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Müll schlucken

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08.08.2014
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Müll schlucken

Ich spritze über ihrem zarten Gesicht ab. Das Zeug landet in ihren blonden Locken und bleibt auch auf ihrer Wange kleben. Sie stöhnt einfach weiter. Aber wenig lustvoll. Eher gequält. Ich greife nach einem Taschentuch am Schreibtisch. Wische hastig das klebrige Zeug vom Bildschirm und schalte den Computer aus.
Kurz betrachte ich mein Spiegelbild, das auf dem Monitor reflektiert wird und zucke sogleich zusammen. Manchmal, meist nur für ein paar Momente, da vergesse ich völlig, wie ich aussehe. Spiegel existieren in meiner Wohnung keine. Die hab ich schon vor einiger Zeit zerschlagen, entsorgt und mir so womöglich garantiertes Unglück auf Lebenszeit gesichert.
Ich laufe durch meine Wohnung, vorbei an den Müllsäcken im Wohnzimmer und scheuche ein paar Fliegen auf, die nun nervös durch die Luft schwirren. Ich sollte mich beeilen. Die Feier im Lokal beginnt in zehn Minuten und im Moment halte ich noch meinen Schwanz in der Hand.

Das Leben besteht aus einer Reihe großer und kleiner Unfälle. Viel ist vom Schopenhauer bei mir nicht hängen geblieben. Maximal ein paar Zeilen. Aber die hallen dafür bis heute nach. „Aphorismen zur Lebensweisheit“, „Die Welt als Wille und Vorstellung“ und wie sie alle heißen. Der Alte hat sie mich alle lesen lassen. Nach dem Deutschunterricht hat er mich immer zu sich gebeten und mir meine neue Lektüre in die Hand gedrückt. Damals war mir ziemlich wichtig, was er über mich dachte. Deshalb habe ich auch den ganzen geistreichen Quatsch gelesen, den er mir vorgesetzt hat. In der Hoffnung, ihm zu gefallen. Küchenpsychologisch könnte man auch sagen: Er war so etwas wie eine Vaterfigur für mich.

Die Kellnerin bewegt sich rasch von Tisch zu Tisch, setzt dabei stets ein freundliches Lächeln auf. Sie ist stark geschminkt und hat langes, schwarzes Haar. Wie die meisten anderen Männer werfe auch ich ein paar verstohlene Blicke auf ihren Arsch.
„Du bist so still heute. Hast du überhaupt schon dein Essen angerührt?“
Ich hasse diesen Smalltalk-Mist. Diese aufgesetzte Fürsorge. Ganz im Ernst: Ob der Fraß nun in der Toilette landet oder ich ihn widerwillig runterschlucke – der Unterschied fällt nicht allzu groß aus. Letztendlich mündet doch alles im selben Kanal. Genauso wie jedes Wort, jeder Satz in derselben Bedeutungslosigkeit verpufft. Weil sich jeder von denen nur für sich selbst und sein vermeintlich geistreiches Geschwafel interessiert. Ja, ich höre, wie sie labern und diskutieren. Über Putin und Trump, über dies und das. Akademische Giftspucker. Bürgerliches Gesindel. Was hätte ich da schon Sinnvolles beizutragen? Die ertragen es doch nicht, eine Sekunde die Schnauze zu halten. Zu groß und zu beängstigend wäre wohl die Leere, der sie dann ausgesetzt wären. Müssen zu allem und jedem eine Meinung haben. Als würde es irgendjemanden interessieren.
Ich kippe meinen Spritzwein hastig herunter, stehe auf und gehe zu den Toiletten.

