Was ist neu

Zurück

Mitglied
Beitritt
27.07.2003
Beiträge
149

Zurück

Ich steige aus dem Wagen aus und bin froh, es mal selber machen zu dürfen. In dem Augenblick, als er mich hier selbständig auf dem Gehweg stehen sieht, scheint Frank einen mittelschweren Schock zu erleiden. Mein Mann hat ja seine guten Seiten, die wohl überwiegen, doch im momentanen Zustand fällt es mir schwer, sie zu entdecken. Wirklich schwer. Meine Freundinnen sind jedoch nach wie vor von Frank begeistert. Wann immer ich mich mit ihm blicken lasse, hören sie nicht auf, mir zu erzählen, wie toll er sich verhält. Er kümmert er sich ja so rührend um mich. Und das sei weiß Gott nicht selbstverständlich. Mir wäre es lieber, er würde eine Sekunde lang von seinem „Beschützertrip“ runterkommen und mich meinen Alltag machen lassen, denn zu tun bleibt viel, ob man nun schwanger ist oder nicht.
Wir haben einen Termin bei dieser Hebamme, deren Namen mir im Moment entfallen ist ... Ahja, Roberta heißt sie, genau. Scheint ein richtiger Star in der Hebammenszene zu sein, wie die von allen Seiten empfohlen wird. Na ja, wir werden es ja gleich sehen.
Im Augenblick stehen wir vor der Tür ihrer Praxis, oder wie sie ihre Räume eben so nennt. Frank drückt auf einen schwarzen Knopf neben der Tür und verursacht damit ein sägendes Klingeln. Ins Klingeln mischt sich dann verzögert eine Stimme, die nicht minder unangenehm ist.
„Gehen Sie nicht da rein“, sagt jemand hinter uns.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das uns gelten soll, trotzdem drehen wir uns um. Eine zerlumpte Frau schaut mit ängstlichem Blick auf uns. Sie hält den Kopf gesenkt, muss die Augen ganz nach oben rollen, um uns überhaupt zu sehen. So sieht sie wie eine schizophrene Katze beim Verteidigen des eigenen Revieres aus.
Sie sagt noch mal, mit mehr Nachdruck:
„Gehen sie da nicht rein ...“
Frank grinst verlegen zu mir herüber. Ich frage die arme Person, was genau sie uns damit mitteilen will.
„Gehen Sie nicht rein, oder Sie werden Ihren Mann verlieren ...“
Ich kann kaum glauben, dass ich das höre. Sie drückt mir schnell einen Zettel in die Hand, noch immer in dieser Körperhaltung verweilend. Auf dem Blatt ist offensichtlich eine Telefonnummer notiert. Dann, geschickter als man ihr zugetraut hätte, dreht sie sich um und verschwindet. Wir bleiben noch kurz wie belämmert vor der Tür stehen, einigen uns gleich darauf aber, reinzugehen. Wenn Etwas mit dieser Praxis nicht stimmen sollte ... doch dann denke ich an das Gebaren der Person und beschließe, die ganze Angelegenheit unter „Arme Irre“ abzulegen. Jemand betätigt von oben den Aufschließmechanismus und wir treten ein.

Roberta stellt sich als eine freundliche Mittsechzigerin heraus. Sie führt uns durch das Gebäude und hat uns nach kurzer Zeit überzeugt, dass ihre Einrichtungen auf dem neuesten Stand sind. Mir fallen beim Rundgang die vielen lebensgroßen Bilder von schwangeren Frauen auf. Irgend Etwas erscheint mir kurz merkwürdig an ihnen, aber ich kann nicht genau sagen, was. Ich vergesse den Gedanken wieder, als Roberta uns in den Saal ruft, in dem die Gymnastik eben begonnen hat. Wir können gleich hier bleiben, wenn wir wollen, uns das Ganze mal unverbindlich anschauen und wenn wir zufrieden sind, dann liegt der Vertrag schon zum Unterschreiben in Robertas Büro bereit. Geschäftstüchtig ist sie, das muss man ihr lassen.

Wir sitzen auf einer Weichmatte und schauen den Männern zu, wie sie ihren Frauen beim Atmen helfen. Mir ist bei dem Gedanken nicht geheuer, dass Frank mir von nun auch dabei helfen wird, aber als ich sehe, wie begeistert er dem Treiben zuschaut, seine Augen glänzend, habe ich mich schon damit abgefunden.

Zehn Minuten sind vergangen. Ich werde müde. Franks Blick ist immer noch der eines Jungen Hundes, der auf den Knochen starrt. Doch als ich seinem Augen folge, sehe ich, worauf er so versessen guckt und die Geschichte von vorhin auf der Strasse stößt mir wieder sauer auf. Frank sabbert fast. Ich stoße ihn mit dem Ellenbogen an, doch er hört nicht damit auf. Er kann immer noch nicht den Blick von der Hebamme abwenden und ich beginne langsam, mir Sorgen um sein Oberstübchen zu machen.

