Wie man einen Kuss bekommt…
Wenn der Moment gekommen ist, in dem verschiedene Personen es witzig finden, dass Dreizehn Lenze sich auf Schwänze reimt, haben diese Personen in aller Wahrscheinlichkeit eben dieses Alter erreicht.
Noch wahrscheinlicher, demnach, so gut wie sicher, ist die Tatsache, dass keiner dieser Komiker jemals die Erfahrung eines Kusses von einer Frau, die nicht ihre Mutter oder zumindest ihre Erziehungsberechtigte ist, gemacht hat.
Irgendwo stellt man sich dann im Geheimen oder vielleicht eben seiner Mutter die Frage, wie es so ist, einen Kuss zu bekommen. Wie dieses von schmatzenden Begleitumständen umgarnte Gefühl nun so sei.
Wie das so ist im Leben, wenn man auf ein neues Eis neugierig ist, oder wissen will wie dieses geht oder jenes funktioniert, geht probieren über Studieren.
Dass der Aufwand, sich das neue Eis zu beschaffen geringer sein wird, als der einen Kuss zu bekommen, steht wohl außer Frage. Einem Eis ist deine Frisur oder die Marke deiner Socken egal, aber ein Mädchen ist in diesen Punkten sensibel, bei falschen Schuhen, falschen Haaren, falschem Musikgeschmack, falschen Hosen, zu kurzen ergo falschen Pulliärmeln, ist die Angebetete über alle Berge bzw. von ein paar Freundinnen umgeben und somit unantastbar.
In dieser Unantastbarkeit liegt auch noch ein gewisser Reiz, wenn man bedenkt, dass der Mensch schon immer das wollte, was er nicht bekommen konnte. Ähnlich ist auch die weibliche Person zu sehen, denn ist sie wunderschön zur Welt gekommen, basiert ihre Anziehungskraft nicht nur darauf, dass sie einfach toll aussieht, sondern zu einem erheblichen Prozentsatz auch daran, dass sie dadurch so unerreichbar zu sein scheint und eine Art Trophäenstatus einnimmt. Was hier aber nicht sexistisch gemeint ist, aber leider trotzdem so klingt.
Mit diesem Wissen ausgestattet, hat man schon den ersten Schritt getan. Die weiteren Schritte, die in ihrer Komplexität nicht immer zu erläutern sind, müssen hiermit einfach hingenommen werden und sind dennoch strengstens zu befolgen.
Miroslav ist die eben angesprochenen 13 Jahre alt, geht auf das Adam und Eva Gymnasium in Potsdam und hätte gerne einen Kuss.
Erst einmal wechselt er seinen Namen um cooler und selbstbewusster zu klingen. Spontan fällt ihm Mirko ein und nach kurzer Absprache einigt er sich mit seinem besten Freund Leonardo auch darauf. Mittags um 14 Uhr werden dann erste Pläne geschmiedet, wie mit der Beteiligten dann umgegangen werden müsse. Nachdem die Feinabstimmung geklärt wurde, beschließen sie, den richtigen Look zu finden. Leo besorgt Seil und Messer und sucht einen geeigneten Friseur, während Mirko sich in der Fashionabteilung, des hiesigen Karstadt zurecht zu finden versucht.
Mit wischig, witzig, würzig, wulstig weiten Hosen verlässt er kurze Zeit später das Gebäude und begibt sich zum per Handy abgesprochenen Friseur.
Es ist halb Sieben Uhr Abends und die beiden Jungs halten letzten Kriegsrat vor der morgen anstehenden Schule. Drei Girlies üben den trophäenhaftesten Eindruck auf sie aus und innerhalb der nächsten Tage sollen Hitlisten zeigen, welche von ihnen am geeignetesten erscheint.
Da wäre die bisherige Spitzenkandidatin Judith, die in ihrem schwedisch blonden Look, die Männer in ihren Bann zieht und durch witzige Äußerungen immer wieder zum Lachen bringt.
Ebenfalls nicht zu verachten ist Melanie. Sie bringt allein mit dem Schütteln ihrer langen, braunen Mähne Männerherzen zum Beben.
Das dritte von Schönheit nur so gesegnete Geschöpf ist Bianca, die noch nie einen Freund hatte, weil sich einfach keiner eine Chance bei ihr ausgerechnet hat. Sie ist sozusagen das Reh im Wald, das die Jäger schon von vorn herein nicht jagen weil sie keine Aussicht auf Erfolg zu haben glauben.
Das Ausscheidungsverfahren wird ablaufen wie folgt:
Montag:
Doppelstunde Sport unter Männern. Abstimmungszettel werden den zwanzig Nasen verteilt.
Dienstag:
Die Mädchen werden dezent angesprochen und auf ihr Verhalten Mirko gegenüber überprüft.
Mittwoch:
In der Gemeinschaftskundestunde über politische Meinung wird genau Buch geführt, auf welche Meinung Mirko sich am leichtesten einstellen kann.
Donnerstag:
Die Stimmzettel werden in der dritten Sportstunde der Woche wieder abgeben.
Freitag:
Keine Zeit wegen Mathearbeit
Nach dieser intensiven Woche werden nun die Ergebnisse vorgelegt.
Deutliches Plus bei der Abstimmung für Melanie wegen ihrer Art die Haare nach hinten zu werfen, gefolgt von Judith und knapp dahinter Bianca. Allerdings kann die Abstimmung nicht voll gewertet werden, weil manche der Beteiligten alle drei angekreuzt haben und die Wertung durcheinander gebracht wurde.
Im Gegensatz zur Abstimmung verzeichnet Melanie aber im Verhalten Mirko gegenüber ein dickes Minus, weil sie zu beschäftigt war ihre Mähne zu schütteln. Judith konnte wegen ihrer witzigen Art ein Plus erreichen und Biancas Lächeln hat wieder alles wett gemacht.
Die Tests hinsichtlich der politischen Einstellungen hatten leider ergeben, dass keine sich im Unterricht besonders bemüht sich mitzuteilen.
So ergibt sich folgender Endstand:
Platz 1-3 Bianca
Platz 1-3 Judith
Platz 1-3 Melanie
Nach gemeinsamer Absprache, beschließen die beiden alle drei mit anonymen Briefchen an die große Eiche, nebenbei der große Knutschort der gesamten Gegend, zu locken um sie dann auf ein Date einzuladen. Zwar ist man sich noch nicht hundertprozentig sicher, wie die drei zueinander stehen, aber aller Voraussicht nach wird Melanie sowieso ihre Haare in Wallung bringen, Judith die Lachmuskeln und Bianca den sechsten Sinn der beiden, der sich etwas südlicher befindet.
Genau die Lunge.
Wie geplant finden die Drei alle, den für sie vorher bestimmten Zettel auf ihren Stühlen und neugierig, wie man in dem Alter nun mal ist, kommen sie auch um halb Fünf zur großen Eiche.
Es hätte allerdings nicht viel gefehlt und die beiden Jungs hätten an der Eiche einen Männerabend feiern können.
Es war Sonntagabend und die Zettel wurden eben präpariert, als sich die Tür öffnete und Leos Schwester hereinplatzte.
Ob Leo ihr Montag um halb sechs GZSZ aufnehmen könnte, sie hätte ihre Ballettstunden und wäre daher nicht in der Lage die Folge live zu erleben.
Kleine Andeutung:
Leos Schwester ist nicht die einzige, die GZSZ schaut.
Dank dieses Zwischenfalls konnten die beiden die Uhrzeit gerade noch vorverlegen, auch wenn es sie gereizt hätte sich um 5 Uhr 55 Minuten und 55 Sekunden zu treffen, als kleine Andeutung, wie viele es dann bei diesem dringend erhofften Date wären.
Es ist nun der angesprochene Montag 15:45 und die beiden Jungs sind gerade fertig, die abgesprochenen Dialoge vorzusagen, als plötzlich im Radio „Ich kenne nichts…“ von Xavier Naidoo läuft und ihnen die Tränen aus den Augen treten.
Perfekt.
Mädchen lieben so etwas.
Top gestylt, mit allerhand Dialogen ausgestattet, geübten Einlagen und teuren Schuhen stehen die beiden eine dreiviertel Stunde später unter besagtem Gewächs und warten.
Fast genauso pünktlich treffen die drei Mädels ein und machen einen neugierigen, verwirrten, überraschten, gespannten, fröhlichen, tristen, genervten, gebannten, übermannten, verspannten, ruhigen, nervösen Eindruck. Wie leider in der Phase des Heranwachsens üblich.
Mit verschmitztem Gesicht macht Judith einen Witz über die unübersichtliche Situation, während Melanie den Kopf ,die daran befestigten Haare schüttelt und damit Bianca kitzelt, die die beiden Pubertierenden etwas eingeschüchtert mustert.
Frohen Mutes ergreift Mirko das Wort und fragt wie die Mathearbeit gelaufen sei, bevor eine von den dreien antworten kann, fragt Leo dazwischen, was sie von einem Date hielten.
Auf einen Schlag war die Anspannung gewichen, die Steine vom Herzen gefallen, die Erleichterung spürbar, der Wind legte sich, die Wolken machten der Sonne Platz, die Erde drehte sich weiter.
Alle drei fragten Leo nun, ob sie ihm ihre Handynummern geben dürften, aber er fragte nur was sie davon hielten, wenn sie gleich ein Eis essen gehen würden. Sie stimmten alle vier darüber ein, dass dies eine hervorragende Idee wäre.
Glückstrunken lässt Leo, Mirko ganz vergessend, sich von den Dreien ins Crema de Torium entführen.
Lange sitzt Mirko an den Baum gelehnt da und schaut den Glücklichen nach. Das letzte was er noch von seinem ehemals besten Freund und seinen Gespielinnen sieht, ist Melanie, die ihre Haare durch den lauen Abendwind flattern lässt. Vermutlich, weil Judith gerade einen guten Witz erzählt hat.
Er lässt den Kopf zwischen die Knie sinken. Warum hatte es so kommen müssen? War nicht er es, auf den dieser Plan zugeschnitten gewesen war?
Vermutlich ist es besser so, denn eigentlich hätte er sowieso viel lieber Leo, als eine von den Dreien geküsst und wenn er sich sputet, schafft er es noch rechtzeitig zu GZSZ.
Er nimmt das Messer, welches eigentlich für den Fall eines Notfalls (Unwille von Seiten der Mädchen sich zu treffen) vorgesehen war und denkt noch etwas zynisch: „In meinen Augen, ist das hier ein Notfall, “ während er in Richtung Crema de Torium läuft und versucht das Zwinkern seines rechten Augenlids in den Griff zu bekommen.
Wer nun der Meinung ist:
Alles falsch, Mirko hat doch gar keinen Kuss gekriegt, ist leider im Unrecht, denn Mirko ist nicht Zielobjekt dieser Beweisführung gewesen. Er war lediglich das Mittel zum Zweck. Ein Ablenkungsmanöver. Ein Placebo im metaphorischen Sinn. Ein falscher Alarm um ein paar verschlossene Türen zu öffnen.
Lasst euch nun einen letzten Tipp geben und macht keinen Notfallplan, oder wenigstens einen ohne Messer.