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Warum

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29.07.2004
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Warum

"Ich dachte, ich hätte den Sinn des Lebens für mich gefunden." Der Mann wippte monoton mit seinem schlanken Oberkörper vor und zurück, vor, zurück. "Ich wollte immer Schriftsteller werden, doch es hat nie geklappt." Er blickte teilnahmslos ins Leere, wirkte sogar gelassen. Ein Phänomen, dass man öfter antraf in solch einer Situation. Er saß völlig ruhig da, als wäre die Welt in Ordnung.
Doch das war sie nicht.
"Warum ist denn nichts daraus geworden, Herr Schremp?", fragte Anne und zupfte am Ärmel ihres weißen Kittels herum. Sie musste sich langsam an ihn herantasten, herausfinden 'warum'.
Er rieb sich die Hände als würde er sie unter einem unsichtbaren Wasserstrahl waschen. Sein Blick wirkte leer. "Ich konnte nicht... ich wollte doch so gerne..."
"Warum haben Sie es getan?", fragte Anne geradeheraus.
Der Mann reagierte nicht. Sie fragte sich, ob er ihre Frage überhaupt verstanden hatte. Also entschied sie sich noch einmal auf ihn einzugehen.
"Herr Schremp, warum hat es denn nicht geklappt?", wiederholte Anne ihre Frage. "Haben Sie keinen Verlag gefunden, der ihr Manuskript veröffentlichen wollte? Wissen Sie, das ist heute ganz normal und..."
"Ich wollte so gerne Abenteuergeschichten schreiben, aber... es ging nicht... ich..."
"Ich weiß, Herr Schremp", unterbrach sie ihn. "Das sagten Sie bereits. Aber warum? Haben Sie so viele Absagen bekommen? Waren Sie deshalb vielleicht frustriert?"
"Ich wollte das alles nicht. Sie hat mir weh getan." Er wirkte auf einmal betrübt. Seine Stimme veränderte sich, hatte plötzlich etwas kindliches an sich.
"Wer? Eine Lektorin? Hatte die sich negativ über ihr Manuskript geäußert?" Warum fragte sie eigentlich danach. Es interessierte sie überhaupt nicht und tat gar nichts zur Sache. So kam sie nicht weiter.
"Sie war so gemein zu mir. Das konnte ich doch nicht zulassen." Wieder wippte er mit seinem Körper vor und zurück, vor und zurück, immer schneller.
"Was hat Sie Ihnen getan?" Anne war sich unsicher. Von wem sprachen sie gerade?
"Sie war so gemein zu mir." Er verzog das bleiche Gesicht, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen, wie ein kleines Kind.
"Warum?"
Er fummelte nervös und hektisch an seinen Händen herum, rutschte auf dem harten Holzstuhl hin und her. "Sie hat mich ausgelacht."
Aha, er sprach nicht von einer Lektorin, na endlich. Er sprach von ihr. Sie hatte das Gefühl, dass sie langsam an ihn herankam.
"Sie hat Sie ausgelacht, weil Sie es nicht geschafft haben, ein erfolgreicher Autor zu werden?" Sie versuchte die ganze Sache zu verstehen, bislang ohne Erfolg.
"Ja, nein. Sie hat mich einfach ausgelacht. Das hat so weh getan. Aber ich wollte doch so gerne Bücher schreiben." Er zupfte aufgeregt an seiner ausgewaschenen Jeans herum.
"Ja, ich weiß, Herr Schremp." Anne zögerte. "Haben Sie es deshalb getan?"
"Ich wollte doch immer Schriftsteller werden."
"Warum ausgerechnet Schriftsteller?"
"Ich dachte, dass sei etwas Sinnvolles." Er lies seinen Blick zum Fenster schweifen. "Man muss seinem Leben doch einen Sinn geben. Deshalb wollte ich Romanschriftsteller werden. Ich habe nach dem Sinn des Lebens gesucht. Und sie hat mich immer nur ausgelacht. Sie hat ihn mir genommen. Da musste ich doch etwas tun."
"Wen genommen?" Anne kam da nicht mehr mit.
"Den Sinn", sagte er nachdenklich. Sein Blick wirkte wieder leer. Er starrte zu Boden, als würde eben dieser Sinn dort vor ihm liegen, so nah und doch unerreichbar. "Den Sinn meines Lebens. Den hat sie mir einfach so genommen."
Wie kann ein Mensch jemandem den Sinn des Lebens nehmen? Anne verstand das nicht.
"Wann ist Ihnen dieser Berufswunsch erstmals in den Sinn gekommen?" Sie fragte sich wohin das führen sollte. Jedenfalls trug diese Frage sicherlich nicht dazu bei, das eigentliche Problem zu klären.
"Mama", sagte er und ein kindliches Lächeln erstrahlte auf seinem Gesicht. " Sie hatte mir immer so spannende Abenteuergeschichten vorgelesen. Da hatte ich den Traum, eines Tages auch Piratengeschichten..."
"Und wann haben Sie diesen Traum dann aufgegeben?"
"Weiß nicht..." Sein Blick versank in irgendeine andere, ferne Welt. "Irgendwann... in der Schule... ich konnte nicht... aber ich wollte doch nur meinem Leben einen Sinn geben."
Anne fragte sich, ob ihm eigentlich klar war, was heute geschehen war. Er war nicht bei der Sache. Was hatte sein Lebenstraum mit den heutigen Vorkommnissen zu tun? Gab es da überhaupt einen Zusammenhang? Oder flüchtete er sich nun in eine Traumwelt, seine Vergangenheit, in eine unschuldige Kindheit zurück, um der Realität zu entfliehen, die er nicht wahr haben wollte?
"Was haben Sie denn so geschrieben?", fragte Anne geduldig. "Ich meine, haben Sie wirklich angefangen Piratengeschichten zu schreiben?"
"Sie hat micht ausgelacht", flüsterte er nun, den Blick wieder auf den Boden geheftet. Er wirkte plötzlich so ruhig.
Ja, aber warum in Gottes Namen, fragte sich Anne. Weil er gerne Piratengeschichten schrieb? Wer lacht einen Menschen aus, bloß weil er kein erfolgreicher Autor geworden war? Das ergab doch keinen Sinn. Sie musterte den Mann und versuchte seine Gedankengänge zu verstehen. Er war fünfundzwanzig Jahre alt. Er könnte es schließlich immer noch schaffen, erfolgreich zu werden. Wie viele unzählige ander Menschen werden es nie zu einem Bestseller schaffen und vor allem, wie viele von ihnen landen dann in einer Psychiatrie?
"Herr Schremp, Sie haben heute etwas Schlimmes getan."
"Aber ich wollte doch nur Schriftsteller werden. Es hat nicht geklappt, weil ich... ich konnte ja nicht... ich hab es ihr gesagt... ich..." Er sprach nicht weiter.
"Was gesagt?" Anne spitzte die Ohren.
"Ich hatte solche Angst, dass sie mich auslacht. Ich hab es ihr trotzdem gesagt..." Er begann an seinen Fingernägeln zu kauen. "Aber sie hat mich einfach ausgelacht! Das konnte ich doch nicht..." Er wühlte sich mit den Händen durch sein zerzaustes braunes Haar. Seine Bewegungen wirkten unkontrolliert, fahrig.
Anne verstand das nicht. Worum zum Teufel ging es hier? Er hatte es also erwartet? Warum hatte er dann so reagiert?
"Ich dachte, sie könnte mir helfen, meinen Traum vom... Schreiben zu verwirklichen. Ich dachte, sie würde mich verstehen, aber ich hatte Angst. Und dann habe ich es ihr erzählt..." Er sackte in sich zusammen und schwieg.
Anne verlor langsam die Geduld. Ihr Blick war auf die weiß getünchte Wand fixiert. Irgendetwas blieb hier unausgesprochen und sie fragte sich, was. Etwas ganz Großes, Wichtiges, Elementares. Etwas, dass ihn dazu trieb, völlig auszurasten, seine Kontrolle zu verlieren.
Sie vernahm ein Schluchzen und betrachtete erstaunt den Mann, der heute etwas getan hatte, was nie hätte passieren dürfen und von dem sie annahm, dass er selbst nicht wusste, warum er es getan hatte.
"Es war so schwer", sagte er schniefend. "Ich habe mich so geschämt. Aber ich hatte diesen Traum. Ich wollte doch..."
"Schriftsteller werden", beendete Anne frustriert den Satz. Sie konnte es nicht mehr hören. Ihr platzte langsam der professionelle Kragen.
"Verdammt noch mal! Warum in Gottes Namen haben Sie Ihre Freundin umgebracht?", fuhr sie ihn an und bereute es sofort. Sie hatte sich gehen lassen.
"Weil sie mich ausgelacht hat", antwortete er ungerührt. Eine Träne presste sich aus seinem linken Auge und rollte langsam seine Wange hinunter zum Mundwinkel.
"Ja, aber warum hat ihre Freundin Sie denn ausgelacht?" Anne war verzweifelt. Sie war drauf und dran aufzugeben.
"Weil... weil ich Analphabet bin."

 

Moin!

Zuerst: Herzlich willkommen auf KG.de! :)

Und jetzt zu Deiner Geschichte:

Zunächst das Positive: Der Text wirkt aufgeräumt und ist soweit ich das sehe, praktisch fehlerfrei - das ist schon mal was wert! ;)

Auch sprachlich sind mir keine groben Schnitzer aufgefallen, wenngleich der Tonfall der Geschichte auf Dauer durch seine Gleichförmigkeit - es gibt keinerlei sprachlichen Highlights, keine emotionalen Spitzen o.ä. - auf die Dauer sehr ermüdend wirkt.

Womit wir auch schon bei meinem Hauptkritikpunkt wären: Der Text ist für eine solch platte Pointe definitiv zu lang! Viele Dinge wiederholen sich zu oft und es fehlt ein echter Spannungsbogen - ca. ab der Hälfte hab ich die sich stetig wiederholenden und inhaltlich nur wenig variierenden Dialog-Sequenzen nur noch quergelesen auf der Suche nach etwas außergewöhnlichem, das ich leider nicht so wirklich finden konnte. Der Sachverhalt, um den es geht, wird recht schnell klar - es gibt keinen Grund, ihn in dieser unverhältnismäßigen Breite auszuwalzen, wie ich finde. Statt dessen wäre etwas mehr Tiefe und die Entwicklung eines Spannungsbogens wichtig gewesen. Insgesamt mangelt es dem Text stark an Struktur.

Zudem bleibt die Situation an sich sehr unklar. Normalerweise würde ein solches Verhör nicht von einer Psychiatrie-Schwester, sondern wohl eher von einem Polizisten bzw. Polizeipsychologen durchgeführt. Oder wer oder was ist Anne? Ihr Charakter bleibt extrem schwammig. Und auch der Mann bleibt als Charakter etwas blass. Das wenige, das er zu sagen hat, wiederholt sich zu oft. Hier täte entweder Straffung gut oder aber eine etwas differenziertere Schilderung seiner Geschichte, seines Charakters bzw. - und das stört ebenfalls - des gesellschaftlichen Problems, das Du hier ansprichst.

Analphabetismus als Mordmotiv ist wohl kaum ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen. Analphabetismus alleine hingegen schon. Dieser Aspekt wird allerdings hier praktisch überhaupt nicht erörtert, sondern nur als m.E. etwas platte Pointe verwurstet.

Fazit: In den technischen Grundlagen soweit ganz okay. Aber die Grundidee wurde m.E. schlecht umgesetzt, insbesondere das eigentliche Gesellschafts-Thema verkommt hier zur billigen Schlusspointe, statt Kernstück der Geschichte zu sein. Und der Text ist mir in seiner Gesamtheit zu unkonzentriert und langatmig.

Gruß,
Horni

 

Hallo und guten Tag!

Ich möchte mich für Deine offene Kritik bedanken. Ja, ich habe mit diesen Kritikpunkten gerechnet, da ich mir insgesamt selbst unsicher war. Jetzt fühle ich mich bestätigt und werde wohl die ganze Sache noch mal neu ins Visier nehmen und ordentlich daran arbeiten.

Lieben Gruß an Dich
:thumbsup:
Liliana

 

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