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Verkaufsstrategien
Der Sinn eines Geschäftes besteht darin, Geschäfte zu machen. Und gerade wenn die Geschäfte nicht so gehen wie geplant, sollte man als Geschäftsmann jede Chance nutzen.
Die Tür des Technikgeschäfts öffnet sich langsam und ein Mann tritt ein. Er ist Heizungsmonteur mit guter Auftragslage, aber das wird der Verkäufer erst erfahren. Er interessiert sich nicht sehr für Technik, dafür um so mehr für seine Familie und den Schützenverein, dessen stellvertretender Kassenwart er ist. Ihm reicht völlig, wenn er weiß, wie man den Fernseher bedient, einen Videorecorder programmiert und den Toaster säubert. Für andere Probleme gibt es Spezialisten, schließlich repariert auch nicht jeder sein Heizung. Aus diesem Grunde ist er heute auch hier, nämlich um seinen Funkwecker zu reklamieren.
Der Mann streift einige Minuten durchs Geschäft. Er beobachtet den Verkäufer, wie er Kunden abfertigt und versucht sich dabei eine angemessene Rede zurechtzulegen. Es muß ja schließlich nicht jeder wissen, daß er keinen Schimmer hat, wieso der Funkwecker ausgefallen ist.
"Guten Tag.", beginnt er und starrt auf den Wecker, den er unschlüssig zwischen den Fingern dreht. "Also vor drei Monaten habe ich diesen Wecker bei ihnen käuflich erworben. Und ich vermute mal, daß die Antenne kaputt ist. Es kann natürlich auch an etwas anderem liegen. Jedenfalls würde... also ich möchte gern ... einen neuen Wecker haben. Wo doch die Garantie noch nicht abgelaufen ist."
„Soso. Die Antenne also“, der Verkäufer wendet den Kassenbon unschlüssig in der Hand.
„Wissen sie der Wecker ist wichtig“, sagt der Mann. „Ich erwarte von einem Wecker, daß er mich weckt.“
„Jaja. Natürlich. Viele schaffen sich aus diesem Grunde solch ein Gerät an.“
Dann Verkäufer öffnet das Gerät mit einigen geübten Handgriffen und misst unterm Tisch die Spannung an der Batterie. Sie ist tatsächlich alle. Er blickt dem Kunden prüfend ins Gesicht.
"Wo bewahren sie diesen Wecker denn zuhause auf, mein Herr? Doch nicht etwa in Bettnähe?" sein Ton wird schärfer und die Augen fixieren einen Punkt hinter der Stirn des anderen.
Der Kunde beginn zu zittern. "So direkt nicht immer, aber...häufig schon...durchaus ja" stottert er.
"Also doch!", der Verkäufer nickt triumphierend. "Und gleich neben dem Radiowecker, mmh?"
"Ja wissen sie", erklärt der Mann, "meine Frau...Sie wissen ja, wie das so ist. Sie muß früher aus dem Bett und sie benutzt das, das... na sie wissen schon, diesen Radiowecker. Also einen anderen Wecker. Der ist nicht so laut und der weckt mich nicht mit seinem Gedudel. Ich bin Heizungsmonteur mit guter Auftragslage, aber ich muß nicht so früh raus, wie meine Frau. Sie ist Reinigungsangestellte."
„Aha“, der Verkäufer blickt etwas freundlicher. Heute könnte er durchaus wieder Glück haben. "Von welcher Firma ist denn der Radiowecker ihrer Frau?"
Er betont das „ihrer Frau“ bewußt, so daß der Mann einen Kanal hat, um seine Hilflosigkeit abzuleiten.
„Wissen meine Frau hat den Wecker auf einem Wochenmarkt...“
"Das habe ich mir schon gedacht", lacht der Verkäufer höhnisch. "Das kann gar nicht funktionieren." Er blickt bedauernd auf den Wecker und schüttelt ihn einige Male. „Keine Chance“ seufzt er.
„Nein?“, der Kunde tritt nervös von einem Bein aufs andere.
"Wissen sie dieser Wecker hier ist ein Qualitätsprodukt. Das heißt er wird gewissen Ansprüchen gerecht. Ich spreche hier von Qualität. Sie als Heizungsmonteur wissen, wovon ich rede...“
Der Mann nickt eifrig.
„Nun und da wir hier von Qualität sprechen, muß ich ihnen leider einige unangenehme Fragen stellen.“
Er läßt eine Pause, die er dazu nutzt, um sich die Brille auf die Nase zu setzen, über die er im Folgenden schauen kann. Dann kommt die entscheidende Frage:“ Ist manchmal der Empfang von diesem Radiowecker gestört?"
