihm ausgeliefert und er wusste das. Und nutzte es eiskalt gegen sie aus.
Wenige Minuten später legte das kleine Schiff ab und nahm Kurs aufs Mittelmeer. In der engen Kajüte holte Serina erst mal tief Luft und machte sich dann auf, ihre 3 Kollegen aufzuspüren, die wie schon so oft mit ihr runtergehen würden. Alles Draufgänger und Abenteurer wie Cathal selbst einer war und nur deswegen anheuern würde, waren sie doch ein Haufen Vollprofis mit der gesunden Gier nach einem netten kleinen Nebenverdienst, wie sie es nannten. In Wahrheit waren sie süchtig nach dem Kick, grade zu übermäßig begierig auf die Gefahr dort drunten; sie scherten sich nicht um Recht und Gesetz sondern nur eine große Ausbeute an Schätzen.
Serina fand die 3 Männer und zuckte bei Bills Anblick vor Schreck zusammen. Er grinste sie unverschämt an. „Na Süße, auch wieder dabei?“ und begaffte sie müßig von oben bis unten, lüstern weitergrinsend. Es schauderte sie. „Na Bill, hat Cathal dich mal wieder aus irgendeinem Knast freigekauft oder bist du diesmal freiwillig dabei?“ Sein Grinsen verschwand. Es war kein Geheimnis, das er Cathal sehr viel Geld schuldete und dieser ihn nicht aus der Schuld entkommen ließ, nicht solange er als Taucher von Nutzen für ihn war. Es würde ein sehr gefährlicher Tauchgang werden. Charlie und Steven sagten nichts, so wie sie es immer taten. Dennoch hatten beide die Freundlichkeit eines durchschnittlichen Hammerhais mit Tollwut.
Cathal hatte wie immer die richtigen Männer für seine tollkühnen Abenteuer gefunden. Eine neue Zigarette brannte gemächlich in dessen Mundwinkel vor sich hin, als er viel später zu ihnen stieß und sie mit seinem Machogehabe über das neueste Ziel seiner Gier unterrichtete. Juwelen einer – ehemals – reichen Reederwitwe, die sich auf dem Wrack der Queen of the Pearls, einer in einem Sturm vor Gibraltar gesunkenen Vergnügungsyacht.
Das Wrack lag am Außenriff in 70 Metern Tiefe in der Straße von Gibraltar und war nur schwer zu erreichen, da an dieser Stelle meist starke Strömung herrschte. „Haltet Ausschau nach einem Safe oder ähnliches. Darin solltet ihr ein Schmuckkästchen finden, in dem die olle Schabracke ihre ganzen Klunker aufbewahrt hat. Sie konnte sie beim Untergang nicht mehr rechtzeitig einpacken. Es soll ein Diamantring von unschätzbarem Wert darunter sein, 20 Karat.“ „Warum hat denn dann noch keiner vor uns versucht, die Juwelen zu bergen?“ meldete sich Bill zu Wort. Cathal starrte ihn lange wissend an. „Sie haben! Und sind alle ersoffen da unten.“ Lächelte er böse und ließ die Worte in der Stille wirken. „Das Schiff liegt instabil am Riff in reißender Strömung.“ Bill nahm einen großen Schluck Whisky, Serina starrte Cathal fassungslos an, währen Charlie und Steven einen langen Blick wechselten. Keiner sagte was, keiner konnte was sagen. Sie alle waren ihm ausgeliefert und sie wussten es. Und Cathal wusste es und er wusste, das sie es wussten.
Instabil! Sabrina schluckte hart. Und das bei der reißenden Strömung. Na lecker!
Dann war es soweit. Am Tauchplatz angekommen, verankerte Cathal sein Schiff fest am Riff und schoss dann mit seinem selbstgebasteltem Harpunenwerfer eine etwas veränderte Harpune in den Rumpf des Wracks. Die Nautilus II erbebte heftig unter dem Rückstoß des Geschosses. Die Harpune zog ein Tau hinter sich her, an dem sie sich zum Wrack hinunterhangeln konnten. Wortlos zogen sich die 4 Taucher um. Es gab nichts mehr zu sagen. Dort unten war jeder auf sich allein gestellt, sie würden einander nicht helfen. Jeder der absoff, würde die Gewinnspanne der anderen erhöhen. Auch Cathals Leute waren nicht für ihre Menschlichkeit berühmt. Serina biss die Zähne zusammen und bereute wieder einmal, damals nicht auf Karl gehört zu haben, der sie vor Cathal gewarnt hatte. Jetzt hatte sie meist nur noch Angst um ihr Leben.