Daheim angekommen, scheint er seine Fürsorglichkeit offenbar vergessen zu haben. Keine Bemutterungen, kein Warmer Tee, nicht mal einen Gutenacht-Kuss bekomme ich. Er zieht sich einfach in sein Zimmer zurück und schließt hinter sich ab. Durch die milchig weiße Scheibe an der Tür sehe ich das verzerrte Rauschen der anspringenden Flimmerkiste. Verrückter Tag, denke ich, bevor ich mich meinerseits schlafen lege. War es nicht Frank, der immer wehement gegen das späte Glotzen war? Egal, ich bin müde. Gute Nacht Frank, gute Nacht, hormongeplagte vorgeburts-Welt.

* * *

Doch der Morgen ist keinen Deut normaler. Als ich in meinen Birkenstocks in die Küche latsche, um mir seine Predigten anzuhören, (Es ist ja soo ungesund, so früh aufzustehen, vor allem für Dich! In Deinem Zustand! Blablaba) ist er schon zur Arbeit fort. Das ist nun wirklich eine enorme Wendung, denke ich. Ich mache mir also mein Frühstück selber. Es macht Spaß. Niemand in der Nähe, der die Arme aufhält, während ich bei dem gefährlichen Brotschneiden bin. Ich könnte ja umkippen. Bei meinem Zustand!

Ich beschließe mich noch einmal aufs Ohr zu hauen, doch auf dem Weg zu meinem Zimmer sehe ich, dass Frank den Fernseher angelassen hat. Als ich das Rauschen mit einem Kick verstummen lassen will, fällt mein Blick auf die Antenne. Sie ist ausgestöpselt. Stimmt, ich erinnere mich daran, dass sie kaputt ist. Frank kann also gar nicht Ferngesehen haben. Wahrscheinlich hat er ...
Tatsächlich, das Licht am Videorekorder blinkt noch und als ich meine Hand auf ihn lege, merke ich, dass er noch warm ist. Ich greife in den Schlitz, wo die Videokassette hingehört. Es ist Nichts drin. Ich schaue mich im sauber aufgeräumten Zimmer um, alles steht wie an dem Lineal ausgerichtet aus. Typisch Frank. Alles rechteckig-perfekt. Und nirgends eine Spur von Filmkassetten.
Ich staune über mich selbst, welcher Gedanke mir eben in den Sinn kam. Der wird doch nicht etwa... so etwas ... geguckt haben und anschließend die Kassette mitgenommen haben. Doch dann kichere ich albern auf. Und wenn schon, wer kann es ihm nicht verdenken, in meinem Zustand.
Ich lege mich auf sein Bett und probiere einige der Übungen, die ich gestern beim Kurs gesehen habe, als mir etwas durch die Matratze in den Rücken sticht. Ich steige vom Bett, hebe sie kurz an und fische erstaunt den Verursacher heraus: Ein Pornoheftchen.

Das Telefon Klingelt. Stefan ist dran. Stefan, meine alte Liebe aus den Abi-Zeiten. Wir tauschen die üblichen Floskeln aus. Nach einer Weile fällt dem Schlingel auf, dass Etwas nicht stimmt.
„Was ist los, Rebecca? Du hast doch was ...“
„Ach nichts. War gestern ein Verrückter Abend. Und heute finde ich...“
„Was“
„Ach nichts. Meinen Mann benimmt sich in letzter Zeit seltsam, das ist alles.“
Eine Pause am anderen Ende.
„Wenn der irgendwelchen Unsinn macht, brauchst du nur anzurufen, Becca. Weißt ja, bin immer für dich da. Was ist los mit dem alten Frank?“
„Nichts besonderes. Nur scheint er gerade seine Liebe zu Pornos entdeckt zu haben ...“
Wieder Schweigen am anderen Ende.
„Becca, mach dir keine Sorgen. Ich kenne Frank. So etwas hat er sich schon früher reingezogen“, man hört, dass er ein Lachen unterdrücken muss.
„Ich habe gerade ein Magazin unter seinem Bett gefunden. Es ist nicht einfach nur ein Sexheftchen ... Es ist ... es ist ... einfach ekelhaft!“, schreie ich zu meinem Erstaunen in den Hörer.
Ich kann mir nicht erklären, warum, aber jetzt breche ich in Tränen aus. Wahrscheinlich hält es Stefan für einen Schwangerschaftshormonschub, aber er versucht alles, es sich anmerken zu lassen.
„Ganz ruhig, Becca“, sagt er, „Ich habe heute frei. Was hältst du davon, wenn ich gleich bei dir vorbeikomme und wir über Alles sprechen?“
Ich nicke und lasse damit ungewollt einige Tropfen auf eins der Telefonbücher fallen . Dann lache ich zum ersten Mal an diesem Tag, als mir klar wird, wie dumm das aussehen muss, „Ok, bis gleich dann, freue mich auf Dich ...“

Ich muss es tun. Bevor Stefan hier auftaucht, will ich noch etwas erledigen. Ich will die „Verrückte“ anrufen. Falls das überhaupt ihre Nummer ist, die sie da auf den Zettel hingekritzelt hat. Fünf Sekunden lang höre ich den Piepton, dann meldet sich eine verzerrte Frauenstimme.
„Hallo, Sie werden sich noch an mich erinnern“, sage ich, „Gestern, vor der Hebammenpraxis. Sie gaben mir einen Zettel mit Ihrer Nummer. Sie sagten, es wäre für meinen Mann gefährlich, in diese Praxis reinzugehen“, kurze Pause, „Was meinten Sie damit?“
„Waren in der Praxis?“, röchelt sie unverständlich.
„Entschuldigung?“
„Waren Sie in der Praxis von dieser Hebamme?“, buchstabiert die Verrückte krächzend durch den Hörer.
„Ja, wir waren bei ihr. Gestern, nachdem Sie gegangen sind.“
Die andere schweigt. Dann höre ich ein leises Weinen.
Langsam wird mir das hier zuviel.
„Wieso soll die Schwangerschaftgymnastik für Frank gefährlich sein?“, versuche ich nachzuhacken, “Können Sie mir das vielleicht erklären? Ich verstehe das nicht. Sie ist doch keine Hexe, oder? Die Tatsache, dass er sie vielleicht attraktiv findet, bedeutet ja noch nichts.“
Ich weiß selber, wie lächerlich sich das anhören muss. Frank steht neuerdings auf sechzigjährige
„Hat er irgendwelche perversen Pornos geschaut?“, fistelt die Verrückte, „Ich meine wirklich perverse ...“
Mir bleibt die Luft weg. Ich will den Hörer in die Gabel knallen, doch ich kann mich gerade noch zurückhalten.
„Es ist zu spät“, sagt die Verrückte auf mein Zögern hin. Er ist schon verloren.

* * *

Die Welt taumelt um mich herum. Ich renne zum Wagen und fahre Richtung Praxis. Mit böser Vorahnung bringe ich das Auto zum Stehen, reiße die Tür auf und stürme ins Gebäude. Komisch, dass die Tür offen steht, doch in meiner Wut ist mir alles egal. Ich tue, was ich in meinem Zustand eigentlich nicht tun sollte: Ich renne. Irgendwann habe ich das Büro dieser Roberta-oder-wie-sie-heisst erreicht und reiße schnaubend die Tür auf. Mein Puls rast. Sie sind beide nackt. Die alte Hexe und mein Mann. Sie räkelt sich auf dem Boden und ...
Ich kann nicht mehr. Mein Blutdruck scheint über jeden körpererträglichen Grenzwert gestiegen zu sein, denn ich sehe nur noch eine weiße Wand mit roten Punkten vor mir. Dann breche ich zusammen.

* * *

Ich wache in einem weiß gestrichenen Zimmer auf. Ärzte. Mein Blick fällt auf Stefan. Daneben trollt sich ein Haufen Arzthelferinnen. Nur mein Mann ist nicht da.
„Was ist passiert?“, höre ich mich sagen.
„Alles wird gut, Becca. Du hattest eine Frühgeburt. Es ist ein Mädchen. Es geht ihr gut. Mach Dir keine Sorgen.“
Ein Mädchen. Eigentlich sollte ich mich jetzt freuen.
„Was ist mit dir passiert?“, fragt Stefan, „kannst von Glück reden, dass ich dein Auto am Straßenrand stehen sehen habe.“
„Ich habe sie erwischt. Ertappt, auf frischer Tat ...“
Meine Knöchel zeichnen sich unter der Decke weiß ab.
„Du meinst, Du hast Frank und die Hebamme gesehen? Wie sie es gatan haben?“
„Nein. Noch schlimmer. Sie haben den Dreck gemacht, den ich in seinem ekligen Pornoheft gesehen habe. Er hatte seine Hand bei ihr da unten drin ...“

Stefan steht vom Stuhl neben dem Bett auf, lässt die Zeitung, die er noch eben gelesen hat, fallen und fühlt, wie rasende Wut in ihm aufsteigt und ihn übermannt. Er ballt die Fäuste zusammen und stürmt aus dem Zimmer. Dann steigt er in seinen BMW und rast über sämtliche roten Ampeln in Richtung der Hebammenklinik. Die Tür ist zu, doch das stellt kein Hindernis für ihn dar. Er wickelt sich seine Jacke um seine Hand und schlägt die Scheibe einfach ein. Er rennt durch den Korridor. Plötzlich wird sein Gang langsamer. Die Bilder an den Wänden haben seine Aufmerksamkeit erregt und faszinieren ihn nun. Sie strahlen etwas seltsames aus. Er verlangsamt seinen Gang noch mehr und bleibt stehen, muss sie sich wieder und wieder anschauen. Sie zeigen schwangere Frauen verschiedenen Alters. Doch spürt Stefan unbewusst eine Verknüpfung zwischen ihnen. Sie verwirren ihn wirklich ... Plötzlich hört er eine Stimme, die mitten aus seinem Kopf zu kommen scheint.
„Komm, komm zu mir, mein Baby...“
Er fühlt sich auf einmal geborgen. Fühlt sich, wie er sich noch nie zuvor gefühlt hat. Oder zumindest seit längerem nicht. Hat er das hier schon mal erlebt? Diese Geborgenheit. In einer Vision sieht er Wasser an sich vorbeifließen. Fruchtwasser. Es ist Wunderschön. Unbewusst greift er sich an seinen Bauchnabel.
„Ja, Mutter“, stammelt er.
Dann erreicht er endlich benebelt die Tür vom Bürozimmer, die er noch kurz zuvor eintreten wollte. Es ist zwar nicht seine Mutter, die ihn hier mit echter Stimme ruft, sondern eine junge Frau, die Roberta heißt. Das fühlt er. Sie ist um die zwanzig herum. Dieselbe Frau, wie auf all den Schwangerenbildern im Korridor. Auf manchen ist sie eine Greisin von siebzig, auf anderen wieder viel jünger. Aber das ergibt für Stefan jetzt alles einen herrlichen, irgendwie ganzheitlichen Sinn. Roberta sitzt nun mit einem dickem Bauch auf dem Boden, so als ob sie kurz vor einer Geburt stünde oder nach etwas ähnlichem , streichelt den den Teppich und lächelt ihm zu. Franks Jacke liegt gleich daneben. Ein Fotoapparat steht in der Zimmermitte aufgestellt.
„Machst du ein Foto von mir?“, sagt sie und lächelt verheißungsvoll.

 

Hi Megarat!

Mittsechzigerin
Ich denke, es müsste heißen: Mitsechzigerin.
Und ich denke, Mitsechzigerin impliziert, dass der Sprecher / Erzähler ebenfalls 60 ist. Glaube ich zumindest. Ich lasse mich gern korrigieren.

Mhm, ich weiß nicht so ganz.
Es dauert ein wenig zu lange, bis die Geschichte in Fahrt kommt. Und dann auch nicht richtig.
Ich verstehe nicht ganz, was diese Roberta nun ist. Eine Hexe?
Und wer war diese andere Frau, die unserer Protin die Telefonnummer gab.

Die Geschichte war nicht ganz mein Fall, was aber nicht tragisch ist. Es liegt auch nicht an deinem Schreibstil, denn der gefällt mir auch, es liegt wohl eher am Plot. Tut mir leid.

In diesem Sinne
c

 

Hallo megarat,

was mir beim Lesen so aufgefallen ist:

Er kümmert er sich ja so rührend um mich.
Das zweite er weg.

So sieht sie wie eine schizophrene Katze beim Verteidigen des eigenen Revieres aus.
Die „schizophrene Katze“ find ich cool, aber ich würde lieber „des eigenen Reviers“ schreiben.

„Gehen sie da nicht rein ...“
Gehen Sie da ...

kein Warmer Tee,
warmer Tee (vorausgesetzt es ist kein Eigenname, weiß ja nicht was es alles für Teesorten gibt :shy: )

Meinen Mann benimmt sich in letzter Zeit seltsam, das ist alles.“
Mein Mann

Wie sie es gatan haben?“
getan

streichelt den den Teppich und lächelt ihm zu.
Ein den kann weg


Also die Idee finde ich wirklich interessant. Sehe ich das richtig, dass Frank zum Schluss im Bauch von der Hebamme war? Wenn ja: Krass! Ist zumindest mal was wirklich Neues (oder?). Allerdings stehe ich auch etwas ratlos dar, was den Hintergrund des Ganzen anbelangt. Einen oder zwei Hinweise könntest du dem Leser vielleicht noch geben.

Was mich beim letzten Absatz etwas gestört hat, ist der Wechsel der Erzählweise von der ersten Person zur dritten. Die Erzählerin sieht ja nicht was Stefan passiert und kann es auch nicht nacherzählen, da du ja in Präsens schreibst. So denke ich mir das zumindest. Ansonsten wirklich gut geschrieben und interessant zu Lesen.


MfG
Travis

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom