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Weg in die Sprachlosigkeit

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27.04.2004
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Weg in die Sprachlosigkeit

Weg in die Sprachlosigkeit


Im Treppenhaus riecht es modrig. Ein Geruch nach alter, vergilbter Wäsche, die schon seit Jahren in feuchten, aufgeweichten Kartons, in noch feuchteren Räumen vergessen vor sich hin schimmelt und nach Packen alten Papiers, gebündelt in längst vergangenen Tagen, als es sich noch auszahlte, Geschehnisse festzuhalten. Als Geschehnisse draußen vor der Türe noch nicht unbemerkt vorüberhuschten.
Ein Geruch nach Verlebtem.

Angewidert verziehe ich das Gesicht und mein Atem stockt kurz. Noch zwei Schritte über die glatten, abgetretenen Stufen, die Hand am brüchigen, plastikverkleideten Lauf des Geländers, und ich stehe vor seiner Türe. Mein Blick erhascht im vorüberstreifen Überreste von Aufklebern, die teils besser, teils weniger gut erhalten dort kleben. Erinnerungen, die die Kinder vergangener Mieter traurig zurücklassen mussten.
Offenbar hatte es ihn nicht gestört, die Geschichten der Vormieter auch ein wenig zu seiner eigenen zu machen. Ihre Familie zu seiner.
Soll ich wirklich?
Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrt machen und diesen Ort, an dem der abgeblätterte Verputz morsche Wände, Einsamkeit und Gleichgültigkeit blosslegt, auf der Stelle wieder verlassen. Diesen Ort, an dem ich beinahe das Gefühl bekomme, mit dem Einatmen der Luft, nähme die Trostlosigkeit auch von mir Besitz.
Soll ich wirklich?
Zögernd und widerwillig hebe ich die Hand und denke sie an die Türglocke. Zum Hinlangen, beschließe ich mit einem schnellen Kopfschütteln, ist es noch nicht der rechte Zeitpunkt.
Unhöflich wäre es jetzt, nach all den vielen Treffen im Cyberspace, an der Haustüre kehrt zu machen.
Mit einem leisen Aufseufzen drücke ich die winzige Türklingel durch, bis ich mit dem Finger den kühlen Mauerrand spüre, der sie umgibt.

Nichts.
Nichts rührt sich.
Nicht nur, dass sich nichts und niemand der Türe nähert, nein, nicht einmal mein eigenes Läuten kann ich vernehmen. Erst nach einigen Augenblicken begreife ich, dass ein Läuten hier wohl sinnlos ist, und mit dem Entweichen, dem Ausatmen der Anspannung, klopfe ich nun umso energischer an die Türe.
Ich halte die Luft an und zähle... eins... zwei... drei... hinter der Türe kommt etwas in Bewegung... vier... fünf... ein Sessel quietscht und die Rollen desselben schieben sich geräuschvoll knackend über den Boden, während dieser von der Last befreit aufächzt... sechs... sieben... schlurfende Schritte nähern sich der Türe und lassen auf eine gewisse Trägheit der Masse schließen... acht... neun... zehn... nun scheint er an der Türe zu sein und ich höre schon das Knacken des Schlosses und fixiere gebannt den Türspalt, der sich gähnend öffnet und mit jedem Zentimeter mehr von der Welt dahinter preisgibt.

Das einzige Licht, das den schmutzigen, kleinen Raum erhellt und mich nur schemenhaft erkennen lässt, dass dies wohl auch der einzige der Wohnung sein muss, kommt vom Computer, der beinahe majestätisch inmitten des Raumes thront und den strahlenden Mittelpunkt des Zimmers ausmacht. Meine Augen, die gerade noch das grelle, unbarmherzige Licht der nackten Flurlampe gewöhnt waren, stellen sich nur langsam auf die neuen Lichtverhältnisse ein, und so dauert es einige Augenblicke, bis ich endlich die Gestalt erkennen kann, die mir die Türe geöffnet hat.
Schon gleich sehe ich, dass der Mann, der mir gegenübersteht, nur wenig mit dem Foto gemein hat, das ich von ihm besitze und mit der darauf abgebildeten Person, die er vielleicht - vor vielen Jahren - einmal gewesen sein mag. Der Person, die er vielleicht noch immer gerne wäre... oder schlimmer, die er vielleicht immer noch glaubt zu sein.
Ich blicke zu Boden und betrachte ihn von den Füßen beginnend, die in ausgetretenen, abgestoßenen Filzpantoffeln stecken, und die er verlegen über den aufgezogenen PVC-Boden schiebt, dessen ehemals rotes Muster schon vor Jahren völlig verblasst gewesen sein muss.
Ich betrachte diesen übergroßen Mann in seinem ausgewaschenen, ausgebeulten Jogginganzug, der an Händen und Füßen die Knöchel freilegt, nehme mich zusammen, blicke ihm ins Gesicht, und lächle ihn an.

Nur zaghaft wird mein Lächeln erwidert und legt zwei Reihen, gar nicht mehr weißer Zähne frei. Brüchig, genauso wie die Wände, die ihn umgeben. Gelblich, brüchig, wie die ganze Gestalt, im süßlichen Modergeruch ganz der Umgebung angepasst. Oder die Umgebung an ihn.
Wie er jetzt da so im Türrahmen lehnt, gebückt, obwohl der Rahmen genug Platz gibt, gefangen in der Beschränktheit seiner tatsächlichen Möglichkeiten, stammelt er unbeholfen und fällt über die Bruchstücke seiner Worte in ein zusammenhangsloses, löchriges Netz von Sätzen, das ihn nicht halten kann.
Stunden, Tage und Jahre hat er damit verbracht, sich zu artikulieren, seinen Gedanken, Wünschen und Sehnsüchten Ausdruck zu verleihen. Hat Zeile um Zeile mit /s in die Welt geschrien, und seine intimsten Geheimnisse im Flüsterton geteilt. So oft geteilt, bis nur mehr kleine Krümel davon übrig waren, die man gewöhnlich mit einer Handbewegung vom Tisch wischt. Hat weinende Emoticons gemalt, wo echte Tränen über seine Wangen liefen und in gedankenlosen Worten Gedanken des Trostes gesucht – und gefunden.
Und nun, steht er da - stehst du da, und suchst nach Worten.
Und hast keine.

 

Hallo die-dicke-Berta,

das nicht ganz neue Thema "Treffen einer Internetbekanntschaft" setzt Du mit Deine Geschichte gut um. Eine Formulierungen waren sehr bildhaft und haben mir gut gefallen. Die Stimmung im Hausflur beschreibst Du so ansprechend, dass ich den Moder förmlich riechen konnte ;) Mutig von Deiner Prot, dass sie sich trotzdem nicht davon abhalten lässt zu klingeln. Zwei Sachen fand ich etwas widersprüchlich. Zum einen: als sie darauf wartet, dass die Tür aufgeht, scheint sie einen etwas übergewichtigen, schwerfälligen Menschen zu erwarten, reagiert dann aber wieder überrascht über die Unähnlichkeit mit dem Foto. Außerdem: wenn er sich schon auf ein Treffen einlässt, was ihn mit Sicherheit Überwindung gekostet hat - warum bereitet er sich nicht darauf vor, zieht sich z.B. was anderes an?

Das offene Ende hat mir gut gefallen, dadurch dass er direkt angesprochen wird wirkt es optimistisch.

Einige Fehler hab ich Dir mal rausgeschrieben:

Mein Blick erhascht im Vorüberstreifen Überreste von Aufklebern
Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrt machen und diesen Ort, an dem der abgeblätterte Verputz morsche Wände, Einsamkeit und Gleichgültigkeit blosslegt, auf der Stelle wieder verlassen.
bloßlegt
Nur zaghaft wird mein Lächeln erwidert und legt zwei Reihen, gar nicht mehr weißer Zähne frei.
Das Komma ist zuviel.
zusammenhangsloses, löchriges Netz von Sätzen
zusammenhangloses

Außerdem ist mir aufgefallen, dass Du einige Wörter in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen benutzt, vielleicht kannst Du es jeweils durch ein Synonym ersetzen?

Liebe Grüße,
Juschi

 

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