Einer nach dem Anderen sprangen sie und tauchten sofort ab. Serina spürte den Sog der Strömung sofort und strebte mit aller Macht gegen die Strömung nach unten, hinter den anderen Tauchern her.
Die Strömung verstärkte sich, je tiefer sie kamen. Langsam glitten sie am Seil entlang, Meter für Meter. Serina konnte die Anspannung in den Gesichtern ihrer Kollegen sehen.`Ob sie es inzwischen mehr als sonst bereuen, heute hierher gekommen zu sein?` dachte sie bei sich. Nach weiteren 10 Metern und weiter zunehmender Strömung wechselte sie die Antwort auf diese Frage von wahrscheinlich zu ganz sicher.
Dann wurde es trüb im Wasser. Der eisige, reißende Strom aus der Tiefsee brachte große Mengen Schlick mit sich und die Sicht verschlechterte sich zusehends. Man konnte kaum einen Meter weit sehen und als Serina sich umsah, war nur noch ihr unmittelbarer Vorgänger in Sicht. Ihr fröstelte. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Wie im Wind flatternde Fahnen hingen sie in der tobenden Strömung, nur ihre Hände hielten sie am Seil und trennte sie vom Abgetriebenwerden. Die Finger wurden ihr langsam taub und trotz des kalten Wassers fing sie an, vor Anstrengung zu schwitzen. Weiter und weiter hangelten sie sich und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich die schwärzlichen Umrisse des Schiffswracks unter sich erkennen konnte. Sie schwebten erschöpft im Kreis, zündeten ihre Taucherlampen an und sahen sich an. Einer fehlte bereits. Im trüben und undurchsichtigen Wasser hatte keiner bemerkt, das Charlie den Halt verloren hatte und von der Strömung weggerissen worden war.
Die Ankunft am Wrack war gespenstisch. Wie ein unheimlicher dunkler Schatten kam das Schiff nur langsam in Sicht, getrübt und verzerrt durch die Schwebeteilchen im Wasser. Aufrecht gegen das Riff gelehnt, die Harpune wie eine pervertierte Praunüle in der Seite, hatte die einstige Luxusvergnügungsyacht einiges an Glanz verloren. Sie war für einige Diener bei ihrem Untergang zu deren Grab geworden und hatte noch viele Leben gekostet. Taucher, die ihre Schätze plündern wollten „so wie ich eine bin“ dachte sie sich und schauderte bei dem Gedanken. Sie zwang sich zur Disziplin und folgte den anderen ins Innere des Schiffes und durch alte, Korallenüberwucherte Türen und Gänge.
Sie machten sich einzeln an die Erkundung des Wracks. Serina schloss kurz die Augen und begann mit der Suche nach dem Gegenstand von Cathals Gier. Dann sah sie diese mysteriöse Öffnung in der Seitenwand des Wracks. Sie runzelte die Stirn. `Durfte denn an dieser Stelle eine sein?´ wunderte sie sich. Auf den Plänen des Schiffes, die sie beim Briefing gesehen hatte, war keine eingezeichnet. Sie sah sich nach ihren Tauchpartnern um, die gerade 2 Meter hinter ihr einer Riesenmuräne auswichen. Sie zuckte mit den Achseln. Ihre Neugier, diese Öffnung zu erkunden wurde übermächtig. Kurz vergewisserte sie sich, das Bill und Steven – scheiße, wo war bloß Charlie? – grade nicht hersahen und wandte sich wieder um.
Kurzentschlossen leuchtete sie hinein und tauchte dann flink hindurch und verschwand in der Dunkelheit. Ihre Tauchpartner bemerkten nichts.
