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Wie beim Russisch Roulette

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24.01.2003
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Wie beim Russisch Roulette

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Wie beim Russisch Roulette

Als Teresa die Küche wischte, knarzte plötzlich draußen im Flur das Parkett. Sie zog die Tür einen Spalt weit auf und spähte um die Ecke: Ein fremder Mann stand vor der Wandgarderobe. Er trug einen monströsen Kopfhörer über einem Jeanshut und ächzte. Ein Arm steckte, auf den Rücken gedreht, noch in seinem Trenchcoat. Mit dem anderen Arm ruderte er ihn der Luft. Unter der Achsel zeichnete sich ein dunkler Fleck ab. Es gelang ihm, den Mantel loszuwerden; zur Seite wankend hängte er ihn an einen Haken und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken.

Er nahm den Kopfhörer von den Ohren und ließ den rhythmischen Bass darin durch den Gang stampfen. Befreit richtete der Jeanshut seine ramponierte Krempe auf und landete auf dem Haken. Der Mann wandte sich um, und stockte, als er zu Teresa hersah.

"Nicht erschrecke", sagte Teresa, schob sich durch den Türspalt und ging zu ihm. Seine schon leicht grau gewordenen Brauen waren über den Augenschlitzen eng zusammengerückt. Es sah aus, als müsste er eine schwere Rechenaufgabe lösen.
"Ich bin Teresa", sagte sie und streckte ihre Hand aus.
"Karl Schober", stellte er sich vor, ohne ihre Hand zu beachten. Er schwieg und sah mit gesenktem Kopf die Wand an.
"Küche ist fertig geputzt, wenn Sie wollen gehen hinein", sagte Teresa. Keine Antwort. Sie standen sich gegenüber. Teresa sog den leicht alkoholischen Duft des Reinigungsmittels aus der Küche ein und sah Schobers mächtigen Schädel an. Sie wartete noch einen Moment, aber er sagte nichts mehr. Schließlich machte sie kehrt, holte Eimer, Lumpen und Schrubber und schleppte das Zeug an ihm vorbei in das Zimmer links hinten, am Ende des Ganges.

Der Raum lag im Dunklen und es roch nach frischer Farbe. Der Lichtschalter funktionierte immer noch nicht, deshalb tapste sie auf einen herumliegenden Fußschalter. Sie erschrak, als plötzlich ein gleißendes Licht den Raum überflutete. Die plötzliche Grelle blendete sie. Sie konnte kaum etwas erkennen in diesem schmerzhaften Weiß, das aus der Mitte des Raumes kam. Nur allmählich tauchten daraus links und rechts die kahlen Wände auf, die beiden Einbauschränke, die grauen Innenseiten der Rollladen, ein Klappstuhl mit Lappen, Farbtuben, Pinseln. Die Fassung an der Decke hing einsam und hohl herunter. Sonst war das Zimmer leer wie immer.

Als sie den nassen Lappen über den Bürstenkopf des Schrubbers legte, fiel ihr Blick wieder in die Mitte des Raumes, wo sie jetzt ein weißes Rechteck sah. Es war ein längliches Gemälde, das hochkant auf einer Holzstaffelei ruhte. Es bestand aus nichts als zwei weißen Quadraten, die übereinander gesetzt waren. Das grelle Licht kam von einem großen Theaterstrahler, der einen Meter vor Teresa stand und direkt auf das Bild gerichtet war.

Teresa blinzelte zur Staffelei hin, da hörte sie das Parkett knarzen, und Schober stand neben ihr. Sie sah ihn an, seinen breiten Kopf, die langen, leicht gräulichen Haare, den Vollbart. Aber er sah kalt an ihr vorbei, zu dem Bild hin.
"Sie gemalt diese Bild?", fragte sie ihn.
"Ja", sagte er, "bitte passen Sie drauf auf, es ist noch nicht trocken."
"Okay. Meine Freundin ist auch eine Künstler."
"Ja. Aha."
"Meine Freundin male Landschafte, schöne, grüne Täler, aber wie schöne!"
"So. Grüne Täler."
Schober gab einen knarrenden Ton von sich, der Teresa an das Parkett erinnerte.
Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Das Parkett unter ihr knarzte. Es knarzte praktisch immer. Wenn man darüber ging, knarzte es bei jedem Schritt, aber auch wenn man nur ruhig dastand, knarzte es, von den unmerklichen Gewichtsverlagerungen, man konnte es nicht vermeiden. Manchmal dachte Teresa, das Parkett knarzte auch, wenn man nur plötzlich an etwas anderes dachte, wenn man die Denkrichtung änderte. Sie sah zu Boden. Das haselnussbraune, an einigen Stellen gräulich abgestoßene Holz war eigentlich gut, viel besser als das neue Fichtenparkett in der Küche, wo die Gegend unter dem Tisch schon jetzt einer Kraterlandschaft glich. Das Parkett in den übrigen Räumen war hart und gut, immun gegen Stöckelschuhe, aber es war sechzig Jahre alt, wie das Haus selbst. Jetzt war ihm jede Belastung zu viel. Daher das Ächzen – das verstand Teresa. Sie hob den Kopf und nahm die Unterhaltung wieder auf.

"Ist Bild fertig schon?", fragte sie.
Schober drehte sich ein wenig zu ihr hin.
"Fertig. Ja. Ich weiß nicht. Glauben Sie denn, dass es fertig ist? Was sehen Sie denn?"
"Weiße Farbe, weiße Farbe nur."
Schober sah sie an und wartete. Sie sah genauer hin.
"Naja, obere Quadrat bisschen mit Rot, untere bisschen mit Blau."
"Und? Gefällt es Ihnen?"
"Ich verstehe nichts, gar nichts", sagte Teresa zog die Schultern hoch und schüttelte ihre Hände. "Was soll das sein?"
"Ich nenne es 'Winterlicht'."
"Winterlich?"
"Winterlicht. Licht - th - th. Licht, wie von dem Strahler hier."
"Ah, Licht. Winterlicht, ja." Teresa versank für einen Moment in dem Bild. Das Parkett knarzte, dann verstand sie: Das rötliche Weiß oben war eine Andeutung des Himmels, das Bläuliche darunter eine Schneefläche oder ein gefrorener See.
Schober nickte, ohne dass sie etwas gesagt hätte.
"Und jetzt, Sie male noch Mensch mit dicke Mütze und rote, rote - wie heißt das?"
"Die Menschen", sagte Schober, "die Menschen sieht man nicht. Es liegt eine Art Nebel darüber, den würde ich gern noch malen. Ich weiß aber nicht wie."
"Nebel?"
"Ja, als die Lawine unten war, hat sich ganz langsam ein Nebel darüber gelegt, ein Schneestaub. Das hat alles verdeckt, verstehen Sie."
"Ach so, eine Lawine?", sagte Teresa und spürte einen Stich in der Gegend der Lendenwirbel.
"Ja, eine Lawine."
"Entschuldigen Sie, Herr Schober, ich muss mich hinsetze. Immer wenn ich stehe ohne bewegen, meine Rücken tut weh."