Als ich gerade auf die Innenseite der Kabinentüre abspritze, muss ich wieder an den Alten denken. An den Tag, als ich ihm eines meiner Gedichte zeigte, die ich stets hinter verschlossener Zimmertür verfasste und von denen nicht einmal meine Mutter etwas ahnte.
„Das hast wirklich du geschrieben?“
Er zog damals ungläubig die Augenbraue hoch. Ich kratzte bloß nervös an meiner Fingerkuppe herum, den Blick zu Boden gerichtet. Konnte dem Alten vor Verlegenheit kaum in die Augen sehen. Später sagte er, er würde in mir sein junges Ich wiedererkennen. Seine E-Mail-Adresse schrieb er auf ein kleines Stück Papier. Von da an ließ ich ihm meine Texte zukommen, wann immer ich den Mut dazu aufbringen konnte. Er las sie und antwortete stets mit einigen gewissenhaft formulierten Eindrücken und Anregungen. So lief das eine Weile. Und ich konnte ihn wirklich gut leiden. Bis er mich eines Tages zu sich nach Hause einlud. Er würde gerne ein paar meiner Aufsätze genauer besprechen, hatte er gemeint. Als ich bei ihm auftauchte, herrschte dann plötzlich eine ziemlich merkwürdige Stimmung. Er bot mir ein Glas Wein an und sagte, ich solle mich zu ihm setzen. Von Aufsätzen war auf einmal keine Rede mehr. Stattdessen führte er langwierige, philosophische Monologe darüber, wie wir als Menschen doch bloß so selten die Chance bekämen, unsere wahren Begierden nach außen zu tragen. Dass es so etwas wie eine Oase geben müsste, wo man sein verborgenes Inneres gänzlich entfalten könnte. All den Frust, die Scham, die Sehnsüchte und die abgründigsten Fantasien freilassen könnte.
Ich versuche an etwas anderes zu denken. An die hübsche Kellnerin mit dem geilen Arsch in der engen Hose. Doch vor meinem inneren Auge blitzt immer wieder der Alte auf und wie die dicke Beule in seiner Hose immer weiter anschwillt. Wie er meinen Oberschenkel begrapscht und mir dabei tief in die Augen blickt. Ich kriege ihn einfach nicht aus meinem Kopf.

Es ist schon spät und die meisten sind bereits ziemlich angetrunken. Einige klopfen mir auf die Schulter und quatschen mich an, als ob wir eine so tolle Zeit zusammen verbracht hätten. Ich kippe den vielleicht fünften Spritzer herunter und lasse mir das Essen für zu Hause einpacken.

Draußen ist es kalt, ein starker Windstoß schlägt gegen mein Gesicht, also setze ich die Kapuze auf. Ich schmeiße das Essen in eine Mülltonne und gehe Richtung Busstation. In einigen Pfützen am Boden erkenne ich mein Spiegelbild. Ich trete unachtsam hinein und beschleunige mein Gehtempo. Ich versuche, all die hämmernden und dröhnenden Gedanken abzuschütteln. Den Alten in seinem hässlichen Rollkragenpullover. Die wertenden und mitleidigen Blicke im Restaurant. Letztendlich ist es doch nur eine weitere Nacht, die an mir vorbeirauscht. Einer von vielen Tiefschlägen innerhalb einer Reihe von beschissenen und weniger beschissenen Phasen. Also warum sollte mich überhaupt irgendetwas davon kümmern?
Alles, was ich ab diesem Moment noch wahrnehme, ist der grässliche Wind, der gegen mein Gesicht bläst. Und die eisige Kälte, die ich auch noch morgen auf der Haut spüren werde.

 

Hallo @Orange.

Zunächst denke ich, es ist keine Kurzgeschichte, eher "Flash Fiction".

Dein Thema ist ein vermeintlich unattraktiver Mensch, der keine hohe Meinung von seinem Äußeren hat. Ein Messi noch dazu. Philosophie und Schopenhauer wirken da für mich sehr konstruiert.

Nun, schreiben kann er wohl. Und wegen seines Geschreibsels wählt den "hässlichen" Menschen jemand als Lustobjekt aus? Nein, das nehme ich dir nicht ab.

Und auch das Ende ist für mich eher konstruiert als glaubhaft.

Ich spritze über ihrem zarten Gesicht ab. Das Zeug landet in ihren blonden Locken und bleibt auch auf ihrer Wange kleben. Sie stöhnt einfach weiter. Aber wenig lustvoll. Eher gequält.
Es ließt sich, als hätte das Abspritzen des Zuschauers einen Einfluss auf den Pornodarstellerin. Warum das?

Ich frage mich, was du mir mit der Geschichte erzählen willst. Willst du einfach nur einen unbefriedigenden Tag eines, sagen wir, "Losers" darstellen? Ja, mag sein. Aber was willst du mir darüber hinaus mitteilen?

Liebe Grüße
Holger

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey HoWoA,
erstmal danke fürs Lesen und deine Rückmeldung! :)

Dein Thema ist ein vermeintlich unattraktiver Mensch, der keine hohe Meinung von seinem Äußeren hat.
Stimmt, so könnte man es interpretieren. Oder man versteht die Sache mit den Spiegeln eher als eine Metapher für einen Menschen, der generell nicht sehr glücklich mit sich selbst und seinem Leben ist.
Ein Messi noch dazu.
Auch wieder Interpretationssache, würde ich sagen. Ob ein paar Mistsäcke im Wohnzimmer einen gleich zum "Messie" machen, weiß ich nicht. Für mich bekommt man hier erste Hinweise, wie der Prot. denn so lebt und beginnt idealerweise darüber nachzudenken, was dahinter stehen könnte.
Philosophie und Schopenhauer wirken da für mich sehr konstruiert.
Konstruiert kann ich verstehen. Andererseits versuche ich ja eine facettenreiche Figur zu zeichnen und die Texte im Speziellen liest er ja nur, um der Mentorfigur in Form des Lehrers gerechtzuwerden. Er kann die Texte ja selbst nicht mal wirklich leiden, was ja auch in der Geschichte explizit benannt wird.
Nun, schreiben kann er wohl. Und wegen seines Geschreibsels wählt den "hässlichen" Menschen jemand als Lustobjekt aus? Nein, das nehme ich dir nicht ab.
Hmm naja, vielleicht nicht nur deswegen, sondern weil jemand, der nach einer Vater- oder Mentorfigur sucht, der Vertrauen und Verletzbarkeit aufbaut, ein besonders gutes Ziel für solche Übergriffe darstellt.
Und auch das Ende ist für mich eher konstruiert als glaubhaft.
Welchen Teil genau vom Ende meinst du?
Es ließt sich, als hätte das Abspritzen des Zuschauers einen Einfluss auf den Pornodarstellerin. Warum das?
Stimmt, ich wollte so eine Spannung aufbauen/aufrechterhalten, bis eben ein paar Sätze später die Auflösung folgt, dass hier eben nur ein Mensch vor seinem Rechner sitzt.
Ich frage mich, was du mir mit der Geschichte erzählen willst. Willst du einfach nur einen unbefriedigenden Tag eines, sagen wir, "Losers" darstellen? Ja, mag sein. Aber was willst du mir darüber hinaus mitteilen?
Ich denke, ich wollte eine (natürlich extrem reduzierte) Charakterstudie erzählen. Es geht ja um einen Menschen, der nicht viel von sich selbst hält (deshalb die Sache mit den Spiegeln), für den schöne und sinnliche Dinge wie Essen, Gespräche unter Freunden oder Sex nur noch schwer positiv erfahrbar oder einfach nur gleichgültig sind. Sie sind eben einfach Teil einer großen Leidensgeschichte im Sinne von Schopenhauer. (Ganz lässt sich der Text hier wahrscheinlich nicht auf die Philosophie von Schopenhauer übertragen, aber mir ging es eben wie gesagt eher um das Ergründen einer Figur und weniger darum, philosophische Denkansätze abzubilden.) Dass der Prot. eben überhaupt erst durch den Lehrer zu Schopenhauer kommt, versinnbildlicht wo möglicherweise ein Ursprung für diese ganze Gefühlsmisere liegt. Das kann man natürlich wiederum auch konstruiert finden.

Was ich jetzt aus deinen Kommentaren herauslese, ist, dass ich bei der Geschichte möglicherweise etwas zu vage geblieben bin bzw. zu viel Raum für Interpretation gelassen habe.


LG, Markus

 

Spiegel existieren in meiner Wohnung keine.

Warum mag ich diesen Satz zur Einleitung gewählt haben,

@Orange?

Er ist rein bürokratisches Deutsch, dessen Höhepunkt für mich die Frage - in welchem Amt auch immer -, ob ich Kinder habe und ich getrost verneinen kann oder einen Enkel hinzurechnen müsste … also lügen oder zumindest unwahr reden.

Für die fehlende Spritzigkeit des Textes muss der eigene Penis sorgen

... im Moment halte ich noch meinen Schwanz in der Hand.

Aber: Warum hier das Komma?
An die hübsche Kellnerin mit dem geilen Arsch, in der engen Hose.

Es ist schon spät geworden und die meisten sind bereits ziemlich angetrunken.
Alles wird und ist dann geworden und eventuell vorbei (um bei der Uhrzeit zu bleiben – zack, ist es später als gerade eben noch …).
Weg mit dem „geworden“!

Also warum sollte mich überhaupt irgendetwas davon kümmern?

fragt der

Friedel

 

Hallo @Friedrichard!

Er ist rein bürokratisches Deutsch
Ich denke, ich habe mich bei der Geschichte an einer knapperen, schnörkellosen Sprache versucht (der Text ist auch schon ein bisschen älter). Auch weil ich das für den Protagonisten und die Geschichte passend fand. Offenbar hat sich das aber nicht transportiert?
Also warum sollte mich überhaupt irgendetwas davon kümmern?
Bzw. konnte ich dich scheinbar auch abseits der Sprache nicht mit der Geschichte berühren/mitreißen. Mir ist schon klar, dass der Protagonist vielleicht nicht der größte Sympathieträger ist. Ich denke, meine Hoffnung war, dass er als Figur gut genug gezeichnet ist, dass man emotional dennoch mitgeht.

Danke für deine Rückmeldung. :)

LG, Markus

 

Hallo Orange,
also ich finde deinen Text recht unterhaltsam - wenn er nicht so depri wäre. Die manischen Wichsmomente auf dem Klo würde ich noch ausbauen, das hat Potential. Die Missbrauchsgeschichte eher weniger. Das passt m.E. nicht so gut zusammen. "Müll schlucken" ist auch kein guter Titel. Werdegang eines Wichsers oder so...wenn du das Ding ins Humorvolle drehst und es kommen noch ein oder zwei Twists, könnte es was werden.
Bleib dran und lg
N

 

Er ist rein bürokratisches Deutsch
zu dem Satz verteidigstu Dich

Ich denke, ich habe mich bei der Geschichte an einer knapperen, schnörkellosen Sprache versucht (der Text ist auch schon ein bisschen älter). Auch weil ich das für den Protagonisten und die Geschichte passend fand. Offenbar hat sich das aber nicht transportiert?

Doch, doch, hastu durchaus,

@Orange,

der Satz zum „bürokratischen“ Deutsch bezieht sich nur auf den mit der unnötigen Pluralbildung, also

Spiegel existieren in meiner Wohnung keine.
dem m. E. die bürokratisch pluralisierte Frage „haben Sie Kinder?“ korrespondiert.

Korrekt und konsequent und vor allem ehrlicherweise sollte man in einer Ein-Kind-Familie mit „nein“ antworten und sich mit dem einen Kind auch nicht entschuldigen.

Dem Bürokratievedacht bei mir entkommstu vor allem durch ein schlichtes „In meiner Wohnung gibt’s keinen Spiegel“ oder von mir aus "ist"/oder ein bisschen geschwollener: "existiert kein Spiegel"

Nix für ungut

Friedel

 

Hi Nicolaijewitsch!

Die Missbrauchsgeschichte eher weniger. Das passt m.E. nicht so gut zusammen.
Ich verstehe deinen Einwand, dass diese beiden Ebenen nicht so recht zusammenfinden.

Werdegang eines Wichsers oder so...wenn du das Ding ins Humorvolle drehst und es kommen noch ein oder zwei Twists, könnte es was werden.
Ich glaube, das wäre allerdings eine völlig neue Geschichte, von der ich mir nicht sicher bin, ob ich sie auch erzählen will. :lol:

Danke dir für deine Rückmeldung!
:)

LG, Markus

 

Hallo @Orange,
ich musste lachen, über dass was Frieder geschrieben hat. "Für die fehlende Spritzigkeit des Textes muss...sorgen." Ich finde Deine Schreibweise extrem interessant. Da ist mehr drin.

Ich nehme an, dass Du einen Missbrauchsfall beschreibst. Hoffentlich hat er nicht genau so stattgefunden. Aber wie gesagt, der Stil der Geschichte, die Wortwahl gefällt mir.

Zuerst wollte ich sie gar nicht lesen, wegen der Wichsszene am Anfang. Dann habe ich doch noch begonnen. Vielleicht lesen Männer das anders und finden da gar nichts besonderes dran.

Mir ist es auch schon öfter so gegangen, dass Leute, die hilfsbereit zu mir gewesen sind, dass bloß waren, weil sie ein Interesse an mir hatten. Wenn Du nicht darauf eingegangen bist, war ihre Hilfsbereitschaft plötzlich verschwunden.
Beim nächsten Mal nicht so viel...
Gruß Frieda

 

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