Fasziniert leuchtete sie sich ihren Weg durch das Korallengewirr. Immer tiefer drang sie in den schmalen, tiefen Raum ein, schreckte einen ruhenden Ammenhai auf und bewunderte die unglaubliche Artenvielfalt. Wie ein dichter Dschungel wucherten die Korallen und Pflanzen hier an dieser geschützten Stelle und unter all dem waren teilweise noch uralte Gerätschaften zu erkennen. Völlig gefangen von dieser Entdeckung tauchte sie immer tiefer und vergaß, sich den Rückweg zu merken. Sie bemerkte etwas, das irgendwie entfernte Ähnlichkeit mit einem Schrank hatte und rüttelte daran. Nichts passierte. Sie tauchte drum herum und fand einen dunklen Zwischenraum, in dem es silbrig glitzerte. Sie leuchtete rein und versuchte dann, hinzulangen. `Mist! Zu weit weg!` fluchte sie innerlich. Sie passte nicht hinein. Sie überlegte und schnallte dann ihre Tauchweste ab, montierte die Flasche ab und schob sie vor sich her in die Nische hinein. Nach ca. 2 Metern hatte sie beinahe die Stelle erreicht. `Tiefer als ich dachte. Na mal sehen!` dachte sie und versuchte wieder, hinzulangen. Jetzt war sie nah genug, aber die Flasche war im Weg. Sie klemmte sie zwischen ihren Bauch und dem Grund ein und kratzte das glitzernde Ding frei. Ein alter Safe! Das war die Mühe schon wert! Mit einiger Anstrengung gelang es der Frau, den alten Safe zu öffnen, die Tür war nicht verschlossen, bloß verklemmt, und fand in seinem dreckigen Inneren einen Beutel mit funkelnden Geschmeide. Und noch etwas fiel ihr aus dem Beutel entgegen: der herrlichste Diamant, den sie jemals gesehen hatte. Verzückt und fasziniert von seiner Reinheit drehte sie ihn hin und her im Licht ihrer Taucherlampe und steckte ihn schließlich an ihren rechten Ringfinger. Er saß bombenfest, als ob er dort hingehören würde.
Serina schob sich rückwärts. Sie kam nicht weit. Sie klemmte fest. Sie ruckte und drückte, doch sie konnte sich nicht mehr bewegen. Panik stieg in ihr auf und sie atmete schneller. `Nur nicht den Kopf verlieren! Bleib cool!` sagte sie sich und fing an, wild an ihrer Flasche zu zerren. Sie gab keinen Millimeter nach. Die Erschöpfung ließ nun ihre Glieder zittern und sie begann zu frieren. Sie musste hier raus! Wieder spannte sie ihren Körper an und wand sich. Vergeblich. An einer schmalen Öffnung vor sich konnte sie den riesigen Leib eines großen Weißhais erkennen. „Ach du Scheiße, auch das noch!“ Fluchte sie innerlich und verdoppelte ihre Anstrengungen. Sie versuchte, mit der Lampe ihre Umgebung abzuleuchten, doch sie konnte den Kopf nicht weit genug drehen. Sie keuchte vor Entsetzen. Luft! Wie viel Luft ist noch in der Flasche? ging es ihr durch den Kopf. Sie suchte den Schlauch mit dem Druckmesser, doch der war irgendwo unter ihr eingekeilt. Alles was sie greifen konnte, war das kleine Schreibbrett, das sie immer am Ärmel hängen hatte. Dann konnte sie plötzlich spüren, wie sich das Wrack bewegte. Ganz leicht nur zuerst, doch dann einige wenige Herzschläge wieder.....und wieder. Stärker diesmal. Es bestand kein Zweifel, das Wrack war tatsächlich instabil. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich und sie fühlte eiskalte Wogen der Angst in sich aufwallen. Ihre Muskeln strahlten den Schmerz durch ihren Leib und zum zerreißen gespannte Nerven traktierten ihr Bewusstsein. Sie stöhnte innerlich auf.
Dann hörte sie das Klopfen im Wasser. Immer wieder dieses Klopfen. Rhythmisch, dröhnend, wie Urwaldtrommeln trieb es sie fast in den Wahnsinn und Serina versuchte zu schreien. Ihr Mund und ihre Maske füllten sich mit eiskaltem Meerwasser und ließ sie fast in Panik verfallen. Sie spuckte und blies ihre Maske aus.
Wieder spannte sie ihre Muskeln an und versuchte, sich aus der tödlichen Falle zu befreien, als sie auf einmal ein Ziehen an ihrer linken Flosse spürte, und dann eine sachte Berührung. Etwas stupste sie an. „Hoffentlich ist es nicht der große Weiße, der eben hier vorbeigeschwommen ist“ dachte sie ängstlich und hielt den Atem an.
Ein Ruck ging durchs Wrack. Dann krängte es plötzlich, legte sich mit dröhnendem Geknirsche wie in Zeitlupe schräg. Schwankend pendelte es in der tobenden Strömung träge hin und her. Bill und Steven wurden von Todesangst befallen und tauschten hektische Blicke miteinander. Beide wussten, wenn sie hier lebend rauskommen wollten, mussten sie ihre Kollegin vergessen. Sie hatten das Mädchen schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und wahrscheinlich hatte die Kleine die Nerven verloren und war getürmt. Na, auf den Empfang von Cathal konnte sie sich jedenfalls schon mal freuen, dachten die Beiden und machten, das sie wegkamen.
Serina weinte, als ihr die Flucht ihrer Kollegen dämmerte. Immer verzweifelter versuchte sie, sich zu befreien. Vergeblich. Sie war gefangen in der erbarmungslosen Umarmung der Korallen. Etwas stach ihr schmerzhaft in den Rücken und mit jedem Befreiungsversuch wurde es schlimmer. Dann war da wieder die sachte Berühung, und noch mal. Sie erstarrte und wartete. 3 Herzschläge später kam die unerwartete Attacke; sie spürte auf einmal diesen starken Druck auf ihrem linken Schienbein, ein heftiges Zerren und Reißen, kein Schmerz – noch nicht – dann war alles voller Blut. Noch mal ein Zerren, diesmal am Knie, ein Reißen, noch mehr Blut. Serina tobte und schrie, was die Lungen hergaben. Es war der Weiße – und er hatte sie gefunden.
Es wurde kälter und kälter. Das Wrack taumelte immer mehr unter der Belastung der enormen Kräfte des Wassers. Das Knirschen und Krachen schien von überall her zu kommen und war ihr wie das kalte, gleichgültige Schlagen einer Höllentrommel. Serinas Muskeln zitterten durch die Überbeanspruchung unkontrolliert und schürten die Panik und das Entsetzen. Sie stöhnte vor Schmerz und Angst. Sie konnte im Geiste förmlich sehen, wie sich das alte Wrack auf seinem Sims am Riff mehr und mehr neigte, sich den unauslotbaren Tiefen der Tiefsee zuneigte. Sie wusste nur zu gut, wie unendlich tief es hier herunterging. Oder hatte der Hai sie schneller zerlegt?
`Ich will hier raus!` schluchzte sie innerlich. `ICH WILL HIER RAUS!` schrie sie im Geiste. Serina schloss die Augen und weinte heftig. Der Schmerz in ihren verstümmelten Beinen und gezerrten Muskeln wurde übermächtig und betäubte ihren gequälten Verstand. Sie griff ihre Lampe und begann, sinnlos um sich und auf die Korallen vor ihrer Nase einzuschlagen. Sie brachte ihnen kaum Kratzer bei. Dann war der Augenblick da, in dem das alte Wrack der ungeheuren Naturgewalt nicht mehr standhalten konnte und sich mit ohrenbetäubendem, metallischem Dröhnen von der Riffkante löste und langsam der Tiefsee entgegensank. Serina fühlte das Bersten und Brechen von Korallen und Metall, spürte, wie sich das Wrack überschlug und entgültig abdriftete. Der Hai ließ sofort von ihr ab und verschwand.
