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Zwischenzüge

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04.10.2004
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Zwischenzüge

Nick saß da und konnte sich kaum unter Kontrolle halten. Sein Herz pochte bis zum Hals, und nur mit Mühe konnte er das Wippen seiner Füße unterdrücken. Er war ganz nah dran. Diesmal sollte es kein zähes Ringen geben, das erst im Endspiel die Entscheidung bringt oder einen Sieg auf Zeit, der immer einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt. Diesmal würde er ihn hier und jetzt vernichten.

Es könnte seine "Unsterbliche" oder "Immergrüne" werden, vielleicht nicht für die große Schachwelt da draußen, aber für ihn selbst. Einmal im Leben so eine Partie spielen! Freilich, das Niveau wäre bei einem mittelmäßigen Vereinsspieler wie ihm ein anderes. Aber der Ausdruck von Schönheit und Perfektion, der in den Zeilen seiner Mitschrift konserviert werden würde ... all das wäre sein Werk.

Am liebsten würde Nick jetzt einfach aufstehen, den Tisch verlassen und sich etwas die Beine vertreten, um sich zu beruhigen, aber so einfach ist das nicht. Alles hat eine Bedeutung: wie man seine Figuren zieht, wie man die Schachuhr bedient, wie man dasitzt und ob man überhaupt dasitzt.

«Wenn ich jetzt zu schnell aufstehe, merkt er, dass ich mir sicher bin. Ich werde noch etwas warten, um ihn nicht zu provozieren. Aufstehen werde ich aber auf jeden Fall noch. Am Besten dann, wenn er kurz davor ist, seinen Zug zu machen.»

Oft wägt der gegnerische Spieler seine Entscheidung dann noch einmal ab, rechnet seine Züge wie zur Kontrolle noch einmal durch und verfällt in eine weitere Denkpause, die kostbare Zeit verschwendet. Es ist jedoch wichtig, den richtigen Moment zu erwischen. Steht Nick zu spät auf, macht der andere seinen Zug trotzdem und zwingt ihn damit zur Rückkehr an den Tisch. Um sein Gesicht nicht zu verlieren und seine Sicherheit zu demonstrieren, müsste er dann eventuell sogar trotzdem erst ein wenig herumschlendern und wiederum einige Sekunden seiner Bedenkzeit opfern, bevor er wieder ans Brett tritt...
Nick beschließt, noch ein wenig sitzen zu bleiben.

«Na gut, es gibt noch eine Antwort auf meinen Zug. Aber die muss er erst mal finden. ... Ob er die Falle ahnt? Oder hat er sie gesehen und sucht nun den besten Gegenzug? ... Was braucht der solange? ... Er weiß, dass er in einer verzwickten Stellung ist! Er weiß, dass ich besser stehe!»

Nick genießt das Gefühl, zu wissen, dass der andere weiß, dass er in Schwierigkeiten steckt und dass der da weiß, dass Nick es weiß. Was für ein Triumph!

«Wie heißt er noch mal?»

Die Schrift des anderen auf dem Protokoll ist kaum zu entziffern. Auch der Versuch den Namen auf dem Blatt des anderen zu lesen, scheitert, ja, muss scheitern. Es ist schließlich die selbe Schrift und noch dazu auf dem Kopf.

«Was für eine Wertungszahl er wohl hat? Wenn ich aufstehe, kann ich ja gleich mal jemanden fragen.»

Zu Beginn einer Schachpartie macht Nick das grundsätzlich nicht, um nicht zu ängstlich oder zu überheblich in den Wettkampf zu gehen. Aber nun würde es wohl nicht schaden, um schon mal abschätzen zu können, ob der andere nun gleich aufgeben wird oder ob er es doch vorzieht, das große Finale mit anzusehen. Letzteres wäre Nick diesmal sogar lieber.

«Die Leute geben heutzutage einfach zu früh auf. Damals hat man sich das Matt noch zeigen lassen... Na, schauen wir mal.»

Nick rutscht langsam auf seinem Stuhl zurück, aber eher auf eine unverbindliche Art und Weise, so, wie wenn er nur die Sitzposition ändern wollte. Nachdem der andere darauf aber nicht sofort mit einem Zug die Partie fortsetzt, steht er auf, um ein wenig umherzugehen.

«Endlich mal wieder eine schöne Partie! Keine groben Schnitzer, keine Fehler. Nicht das Gefühl, dass man nur am Reagieren ist. Alles, was ich machen will, klappt. Jetzt nur noch dieser eine Zug und ich kann das Ding ohne Probleme heimschaukeln. O.k., ich bin auf seinen Fehler angewiesen, aber das macht nichts. Das hab ich schon bei besseren Partien gesehen. Hauptsache, ich spiele sauber.»

Nick schlendert umher und lässt seinen Blick über den Saal schweifen. Er tritt an den ein oder anderen Tisch heran, um zu kibitzen und zu sehen, wie die anderen Partien so stehen. Doch eigentlich interessiert ihn das alles gar nicht. Es macht einfach einen zu gewaltigen Unterschied, ob man eine Partie - noch dazu die eigene - von Anfang an begleitet hat oder nur mal kurz in eine Stellung hineinschaut.
Den Plan, die Spielstärke des anderen herauszufinden, hat Nick wieder aufgegeben, es ist nun ohnehin nicht mehr wichtig. Stattdessen nutzt er seine Zeit für einen Gang zur Toilette. Als Nick wieder zurückkommt, hat der andere immer noch nicht gezogen.

«Jetzt übertreibt er aber! Wenn er es bis jetzt noch nicht gesehen hat, dann wird er es nie mehr sehen! Warum gibt er nicht einfach auf?»

Nick ist auf einmal unsicher. Irgendetwas stimmt nicht. Was soll er jetzt tun? Noch eine Runde drehen? Sich wieder hinsetzen? Hat er etwas übersehen? Er weiß es nicht!

«Noch einen klitzekleinen Moment! Wenn er sich jetzt wegdreht und wieder gehen will, dann mach ich den Zug.»

Gerd saß da und trotz der oberflächlichen Gelassenheit konnte er sich kaum noch unter Kontrolle halten. Sein Herz pochte bis zum Hals, und es kostete ihn einige Mühe, nicht mit den Füßen zu zappeln. Er war ganz nah dran. Diesmal sollte es kein zähes Ringen geben, das erst im Endspiel die Entscheidung bringt oder einen Sieg auf Zeit, der immer einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt. Diesmal würde er ihn hier und jetzt vernichten...

 

Hi Archer,

deine Gesschichte über eine Schachpartie ist auch für Nichtschachspieler spannend. Dieses Taktieren darüber, wie man den Gegner am besten irritiert ist aus den Fischer-Spaski Begegnungen noch gut un Erinnerung und manch eine Partie wurde wohl schon so entschieden. Auf die Nerven kommt es an. Beide Spieler siegesgewiss weniger auf das Geschehen am Brett konzentriert, sondern auf die psychologische Kriegsführung.

Habe ich gern gelesen.
Ein Fehler ist mir aufgefallen:

Diesmal sollte es kein zähes Ringen geben, dass erst im Endspiel die Entscheidung bringt
geben, dass

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

danke für das Feedback. Umso mehr, als dies mein erster Versuch einer Kurzgeschichte ist. Ich hatte schon Angst, es würde sich gar niemand mehr dazu äußern. ;)

Liebe Grüße,
Archer

p.s.: Blöder Rechtschreibfehler das ;) Auch hier danke für den Hinweis!

 

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