Teresa ließ Schober allein, ging in die Küche und setzte sich ächzend an den Resopaltisch. Sie streckte sich, versuchte möglichst gerade zu sitzen, dann wurde es meistens besser. Keine zwei Minuten, und Schober kam nach. Er balancierte ein Glas mit graugrünem Wasser und zwei Pinseln vor sich her, wandte Teresa den schmalen Rücken zu, um das Glas ins Spülbecken zu leeren und es mit klarem Wasser wieder aufzufüllen. Ein riesiger Schädel, schoss es Teresa durch den Kopf, viel zu groß für den Rest.
"Der Nebel ist immer um mich", erklärte Schober, wärend das Wasser rauschte.
"Dann Nebel hat Bedeutung für Sie", befand Teresa und zog eine Flasche aus ihrem Beutel.
"Sie möchte Baileys, bitte?"
Schober wandte sich um. "Nein danke", sagte er.
"Ich störe?"
"Nein nein, bleiben Sie nur."
Dann holte Schober doch zwei Gläser aus dem Küchenschrank und stellte sie hin, damit Teresa einschenken konnte. Er setzte sich ihr gegenüber und sagte: "Rot – Rot ist Leidenschaft, Blau ist kalt, grün sind die Pflanzen, das Leben, aber Weiß bedeutet eigentlich gar nichts. Wenn ich im Nebel stehe ..."
Seine Augen lösten sich aus Teresas Blick und schweiften zur Wand ab.
"Ja, interessant, diese Nebel", meinte Teresa, als er nichts mehr sagte.

Eine Weile schwiegen sie. Teresa überlegte, wie sie Schober zum Sprechen bringen konnte. Sie wollte ihn nicht verletzen, nur herausbekommen, was hinter all dem steckte.
"Diese weiße Bild, diese Lawine. Herr Schober, nicht böse sein, aber bitte: Was bedeutet das?"
Schobers Oberkörper wankte zur Seite, als hätte Teresa ihm einen Stoß versetzt, dann schwang er wieder zurück, und Schober sagte leise: "Mein Heimatdorf in Tirol ist 1999 von einer Lawine getroffen worden."
Er sah auf seine Hände und rieb an seinem Mittelfinger herum. An dem runzligen Finger daneben steckte ein goldener Ring.
"Entschuldigen Sie, dass ich gefragt. Ihre Frau ist gestorben bei Lawine?"
"Nein, unsere Nachbarn", sagte Schober, die Hände falteten sich, massierte einander, die Fingernägel der einen drückten sich in den Rücken der anderen. "Zwei Frauen und ein Mädchen, in der Küche", rang er sich ab, "im Wohnzimmer brannte noch die Kerze."

Teresa schluckte und war einen Augenblick lang still.
"Aber 1999? Vor fünf Jahre? Warum immer noch denken?"
"Meistens ist es um mich wie in der Waschküche", sagte Schober. "Aber manchmal wird der Dunst dünner, und dann erkenne ich etwas. Zuerst ist es eine nur dunkle Stelle, ein dunkles Loch, so groß wie mein Kopf: Ich sehe direkt in dieses Loch hinein, direkt in dieses Schwarze. Dann erkenne ich ein silbrig schimmerndes Rohr, und das Loch ist das Innere dieses Rohres, und dann macht es Klick – und ich erschrecke furchtbar."
Teresa runzelte die Stirn.
"Ist das eine Alptraum?", fragte sie.
"Es ist wie beim Russisch Roulette", fuhr er fort. "Jede Sekunde macht es Klick, das Ticken der Uhr – oder das Geräusch des Abzugs. Vielleicht hören Sie das Klicken nicht, aber bei Ihnen ist es dasselbe, auch für Sie gibt es einen Revolver."

 

Servus leixoletti!

Nicht erschrecke
+n

Küche ist fertig geputzt, wenn Sie wollen gehen hinein
Ah, ich verstehe, trotzdem liest sich der erste Satz wie ein Rechtschreibfehler...

Licht - th - th
??

Nein nein, bleiben Sie nur
Komma nach nein.

Das Ende verstehe ich nicht ganz: ist es einfach nur eine Metapher dafür, dass es uns alle irgendwann treffen kann. Ganz zufällig, wie beim russischen Roulette, das es Tage gibt, an denen man Glück hat und Tage, an denen man Pech hat?

Ich finde diese Dialoge sehr anstrengend zu lesen. Diese merkwürdige, bewusst falsche Sprache finde ich etwas aufgesetzt, da sie teilweise sehr übertrieben ist. Ich denke, der Text braucht das gar nicht, ist aber wohl Ansichtssache.
Ansonsten: eine nette, kleine Geschichte (ohne das abwertend zu meinen), ich finde sie jetzt nicht außergewöhnlich, aber vielleicht habe ich sie nur nicht richtig verstanden.

In diesem Sinne
c

 

Hallo lexoletti,

mal abgesehen davon, dass ich den Schluss auch nicht verstanden habe (erklärst du uns das?), bin ich eigentlich ganz angetan von der Erzählweise. Ich hatte beim Lesen einen recht guten Eindruck von der Atmosphäre zwischen diesem schweigenden verschlossenen Maler und der neugierigen Frau. Ich finde den Anfang etwas lang, ich weiß nicht, ob du den wirklich brauchst, um deine Geschichte zu erzählen.

grüße,
mabinogion

 

Hallo Chazar, hallo mabinogion,

danke für eure Meinung.

Chazar: Dir hat offenbar das Ausländische nicht gefallen, und du hast recht: Dass Teresa Polin ist - es gibt ja kaum Deutsche als Putzfrauen in Privathaushalten - , hat nichts mit dem Thema der Geschichte zu tun. Teresa kann in meinem Kopf Polin bleiben, und wenn ich vorlese, kann ich ihr einen polnischen Akzent geben, ohne dass das im getippten Text stehen muss.

Euch beiden hat das Ende nicht so gefallen. Ich möchte es nicht erklären. Solche Erklärungen klingen immer banal, finde ich. Ich wollte keinen Sachtext schreiben mit der Aussage: Das Leben ist so und so. Die Figuren, die Handlung, die Sprache müssen für sich stehen, sorry. Offenbar ist der Schluss missglückt, also werde ich ihn überarbeiten.

mabinogion: Dir war der Anfang zu lang. Ich werde die Personenbeschreibung besser über den ganzen Text zu verteilen, dann geht es schneller los. Ich nehme an, das war es, was du meintest.

Grüße aus München + nochmal Danke für euer Feedback,
Stefan

 

Hallo leixoletti!

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Durch geschickt gestreute Details wirkt sie lebendig und nimmt den Leser mit. Flüssig und sauber geschrieben, da gibts nix.
Der Akzent war für mich nicht störend, im Gegenteil, auch er schafft Atmosphäre. Es mag mit der Geschichte nichts zu tun haben, aber es ist ein Detail, das Lebendigkeit vermittelt.

Ich halte den Schluss eigentlich nciht für missglückt, er ist nur nicht zum drüberlesen. Der Leser muss mitdenken. Und er ist offen für mehrere Interpretationen, eine hat Jo schon angesprochen, andere Spuren führen mich zu dem Ring, den er dreht oder zu möglich überlegtem Selbstmord - es ist viel möglich, wenn mir auch die von Jo erwähnte am plausibelsten scheint.

Der Anfnag ist Dir überigens sehr gelungen, man fragt sich, was ein fremder Mann denn da macht, wie die Verhältnisse der beiden sind.

Einige Details:

Ein fremder Mann stand vor der Wandgarderobe.
er ist fremd.
Sonst war das Zimmer leer wie immer
. aber sie ist offenbar öfter da? erscheint mir unschlüssig, wenn es seine Wohnung ist.


Der Lichtschalter funktionierte immer noch nicht, deshalb tapste sie auf einen herumliegenden Fußschalter.
diese Wiederholung von Schalter, wenn auch in verschiedenen Kombinationen ist mir aufgefallen.


Es war ein längliches Gemälde, das hochkant auf einer Holzstaffelei ruhte. Es bestand aus nichts als zwei weißen Quadraten, die übereinander gesetzt waren
hierunter kann ich mir wenig vorstellen. Sind es zwei Bilder übereinander? Normalerweise ist ein Blatt weiß, bevor es bemalt wird (desgleichen eine Leinwand u.ä). Auf Weiß kann man aber 2 weiße Quadrate nicht unterscheiden.

Manchmal dachte Teresa, das Parkett knarzte auch, wenn man nur plötzlich an etwas anderes dachte, wenn man die Denkrichtung änderte.
wirklich schöner Satz. Irgendwie auch Träger für die Geschichte. Den Blickwinkel ändern. Nicht nur die weißen Quadrate, auch das rot und blau. Und dann auch die Geschichte ...
Sie wollte ihn nicht verletzen, nur herausbekommen, was hinter all dem steckte.
- show, dont tell. Du machst das doch sonst gut.

"Mein Heimatdorf in Tirol ist 1999 von einer Lawine getroffen worden."
getroffen hört sich an, als hätte die Lawiene es drauf abgesehen, genau das Dorf zu erwischen. Es ist mir ein zu bestimmtes Wort für eine Naturgewalt ...

"Entschuldigen Sie, dass ich gefragt. Ihre Frau ist gestorben bei Lawine?"
Passt nicht ganz, meiner Meinung nach. Die Frage zuvor ist eine persönliche Frage. Sich dafür zu entschuldigen, und im gleichen Atemzug nach etwas fragen, wovon sie annimmt, dass es zutrifft und ihm zu schaffen macht?
"im Wohnzimmer brannte noch die Kerze."
hat Jo schon erwähnt

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Jo,

danke für deine Meinung, vor allem, weil sie mich bezüglich der Geschichte wieder etwas aufgemuntert hat...

dass der alte Mann ... auf der Jagd war und dort einen Schuss abfeuerte, der die Lawine auslöste. Und er sich somit die Schuld am Tod der Nachbarn gibt.
Denkbar, aber würde er dann in die Mündung des Revolvers gucken?

eine Kerze brennt nicht mehr, nachdem eine Lawine durch das Zimmer gerollt ist.
Die Kerze war laut Text im Wohnzimmer, die Leute in der Küche.

Grüße,
dein Stefan

 

Hallo Maus,

danke für die Ermunterung, auch bezüglich des Schlusses.

Du hast recht, was den fremden Mann angeht: Das ist nach einer Kürzung unverständlich geworden: Der Mann ist nur zu Besuch in der Wohnung, bei Freunden. Das muss ich irgendwie wieder reinbasteln.

2 x Schalter: Auch da hast du recht, ich neige zu Wortwiederholungen, passiert mir auch in der Arbeit immer wieder.

Die zwei weißen Quadrate: Da muss ich drüber nachdenken. Es wird ja etwas später erklärt. Vielleicht mach ich es aber etwas deutlicher.

Sie wollte ihn nicht verletzen, nur herausbekommen, was hinter all dem steckte.
Offenbar ein doppeldeutiger Satz: Man kann ihn auktorial verstehen, als Aussage eines auktorialen Erzählers über Teresa (so hast du es wohl empfunden) oder als Gedanken von Teresa (so hab ich das gewollt). Interessantes Problem der personalen Perspektive allgemein, finde ich. Besser wahrscheinlich: Ihn nicht verletzen, dachte sie, nur herausbekommen, was hinter all dem steckt.

"Entschuldigen Sie, dass ich gefragt. Ihre Frau ist gestorben bei Lawine?"
Da hast du wieder recht. Sie darf nicht nach der Frau fragen, sie hat ja seinen Ring gesehen und will ihn nicht verletzen.

Zur Kerze: Siehe Jo

Danke nochmal. Besonders interessant fand ich deinen Einwand zu Sätzen wie "Sie wollte..." Das werd ich mir merken.

Grüße,
dein Leix

 
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Wie beim Russisch Roulette

Als Teresa die Küche wischte, knarzte plötzlich draußen im Flur das Parkett. Sie zog die Tür einen Spalt weit auf und spähte um die Ecke: Ein fremder Mann stand vor der Wandgarderobe. Er trug einen monströsen Kopfhörer über einem Jeanshut und ächzte. Ein Arm steckte, auf den Rücken gedreht, noch in seinem Trenchcoat. Mit dem anderen Arm ruderte er raschelnd in der Luft. Unter der Achsel zeichnete sich ein dunkler Fleck ab.

Es gelang ihm, den Mantel loszuwerden; zur Seite wankend hängte er ihn an einen Haken und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Er nahm den Kopfhörer von den Ohren und ließ den rhythmischen Bass darin durch den Gang stampfen. Befreit richtete der Jeanshut seine ramponierte Krempe auf und landete auf dem Haken. Der Mann wandte sich um, und stockte, als er Teresa sah.

"Nicht erschrecke", sagte Teresa, schob sich durch den Türspalt und ging zu ihm. Das also war der Gast, den die Mühlbachs angekündigt hatten. Seine schon leicht grau gewordenen Brauen waren über den Augenschlitzen eng zusammengerückt. Es sah aus, als müsste er eine schwere Rechenaufgabe lösen.

"Ich bin Teresa", sagte sie und streckte ihre Hand aus.
"Karl Schober", stellte er sich vor, ohne ihre Hand zu beachten. Er schwieg und sah mit gesenktem Kopf die Wand an.

"Küche ist fertig geputzt, wenn Sie wollen gehen hinein", sagte Teresa.

Keine Antwort. Sie standen sich gegenüber. Teresa sog den leicht alkoholischen Duft des Reinigungsmittels aus der Küche ein und sah Schobers mächtigen Schädel an.

Sie wartete noch einen Moment, aber er sagte nichts mehr. Schließlich machte sie kehrt, holte Eimer, Lumpen und Schrubber und schleppte das Zeug an ihm vorbei in das Zimmer links hinten, am Ende des Ganges.

Der Raum lag im Dunkeln und es roch nach frischer Farbe. Das Deckenlicht funktionierte immer noch nicht, deshalb tapste sie auf einen herumliegenden Fußschalter. Sie erschrak, als plötzlich ein gleißendes Licht den Raum überflutete. Die plötzliche Grelle blendete sie. Sie konnte kaum etwas erkennen in diesem schmerzhaften Weiß, das aus der Mitte des Raumes kam. Nur allmählich tauchten daraus links und rechts die kahlen Wände auf, die beiden Einbauschränke, die grauen Innenseiten der Rollladen, ein Klappstuhl mit Lappen, Farbtuben, Pinseln. Die Fassung an der Decke hing einsam und hohl herunter. Sonst war das Zimmer leer wie immer.

Als sie den nassen Lappen über den Bürstenkopf des Schrubbers legte, fiel ihr Blick wieder in die Mitte des Raumes, wo sie jetzt ein weißes Rechteck sah. Es war ein längliches Gemälde, das hochkant auf einer Holzstaffelei ruhte. Es bestand aus nichts als einer weißen Fläche. Das grelle Licht kam von einem großen Theaterstrahler, der vor Teresa stand und direkt auf das Bild gerichtet war.

Teresa blinzelte zur Staffelei hin, da hörte sie das Parkett knarzen, und Schober stand neben ihr. Sie sah ihn an, seinen breiten Kopf, die langen, leicht gräulichen Haare, den Vollbart. Aber er sah kalt an ihr vorbei, zu dem Bild hin.

"Sie gemalt diese Bild?", fragte sie ihn.
"Ja", sagte er, "bitte passen Sie drauf auf, es ist noch nicht trocken."
"Okay. Meine Freundin ist auch eine Künstler."
"Ja. Aha."
"Meine Freundin male Landschafte, schöne, grüne Täler, aber wie schöne!"
"So. Grüne Täler. Hm."
Schober gab einen knarrenden Ton von sich, der Teresa an das Parkett erinnerte.
Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Das Parkett unter ihr knarzte. Es knarzte praktisch immer. Wenn man darüber ging, knarzte es bei jedem Schritt, aber auch wenn man nur ruhig dastand, knarzte es, von den unmerklichen Gewichtsverlagerungen, man konnte es nicht vermeiden. Manchmal dachte Teresa, das Parkett knarzte auch, wenn man nur plötzlich an etwas anderes dachte, wenn man die Denkrichtung änderte. Sie sah zu Boden. Das haselnussbraune, an einigen Stellen gräulich abgestoßene Holz war eigentlich gut, viel besser als das neue Fichtenparkett in der Küche, wo die Gegend unter dem Tisch schon jetzt einer Kraterlandschaft glich. Das Parkett in den übrigen Räumen war hart und gut, immun gegen Stöckelschuhe, aber es war sechzig Jahre alt, wie das Haus selbst. Jetzt war ihm jede Belastung zu viel. Daher das Ächzen – das verstand Teresa. Sie hob den Kopf und nahm die Unterhaltung wieder auf.

"Ist Bild fertig schon?", fragte sie.
Schober drehte sich ein wenig zu ihr hin.
"Fertig. Ja. Ich weiß nicht. Glauben Sie denn, dass es fertig ist? Was sehen Sie denn?"
"Weiße Farbe, weiße Farbe nur."
Schober sah sie an und wartete. Sie blickte genauer hin, und wirklich: Das war kein hochkantiges weißes Rechteck, sondern zwei Quadrate übereinander.
"Naja", sagte sie, "obere weiße Quadrat bisschen mit Rot, untere bisschen mit Blau."
"Und? Gefällt es Ihnen?"
"Ich verstehe nichts, gar nichts", sagte Teresa, zog die Schultern hoch und schüttelte ihre Hände. "Was soll das sein?"
"Ich nenne es 'Winterlicht'."
"Winterlich?"
"Winterlicht. Licht - th - th. Licht, wie von dem Strahler hier."
"Ah, Licht. Winterlicht, ja." Teresa versank für einen Moment in dem Bild. Das Parkett knarzte, dann verstand sie: Das rötliche Weiß oben war eine Andeutung des Himmels, das Bläuliche darunter eine Schneefläche oder ein gefrorener See.
Schober nickte, ohne dass sie etwas gesagt hätte.
"Und jetzt, Sie male noch Mensch mit dicke Mütze und rote, rote - wie heißt das? Backe?"
"Die Menschen", sagte Schober, "die Menschen sieht man nicht. Es liegt eine Art Nebel darüber, den würde ich gern noch malen. Ich weiß aber nicht wie."
"Nebel?"
"Ja, als die Lawine unten war, hat sich ganz langsam ein Nebel darüber gelegt, ein Schneestaub. Das hat alles verdeckt, verstehen Sie."
"Ach so, eine Lawine", sagte Teresa und spürte einen Stich in der Gegend der Lendenwirbel.
"Ja, eine Lawine."
"Entschuldigen Sie, Herr Schober, ich muss mich hinsetze. Immer wenn ich stehe ohne bewegen, meine Rücken tut weh."

Teresa ließ Schober allein, ging in die Küche und setzte sich ächzend an den Resopaltisch. Sie streckte den Rücken, versuchte, möglichst gerade zu sitzen, dann wurde es meistens besser. Keine zwei Minuten, und Schober kam nach. Er balancierte ein Glas mit graugrünem Wasser und zwei Pinseln vor sich her, wandte Teresa den schmalen Rücken zu, um das Glas ins Spülbecken zu leeren und es mit klarem Wasser wieder aufzufüllen. Ein riesiger Schädel, schoss es Teresa durch den Kopf, viel zu groß für den Rest.
"Der Nebel ist immer um mich", erklärte Schober, während das Wasser rauschte.
"Dann Nebel hat Bedeutung für Sie", befand Teresa und zog eine Flasche aus ihrem Beutel.
"Sie möchte Baileys, bitte?"
Schober wandte sich um. "Nein danke", sagte er.
"Ich störe?"
"Nein nein, bleiben Sie nur."
Dann holte Schober doch zwei Gläser aus dem Küchenschrank und stellte sie hin, damit Teresa einschenken konnte. Er setzte sich ihr gegenüber und sagte: "Rot – Rot ist eine Leidenschaft, Grün ist eine Pflanze, aber Weiß? Weiß bedeutet eigentlich gar nichts. Wenn ich im Nebel stehe ..."
Seine Augen lösten sich aus Teresas Blick und schweiften zur Wand ab.
"Ja, interessant, diese Nebel", meinte Teresa, als er nichts mehr sagte.

Eine Weile schwiegen sie. Teresa überlegte, wie sie Schober zum Sprechen bringen konnte. Ihn nicht verletzen, dachte sie, und sagte, so sanft wie möglich: "Diese weiße Bild, diese Lawine. Herr Schober, nicht böse sein, aber bitte: Was bedeutet das?"
Schobers Oberkörper wankte zur Seite, als hätte Teresa ihm einen Stoß versetzt, dann schwang er wieder zurück, und Schober stieß hervor: "Mein Heimatdorf in Tirol ist 1999 von einer Lawine getroffen worden."
Er sah auf seine Hände und rieb an seinem Mittelfinger herum. An dem runzligen Finger daneben blitzte es golden. Natürlich - seine Frau, fuhr es Teresa durch den Kopf: Seine Frau war durch die Lawine umgekommen.
"Entschuldigen Sie", sagte sie.
Offenbar hatte Schober ihren Blick bemerkt, denn er sagte: "Nein, nicht was Sie denken."
Seine Hände falteten sich, massierten einander, die Fingernägel der einen drückten in den Rücken der anderen. "Unsere Nachbarn, zwei Frauen und ein Mädchen, in der Küche", rang er sich ab. "Wenn sie nicht in die Küche gegangen wären ... im Wohnzimmer brannte noch die Kerze, als die Rettung kam – unglaublich, nicht."

Teresa schluckte und war einen Augenblick lang still.
"Aber 1999? Vor fünf Jahre? Warum immer noch denken?"
"Meistens ist es um mich wie in der Waschküche", sagte Schober. "Aber manchmal wird der Dunst dünner, und dann erkenne ich etwas. Zuerst ist es eine nur dunkle Stelle, ein dunkles Loch, so groß wie mein Kopf: Ich sehe direkt in dieses Loch hinein, direkt in dieses Schwarze. Dann erkenne ich ein silbrig schimmerndes Rohr, und das Loch ist das Innere dieses Rohres, und dann macht es Klick – und ich erschrecke furchtbar."
Teresa runzelte die Stirn.
"Ist das eine Alptraum?", fragte sie.
"Es ist wie beim Russisch Roulette", fuhr er fort. "Jede Sekunde macht es Klick, das Ticken der Uhr – oder das Geräusch des Abzugs. Vielleicht hören Sie das Klicken nicht, aber bei Ihnen ist es dasselbe, auch für Sie gibt es einen Revolver."

(Geringfügig geänderte Version)

 

Lieber Stefan!

Auch mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen. Sie läßt sich recht flüssig lesen, nur bezüglich der direkten Reden Teresas hab ich eine Kritik, dazu aber später, und spannend erzählt finde ich sie auch.

Leicht mysteriös beschrieben, und, ähnlich wie bei »Ein nettes Reihenhaus in einem guten Viertel«, gibt es auch hier eine Putzfrau, die eine Begegnung mit einem mehr oder weniger unheimlichen Mann hat. Was Du mir in Hallstatt über dieses »mehr oder weniger« gesagt hast, hab ich noch im Ohr, da ich aber nicht weiß, ob es Dir recht wäre, das hierher zu schreiben, sag ich nur: Das kann ich bei dieser Geschichte viel besser nachvollziehen als bei der erwähnten. (…und hoffe, daß Du jetzt weißt, wovon ich rede :D – wenn nicht, schreib ich es Dir per PM. ;))

So verschieden man den Schluß auch lesen kann, finde ich doch die Variante am schönsten, bei der das Russisch Roulette eine Metapher für »Es kann jeden treffen« ist. Jede Sekunde macht es klick, und für irgendjemand ist es kein leeres Klicken… und das kann jeder sein. Das deutest Du meiner Meinung nach auch mit der Kerze an: Wären die Leute nicht in der Küche, sondern im Wohnzimmer gewesen, hätten sie überlebt. Dem Protatonisten ist das durch dieses Erlebnis mehr als bewußt geworden, und das beschäftigt ihn in seinen Bildern und Gedanken. Er scheint den Schock noch gar nicht verarbeitet zu haben.
Vermutlich geringschätzt er die Landschaften, die die Freundin der Protagonistin malt, auch deshalb, weil er eben einen ganz anderen Bezug zum Malen hat, für ihn ist es Ausdruck seiner Gefühle, kein Nachmalen einer Landschaft, bei dem es rein auf die Schönheit ankommt.

Was mir an den direkten Reden von Teresa nicht gefällt, ist, daß sie sehr künstlich auf mich wirken, ganz so, als hätte ein Deutscher versucht, deutsche Sätze polnisch klingen zu lassen…:D Ich kenn die Besonderheiten des Polnischen, was Satzstellung und so betrifft, leider auch nicht, würde Dir da gern helfen. Aber an einigen Stellen hatte ich das Gefühl, Du läßt einfach nur die letzten Buchstaben, insbesondere n, aus, bzw. läßt Du die Mehrzahl der Wörter einfach mit e enden. Nur mal zwei Beispiele, die mir störend aufgefallen sind: »ich muss mich hinsetze« und »Meine Freundin male Landschafte« – man könnte auch eine verstopfte Nase vermuten…
Wie gesagt, bin ich im Polnischen bzw. den Eigenarten, die sich dann ins Deutsche übertragen, auch nicht sehr bewandert, aber ich glaube nicht, daß sie alle Wörter einfach hinten um den letzten Buchstaben kürzen. Ich würde an Deiner Stelle mit jemand sprechen, der Polnisch kann, oder einfach phantasievollere Abänderungen machen, z.B. „Nicht erschreckta“ oder so (in der Geschichte steht ja auch nicht, daß es sich um eine Polin handelt, man merkt ja eigentlich nur, daß es sich um eine sog. Ausländerin handelt, allerdings enden glaub ich viele polnische Wörter mit a, wodurch mein Vorschlag vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenns Polnisch sein soll).
Und besonders gestört hat mich das »Okay« – das ist englisch und paßt dann meiner Ansicht nach schon gar nicht dazu. Würde in dem Fall zum polnischen »Dobrze!« greifen, was so viel heißt wie »Schon gut!« und an der Stelle in meinen Augen auch von der Bedeutung her besser passen würde als »Okay«.


Ansonsten hab ich nur mehr die paar Kleinigkeiten, die sind fast nicht der Rede wert:

»Der Mann wandte sich um, und stockte, als er zu Teresa hersah.«
– den ersten Beistrich könntest Du streichen (nach »um«), außerdem würde ich das »her-« streichen: als er zu Teresa sah

»Er balancierte ein Glas mit graugrünem Wasser und zwei Pinseln vor sich her, wandte Teresa den schmalen Rücken zu, um das Glas ins Spülbecken zu leeren und es mit klarem Wasser wieder aufzufüllen.«
– »um das Glas ins Spülbecken zu leeren« – richtiger wäre »zu entleeren«, oder, dann würde sich das Glas nicht wiederholen, »die Brühe ins Spülbecken zu leeren«

»erklärte Schober, wärend das Wasser rauschte.«
– h bei während fehlt

»"Nein nein, bleiben Sie nur."«
– eigentlich gehörte da ein Beistrich, zwischen den beiden »Nein«, aber ich kenn das Problem, wenn sie schnell, fast wie ein Wort gesagt sein sollen, dann tut man sich da schwer…;)


Alles Liebe,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Susi,

du hast dich anscheinend ziemlich gründlich mit meiner Geschichte auseinandergesetzt. Danke.

Du schreibst mir, wie du die Geschichte verstanden hast. Diese Art von "Kritik" finde ich immer besonders interessant: Wie die Geschichte auf andere wirkt.

Was du wirklich kritisierst ist das Polnischdeutsch - das wurde auch bei meiner ersten Putzfraugeschichte kritisiert. (Übrigens schmeichelhaft, dass du dich noch an den Text erinnerst.) Dieser Tonfall wirkt auf dich nicht nur unrealistisch, es scheint dich definitiv zu stören. Es stört offenbar nicht jeden, aber etliche Leser. Das macht mich wieder skeptisch. Ich schwanke noch ein bisschen. :)

Die Fehler korrigiere ich.

Der Mann wandte sich um, und stockte, als er zu Teresa hersah.
Das Komma ist nicht nötig, da hast du recht, aber es passt zum Stocken, ver, lang, samt, den Lese, fluss, oder?

»um das Glas ins Spülbecken zu leeren« – richtiger wäre »zu entleeren«
Mein Universalwörterbuch sagt: leeren = leer machen: z.B. den Mülleimer, den Briefkasten leeren. Aber auch: (österr., sonst landsch.) den Eimer in den Ausguss leeren
Da hab ich also einen Austriazismus verwendet, und muss es mir von dir sagen lassen! Bitter, bitter. :) Das landsch. (landschaftlich) tröstet mich aber, und da die Geschichte in München spielt, lass ich es so. Muss ja nicht alles superhochdeutsch sein.

Grüße + vielen Dank,
dein Stefan

 

@leixoletti:
Schön erzählte Geschichte und prima, dass auch du Klischees aufhebst. Allerdings hätte ich angedeutet, dass die Putzfrau sich wundert, wenn ein fremder Künstler sich die Zeit nimmt, ihr sein Bild und seine größte Angst erzählt. Oder dass der Künstler sich verwundert anschaut oder sie fragt, was sie früher beruflich gemacht hat. Vielleicht arbeitet sie nur in Deutschland als Putzfrau, weil sie als Akademikerin keine Stelle bekommt?
Warum hast du so ausführlich das Parkett beschreiben?

das Parkett knarzte auch, wenn man nur plötzlich an etwas anderes dachte, wenn man die Denkrichtung änderte.
:thumbsup:
Der Satz war super! Aber mindestens die Hälfte der folgenden Sätze haben mich gestört, verwischen dieses Bild unnötiger Weise wieder.
Den Schluss habe ich auch so verstanden wie Häferl, aber er wirkt auf mich ein wenig zu plump, da fehlt etwas. Jetzt habe ich gelesen, dass es vorher unverständlich war. Vielleicht könnte er seine Hand wie einen Revolver an ihren Kopf setzen und erklären, dass immer wieder abgedrückt wird, aber man weiß nie, wann die Kugel kommt, oder so ähnlich. Fände ich dramatischer.
Noch ein paar stilistische Kleinigkeiten:
Das mit dem "einen monströsen Kopfhörer über einem Jeanshut" hat mich verwirrt. Warum schreibst du nicht gleich, dass die Krempe nach oben geklappt ist?
Reden Ausländer nicht eher in der undeklinierten Form eines Verbs, z. b. "Meine Freundin malen...". Der Satz "Küche ist fertig geputzt" erscheint mir in diesem Zusammenhang zu perfekt. Jetzt lese ich, dass sie Polin sein soll. Ich kenne einige, die aus Polen gekommen sind und keiner redet so.

@Häferl: Warum kann ein Landschaftsgemälde deiner Meinung nach keine Gefühle ausdrücken?

viele liebe Grüße
tamara

 

Hallo Tamara,

erstmal vielen Dank fürs Lesen. Einige Dinge kommen dir unwahrscheinlich vor, oder du möchtest gern eine Erklärung haben. Dass der Maler z.B. so offen spricht oder dass die Putzfrau so interessiert und einfühlsam ist. Ich nehm das zur Kenntnis. Aus meiner Sicht braucht eine Geschichte nicht zu begründen, warum ihre Protagonisten so und so sind. Und schon gar nicht sinnvoll wäre es, das Verhalten der Protagonisten im Nachhinein zu begründen.

...wenn man die Denkrichtung änderte." Der Satz war super! Aber mindestens die Hälfte der folgenden Sätze haben mich gestört
-> Vielleicht sollte ich da etwas kürzen. Danke für den Hinweis.

Vielleicht könnte er seine Hand wie einen Revolver an ihren Kopf setzen und erklären, dass immer wieder abgedrückt wird, aber man weiß nie, wann die Kugel kommt
-> Keine schlechte Alternative. Aber das ist dein geistiges Eigentum, nicht meins. Vielleicht wird mal eine Geschichte daraus?

Das mit dem "einen monströsen Kopfhörer über einem Jeanshut" hat mich verwirrt. Warum schreibst du nicht gleich, dass die Krempe nach oben geklappt ist?
-> Inwiefern verwirrt dich das? Die Krempe könnte auch nach unten geklappt sein. Ist das für dich wesentlich?

Zur Ausländer-Diktion: Ich hab mich endgültig entschlossen, das zu streichen. Einfach, weil es offenbar immer unrealistisch wirkt. Teresa spricht dann etwas, was sich zumindest hochdeutsch ausschreiben lässt. Wenn ich die Geschichte vorlese (hab ich heut in meiner Offline-Literaturgruppe getan), bleibe ich bei einer polnischen Färbung.

Grüße,
dein Stefan

 

Lieber Stefan!

Was du wirklich kritisierst ist das Polnischdeutsch

Nicht die Tatsache, daß Du es verwendest, sondern daß es auf mich nicht realistisch wirkt, so wie es ist, war meine Kritik. ;)
Aber wirklich helfen könnte ich Dir nur, wenn es sich um eine Ungarin handeln würde...

@Tamara:

tamara schrieb:
@Häferl: Warum kann ein Landschaftsgemälde deiner Meinung nach keine Gefühle ausdrücken?

Hehe, nein, ich sag nicht, in Landschaftsmalereien könne man keine Gefühle ausdrücken. Ich hab zum Beispiel ein Bild hier, das meine Oma gemalt hat, auf dem ist nur ein Stück Waldweg zu sehen, aber für mich ist es sehr vielsagend. ;)
Aber ich kannte schon Leute, die mehr abstrakt malten und solche Landschaftsmalereien geringschätzten, sie stellten das eher wie Bilderbuch-Anmalen hin, und das meinte ich, an dieser Stelle der Geschichte wiederzufinden: ;)
"Meine Freundin male Landschafte, schöne, grüne Täler, aber wie schöne!"
"So. Grüne Täler."
Schober gab einen knarrenden Ton von sich,

Liebe Grüße,
Susi :)

 

@Stefan: Ich hatte vorgeschlagen, dass die Prots sich wundern. Natürlich musst du nichts begründen und keinen Vorschlag eins zu eins umsetzen. Ich versuche meine Kritik nur so konkret wie möglich zu formulieren, statt einfach nur zu schreiben: Das gefällt mir nicht. Aber vielleicht gehe ich dabei manchmal zu weit.

@Häferl: Ja, genau!
Gruß tamara

 

Eine Art Russisches Roulette

Teresa erschrak, als plötzlich, während sie die Küche wischte, draußen im Flur das Parkett knarzte. Sie zog die Tür einen Spalt weit auf und spähte um die Ecke: Ein fremder Mann stand vor der Wandgarderobe. Sie sah von der Seite den monströsen Kopfhörer über seinem Jeanshut, den auf den Rücken gedrehten Arm im Trenchcoat-Ärmel, die rudernde zweite Hand, raschelnd in der Luft.

Dem Mann gelang es, den Mantel loszuwerden. Er nahm den Kopfhörer von den Ohren und wandte sich zu Teresa um. Er stockte, als er sie sah.

"Nicht erschrecken", sagte Teresa, trat aus der Küche heraus und ging auf den Mann zu. Das also war der Gast, den die Mühlbachs angekündigt hatten. Seine schon leicht grau gewordenen Brauen waren über den Augenschlitzen eng zusammengerückt. Es sah aus, als müsste er eine schwere Rechenaufgabe lösen. Und seine Augen tränten.

Sie überlegte kurz, ob sie ihn fragen sollte, was ihm passiert wäre, entschied sich aber schnell dagegen. Sie kannte ihn nicht, und vielleicht hatte er immer feuchte Augen, in seinem Alter – sie schätzte ihn auf runde sechzig.
"Ich bin die Putzfrau, Teresa", sagte sie und streckte ihre Hand aus.
"Karl Schober", stellte er sich vor, ohne ihre Hand zu beachten. Er schwieg und sah mit gesenktem Kopf zur Seite.

Sie wartete noch einen Moment, aber da nichts mehr kam, machte sie kehrt, holte Eimer, Lumpen und Schrubber, und schleppte das Zeug an ihm vorbei in das Zimmer links hinten, am Ende des Ganges.

Der Raum lag im Dunkeln und es roch nach frischer Farbe. Sie tapste auf einen herumliegenden Fußschalter, und sofort überflutete ein gleißendes Licht den Raum. Zunächst konnte sie gar nichts erkennen, in diesem schmerzhaften Weiß. Doch allmählich tauchten links und rechts die kahlen Wände auf, die beiden Einbauschränke, die grauen Innenseiten der Rollladen, ein Klappstuhl mit Lappen, Farbtuben, Pinseln. Zuletzt wurde in der Mitte des Raumes ein weißes Rechteck sichtbar, ein längliches Gemälde, das hochkant auf einer Holzstaffelei ruhte. Ein großer Theaterstrahler warf sein grelles Licht darauf.

Teresa blinzelte zur Staffelei hin, da hörte sie das Parkett knarzen, und Schober stand neben ihr. Sie sah ihn an, seinen breiten, eigentlich viel zu großen Kopf, die langen, leicht gräulichen Haare, den Vollbart. Aber er sah kalt an ihr vorbei, zu dem Bild hin. Kalt oder traurig? Es war nicht klar. Teresa versuchte, das Schweigen zu brechen.

"Meine Freundin malt auch, Landschaften, schöne, grüne Täler, aber wie schöne", sagte sie.
"So. Grüne Täler. Hm."
Schober gab einen knarrenden Ton von sich, der Teresa an das Parkett erinnerte.

Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Das Parkett unter ihr knarzte. Es knarzte praktisch immer. Wenn man darüber ging, knarzte es, wenn man ruhig dastand, knarzte es, es knarzte bei schnellen Bewegungen und es knarzte bei unmerklichen Gewichtsverlagerungen. Manchmal dachte Teresa, das Parkett knarzte auch, wenn man nur plötzlich an etwas anderes dachte, wenn man die Denkrichtung änderte.

Sie sah zu Boden. Das haselnussbraune, an einigen Stellen gräulich abgestoßene Holz war eigentlich gut, ja, hart und gut, immun gegen die spitzen Stöße von Stöckelschuhen und die hart lastenden Kanten schwerer Möbel. Aber es war sechzig Jahre alt, und so war ihm jetzt jede Belastung zu viel. Daher das Ächzen – das verstand Teresa. Sie hob den Kopf und versuchte, die Unterhaltung wieder aufzunehmen.

"Ist das Bild schon fertig?", fragte sie.
Schober drehte sich ein wenig zu ihr hin.
"Fertig. Ja. Weiß nicht. Glauben Sie, dass es fertig ist?"
"Ich sehe nur weiße Farbe, nichts als weiße Farbe."
Schober sah sie an und wartete. Sie blickte genauer hin: Das war kein hochkantiges weißes Rechteck, sondern zwei Quadrate übereinander.
"Naja", sagte sie, "das obere weiße Quadrat ist ein bisschen rötlich und das untere bläulich."
"Und? Gefällt es Ihnen?"
"Ich verstehe nichts, gar nichts", sagte Teresa, zog die Schultern hoch und schüttelte ihre Hände. "Was soll das sein?"
"Ich nenne es 'Winterweiß'."
"Ah, Winterweiß, ja." Teresa versank für einen Moment in dem Bild. Das Parkett knarzte, dann verstand sie: Das rötliche Weiß oben war eine Andeutung des Himmels, das Bläuliche darunter eine Schneefläche oder ein gefrorener See.
Schober nickte, ohne dass sie etwas gesagt hätte.
"Und jetzt malen Sie noch einen Mensch mit dicker Mütze und roten Backen?"
"Die Menschen", sagte Schober, "die Menschen sieht man nicht. Es liegt ein Nebel darüber, den würde ich gern noch malen. Weiß aber nicht wie."
"Nebel?"
"Ja, ein Schneestaub. Das verdeckt alles, verstehen Sie."
"Ich glaube, ich verstehe ihr Bild immer noch nicht", sagte Teresa. Sie spürte einen Stich in der Gegend der Lendenwirbel.
"Entschuldigen Sie, Herr Schober, ich muss mich hinsetzen. Immer wenn ich stehe, ohne mich zu bewegen, tut mein Rücken weh."