Ihre Ohren knackten unaufhörlich und auf einmal war sie frei, konnte ihren Tauchcomputer fassen und blickte fassungslos und ohne wirklich zu begreifen auf den Tiefenmesser, der mit rasender Geschwindigkeit ihr Todesurteil sprach. 120 Meter, 160 Meter 200 Meter 300 Meter, es wurde dunkel. Das Wrack schlug irgendwo auf einem Riff auf und verharrte kurz, nur um dann durch die eigene Wucht weiterzusinken. Der enorme Druck des Wassers presste sie wie eine hohle Blechbüchse zusammen und machten das Atmen fast unmöglich. Mühsam zwang sie ihre protestierenden Lungenflügel zu jedem Atemzug. 400 Meter. ´Ich sterbe! Keiner kommt aus solcher Tiefe wieder hoch.` dachte sie erstaunt. Sie dachte kurz an ihren Freund und daran, das sie ihren Streit nicht mehr beilegen konnten. Vollgepumpt mit Adrenalin verdrehte sich ihr Geist und spürte, wie der Sauerstoff in ihrer Flasche und ihrem Blut umkippte, sich durch den ungeheuren Druck in Gift verwandelte und jeden Atemzug in eine endlose Qual verwandelte.
Stumm und betäubt starrte sie ins dunkle Nichts, bis sie spürte, das der Atemwiderstand immer größer wurde. `Die Luft ist alle` dachte sie. Merkwürdig, sie fühlte nichts bei dem Gedanken. Es war ihr gleich. `Seltsam` dachte sie und fühlte, wie sich ihr der Tod mit Riesenschritten näherte. Ihr sterbendes Gehirn gaukelte ihr Farben vor, alle Regenbogenfarben, Formen, Muster.....und ein Paar strahlender, kalter Augen, die sie ansahen. Gleichgültig, abwartend, prüfend. `Mama?` rief sie stumm, `bist du das?` Doch dann korrigierte sie sich, `nein, du hast ja Angst vorm Wasser`. Sie schloss die Augen, nur kurz, dann stierte sie wieder blicklos und gepeinigt vom Schmerz ins Nichts. Sie stierte auf das blitzende Ding an ihrem Ringfinger. „Ein hübsches Ding ist das“ dachte sie verwundert. Der Diamant funkelte gleichgültig. Sie starrte ihn an. Dann nahm sie den letzten Atemzug aus ihrer Flasche und als der Schmerz in ihren Lungen nicht mehr zu ertragen war, riss sie sich im Todeskampf Maske und Lungenautomat weg und füllte ihre berstenden Lungenflügel mit eiskaltem Meereswasser. Der grelle, scharfe Schmerz schnitt wie ein grobes Fleischermesser in ihr Bewusstsein und ihr ganzer Körper verkrampfte sich in heftigen, spastischen Zuckungen. Dann wurde es Still und schwarz.
Sie sah nicht mehr, das das hinabstürzende Wrack Cathals Schiff mit hinunterriss. Die Harpune löste sich nicht mehr aus dem Rumpf und Cathal konnte, als er die Gefahr bemerkte, das dicke Tau nicht mehr rechtzeitig lösen. Mit großem metallischen Aufröhren zerrte das Wrack der Queen of the Pearls die kleinere Nautilus II mit in die Tiefe. Charlie und Steven jagten blindlings an die Oberfläche, ohne ihre Dekozeiten einzuhalten. Beide erstarrten vor Entsetzen, als sie ihr eigenes Schiff an sich vorbeisinken sahen. Dann durchbrachen die Beiden die Oberfläche und ließen sich die warme Mittelmeersonne ins Gesicht scheinen. Bleich vor Angst und Erschöpfung bemerkten sie nicht mehr, wie sie langsam ohnmächtig wurden, sich der Stickstoff in ihrem Blut in Bläschen sammelte und die Adern verstopfte. Sie waren schon in tiefer Ohnmacht, als der Tod zu ihnen kam und sie in seine Arme nahm.
Cathal schwamm verstört im Wasser und sah sich fassungslos um. Er beobachtete zuerst, wie sein geliebtes Schiff hinabgezerrt wurde und dann, wie nur 2 seiner Leute wieder hochkamen. Und diese Beiden kamen nur hoch, um zu sterben. Cathal begann sich zu fürchten. Vielleicht war ja doch was dran an dem Fluch auf dem Diamanten. Aber noch lebte er. Mit einer kleinen Drehung orientierte er sich und begann, aufs nächstgelegene Festland zuzuschwimmen. Das berechnende Lächeln auf seinem Gesicht wich eisigem Entsetzen, als er die Haifischflossen aus dem Wasser ragen sah, die sich ihm in weiten Bogen näherten. In diesem Moment wusste er, das er das Festland nicht mehr erreichen würde.
Einen Augenblick später spürte er schon die erste sachte Berührung an seinen Beinen.

 

Hi Christiane,

schön, mal wieder was von Dir zu hören ... äh zu lesen.
Und dann auch noch sowas. Das war ja für mich Horror pur! Bin eh kein Fan von tiefen Gewässern.

Du erzeugst eine atemberaubende Spannung; und ich dachte jederzeit, Mensch, gleich muss sie doch da raus kommen ...
Zum ersten Mal, dass ich eigentlich ein happyend erwartet hätte. Aber so ist es natürlich viel besser. Faszinierend, wie lange man sich mit dem Tod eines Menschen aufhalten kann. Du hast eine solche Detailgetreue, dass man meinen könnte, Du hättest sowas schon mal selbst erlebt ... :D

Ich fand die Stelle schon schlimm, als sie im Wrack eingeklemmt war; und dann kam auch noch der Hai und begann mit seiner "Arbeit". Heftig!

Ein paar Ungereimtheiten fielen mir dann doch auf; die ich etwas störend fand (bin allerdings kein Taucher, von daher weiß ich nicht, ob es stimmt):

1. Kann man eine Harpune in ein siebzig Meter tief liegendes Schiff versenken? Du schreibst ja selbst, dass das Wasser sehr trüb war. Und selbst wenn man per Echolot schießen würde, so wäre doch die Harpune auf ihren Weg dorthin durch die Strömung abgetrieben, oder?!

2. Du schreibst, dass sie in das Wrack taucht und sich in einen zwei Meter langen Schlitz zwängt. Dann sieht sie den weißen Hai. Kann mir nicht vorstellen, dass ein solcher sich in einem engen Bootsrumpf aufhält, um dort auf Beute zu warten. Und als er sie ´anknabbert´; wie ist er in den Schlitz gekommen? Ein Weißer ist meiner Meinung nach doch so um die sieben Meter groß.

3. Und das fand ich das Unwahrscheinlichste: Als das Wrack absackt, guckt sie auf ihren Tiefenmesser: 300 METER!!! Das hällt doch kein menschlicher Körper aus. Der Druck dort muss doch wahnsinnig sein. Denke ich :hmm:

So, aber wenn man darüber hinweg sieht, wie gesagt, eine super spannende (und auch horrormäßíge) story. :thumbsup:
Hat mich darin bestätigt, niemals einen Tauchlehrgang zu besuchen ...

Lieben Gruß! Salem

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom