Was ist neu

Wenn der Teufel flüstert...

Mitglied
Beitritt
21.04.2004
Beiträge
63
Zuletzt bearbeitet:

Wenn der Teufel flüstert...

Emilia wachte urplötzlich aus einem Alptraum auf. Sie krampfte die Hände zusammen und schlug sie nach vorne, als wollte sie einen unsichtbaren Angreifer niederstrecken. Ein jämmerliches Wimmern – teils Anstrengung, teils Angst – kroch ihr aus dem Mund. Es war leise und wurde sogleich wieder vergessen. Die Wände hörten es nicht. Emilia keuchte dafür umso lauter und spürte ihr Herz heiß in der Brust schlagen. Sie richtete sich kerzengerade auf, vergewisserte sich nochmals, ob wirklich keine dunklen Gestalten in ihrem Zimmer herumstolpern und atmete, nachdem sie sicher war, tief durch. Sie beruhigte sich, aber nur langsam. Dann stand sie auf. Es war zu schnell, und sie machte Anstalten vorne überzukippen. Ihre Beine waren eingeschlafen und füllten sich nur langsam wieder mit Blut. Sie begannen zu kribbeln; es fühlte sich an wie tausende kleine Nadelstiche, ganz tief in ihren Beinen. Sie massierte die beiden Holzklumpen solange, bis sie wieder ein Gefühl in ihnen hatte und es erneut wagen konnte, den unbequemen Stuhl zu verlassen. Ihr Rücken schmerzte; Muskeln zogen an Emilias Nervenbahnen wie Drahtseile.

Eine seltsame Trockenheit machte sich in ihr Mund und ihrem Gaumen breit. Es war jedoch kein Durst, das wusste sie. Es war das Verlangen nach einer Zigarette. Noch einige Atemzüge lang versuchte sie gegen den Drang anzukämpfen, verlor und stand erneut auf. Zu stark war die Vorstellung, den Rauch einzuatmen und die Lungenflügel sich weiten zu spüren. Unsicher hielt sie sich an ihrem Stuhl fest, drehte sich herum und lies die Stützte dann los. Sie humpelte zum Arbeitstisch – ein massiver Holztisch – und suchte vergebens ihre Zigaretten. Mit jedem umgedrehten Blatt und jedem erfolglosen Blick wurde sie nervöser. Sie schien bald vollkommen auszurasten und schreien zu wollen. Dann flog ihr Blick über das kleine Bett, welches rechts neben dem Stuhl, auf dem sie geschlafen hatte, lag. Sie konnte kaum etwas erkennen; außer dem dicken Bündel darauf. Emilia vergaß die Zigaretten und stolperte langsam auf das Bett zu. Sie blieb vor ihm stehen, sah sich das Bündel an und streckte leise ihre Hand danach aus. Als sie ihr Ziel berührte überkamen Emilia zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite spürte sie eine wohltuende Wärme in ihrem Körper, unermessliche Liebe vielleicht; auf der anderen Seite jedoch auch eine Art von Abscheu und Langeweile. Sie fuhr erschrocken zurück. Diese zweite Seite ihrer selbst – Emilia hielt sie für etwas Dämonisches. Solche Gefühle durften in ihr keinen Platz haben. Sie versuchte sie wieder zu vergessen, rang mit ihnen, wollte sie ersticken und sah doch nur hilflos dabei zu, wie sie blieben und ihr ins Gesicht spuckten. Das ist nur menschlich, meldete sich der Teufel in ihrem Ohr. Nein das ist es nicht, sagte sie ihm. Es ist grausam, mehr nicht. Eine Träne rann einsam Emilias Wange hinab und fiel geräuschlos auf den Boden.

Sie drehte sich erneut herum, hinkte wieder zum Tisch zurück und durchwühlte alles wie eine Besessene. Der Schrei lies nicht mehr lange auf sich warten. Eine Mischung aus Verzweiflung und Endgültigkeit machte sich in ihr breit. Sie versuchte – so wie immer – gegen ihre eigenen Gefühle anzugehen, wollte sie ersticken, erwürgen, vergraben und vergessen. Es gelang ihr immer seltener. In letzter Zeit erwischte sie sich dabei, wie sie Zeitungen mit Annoncen von Pflegeheimen durchging. Und jedes Mal erwachte sie, schlug die Augen auf und versuchte den Alptraum in ihren Händen abzuwehren. Sie nahm danach immer die Zeitungen und zerriss sie, fiel auf den Boden, weinte. Und niemals brachten ihr die Tränen Linderung.

Kurz bevor sie es nicht mehr aushielt ging ihr Blick zum Fensterbrett und sie spürte Erleichterung. Dort lagen die Zigaretten, daneben das Feuerzeug. Emilia nahm die Packung in die Hand, öffnete sie und zog eine Zigarette hervor. Dann steckte sie sie in ihren Mund, nahm das Feuerzeug und machte das Fenster auf. Kalte, frische Luft zerfetzte den abgestandenen Sauerstoff in ihrem Zimmer. Die Müdigkeit schien von ihr abzufallen, sie konnte fast dabei zusehen. Aber es war ein Trugschluss, den der kalte Aprilwind jenes Morgens durch das offene Fenster mit sich brachte. Ihre Glieder und Knochen waren immer noch müde, ihr Gehirn wollte Schlaf und ihre Seele schrie Linderung.
Sie zündete eine Zigarette an und inhalierte die Gelassenheit. Vor ihren Augen zogen die vielen einsamen Nächte an jenem Fenster, an dem sie nun stand, vorbei. Hinter sich hörte sie das Bündel atmen. Ruhig und monoton, so wie sie sich fühlte. Emilia blickte über ihre Schulter und sah zu, wie die Decke sich langsam hob und dann wieder senkte. Ich liebe ihn, sagte sie sich. Ich werde ihn immer lieben. Und daran konnte auch der Teufel nichts mehr ändern. Sie wollte das Bündel niemals abgeben, nie und nimmer. Es war ihr Schatz, es war ein Teil von ihr.

