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Valerian
Ich hatte mich entschieden, dass es besser war, die nächste Zeit große Städte zu meiden, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Die wertvolle Kette der Baroness trug ich in einer geheimen Tasche an meinem Hemd, und während ich meine Füße in das kühle Wasser des kleinen Sees tauchte, dachte ich darüber nach, wie viel Geld sie mir wohl bringen mochte. Die Sonne schien warm auf meinen Rücken und der Himmel erstrahlte in einem tiefen Blau.
Ich ließ mich in das Gras am Ufer fallen und starrte in die Luft.
Schließlich übermannte mich der Schlaf.
Als ich wieder erwachte, waren meine Füße kalt und schrumpelig und der Himmel färbte sich bereits mit dem Orange der untergehenden Sonne. Fluchend stand ich auf, zog meine Stiefel wieder an und packte meine Habseligkeiten zusammen.
Bis zum nächsten Dorf würde ich einige Stunden unterwegs sein, und ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, den Weg im Dunkeln zurücklegen zu müssen. Allerdings sagte mir die Vorstellung an ein Nachtlager in der Wildnis auch nicht sonderlich zu.
Missmutig folgte ich dem schmalen Feldweg gen Süden.
Mücken begannen mich zu umschwirren. Die Vögel verstummten und legten sich schlafen, dafür erwachte allerlei anderes Getier.
Hier raschelten Blätter, dort knackte ein Ast.
Jedes Mal zuckte ich erschrocken zusammen. Solche Geräusche kannte ich aus den Städten nicht.
Angespannt setzte ich meinen Weg fort und beobachtete das stetige Zunehmen der Dunkelheit voller Unruhe.
Schließlich waren die Bäume am Wegesrand kaum mehr als schwarze Silhouetten vor dem violetten Horizont.
Plötzlich stand eine Gestalt unvermittelt wenige Meter vor mir auf dem Weg. Mir blieb fast das Herz stehen, jedoch schoss meine Hand reflexartig an den Griff meines Dolches. Aber bevor ich meine Waffe ziehen konnte, spürte ich ein Schwert an meiner Kehle.
Ich ließ meine Hand langsam sinken, doch das Schwert bewegte sich nicht. Ich warf einen Blick auf mein Gegenüber.
Der Fremde war groß und recht schlank gebaut. Seine Haare waren lang und sein Gesicht fein geschnitten. Doch sein Blick wirkte erstaunlich sanft und gutmütig, soweit ich das im Dämmerlicht ausmachen konnte. Wenn nur sein Schwert nicht auf mich gerichtet wäre..
"Einen schönen guten Abend wünsche ich. Lass die Waffe stecken, dann werde ich dir nichts tun."
Seine Stimme war leise und sehr melodisch.
Ich hob meine Hände, damit er sich überzeugen konnte, dass ich ihn nicht angreifen wollte. Im Notfall würde mir zwar der Dolch, der durch Muskelanspannung von meinem Unterarm in meine Hand sprang, auch nicht viel nützen, jedoch fühlte ich mich dadurch nicht ganz so hilflos.
Ich wartete ab.
"Was sucht ein junges Mädchen aus der Stadt zu dieser späten Tageszeit hier?"
Ich antwortete nicht, musterte ihn aber unauffällig.
Seine blonden Haare schimmerten durch die letzten Sonnenstrahlen golden, seine blauen Augen suchten in meinem Gesicht nach einer Regung. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Ein Blick auf seine spitzen Ohren bestätigte meine Vermutung: Ein Elf.
Er runzelte leicht die Stirn. "Magst nicht mit mir reden, oder?"
Endlich senkte er seine Klinge und steckte das Schwert in die Scheide. Er blickte in Richtung des kleinen Wäldchens im Westen und meinte gedankenverloren: "Du solltest hier nicht alleine umherziehen. Die Gegend ist nach Sonnenuntergang nicht sicher."
In seinem Gesicht spiegelte sich echte Besorgnis.
Ich schaute kurz zu dem Wald. Er wirkte sehr dicht und dunkel. Ein Schauer ließ mich frösteln und eine beklemmende Angst vor dem weiteren Weg begann in mir aufzusteigen. Welche Gefahren mochten in den Schatten dort lauern?! Der Elf sah mich ernst an und flüsterte: "Ich hoffe, wir haben den Wald noch nicht auf uns aufmerksam gemacht."
Ich starrte auf den Waldrand und bildete mir Bewegungen ein.
"Kann ich jetzt weiterziehen?", warf ich dem Spitzohr entgegen.
Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln und trat zur Seite.
Schnellen Schrittes setzte ich meinen Weg fort, den Griff meines Dolches fest umschlossen. Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.
Was, wenn er recht hatte und wirklich große Gefahren auf dem Weg lauerten? Ich drehte mich um, doch der Elf war verschwunden. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus.
Plötzlich wurde ich unvermittelt zur Seite gerissen. Im Augenwinkel konnte ich einen großen, schwarzen Körper ausmachen, der über mich hinwegsprang. Mein Herzschlag schien für einen Moment auszusetzen.
Ich nahm den Elfen an meiner Seite wahr. Er jagte dem Schatten mehrere Pfeile nach. Ein lautes Heulen zeugte von einem Treffer.
Mein Atem stockte.
Ich hielt den Dolch in meiner Hand, war aber unfähig zu handeln.
Ein lautes Brüllen kam aus der Dunkelheit.
Der Elf spannte abermals den Bogen, jedoch schoss er nicht.
Ich versuchte vergebens, meinen Angreifer auszumachen.
Schließlich senkte der Elf den Bogen und sah mich an. Ein feines rotes Rinnsal lief seine Wange hinunter.
Er musterte mich. "Alles in Ordnung?"
Ich nickte zögernd.
Dann packte er seinen Bogen weg.
Meine Hände zitterten, wenig später sogar mein ganzer Körper.
Der Elf trat dicht an mich heran. Er sprach sehr leise: "Hab keine Angst." Behutsam legte er seine Hände an meine Schläfen und begann in einer fremden Sprache zu sprechen.
Seine Stimme war sehr wohlklingend und von seinen Fingern strömte ein wärmendes Gefühl in meinen Körper.
Ich sah Licht und in diesem Licht stand der Elf in einem weißen Gewand und lächelte mich zuversichtlich an. Als er die Hände nach mir ausstreckte, verflog meine Angst.
Dann erwachte ich, wie aus einem Traum und blickte direkt in seine blauen Augen.
Ich hatte die Furcht vor dem Angriff verloren und sie hinterließ nicht mal ein flaues Gefühl im Magen.
Der Elf nahm die Hände herunter und lächelte.
Mein Atem ging ruhig und ich fühlte mich ausgeglichen.
Ich runzelte die Stirn. "Was war das für ein Monster?"
Er sah sich gedankenverloren um. "Eine böse Seele, die nicht hierher gehört." Seine Stimme klang verbittert.
Es war wohl besser, nicht weiter zu fragen.
Langsam dämmerte mir, dass ich soeben dem Tod ins Auge geblickt hatte. Wäre der Elf nicht gewesen... "Danke!"
Er zwinkerte mir zu. "Gern geschehen. Lass uns mal weitergehen, wir brauchen sicherlich noch etwas Zeit bis zum nächsten Dorf."
Der Gedanke, in Gesellschaft weiterzuziehen, sagte mir zu. Die Sinne der Elfen sollen ja um einiges besser ausgeprägt sein, als die der Menschen.
Mittlerweile war es Nacht geworden und ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen.
Dem Elfen schien die Dunkelheit nicht so stark zu behindern. Zielsicher verfolgte er den kleinen Pfad, den wir eingeschlagen hatten.
Mir fiel plötzlich ein, dass ich nicht mal den Namen meines Retters kannte. "Wie heißt du eigentlich?"
Der Elf wirkte leicht verwirrt auf die unvermittelte Frage, lächelte mich dann aber an und sagte: "Ich werde ,Valerian Traumvogel aus dem Lichtwald´ genannt. Wie nennt man dich?"
"Mika."
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf.
Es kam äußerst selten vor, dass jemand meinen Namen wissen wollte. Und dann war die Situation recht unangenehm und hatte mit Diebstahl zu tun.
"Du bist sicherlich aus Rival, nicht wahr?", vermutete Valerian.
Ich nickte.
"Nun, Mika aus Rival, warum bist du so spät hier unterwegs?"
Ich musste nicht lange nachdenken, um mir eine Geschichte einfallen zu lassen. "Ich will meinen Bruder in Mühlenfort besuchen. Leider bin ich am Weiher eingeschlafen." Ich deutete mit dem Finger in Richtung des Weihers. Der Elf schien zufrieden mit dieser Antwort.
Wir setzten eine zeitlang schweigend unseren Weg fort.
Es kam mir vor, als seien wir die halbe Nacht unterwegs gewesen.
In der Dunkelheit nahm ich verschiedene Geräusche wahr: das monotone Tapsen meiner Schritte (die Schritte des Elfen konnte ich nicht hören, obwohl er direkt neben mir lief), mein eigener Atem, irgendwo rief ein Käuzchen.
Schließlich meinte der Elf leise: "Dort vorne liegt Mühlenfort."
Ich strengte meine Augen an, bis ich glaubte, einen Lichtschimmer durch die Bäume ausmachen zu können. Mein Herz tat einen erleichterten Hüpfer. Meine Schritte wurden schneller.
Nach einigen Minuten konnte ich mehrere Gebäude erkennen. Wie viele es waren, konnte ich nicht sagen, da nur in wenigen noch Licht zu sehen war. Meine Augen überflogen kurz das Dorf und ich fand schnell das große, beleuchtete Haus an der Straße, welches ich als Taverne identifizierte. Zielsicher steuerte ich darauf zu, Valerian an meiner Seite.
Als ich die Tür aufstieß, durchfuhr mich ein Glücksgefühl. Endlich verließ ich die Wildnis und kehrte zurück ins halbwegs zivilisierte Leben.
Der Schankraum war vergleichsweise klein. Nur vier größere Tische standen in dem hell erleuchteten Raum.
Die Wirtin stand hinter der Theke und spülte Bierkrüge.
An einem Tisch saßen zwei bäuerlich gekleidete Männer, die in ein Würfelspiel vertieft waren.
Ich warf einen Blick auf Valerian, der nicht sehr glücklich wirkte. Als er mein erleichtertes Gesicht bemerkte, setzte er ein beherztes Lächeln auf.
Die Wirtin sah und an und nickte uns freundlich zu. Ich trat an die Theke : "Seid gegrüßt. Habt Ihr ein Zimmer für heute Nacht frei?"
"Wir haben einen kleinen Schlafsaal. Fünf Kupfer pro Person. Frühstück gibt es, wann ihr es wünscht."
Das klang gut. Zehn Kupfermünzen konnte ich gerade noch aufbringen und ein ausgedehntes Frühstück am nächsten Morgen kann man ja auch nicht ausschlagen.
"Gut, nehmen wir."
Die Wirtin lächelte freundlich. "Die Treppe rauf und links."
Ich folgte der Beschreibung und fand mich in einem Raum mit sechs großen Betten wieder; jeweils drei an der linken und rechten Wand.
Zu jedem Bett gehörte eine kleine abschließbare Truhe, die zugleich als Nachttisch diente und auf dem eine Kerze stand.
Die Betten schienen in einem guten Zustand, das Stroh war nicht muffig, ein Bezug war darüber gezogen und augenscheinlich beherbergte das Schlaflager auch kein Ungeziefer.
Ich warf meinen Rucksack auf eine Strohmatte am Fenster; meine Wertsachen trug ich eigentlich immer am Körper. Zufrieden ging ich zurück in den Schankraum.
Valerian stand immer noch, recht deplaziert wirkend, vor der Theke und wechselte ein paar Worte mit der Wirtin.
Er zwinkerte mir zu: "Wir bekommen noch etwas zu essen."
Die Wirtin verschwand in einen Nebenraum und kam kurz darauf wieder zu uns. "Meine Tochter wird Euch gleich etwas bringen. Setzt Euch doch."
Gerade als wir uns an einen der Tische gesetzt hatten, schwang die Tür vom Nebenraum wieder auf.
Ein hübsches Mädchen mit welligem, blonden Haaren kam mit einem großen Korb zu uns. An unserem Tisch machte sie einen kleinen Knicks und begann die Leckereien auszupacken.
Brot, viele verschiedene Arten Wurst, kaltes gebratenes Fleisch, einen großen Krug Milch, Käse, Schmalz und vieles mehr.
Ich begann in Windeseile das Essen herunterzuschlingen, wohingegen Valerian zögernd und sparsam aß. Milch und Käse rührte er nicht an.
Gesättigt lehnte ich mich nach kurzer Zeit zurück und war rundum zufrieden. Valerian schmunzelte: "Besser?"
Ich nickte und stand langsam auf.
Die Tochter der Wirtin trat wieder an den Tisch und räumte ab, während Valerian und ich die Treppe zum Schlafsaal hoch gingen.
Der Elf betrat den Raum zuerst.
Ich vernahm, wie er in dieser wunderschönen, fremdartigen Sprache etwas sagte.
Darauf hin begann die Kerze neben meinem Bett zu brennen. Die kleine Flamme warf ein mildes, warmes Licht in das Zimmer.
Ich setzte mich auf mein Bett und begann meine Stiefel auszuziehen.
Valerian hatte seinen Umhang auf das Nachbarbett gelegt und sah mir nun zu. Nun, da ich endlich die Zeit und die Helligkeit dazu hatte, musterte ich ihn unauffällig.
Er trug ein Hemd aus einem glatten, seidigen Stoff und die leichte Lederrüstung war mit einigen Runen und Naturbildern verziert, ebenso die Stiefel, die er trug. Daher wirkte er auf mich sehr edel.
Die Stiefel dagegen, die ich in der Hand hielt, waren alt, schäbig, billig und ausgetreten.
Schweigend stellte ich die Kerze von der Truhe und begann, meine Sachen darin zu verstauen.
Die Truhe war so groß, dass der Rucksack nicht einmal die Hälfte des Platzes wegnahm. Als ich nur noch Unterwäsche trug, bemerkte ich, dass Valerian mir noch immer zuschaute.
"Interessant?" fragte ich schnippisch.
Er lachte und machte sich daran, seine Lederrüstung abzulegen.
Normalerweise haben Kämpfer die meisten Probleme beim an- oder ausziehen ihrer Rüstung. Jedoch Valerian machte eine auffallend gute Figur dabei. Auch er legte seine Kleidung in eine der Kisten.
Neugierig warf ich hin und wieder einen Blick in seine Richtung.
Ich hatte selten zuvor einen Elfen zu Gesicht bekommen und noch nie hatte sich vor mir einer entkleidet.
Mit geschmeidigen, eleganten Bewegungen zog er sein Hemd über den Kopf und entblößte einen glatten, muskulösen Oberkörper, den man ihm bei seiner schmalen Gestalt fast nicht zugetraut hätte. Es waren nicht die großen Muskeln eines starken Kriegers, sondern vielmehr die Sehnen eines schnellen Raubtier.
Ungestört von meinen unverholenden Blicken zog sich der Elf seine Stiefel aus. Während er den Gürtel ablegte, murmelte er belustigt: "Interessant?"
Ich lief rot an und blickte zu Boden.
Er trat zu mir und drückte zärtlich mit seiner Hand mein Kinn hoch, bis ich ihm in seine azurblauen Augen sah.
Mein Puls beschleunigte sich. Er schloss die Lider und gab mir einen innigen Kuss. Seine Hand strich über meinen Kopf. Seine Lippen lagen weich und sanft auf meinen. Ein Prickeln überschwemmte mich. Meine Hände pressten seinen Körper an mich.
Das erste Mal in meinem Leben spürte ich wahre Zuneigung und Liebe, als wir Rahja gefällig auf das Strohlager fielen.
Erschöpft schlief ich später sicher und geborgen in seinem Arm ein.
Als ich aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel und von unter klang Geschirrgeklapper zu mir herauf.
Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte mich.
Glücklich öffnete ich die Augen und räkelte mich genüßlich.
Valerians Bett war leer und unberührt. Ich nahm an, er sei unten beim Frühstück.
Ich wusch mich, zog mich an und ging dann hinunter in die Wirtsstube.
Doch Valerian war nicht zu sehen.
Der Wirt wünschte mir einen guten Tag und brachte mir das Frühstück.
Als er den Milchkrug vor mir abstellte, hielt ich ihn am Ärmel fest. "Wißt Ihr, wo der Elf ist? Hat er sich von Euch verabschiedet?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein, ich dachte, er schläft noch. Ist er denn nicht oben?"
Ich stand auf und lief zurück in den Schlafsaal.
Seine Truhe war leer, bis auf eine Kette. Ich nahm die Kette in die Hand und betrachtete sie eingehend.
Sehr helle fein bearbeitete Holzperlen mit verschiedenen Mustern und dunkelblaue Federn waren auf ein elastisches Band gefädelt.
Doch am meisten fiel der silbrig-weiße Anhänger ins Auge. Auch dieser war detailliert bearbeitet und stellte einen wunderschönen, fliegenden Vogel dar. Seine Augen schienen kleine Saphire zu sein und die Flügelspitzen wirkten vergoldet.
Vage wurde mir bewußt, wie wertvoll die Kette sein mußte. Vorsichtig legte ich sie um meinen Hals.
Ich habe den Elfen nie wiedergesehen.
Die Kette trage ich immer noch und lege sie nie ab.
Ein befreundeter Magier setzte mich vor kurzem davon in Kenntnis, dass auf ihr ein starker Schutzzauber liegt, der mir wohl häufiger den Kopf rettet. Valerian Traumvogel.