"Ja also wissen sie", der Mann atmet erleichtert auf, "wir hören ja gern abends noch ein wenig Klassic-Radio. Und manchmal bei Sturm oder starkem Regen, da ist da immer so ein Rauschen. Hedwig, entschuldigen Sie - meine Frau, sagt ja immer, das sei der Wind. Aber ich hab' schon immer gewußt, daß da was faul ist. Die Frauen haben ja keine Ahnung von der Technik." Er lacht befreit auf.
Der Verkäufer lacht kurz mit, dann wird sein Gesicht schnell wieder ernst. "Ich brauche einem Fachmann wie Ihnen wohl nicht zu erläutern, daß durch den Dipol der Radioantenne, die eintreffenden elektromagnetischen Schwingungen für den Wecker durch eine Interferenzüberlagerung decodiert werden und es dadurch zu einem Phasensprung im Frequenzband des Radios kommt. Die Folge ist eine substituierte Klemmspannung am Funkwecker, die die Halbwertzeit des Quarzschwingkörpers um etwa 34,4% reduziert. Kein Wunder, wenn also die kohärenden Wellen für den Wecker durch einen akut sublimierten faradayschen Käfig blockiert werden, um konkreter zu werden, es bildet sich eine stehende Welle aus. Und wenn die Welle steht, dann steht auch der Wecker. Das ist doch klar."
Der Kunde starrt einen kurzen Augenblick auf den Mund, aus dem dies alles kam, dann atmet er tief ein und nickt bedächtig.
"Wissen Sie. Genau das habe ich meiner Frau auch gesagt mit dem Käfig und der Spannung. Und wissen Sie was sie gesagt hat?"
Der Verkäufer schüttelt langsam den Kopf.
"Sie hat gesagt, ich soll zu einem Fachmann...wie Sie einer sind... gehen. Sie wissen ja, wie die Frauen sind", er klopft seinem Gegenüber freundschaftlich auf die Schulter. "Ich hätte es ja auch selber reparieren können. Tja Frauen."
„Davon muß ich entschieden abraten“, entgegnet der Verkäufer mit einer Härte in der Stimme, die den Mann wieder auf den Teppich holt. "Eigene Reparaturen lassen die Garantie sofort verfallen und wir haben hier ein speziell entwickeltes Infrarotverfahren, das sämtliche Manipulationen an den Geräten erkennt. Selbst wenn sie nur den Schraubenzieher angesetzt hätten, würden wir das bemerken. Sie haben doch nicht...“
„Nein, um Gotteswillen! Ich bin Heizungsmonteur.“
Der Gesichtsausdruck des Verkäufers wird wieder wärmer:“ Schön, denn in diesem Fall wäre es auch so sinnlos, das Siegel des Vertrauens zu brechen, denn in ihrem Fall hilft nur ein neues Radio, das zu dem Wecker kompatibel ist."
"Kom-pa-ti-bel?", der Mann sackt in sich zusammen, unternimmt aber einen letzten Versuch. "Wissen Sie, daß habe ich ihr auch immer gesagt. Hedwig, sag ich so beim Frühstück zu ihr, wir brauchen ein Radio, was kompibel ist zum Wecker...Tja...und Sie meinen also, wir brauchen einen neuen Radiowecker?"
„Ja mit entsprechender Qualität. Zum Glück habe ich noch ein Qualitätsstück von der Firma Weko da. Der ist, wie schon der Name sagt, weckerkompatibel. Und liegt nur geringfügig über dem Höchstpreis."
Der Kunde nickt erleichtert. Er bezahlt ohne Umschweife. Schließlich ist die Auftragslage nicht schlecht.
„Gut“, der Verkäufer geht zur Kasse und läßt die Scheine in ihrem Bauch verschwinden. „Ich geh´ mal kurz nach hinten und justiere ihren Wecker neu, damit er auch wieder auf Köln geeicht ist.“
„Ja Köln“, der Mann schmiegt den neuen Radiowecker an sich, wie einen Sohn. Der Verkäufer geht mit einem Lächeln nach hinten und wechselt die Batterie des Weckers. Er ist sich sicher, daß der Mann in vier bis fünf Monaten wiederkommen wird mit seinem Wecker und einer erneut leeren Batterie. Und wenn sich bis dahin die Auftragslage nicht verschlechtert hat, wird er entdecken, daß eine Stehlampe in Weckernähe zu ungeheuren Problemen führen muß.
Er wird wohl noch ein paar teure Stehlampen ins Sortiment aufnehmen müssen.