- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Patchouli
Die Bässe wummern, die Luft ist zum Schneiden dick. Mir klebt das Hemd am Rücken. Dabei wusste ich vor einer halben Stunde noch nicht mal, was ich hier überhaupt wollte. Der Laden ist nicht nach meinem Geschmack, die Musik erst recht nicht. Bis sie auf mich zukam.
Der Weg von der Theke bis zur Tanzfläche war ihr Catwalk; sie ging, als hätte man einen roten Teppich eigens für sie ausgerollt. Bei jedem Schritt spannte das schwarze Etuikleid über ihre üppigen Kurven. Sie fixierte mich, den Kopf leicht gesenkt, aus ihren viel zu großen Augen. Filmreif. Es wunderte mich, dass die Musik nicht demütig in den Hintergrund trat und die Zeit auf Slow Motion schaltete. Die Frau hob ihr Engelsgesicht und schenkte mir ein kurzes Nicken, das alles bedeuten konnte. Seit dem tanzen wir.
Das heißt - eigentlich kopulieren wir mit einem Sicherheitsabstand von zwanzig Zentimetern. Sie präsentiert sich, fordert mich heraus, dreht sich um mich herum, sinnlich, betörend, aber berührungslos. Ihre Hüfte schwingt vor, kreist weich, und unter erhobenen Armen wölbt sich ihre Brust näher zu mir. Das Engelsgesicht lächelt immer noch nicht. Es lächelt kein einziges Mal. Die Augen sind wie offene Schleusen; reißende Wasser locken mich. Zwischen unseren Körpern kämpft Anziehung gegen das bisschen Anstand, das zuviel Gin Tonic und die Nacht uns noch lassen.
Die Musik verebbt für einen Moment. Wir stehen uns gegenüber, sie und ich. Dazwischen pulst es. Die Schleusen bleiben offen.
"Gehen wir?", frage ich.
Die Straßen sind noch belebt. Lichter, Stimmen, der Geruch der Pizzastände, Abgase und der todgeweihten Linden, die den Kampf gegen Beton und Dreck einfach nicht verlieren wollen. Vorbeifahrende Autos mit offenen Fenstern tragen Motorenlärm und Musikfetzen durch das Gewoge. Sie schiebt ihren Arm unter meinen. Ihre Stimme ist verheißungsvoll - ungewöhnlich tief und etwas rauchig: "Ich wohne gleich da drüben. Ich heiße Nora."
Die Wohnung ist dunkel. Offenbar sind die Fenster verhängt. Es riecht nach Patchouli. Ich würde gern etwas Luft hereinlassen, aber sie schaltet nicht einmal die Lampen an. "Hast du Feuer?", fragt sie statt dessen und wartet, bis ich mein Feuerzeug in ihre Hand gleiten lasse. Dann schwebt sie durch die Finsternis und zündet einen Docht an. Kerzen erstrahlen, eine nach der anderen. Ohne so recht den Grund dafür zu wissen, wünschte ich plötzlich, wir wären einfach in ein Hotel gegangen. An der Wand steht ein ungemachtes Bett, auf dessen Kante Nora sich setzt. Sie schlägt die Beine übereinander und zündet sich eine Zigarette an.
"Du siehst aus wie der junge Christopher Walken.", sagt sie und lässt sich rücklings auf die Satindecke fallen. Ich frage mich, ob das ein Kompliment sein soll. Hätte sie George Clooney gesagt, wäre das eindeutig gewesen. Zumindest, was die meisten Frauen angeht.
"Das höre ich zum ersten Mal.", antworte ich und atme Patchouli, während sie den freien Arm unter ihren Kopf schiebt und mich mustert.
"Ich mag große, dunkle Männer. Schattenmänner." Ihre Stimme wird leiser und noch eine Spur kehliger. Sie bewegt die Hand, und wie von selbst verteilt sich ihr Haar als goldener Fächer auf dem Laken. Mein Mund ist trocken. Ich schlucke und schmecke Patchouli. "Sagt man das nicht zu heimlichen Affairen?" Ich bemühe mich, lässig zu klingen und zünde mir eine Zigarette an einer Kerze an. Was ist los, Mann? Zittert deine Hand?
"Kann sein. Das meine ich aber nicht. Ich meine düstere Männer. Mit dunklen Wünschen." Nora zieht ein Bein an, drückt den Rücken durch und streckt sich, währen sie den Rauch zur Decke bläst. Unter dem engen Kleid schwellen ihre Brüste. Ihr Schenkel ist fast entblößt; sie trägt Strapse. Ich weiß nicht, ob es ihre überdehnte Wirbelsäule oder die Unterwäsche ist, die mich an Pornos denken lässt. Ungezogene Sekretärinnen Teil Drei: Klappe, die Erste. Alles treibt in warmem Kerzenlicht. Der Patchouligeruch wird zäher, tritt mir schon aus den Poren. Ich klammere mich an meine Kippe, jämmerlichster aller Schauspieler.
"Komm", flüstert sie rau und öffnet die Schleuse unter halb geschlossenen Lidern hinweg noch einmal. "Ich weiß, was du willst. Ich sehe es in deinen Augen. Du bist kein Softie. Und ich brauche es hart. Verstehst du?" Ganz langsam, und ohne den Blick von mir zu wenden, öffnet sie die Schenkel. Der Saum des Kleides rutscht fast bis zum Bauchnabel. Trotz der Schatten erkenne ich die dunklen Flecken auf ihrer Haut. Das Patchouli bringt mich um. Und der klägliche Rest meiner Lust erlischt wie eine Flamme ohne Sauerstoff.
Als ich wieder auf der Straße stehe, den halb mitleidigen, halb entrüsteten Blick noch im Nacken, atme ich gierig das Aroma von Abgasen und sterbenden Linden ein. Scheiß-Patchouli, denke ich, trete die Kippe aus und mache mich mit eingezogenem Schwanz davon.
(Sinnlich/Sinnlichkeit, Schattenmann, Feuer, Augen, verlieren)