Aber er ist krank, flüsterte der Wind mit einer grausamen Stimme. Er ist krank und wird nie wieder gesund. Emilia lies fast ihre Zigarette fallen, hielt sie im allerletzten Moment fest und zog wieder hastig daran. Sie musste der Stimme Recht geben; aber sie liebte ihn. „Hast du das gehört? Ich liebe ihn mehr als mich selbst!“, schrie sie in die Welt hinaus. Der Wind bäumte sich auf und schlug laut gegen die Scheiben des Fensters. Der Rollladen wackelte und vibrierte, als würde er in Stücke gerissen werden. Der Wind flüsterte wieder. Satan ritt auf seinem Rücken. Ich sehe jeden Tag wie du dich quälst. Jeden Tag aufs Neue musst du die Blicke der Leute ertragen, musst du die schmerzenden Worte von ihren Augen ablesen und dann mit ihnen umzugehen versuchen. Jeden Tag machst du nur das selbe und bekommst nichts dafür, keine Anerkennung, keinen Trost und keine Hoffnung. Sie nahm die Zigarette und schmiss sie dem Wind ins Gesicht. Sie wurde gegen die Hauswand geworfen und zerplatzte in einen Funkenregen. Wieso liest du denn diese Zeitungen?, fragte er gewissenlos. Wieso kannst du die Anzeigen nicht überspringen? Wieso schreit dein Herz danach, dass es endlich aufhört? Du kannst dich vielleicht anlügen, aber mich wirst du niemals los.

Emilia knallte das Fenster zu. Die Scheiben bekamen tausende kleine Risse, die sich kreisförmig um den Punkt des höchsten Druckes ausbreiteten. Das Bündel wurde wach. Emilia rannte zu ihm hin, riss die Decke beiseite und legte sich ebenfalls ins Bett. Es war warm und irgendwie auch behaglich.

„’a’a traurig?“, erklang es neben ihr. „Nein“, sagte sie, „Mama ist nicht traurig“ und deckte sie beide wieder zu.

 
Zuletzt bearbeitet:

Habt ihr nichts zu der Geschichte hier geschrieben weil ihr sie alle schlecht findet oder kann man dazu einfach nichts sagen?

Gruß,

Dust

 

Hi Dust
also schlecht ist deine Geschichte ganz bestimmt nicht, sie ist nur, denke ich, etwas schwer zu fassen. Das Thema ist ja schließlich keins, mit dem sich jeder so ohne weiteres indentifizieren kann, deswegen fällt es auch schwer darüber zu schreiben, aber ich werde es jetzt einmal versuchen.
Mir hat sehr gut gefallen, wie du schreibst. Es ist alles sehr flüssig zu lesen, an den richtigen Stellen spannend und regt, vor allem zum Schluss, zum Nachdenken an.
Die Protagonistin ist hin und her geworfen, sie ringt mit sich selbst. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Kranksein nun bildlich gemeint ist, oder ob das "Bündel" wirklich krank ist, jedenfalls fühlt sie, dass eine unsichtbare Macht sie dazu verleiten will, es wegzugeben. Die Idee erinnert mich irgendwie an "Die Wiege de Bösen" von James Patterson, vielleicht kennst du das ja. Ich finde sie auf jeden Fall gut, nur glaube ich, dass du mehr daraus machen solltest. Dem Leser etwas mehr verraten solltest. Ich weiss, das ist schwer, vor allem bei Geschichten wie diesen, wo die Spannung eigentlich dadurch aufgebaut wird, dass der Leser eben relativ wenig erfährt, jedoch ist es so eben zu verworren.
Fragen kommen zum Schluss auf. Ist das Kind nun wirklich krank? Was hat der teufel mit der ganzen Sache zu tun? Ist sie religiös oder sieht sie den Teufel nur als Bild für ihre Ängste usw..
Wenn du den Leser etwas mehr in das Schicksal dieser, offensichtlich hart vom Schicksal getroffenen Frau, hineinbeziehst, wird die Geschichte vielleicht etwas griffiger.
Soll dich nicht entmutigen, Grundpotential ist bei dir auf jeden fall vorhanden.
Mach weiter so.
gruß
b

 

Danke für deine Kritik, Ben! Ich werde deine Anregungen durchdenken und die Geschichte auf jeden Fall neu überarbeiten. Es fällt mir manchmal sehr schwer zu sagen, wann eine Geschichte von mir "fertig" ist und wann nicht. Ich werde es versuchen besser zu schreiben.
Das "Bündel" ist wirklich krank (letzter Satz "a'a' traurig?"), dachte es wird deutlich. Scheint nicht so zu sein. Werd es überarbeiten. Der "Teufel" ist das Sinnbild für Emilias Ängste, er "spricht" zu ihr in ihrem Kopf usw. Werd ich aber noch mehr heraus arbeiten.
Nochmals danke für deine Kritik.

Gruß, Dust

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom