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Was ich sage

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15.02.2003
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Was ich sage

In meinen Träumen muss ich mich durch Büsche schlagen. Ich bin kein Prinz und habe lauter kleine Tiere in den Haaren, spitze Zweige in den Schuhen, und von meinen Augenbrauen baumeln ein paar Spinnennetze.
Zwischen meinen Wimpern glitzert Morgentau wie Diamantenstaub.

Ich flüchte immer noch in meine Träume, in den Wald, vor dir und deiner Wirklichkeit. Ich stehe immer früher auf und gebe vor, den Sonnenaufgang anzuschauen. Dabei sitze ich nur da und leuchte mit der Taschenlampe Sterne an, schicke ihnen irgendwelche Morsecodes, an aus an, dunkel hell. Dunkel. Die Sterne reden ungefähr genausoviel wie du. Nur sind sie viel, viel schöner.

Du bist sogar erschreckend unschön. Wenn wir einander nahe sind, mach ich immer meine Augen zu, oder schaue unauffällig weg. Ich sage dann, dass meine Augen lichtempfindlich sind, dass das ganz schlimm ist und ich auch gar nicht lange auf dieselbe Stelle sehen darf. Dass ich eigentlich nur nachts wach bin, das Tageslicht ist Gift für mich. Schau doch, meine Haut ist weiß wie die von einem Kühlschrank, ich bin sowas wie ein Vampir, was dachtest du denn.

Du legst dann deine Hand auf meine Hand und fragst wie ich das schaffe, immer wach zu bleiben in der Nacht. Und ich erzähle dir von Cappuccino, dass mein Herz nur Cappuccino pumpe, dass ich sogar manchmal Cappuccino weine, aber nur ganz leise und sehr wenig, extra hell und ohne Zucker.
Immer muss ich lächeln, wenn ich lüge.

Ich würde gern in dunklen Zimmern mit dir sitzen, damit ich dich nicht sehen muss, damit wir uns nicht sehen müssen, allenfalls die Silhouetten, und Silhouetten sind grundsätzlich wunderschön. Wir würden unsere Schatten mit der Hand berühren, ich liebe dich nur, wenn du fern bist.

Ich sage dir, du bist erschreckend schön, und muss natürlich lächeln, du lächelst leider auch und glaubst mir alles. Vielleicht weil du so lange schon in deinen Märchen lebst. Dein Name sei Schneewittchen, ja?

Ich sage dir, ich kann nicht schlafen, was nun auch nicht richtig wahr ist. Es ist nur so, dass ich beim Schlafen manchmal rede und also lieber wach bin, zur Sicherheit, ich könnte schließlich was verraten, irgendetwas Wahres. Dass ich nur deine Silhouette mag, zum Beispiel.

Stattdessen stolper ich dann morgens mit der Dämmerung ins Zimmer. Das T-Shirt vollgesaugt mit Morgenrot. Verbluten fühlt sich sicher an wie Müdesein.

Dann taumle ich wie immer über deine Schwelle, tanze mit der Schwerkraft, meiner heimlichen Geliebten, meine Beine fühlen sich wie Blumenstengel an, du bist nicht wach, noch immer nicht, nur einen kleinen Zettel hast du wieder hingelegt. „Weck mich bitte, wenn du wieder da bist.“ Mit Dornröschen hast du unterschrieben, dabei war ich doch gar keine hundert Jahre weg.
Märchen überziehen deine Welt wie Eis das Meer im Winter. Ich bin da leider völlig anders und leg mich lieber auf den Boden, decke mich mit deinen blöden Zetteln zu. Alle meine Märchen sind geschmolzen, ein paar davon noch in die Träume eingesickert.

Ich würde gern im Kühlschrank übernachten. Aufwachen mit Eiskristallen in den Brauen. Du würdest meine blaue Haut betrachten, mich auf eine Heizung legen und zusehen, wie ich langsam lila werde, danach violett und rot und wieder ganz normal, bleich wie immer, kühlschrankfarben. Ich könnte dir berichten, wie sich Regenbogen fühlen und wie kalt sie wirklich sind.

Wärst du wach, dann könntest du mir jetzt die Spinnennetze von den Augen zupfen, die Dornen aus den Händen und die kleinen Tiere aus den Haaren nehmen. Und mir neue Batterien für meine Taschenlampe geben. Ich würde dir erzählen, dass ich gar nicht müde bin, dass ich unsinkbare Augenlider habe, wie Titanics, und du würdest glauben, was ich sage, oder nicht. Ich würde immer lächeln, weil ich lüge und du würdest lächeln, weil auch dir die Wahrheit nicht so wichtig ist.

Ich betrachte deine Silhouette, je weniger man von dir erkennen kann, desto schöner bist du. Wir lieben uns nur, wenn wir fern sind. Nennt die Krankheit Phantasie, nennt sie, wie ihr wollt, ich berühre mit den Fingerspitzen deine Schattensilhouette an der Wand, ganz vorsichtig, atme ein und atme aus, die Schwerkraft, Schwester der Müdigkeit, sie küsst schon meine Augenlider, gute Nacht, wenn du wach bist, weck mich bitte nicht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey wolkenkind,

freut mich sehr, dass Du wieder da bist. Ich habe Monate lang darauf gewartet, endlich wieder neue Geschichten von Dir lesen zu duerfen. Und enttaeuscht hast Du mich nicht, mir hat die neue KG von Dir ebenfalls sehr gut gefallen.

Meine Lieblingsstellen:

Ich sage dir, ich kann nicht schlafen, was nun auch nicht richtig wahr ist. Es ist nur so, dass ich beim Schlafen manchmal rede und also lieber wach bin, zur Sicherheit, ich könnte schließlich was verraten, irgendetwas Wahres. Dass ich nur deine Silhouette mag, zum Beispiel.

Gute Nacht, wenn du wach bist, weck mich bitte nicht.

Dankeschoen.

 

Hallo Wolkenkind,

ein sehr schöner Text von dir, wieder mal. Nicht nur sehr bildhaltig, sondern auch inhaltlich anregend, finde ich. Für mich ist das ein Text über Kommunikation, Liebe und Wahrheit, und das Verhältnis zwischen diesen drei.

Das ist keine klassische Kurzgeschichte, dir kommt es nicht auf eine konkrete Szene, eine chronologisch ablaufende Handlung an. Der Text wirkt auf mich eher wie die Gedanken des Ich-Erzählers, in denen sich Träume, Wünsche, Gedanken und Erinnerungen mischen. In den Gedanken dieses Ichs herrscht keine chronologische Reihenfolge, es geht ihm eher um die Beschreibung einer Beziehung. Daher solche Wendungen wie "Wenn du..." oder "wie immer". Das Wort "Immer" kommt überhaupt sehr oft vor.

Zuerst das Thema Kommunikation:
Der Ich-Erzähler morst die Sterne an, mit einer Taschenlampe. Dieser Mann will die Sterne nicht bewundern, sondern mit ihnen kommunizieren. Sein Kommunikationsversuch ist zum Scheitern verurteilt. Nicht nur, weil das Taschenlampenlicht nicht weit reicht, sondern auch, weil die Antwort ausbleibt - die Sterne schweigen, genauso wie die Frau.

Dann das Thema Wahrheit:
Die Parallele zwischen den Sternen und der Geliebten bezieht sich nur auf die Kommunikation. Denn die Sterne sind schön, die Geliebte hässlich. Deswegen lügt der Mann sie an. Er will die Wahrheit nicht im Schlaf verraten, deswegen schläft er nicht bei ihr im Bett.

Er lügt sie aus Liebe an, lächelt dabei. Sie lächelt auch und glaubt ihm alles. Lügt sie damit zurück? Oder lebt sie in einer Märchenwelt? Märchen, heißt es, überziehen ihre Welt wie Eis das Meer im Winter. Also hat die Märchenwelt die reale nicht ganz zugedeckt, die Märchen treiben in ihrer Welt herum wie Packeis, so verstehe ich das.

Und dann behauptet er: Sie lächelt, weil auch ihr die Wahrheit nicht so wichtig ist.

Ohne die Phantasie der beiden, ohne die Fähigkeit, sich den anderen schön zu denken, würde diese Liebe wohl nicht funktionieren.

Zum Schluss noch ein kleines Fragezeichen von mir: Mir scheint, die Wahrhaftigkeit in der Liebe ist das Hauptthema. Passt dann das Bild von den Sternen (Taschenlampenlicht erreicht die Sterne nicht, die Sterne schweigen)?

Insgesamt ein sehr anregender Text für mich. Deine Bildersprache (und die von anderen Autoren) wirkt immer sehr stark auf mich.

Grüße,
Stefan

 

ohje, ich habe heute im literaturinstitut leipzig einen denkwürdig inkompetenten eindruck hinterlassen, fürchte ich. also erstmal weiter underground-schreiben :)

danke für die empfehlung, danke für die antworten, von der treffenden zusammenfassung ganz zu schweigen :).
und nein, nicht jeder text mit einem "du" als charakter ist ein brief.

das bild mit den sternen passt insofern ganz gut, als dass sich der prot ja selbst belügt, wenn er glaubt, mit den sternen kommunizieren zu können. wahrhaftigkeit ist ihm nicht wichtig, deshalb kann er die sterne lieben usw.

und die klassische kurzgeschichte gehört ja wirklich dringend überholt, hemingway ist schon eine ganze weile tot. meine geschichten haben mindmap-struktur, chronologie ist nicht so wichtig, wahrheit sowieso nicht :)

lieben gruß, christoph

 

Hallo Wolkenkind,
Mir hat diese Geschichte gerade deswegen gefallen, weil sie nicht klassisch ist. meine Meinung ist, Kreativität erschöpft sich an festen Strukturen.
Deswegen bewundere ich, wie du hier die (Liebes)Beziehung darstellst. Bedrückend und ambivalent
Und weil das mein 500. Beitrag ist: Fühl dich geehrt. ;)
Goldene Dame

 

Danke auch dir, das macht mir Mut, die festen Strukturen weiterhin zu umgehen :)
Manchmal wird man erst kreativ, wenn man sich in festen Strukturen bewegt...allerdings versuche ich gerne, neue feste Strukturen herzustellen. Mh, eigentlich will ich nur danke sagen :)
lg
christoph

 

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