Teresa ließ Schober allein, ging in die Küche und setzte sich ächzend an den Resopaltisch. Sie streckte den Rücken, versuchte, möglichst gerade zu sitzen, dann wurde es meistens besser. Dabei fiel ihr Blick auf ein gerahmtes Foto auf dem Kühlschrank. Es zeigte eine Frau um die fünfzig, mit einem Kopftuch und lustigen Augen. Aber der Rahmen hatte am Eck einen schwarzen Trauerflor. Teresa schloss kurz die Augen. Der Mann war wirklich in Trauer. Aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Schober kam ihr nach.

Er balancierte ein Glas mit graugrünem Wasser und zwei Pinseln vor sich her, wandte Teresa den schmalen Rücken zu, um das Glas ins Spülbecken zu leeren und es mit klarem Wasser wieder aufzufüllen. Ein riesiger Schädel, schoss es Teresa durch den Kopf, viel zu groß für den Rest.

"Der Nebel ist immer um mich", erklärte Schober, während das Wasser rauschte.
"Dann hat der Nebel Bedeutung für Sie", befand Teresa und zog eine Flasche aus ihrem Beutel.
"Möchten Sie einen Baileys, bitte?"
Schober wandte sich um. "Nein danke", sagte er.
"Störe ich?"
"Neinnein, bleiben Sie nur", antwortete Schober. Dann holte er doch noch zwei Gläser aus dem Küchenschrank und stellte sie hin, damit Teresa einschenken konnte. Er brachte Eiswürfel aus dem Kühlschrank, ließ sie mit einem Glucksen in den hellbraunen Likör gleiten und setzte sich ihr gegenüber.

Teresa schenkte ein und deutete mit dem Kopf in Richtung des Trauerfotos. Gerade wollte sie beginnen, da kam ihr Schober zuvor. Er war immer noch mit dem Bild beschäftigt: "Rot – Rot ist eine Leidenschaft, Grün ist eine Pflanze, aber Weiß? Gesundheit vielleicht, oder genau das Gegenteil? Für mich bedeutet Weiß gar nichts. Wenn ich im Nebel stehe ..."
Sein Blick löste sich aus dem von Teresa und schweifte zur Wand ab.
"Ja, interessant, dieser Nebel", meinte Teresa, als er nichts mehr sagte.

Eine Weile schwiegen sie. Teresa überlegte, wie sie Schober zum Sprechen bringen konnte. Ihn nicht verletzen, dachte sie, und sagte, so sanft wie möglich: "Herr Schober, nicht böse sein, es geht mich ja nichts an, aber bitte: Haben Sie Ihre Frau verloren?" Teresa deutete hinüber zu dem Trauerfoto.

Schobers Oberkörper wankte zur Seite, als hätte Teresa ihm einen Stoß versetzt, dann schwang er wieder zurück, und Schober stieß hervor: "Mein Heimatdorf ist von einer Lawine getroffen worden, wissen Sie."

Natürlich - seine Frau, fuhr es Teresa durch den Kopf: Seine Frau war durch die Lawine umgekommen.
"Entschuldigen Sie", sagte Teresa.
"Nein, nicht was Sie denken", wehrte Schober ab.
Seine Hände falteten sich, massierten einander, die Fingernägel der einen drückten in den Rücken der anderen. "Unsere Nachbarn, zwei Frauen und ein Mädchen, in der Küche", rang er sich ab. "Anni dort" – er deutete zu dem Foto hinüber – "Anni stand mir besonders nahe. Wenn sie nicht in die Küche gegangen wäre ... Im Wohnzimmer wäre ihr gar nichts passiert. Gar nichts. Im Wohnzimmer brannte noch die Kerze, als die Rettung kam – unglaublich, nicht."

Er richtete sich seufzend auf. Er schien erleichtert. Teresa war noch einen Augenblick lang still.
"Aber wann war das?", fragte sie dann.
"1999. Vor fünf Jahren."
"So lang her? Und Sie denken immer noch dran?", fragte Teresa.
"Meistens ist es um mich wie im dichten Nebel", sagte Schober. "Ich erkenne nichts. Aber manchmal wird der Dunst dünner, im Traum, und dann sehe ich Anni dasitzen. Sie ist auf einen Stuhl gebunden, der Kopf wird durch ein Gestell fixiert. Rechts an dem Gestell ist ein Apparat befestigt, ein schwarzes Metallrohr steht heraus, es endet an der Schläfe. Manchmal verändert sich das Gesicht, und dann sitze ich dort, oder besser: mein Körper. Auf dem Stuhl, mit der Mündung an meiner Schläfe. Es macht plötzlich Klick – und ich erschrecke furchtbar."

Teresa runzelte die Stirn.
"Ist das ein Alptraum?", fragte sie.
"Eine Art Russisch Roulette", erklärte er. "Jede Sekunde macht die Pistole in dem Apparat Klick – das Geräusch des Abzugs."
Teresa schüttelte den Kopf: Sie verstand nicht, was das heißen sollte.
"Vielleicht hören Sie das Klicken nicht", sagte Schober. "Aber bei Ihnen ist es dasselbe, auch für Sie gibt es einen solchen Apparat."

 

Hallo Stefan,
he, da hast du ja heimlich, still und leise eine neue Version gepostet. Es ist ja schon länger her, dass ich die zweite (?) gelesen habe. Nun, ich denke, diese gefällt mir noch besser, die komische Sprechweise der Putzfrau ist weg, ich glaube, die Beschreibung des Parketts ist kürzer und prägnanter und das Ende gefällt mir auch besser, genügend angedeutet, dass es verständlich ist, aber nicht zu platt. Eine Kleinigkeit nur noch:

ein schwarzes Metallrohr steht heraus, es endet an der Schläfe.
Hier habe ich mir zuerst vorgestellt, dass das Ende des Metallrohrs nach vorne zeigt, nicht auf ihre Schläfe. Ich weiß nicht, ob ich es verstanden hätte, wenn ich nicht gewusst hätte, worauf du hinaus willst.
Gruß
tamara

 

Liebe tamara,

danke fürs Nochmallesen. Die Sache mit dem Metallrohr muss ich mir wohl nochmal genau anschauen. Es freut mich jedenfalls, dass du das Ende nun besser findest.

Grüße aus München,
Stefan

 

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