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Versprichst du mir, dass du weinen wirst?

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24.04.2003
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Versprichst du mir, dass du weinen wirst?

Kann man aufhören zu denken?
Ich meine, ist es machbar, den Strom automatischer Überlegungen bewusst zu unterbrechen; und wenn ja, was fühlt man dann?

Die Freesewald Klinik beschäftigt sich mit Phänomenen, die am Anfang jeglicher wissenschaftlicher Untersuchungen stehen. Der Stillstand, wie wir ihn nennen, ist bloß eines vieler Themengebiete, mit denen sich die Instutition auseinandersetzt.

Der Name des Patientens ist Edmund Greifenberg. Vierundfünfzig Jahre alt, ledig, physisch gesund.
Er hat sich bereit erklärt, an dem Experiment teilzunehmen, und im Grunde genommen schreibe ich diese Zeilen hier nur deshalb, weil ich verdammt nervös bin.
Sollte das Vorhaben gelingen, einen Menschen völlig frei von messbaren Gedankenströmen zu machen, was passiert dann als Nächstes?

Das Team besteht aus fünf Mitgliedern. Zwei Professoren, einem Kontrollorgan des staatlichen Amtes für Grundlagenforschung, einer Assistentin, einem Psychologen und dem Patienten selbst, der innerhalb weniger Monate oberflächlich in die Materie des Vorgangs eingeführt worden ist.

Dem aufmerksamen Leser wird sicher nicht entgangen sein, dass ich oben sechs Personen aufgezählt habe. Das liegt daran, dass Psychologe und Patient ein und derselbe sind.
Mein Name ist Edmund Greifenberg. Ich habe meinen Lehrstuhl für Philosophie an der Kölner Universität ruhen lassen, um an dem Projekt "Stillstand" teilzunehmen. Seit nunmehr zwei Monaten bevorzuge ich es, von mir selbst in der dritten Person zu sprechen, um den psychischen Druck erträglicher zu machen. Gestatten Sie mir also, in dieser Form fortzufahren. Nehmen Sie mich einfach als sechstes Mitglied wahr. Mir ist wohl bewusst, wie bedenklich dieser Hang zur Schizophrenie ist, aber ich sehe augenblicklich bedauerlicherweise keine andere Möglichkeit, meinen Verstand frei von Zweifeln und Ängsten zu halten.

Als Koryphäe auf dem Gebiet menschlicher Verhaltensweisen, hochqualifiziertem Philosophen und - nicht zu vergessen - Hobby Abenteurer, ist es die moralische Pflicht von Herrn Greifenberg, sich zum Wohle der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.
Dennoch hat er es nicht übers Herz gebracht, seiner Tochter von seinem Plan zu erzählen, sich auf ein unbekanntes Risiko einzulassen. Diesen Umstand außer Acht lassend, ist er geradezu prädestiniert für das Experiment. Seine Frau starb vor wenigen Jahren bei einem Verkehrsunfall, den sie nicht nur selbst verschuldet hatte, sondern bei dem sie mit sich selbst auch noch eine handvoll weiterer Menschen in den Tod riss. Deshalb fällt es dem Patienten bis heute schwer, um sie zu trauern, obwohl er sie sehr geliebt hat.
Herr Greifenberg hat keine weitreichende Verwandtschaft. Außer seiner Tochter würde ihn wohl kaum jemand vermissen. Von einigen Studenten vielleicht abgesehen. Aber deren Vergessen ist anders; es ist flüchtig, unemotional.
Zwar kann man die Folgen, die sich aus einem gelungenen Versuch ergeben würden, bloß erahnen. Allerdings gibt es beunruhigende, zumindest aber erstaunliche Aufzeichnungen über verschiedene Leute, denen es möglich ist, ihre Gehirntätigkeit einzuschränken. Wenn diese dabei auch niemals vollkommen zum Stillstand kommt.

Ein von unserem Team untersuchter Mönch (seine Religion tut an dieser Stelle nichts außer Ablenkung zur Sache) vollbrachte sogar die beeindruckende Leistung, die von uns gestellten Fragen ohne jede nachweisbare Aktivität in den dafür vorgesehenen Hirnregionen zu beantworten. Da war nichts. Und unsere Apparaturen sind sehr genau.
Durch langjähriges Training war er imstande, gewisse Bereiche seines Gehirns einfach "abzuschalten", und gab dabei trotzdem absolut präzise Antworten. Als wir von ihm wissen wollten, wie er sich fühle, sagte er ganz lapidar: "Gut, wie immer."
Ebenfalls untersucht haben wir eine junge Frau aus Schottland. Bei einem Zugunglück hatte sich eine Metallstange durch ihre Stirn gebohrt, und war am Hinterkopf wieder ausgetreten. Obwohl ihr Hirn mittig durchstoßen worden war, stand sie geistesgegenwärtig von ihrem Platz auf, und half einem älteren Herrn dabei, das brennende Abteil zu verlassen. Die zerstörte Hirnmasse war wenige Wochen später zwar vernarbt, aber zusammen gewachsen. Die Frau wurde in mehreren Krankenhäusern auf innere Schäden untersucht. Mit dem Ergebnis, dass sie vollkommen gesund war. Sie wies keinerlei motorische Störungen auf; konnte die vorgelegten Testbögen über logisches Denken, mathematisches Verständnis, sowie Allgemeinwissen mit durchschnittlichem Resultat beantworten. In der englischen Regenbogenpresse war seinerzeit die Rede von einem Wunder. Viele sahen in ihrer Unversertheit ein Zeichen, denn die Frau gehörte keiner Religion an.
Wir hingegen sahen etwas anderes. In gewissem Maße kann man tatsächlich von einem Wunder sprechen, denn sie hatte sich durch die Metallstange keine Infektion eingefangen. Das Gewebe konnte problemlos abheilen. Es gab weder Keime, noch Bakterien, die im Wege standen, was für gewöhnlich sehr selten, eigentlich so gut wie nie vorkommt.
Auch unsere Untersuchungen brachten die gleichen Ergebnisse. Auf den Röntgenbildern war die Verletzung ganz deutlich auszumachen. Dennoch verhielt die Frau sich völlig normal, ging sogar mit dem Team gemeinsam zum Mitagessen, wobei sie sich lebhaft in unsere Diskussionen mit einbrachte, und Standpunkte diskutierte.

Was hiernach bleibt ist die Frage, weshalb Menschen sterben, wenn sie beispielsweise einen Kopfschuss aus einer Feuerwaffe erleiden.
Vielleicht wissen diese Leute es einfach nicht besser.
Dieser eine Satz von ihr, von der Frau aus dem Zug, wird wohl auf ewig in meine Seele gebrannt bleiben. Vielleicht wissen die Leute es einfach nicht besser. Ich hätte Jaqueline danach fragen sollen, denn manchmal glaube ich, sie ist der bessere Philosoph von uns Beiden.


*** Der Abschied ***


"Ich habe einen neuen Lehrstuhl...in Bayern."
Die junge Frau tritt einen Stein vom Ufer des Sees weg.
"Na, da kann ich dir ja nur gratulieren. Hast du es nach Mamas Tod endlich geschafft, von hier wegzukommen."
Edmund beobachtet die sich ausbreitenden Kreise an der Wasseroberfläche, die der Stein hinterlassen hat, und verschränkt seine Arme hinter dem Rücken.
"Jaqueline, das ist nicht fair. Ich vermisse deine Mutter genauso sehr wie du. Jeden zweiten Tag fahre ich zu ihrem Grab, und das sind immerhin vierzig Kilometer."
Sie lacht.
"Ja, das konntest du immer schon gut. Rationale Maßstäbe setzen. Ich tue dir einen Gefallen, weil ich ja schließlich so und so weit fahren muss, oder weil es Geld kostet. Die Blumen am Grab gießen, das kannst du. Auto fahren, das sowieso. Aber Papa, hast du jemals um Mama geweint?"
Edmund richtet seinen Blick dorthin, wo der Stadtpark aufhört, und erfasst die Umrisse der Plattenbauten an seinem Rand.
"Weisst du, was ich gerade denke, Jaquie?"
"Was?"
"Dieser Park hier ist so schön, dass mich seine Grenzen gar nicht weiter interessieren. Wenn ich den Blick abwende, dann gibt es bloß uns Beide. Es existiert der See, und der Stein, der gerade auf seinem Grund versinkt, weil du ihn hineingetreten hast. Der soziale Wohnungsbau ist nur störender Horizont. Ich weine nicht um Mama, weil ich dann zum Horizont gehen muss, und dort warten die Toten auf mich, die nicht tot wären, hätte sie sich nicht betrunken ans Steuer gesetzt. Ich kann unmöglich weinen, da ich...da ich fürchte, sie danach weniger zu lieben."
Die Tochter lacht wieder. Aber diesesmal weniger verächtlich. Eher verzweifelt.
"Nein, das ist es kaum. Du weinst deshalb nicht, weil deine Gefühle auf dem Grund zum Liegen gekommen sind. Genau wie der Stein. Du solltest sie bald bergen, denn sonst verrotten sie. Papa, ich muss zurück zur Uni. Weshalb hast du mich vorhin angerufen? Nur um mir zu sagen, dass du einen neuen Lehrstuhl hast, oder um mit mir zu reden?"
Edmund denkt halbherzig nach. Schließlich schüttelt er den Kopf.
"Ich weiss es nicht", sagt er. - "Ich fürchte, ich habe mich stets für unfehlbar gehalten und jetzt ist der Punkt gekommen, an dem Leere in mir herrscht."
Für einen Moment ist es still. Ein Vogelschwarm zieht über ihnen vorbei und die vielen kleinen Körper reflektieren sich auf dem Wasser. Genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind, verschwinden die Zerrbilder wieder.
"Ich hatte einen Traum, vor zwei Nächten", beginnt Jaqueline plötzlich. - "Da warst du, und da war Mama. Ihr wart in eurem alten Schlafzimmer, und die Vorhänge waren zugezogen. Ich war noch ein kleines Mädchen, und als ich hineinkam, da standet ihr dort. Hand in Hand, nebeneinander, mit toten, ausdruckslosen Gesichtern. Ich habe gesagt, dass ich Angst hätte, aber ihr habt bloß weiter gestarrt. Dann bin ich aufgewacht. Was hat das zu bedeuten, Papa? Ich habe immer solche Träume, wenn etwas Schlimmes passiert. Was genau machst du, wenn du in Bayern bist?"
Edmund überlegt, ob er seine zitternde Tochter in den Arm nehmen soll. Aber das wäre falsch. Oder vielleicht kann er es auch einfach nur nicht.
"Alles wird gut. Ich werde dort bloß einige Monate lang die immer gleichen Vorträge halten, und wenn ich zurück bin, dann bin ich ein anderer Mensch. Ich verspreche es dir."
"Versprichst du mir auch, dass du weinen wirst?"
"Jaquie, das kann ich nicht."
Sie atmet tief ein. Dann sieht sie auf die Uhr.
"Ich muss los. Meldest du dich, wenn du ankommst? Du kannst mir ja auch immer E-Mails schicken, oder anrufen, wenn etwas ist."
"Das mache ich, ganz bestimmt."
"Okay, dann...machs gut Papa."
Seine Tochter geht, ohne ihn nocheinmal anzusehen, oder noch ein Wort zu sagen.
Als sie hinter dem Horizont des Parks verschwunden ist, wischt Edmund sich eine Träne weg.
"Du bist bloß nie dabei, wenn ich weine", sagt er, und geht in die andere Richtung. Es fängt an zu regnen.


*** Die Freesewald Klinik ***


Langsam glitten die zwei Hälften der Glastür auseinander.
Edmund Greifenberg schlich orientierungslos durch die ausladende Eingangshalle, als wäre er zufällig an einem großen Bahnhof in einer fremden Stadt gelandet, und wüsste nun nicht, wohin.
Die Frau am Empfang lächelte ihn an.
"Guten Morgen", sagte sie. - "Die anderen erwarten Sie schon. Haben Sie gut gefrühstückt?"
"Ja, das habe ich. Verzeihen Sie mir bitte, aber..."
Er hielt inne. Tatsächlich hatte er vergessen, wo der Operationsraum lag. Der Raum, den er in den vergangenen Monaten täglich betreten hatte. Es war ihm peinlich, jetzt danach zu fragen. Edmund versuchte sich zu konzentrieren. Es war unnötig, sich Sorgen zu machen. Heute Nachmittag schon war dieser ganze Spuk endgültig vorbei. Dann konnte er zurück nach Köln fahren und sich bei seiner Tochter dafür entschuldigen, dass er sich seit seiner Ankunft nicht mehr bei ihr gemeldet hatte.
"Ja bitte, Herr Greifenberg?"
"Ach nichts, ich bin bloß noch etwas müde."
"Aber das ist ja verständlich. Ich musste mich vorhin auch zum Aufstehen zwingen."
Edmund nickte ihr kurz freundlich zu, und setzte sich dann wieder in Bewegung.
Als er im Fahrstuhl stand, kehrte der Weg in sein Gedächtnis zurück. Er drückte auf den Knopf für die dritte Etage, und als die Kabine anfuhr, begann sein Herz zu hämmern.

Fünf Säuglinge. Geboren ohne Gehirn. Die Untersuchungsergebnisse sind unwiderlegbar. Einer von ihnen überlebte fast zwei Monate. Die Verhaltensweisen waren dabei bis zum Zeitpunkt des plötzlichen Todes völlig normal. Die wissenschaftliche Frage muss nun die sein, ob das Denken tatsächlich im Kopf statt findet. Vielleicht überbewerten wir die Rolle des Gehirns. Kann es unter Umständen auch nur ein Organ von mehreren sein, ohne übergeordnete Funktion?
Emotionen sind - wie alles andere in uns selbst - chemikalische Prozesse, hervorgerufen durch das Gleichgewicht der Hormone. Ein Mensch mit Schilddrüsenüberfunktion ändert seinen Charakter. Er wird hektischer, leichter reizbar, und vollzieht als Ergebnis dieses Zustandes differenzierte Gedankengänge.
Aber man darf auch die Altersdemenz, Parkinson, oder Alzheimer nicht außer Acht lassen. Diese gehen zweifellos vom Gehirn aus. Aber möglicherweise steuert es auch lediglich.
Was, wenn wir nicht mit dem Kopf denken, sondern von dort aus nur Befehle an den restlichen Körper weiterleiten? Wäre das denn so unmöglich? Wir wissen es nicht. Sollte diese These sich allerdings tatsächlich bestätigen, dann ergibt sich eine völlig neue, unglaubliche Fragestellung.
Nämlich die, wie wir sonst zum Denken in der Lage sind. Womit? Gibt es eine Seele; und was geschieht, wenn es uns gelingt, die Hirnfunktionen bewusst zu unterbinden?
Wenn die eine Niere ausfällt, übernimmt die Zweite eine übermächtige Gesamtaufgabe.
Wenn sich siamesische Zwillinge ein Herz, ja gar ein Gehirn teilen, entsteht doppelte Belastung, und an dieser sterben die Betroffenen irgendwann.
Es scheint, als wäre unser biologischer Kreislauf dazu in der Lage, "Springer" einzusetzen; Leitungen zu legen, und Verknüpfungen zu bilden. In gewissem Rahmen und selbstverständlich nur für kurze Zeit.

Doch alle diese Fragen und Mutmaßungen, enden in einem gigantischen Problem. Sollte es nämlich tatsächlich so sein, dass unsere bisherige Wissenschaft falsch liegt:

Wer sind wir dann? Was sind wir?
Ich habe mich stets für Esotherik interessiert. Mit der Forschungsmaterie bin ich bloß oberflächlich vertraut, aber Gedanken macht man sich schon eine Menge, wenn man sich für ein solches Experiment zur Verfügung stellt.

Der Gang war in steriles Neonlicht getaucht. Zu beiden Seiten lagen die Türen, hinter denen die Freesewald Klinik seltsamen Phänomenen nachging. Meistens ohne Erfolg, und wenn es doch zu erstaunlichen Ergebnissen kam, dann waren diese Verschlussache.
Mein Name ist Edmund Greifenberg, und ich habe Panik.
In der dritten Person. Man ist niemals ein "Selbst". Gegenwart ist vergangen, noch ehe sie passiert ist. Denke mit dem Herzen

Der Patient schritt langsam an den vielen Türen vorbei. Raum 301, Raum 302. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Zahl zehn.
Als er seinen Schweigemarsch hinter sich gebracht hatte, klopfte er zaghaft an.


*** Guten Tag, bin ich hier richtig? ***

Wenige Minuten später startete Phase eins des Projekts "Stillstand".
Edmund schluckte die Kapsel. 1998 hatte er mit Jaquie den Film "Matrix" im Kino gesehen. Seine Frau war damals zu Hause geblieben, weil man im Kino nicht rauchen durfte. Er erinnerte sich jetzt an die Kapseln. Rot und blau. Aber diese hier war etwas besonderes. Sie versetzte ihn in einen Mischzustand. Zur Hälfte Faszination, zur anderen Hälfte Hypnose.
Kam er jetzt in die wirkliche Welt?
Er fühlte sich träge.
"Edmund, wir werden dir nun unterschiedliche Bilder zeigen. Sag´ uns einfach, was du auf ihnen siehst."
"Ja." - Er glitt davon, in andere Hemisphären.
"Was ist das, Edmund?"
"Das bist du Laura, unsere Assistentin."
Ein sanftes Lächeln, das sich zu einem Gelächter aufplusterte. Wo waren die Gedanken hin? Nein...er sollte doch die Bilder betiteln.
"Aber was für ein Motiv siehst du?"
"Da ist ein schwarzer Kreis."
Das Tuscheln begann. Edmund drehte den Kopf. Lauter Zahlen auf den Monitoren. Da gab es eine Graphik, die sich verfärbern sollte, wenn er dachte. So viel wusste er noch. Aber die Graphik verfärbte sich nicht. Einer der Professoren streckte seinen Daumen hoch.
"Edmund, was siehst du auf diesem Bild?"
"Da ist ein Quadrat."
"Ja, und auf diesem?"
"Da ist eine Brücke, und Menschen stehen vor dieser Brücke."
Jemand packte ihm am Kopf. Er spürte es nicht, aber plötzlich sah er wieder die Decke, also musste ihn jemand bewegt haben. Dann erschien ein weiteres Bild. Darauf waren schlafende Kinder zu sehen. Nein! Keine schlafenden Kinder.
"Was ist das?"
Edmund bäumte seinen Körper auf, doch er war sich nicht sicher, ob er es wirklich tat.
"Das ist der Tod! Sie sind alle tot. Dort ist Krieg!"

Sie stellten ihm einige weitere Fragen, die er hinnahm, und wohl auch beantwortete.

Dann wurde alles Dunkel.


*** Es geht mir sehr, sehr gut ***


Hi Jaquie. Ich bin vor drei Stunden gelandet. Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung. Unser Gespräch im Park war sehr interessant; aber du warst so plötzlich weg. Ich habe mich richtig schlecht gefühlt. Doch wahrscheinlich muss ich mich bei dir entschuldigen. Während ich diese Mail schreibe, fühle ich zum ersten Mal, dass Worte, wenn sie eingetippt werden, leichter fallen, als wenn man sie sagt. Erinnerst du dich an den Stein? Auch hier werden sich Kreise an der Oberfläche bilden, ich hoffe, sie sind groß. Ich habe gerade erst eingecheckt. Meine Koffer stehen unausgepackt im Zimmer. Ich melde mich wieder, wenn ich mich eingelebt habe. Mache dir nicht so viele Sorgen. Ich habe dich lieb; und was deinen Traum angeht: den Hang zum Melodramatischen hast du wirklich von deiner Mutter *g*
Machs gut, mein Schatz. Du merkst, ich bin unkonzentriert. Der neue Lehrstuhl bringt eine Menge Verantwortung mit sich. Ich erzähle dir später davon.
Bussi
Papa
P.S. Viel Glück für deine bevorstehenden Prüfungen. Ich habe sie nicht vergessen.


*** Emotionen, so bunt, wie die Farben eines Magazins ***


Edmund betrachtete seinen Körper von oben und lachte darüber. Es war wie in einem kitschigen Hollywoodfilm. Nachdem die Schwärze sich verflüchtigt hatte, gab es nur noch die universelle Gewissheit von endlosem Dasein.
Seine Gedanken waren verschwunden und doch präsent.
Er wusste ganz einfach. Er wusste, was war. Plötzlich schienen ihm die Überlegungen fremd, weil sie bloße Verknüpfungen darstellten. Wenn man wusste, dann brauchte man nicht zu denken.
Edmund beobachte die Szene, die sich unter ihm abspielte, und die er in vollem Ausmaß begriff.
Sein Geist hatte den Körper verlassen. Und während er so daherschwebte, redete seine Hülle weiter. Sie gab brav die Antworten auf sämtliche Fragen.
Empfanden so buddhistische Mönche, wenn sie dem Nirvana nahe kamen?
Das Gehirn stellte keine Relevanz dar. Der gesamte Körper funktionierte, ohne erkennbaren Zweck.
Edmund entglitt dem Raum, weil er sicher war, woanders besser aufgehoben zu sein.


*** Die Tragödie ***


Da gab es ihn. Es gab ihn und die dunkle Straße, die dicht befahren war.
Er tauchte vor der Windschutzscheibe auf, und der Mercedes geriet ins Schleudern. Er prallte gegen die Seite eines anderen Fahrzeugs, das sich anschließend quer stellte.
Was dann folgte, war Chaos; bestehend aus einer Blechlawine, die sich über beinahe fünfzig Meter zog und deren grausige, flammende Fratze es besser nicht gegeben hätte.
Edmund flog über die Tragödie, die er angerichtet hatte, hinweg. Seine Frau kletterte indess durch das Fenster des Wracks. Blut bedeckte ihr Gesicht.
Dann starb sie. Ganz einfach so. Schwerwiegende innere Blutungen, die zum Tode geführt haben, sollten ihm die Ärzte später erklären.
Sie wissen es einfach nicht besser


Als Edmund wieder erwachte, sah er das Gesicht der Assistentin vor sich.
"Experiment gelungen", sagte sie. - "Sie sind wahrlich ein Medium."
Die versammelte Mannschaft klatschte Beifall, während er sich aus dem Delirium heraus in die wirkliche Welt zurückquälte.

Was tatsächlich geschehen war, davon erzählte Edmund den anderen später nichts. Für ihn hatte es seinen Aussagen zufolge bloß Schwärze gegeben. Aber das machte ohnehin keinen Unterschied. Die Klinik hatte das Experiment erfolgreich durchgeführt, und nur das zählte. Mehr als eine Stunde hatte er die Antworten auf ihre Fragen gegeben, ohne dabei irgendwelche Gehirntätigkeit zu zeigen. Die Geldgeber waren bereits unterrichtet worden, dass das neue Medikament seine Wirkung tat.
Plötzlich wurde Edmund bewusst, dass so elementare Fragen wie die nach einer Seele, zu keinem Zeitpunkt von Belang gewesen waren.
Projekt "Stillstand" war nunmehr Verschlussache.
Appetitlos stopfte er das Mitagessen in sich hinein, und machte sich dann am späten Nachmittag, nachdem er unzählige Formulare unterzeichnet hatte, die sein Stillschweigen rechtlich absicherten, auf den Weg nach Köln.
Als er im Zug einschlief, überkam ihn ein seltsamer Traum.


*** Da warst du, und da war Mama ***


Im Schlafzimmer herrschte Dämmerlicht. Der Schleier des Unwirklichen hatte sich über den Raum gelegt. Draußen war es still.
Edmund hielt die Hand seiner Frau.
(ganz fest)
Obwohl die Beiden äußerlich keinerlei Verwesungserscheinungen zeigten, so glichen sie doch zwei Untoten, die sich aus ihren Gräbern erhoben hatte, nur um diesem Traum beizuwohnen.
Als Jaquie durch die Tür trat, da war sie das kleine süße Mädchen von früher, das seine Eltern sehr liebte. Doch jetzt erschrak dieses Mädchen, und Edmund wusste, wie bizarr die Situation auf sie wirken musste.
Sie sagte etwas, aber er hörte es nicht. Er war außerstande, seine Sinne zu benutzen. Nur die eisig kalte Hand, die fühlte er.
Es bestand keine Notwendigkeit zu sprechen, denn wieder wusste er bloß. Gedanken waren nutzlos, wenn man den eigenen Körper verlaß.

Viele Tote wird es geben, jetzt wo das neue Medikament entwickelt worden ist. Die Leute wissen es nicht besser. Wenn einer stirbt, dann stirbt er. Der Mensch darf seinen Körper nicht verlassen, weil er nicht weiss, wie man die Seele kontrolliert. Die Seele ist ein Zeitreisender, den wir erst dann kennenlernen dürfen, wenn unsere Hülle am verfaulen ist.

Edmund wusste diesen Gedanken, ohne ihn gedacht zu haben. Er spürte die Angst seiner kleinen Jaquie.
Es tut mir leid, wollte er sagen, aber der Traum endete hier.

Jetzt hätte er gerne geweint.

 

Dieser Text entstand unter dem Einfluss des "Main-Titles" (wie er wirklich heisst, weiss ich leider nicht), aus dem Soundtrack von "Sphere".
Vermutlich habe ich den Song während des Schreibens an die hundertmal gehört.

 

Hi Cerb, altes Haus!

Nach langer Zeit hab ich mir mal wieder eine deiner Geschichten vorgenommen. Ich fürchte aber, ich kann nicht viel dazu sagen, weil ich sie (wie so oft) nicht verstanden habe. Was soll der Schluss, was soll die ganze Geschichte aussagen? Sollte sie einen tieferen Sinn haben, so konnte ich ihn nicht entdecken. Was ist genau mit Greifenberg passiert? Fragen über Fragen...

Inhaltlich kann ich deswegen nichts kritisieren. Sprachlich ist es eine typische Cerberus-Story. Viele Metaphern, sehr poetisch an manchen Stellen. Was ich aber kritisieren kann, ist das wichtigste Element, daß zu einer Horror-Story gehört (m.M. nach), nämlich Spannung. Es war nicht direkt langweilig, da ich natürlich wissen wollte wie das Experiment endet, aber wenn ich in die Horrorrubrik schaue, dann will ich gegruselt und unterhalten werden. Richtige Spannung oder auch nur ein schwaches Gruselgefühl kam nicht auf, ich denke auch, daß die Geschichte bei "Seltsam" oder vielleicht sogar "Sci-Fi" besser aufgehoben wäre.

Noch ein paar Anmerkungen:

sondern bei dem sie mit sich selbst auch noch eine handvoll weiterer Menschen in den Tod riss.

Gefällt mir nicht. Ich würde schreiben "sondern bei dem sie auch noch eine handvoll weiterer Menschen mit in den Tod riss."

Deshalb fällt es dem Patienten bis heute schwer, um sie zu trauern, obwohl er sie sehr geliebt hat.

Warum? Klar, wenn Unschuldige verletzt oder gar getötet werden, ist das tragisch, trotzdem würdest du (oder ich) doch um deine Frau trauern? Sie hat es nach nicht böswillig gemacht, oder?

Gedanken waren nutzlos, wenn man den eigenen Körper verlaß.

verließ, oder?


Tja, dann wird mir wieder mal nichts anderes übrig bleiben, als auf die Auflösung der Geschichte zu warten, denn ich für meinen Teil habe den Schluss überhaupt nicht verstanden.

Viele Grüße!
Mike

 

Hi Mike!

Lang´ nichts mehr von einander gehört :D

Da liest du nach Ewigkeiten mal wieder einer Geschichte von mir, und dann ausgerechnet die, die ich ein wenig in dem Stil geschrieben habe, wie noch vor einem Jahr.
Dabei habe ich mich in den vergangenen Monaten eigentlich so zum Verständlichen hin gewandelt *g*
Naja, wie dem auch sei, ich war mir bei diesem Text selbst nicht ganz sicher, ob er verständlich genug ist, und ob er unter Horror passt. Ich würde gerne noch ein oder zwei andere Meinungen abwarten (sofern diese kommen) und dann Licht ins Dunkel bringen und unter Umständen auch in eine andere Rubrik verschieben.

Grüße

Cerberus

 

Heyho Cerberus,

dann wollen wir mal:

Der Name des Patientens ist Edmund Greifenberg

Spricht man in diesem Zusammenhang nicht eher von einem "Probanten"?

Dem aufmerksamen Leser wird sicher nicht entgangen sein, dass ich oben sechs Personen aufgezählt habe. Das liegt daran, dass Psychologe und Patient ein und derselbe sind.

Nein, so etwas mag ich gar nicht. In den ersten Absätzen erweckst du den Eindruck, dass es sich bei dem Text um die Aufzeichnungen eines beteiligten Wissenschaftlers handelt, und dann kommt plötzlich dieser unnötige Hä?-Effekt und ich muss alles noch einmal lesen. Ärgerlich.

Als Koryphäe auf dem Gebiet menschlicher Verhaltensweisen, hochqualifiziertem Philosophen und - nicht zu vergessen - Hobby Abenteurer, ist es die moralische Pflicht von Herrn Greifenberg, sich zum Wohle der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.

Äh ... weil er Experte auf diesem Gebiet ist, hat er die moralische Pflicht, das Versuchskaninchen zu spielen? Mir ist nicht ganz klar, wo hier der Kausalzusammenhang besteht.

Seine Frau starb vor wenigen Jahren bei einem Verkehrsunfall, den sie nicht nur selbst verschuldet hatte, sondern bei dem sie mit sich selbst auch noch eine handvoll weiterer Menschen in den Tod riss.

Gerissen hatte - sind mir außerdem zu viele (wichtige) Informationen für einen Satz. Zwei draus machen.

Ein von unserem Team untersuchter Mönch (seine Religion tut an dieser Stelle nichts außer Ablenkung zur Sache)

Und warum lenkst du mich dann mit dieser Klammer trotzdem ab?

die von uns gestellten Fragen

... unsere Fragen ...

Sie wies keinerlei motorische Störungen auf; konnte die vorgelegten Testbögen über logisches Denken, mathematisches Verständnis, sowie Allgemeinwissen mit durchschnittlichem Resultat beantworten.

Semikolon raus, stattdessen ein "und" einfügen.

Viele sahen in ihrer Unversertheit ein Zeichen

Was für ein Zeichen?

Es gab weder Keime, noch Bakterien, die im Wege standen, was für gewöhnlich sehr selten, eigentlich so gut wie nie vorkommt.

Klingt sehr unwissenschaftlich. So gewollt?

Dieser eine Satz von ihr, von der Frau aus dem Zug

Da wir hier nur eine "ihr" haben, ist die Erklärung überflüssig.

Die junge Frau tritt einen Stein vom Ufer des Sees weg.

Nenn' das Kind doch beim Namen. Also Jaqueline.

"Dieser Park hier ist so schön, dass mich seine Grenzen gar nicht weiter interessieren. Wenn ich den Blick abwende, dann gibt es bloß uns Beide. Es existiert der See, und der Stein, der gerade auf seinem Grund versinkt, weil du ihn hineingetreten hast. Der soziale Wohnungsbau ist nur störender Horizont. Ich weine nicht um Mama, weil ich dann zum Horizont gehen muss, und dort warten die Toten auf mich, die nicht tot wären, hätte sie sich nicht betrunken ans Steuer gesetzt. Ich kann unmöglich weinen, da ich...da ich fürchte, sie danach weniger zu lieben."

Das ist mir ein bisschen zu metaphorisch für einen Dialog. So redet kein Mensch. Nicht mal ein Psychologe.

Die Tochter lacht wieder.

Jaqueline. Kind, Namen und der ganze Kram.

Nein, das ist es kaum. Du weinst deshalb nicht, weil deine Gefühle auf dem Grund zum Liegen gekommen sind. Genau wie der Stein. Du solltest sie bald bergen, denn sonst verrotten sie.

Zu konstruiert, zu hölzern, zu leblos. Dialoge dringend überarbeiten.

- "Die anderen erwarten Sie schon. Haben Sie gut gefrühstückt?"

Was sollen diese Bindestriche? Raus damit.

Der Patient schritt langsam an den vielen Türen vorbei. Raum 301, Raum 302. Nur noch wenige Meter trennten ihn von der Zahl zehn.

... trennten ihn von Raum 310.

Bis hierhin, Cerberus, war deine Geschichte spannend und kurzweilig - bis auf die See-Szene, die (weil zu zäh und langatmig) schlichtweg langweilig ist.
Ab diesem Punkt - da ging es mir wie Mike - verstehe ich allerdings fast nur noch Bahnhof. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass du es darauf auch angelegt hast. Eigentlich schade, denn du hattest mich schon dort, wo ein Autor einen Leser haben will: ich war gespannt und neugierig auf den weiteren Verlauf.

Tja, da muss ich wohl auch auf die Auflösung warten. Obwohl ich ja eigentlich der Ansicht bin, dass eine Geschichte aussagekräftig genug sein muss, um für sich selbst zu sprechen.

Cheers

 

Hallo Wendigo und vielen Dank erstmal fürs lesen und die vielen aufgeführten Stellen.

Die Sache mit dem Probanden ist mir echt peinlich.

Was die Aufklärung angeht: Die Freesewald-Klinik hat ein neuartiges Medikament entwickelt, dass dem Menschen dabei helfen kann, eine vollkommene Entspannung zu erreichen, verbunden mit dem Umstand, sämtliche Gehirntätigkeiten beim Nachdenken zu unterbinden. Dadurch verlässt der Prot. seinen Körper, reist gewissermaßen durch die Zeit und verursacht selbst den Autounfall seiner Frau.
Das klingt konfus? Ist es auch, und mittlerweile bin ich nicht mehr allzu stolz auf diese Story. Mit Sicherheit hätte ich weitaus mehr aus ihr machen können, wenn ich nicht zum Schluss hin so faul gewesen wäre. Ich dachte allerdings, das Ende käme verständlich herüber; wenn dem nicht so ist, muss ich mir ernsthaft Gedanken über eine Überarbeitung machen.
Ob Horror die richtige Rubrik ist? Ich war mir selbst nicht sicher, aber scheinbar ist sie es wohl nicht.

Was die Szene im Park angeht: Gerade die gefiel mir selbst eigentlich ziemlich gut. Ich dachte, da der Vater Philosoph ist, würde der Dialog glaubhaft rüberkommen.
Hmmm....

Mal schauen, was ich mit diesem "Sorgenkind" anstelle.

Jedenfalls vielen Dank für deine ehrlichen Worte (was selbstredend auch für dich gilt, Mike) und ich gelobe, in Zukunft wieder mehr Mühe in meine Geschichten zu investieren, wie ich in letzter Zeit eigentlich immer getan habe.

Beste Grüße

Cerberus

 

Hi Cerberus!

Da Wendigo schon hier war, kann ich mir den meisten Teil wohl sparen. :D

Aber mir gehts wie Mike: nach langer Zeit mal wieder eine Story von dir, und ich habe sie nicht richtig verstanden. Dabei war ich wieder mal zur Mitte hin begeistert. Ich hatte den Eindruck, dass du den Leser sehr wohl in Griff hast, dass du weißt, was du tust und vor allen Dingen, dass du ein Konzept hast!

Das ging tatsächlich bis zum Abschnitt Es geht mir gut so, dann wird's kompliziert und ich hatte den Eindruck (wieder mal [mit strafendem Blick!]), dass du möglichst schnell fertig werden wolltest!
Im Übrigen der Abschnitt im Park hat mir nun wieder ziemlich gut gefallen, weil kontrolliert und zielorientiert.

Tja, jetzt nachdem du das Geheimnis gelüftet hast, wird einiges klarer, aber du hättest im Text besser arbeiten können, vielleicht ein wenig konkreter benennen die Sachen.

...und vollzieht als Ergebnis dieses Zustandes differenzierte Gedankengänge

das empfand ich als hanebüchen, da doch der Mensch fähig dazu ist auch ohne dieses Medikament
Und das hier

Gegenwart ist vergangen, noch ehe sie passiert ist.

ist einfach nur platt.

Trotz allem habe ich das Gefühl, dass du vorwärts gekommen bist, du schreibst besser! Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf des Ende sehe!

Viele Grüße von hier!

 

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