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Serie Fatale Neugier oder Curiosity killed the cook

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29.03.2013
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Fatale Neugier oder Curiosity killed the cook

Bis auf das gelegentliche Gezeter der Affen war es still. Die Sterne spiegelten sich im Fluß. Moss bohrte versonnen in der Nase und schnippte den winzigen Rotzkrümel über die Reling. Hin und wieder knackten Zweige im Wald, der nur einen Steinwurf entfernt war und den zu betreten ihnen der Kapitän verboten hatte.
„Kaum auszuhalten, die Scheißhitze“, flüsterte Corona. Er zog ein Tuch aus der Hosentasche, wischte sich den Schweiß ab und studierte den Himmel. „Was würd‘ ich geben für ne kleine Brise…
„Der Koch hat gesagt, Wind gibt’s erst mal keinen. Nicht die nächsten Tage jedenfalls.“
„Was weiß der Koch schon.“
„Der kennt sich aus mit dem Wetter hier. Kommt schließlich aus der Ecke.“
„Der Koch is’n Wilder.“
„Na und ?“
„Ich trau‘ ihm nicht.“
Corona beugte sich vor und starrte aufs Wasser. „Hat irgendwas an sich … kann einen nich richtig angucken … schleicht so merkwürdig rum … Allerdings – kochen kann er, das muß man ihm lassen.“
Moss hob die Hand.
„Ich glaube, eins der Taue hat sich bewegt.“
„Welches?“
„Das auf unserer Seite.“

Als sie am Heck der Grey Aunt standen und hinüber zu dem riesigen Floß blickten, das der Dreimaster seit Tagen durch die Gegend schleppte, seufzten sie gleichzeitig. In vielen Hütten war noch Licht. Vor dem Gemeinschaftshaus brannten einige Lagerfeuer und der Duft von Sauerbraten lag in der Luft. Die Preiskämpfertruppe, welche das Floß gemietet hatte, war aus der Stadt jenseits des Waldes zurückgekehrt und schlug sich die Bäuche voll. Insgeheim beneidete Moss die Männer. Kein schlechtes Leben, das die führen, dachte er nicht zum ersten Mal. Kassieren ordentlich dafür, dass sie den Einheimischen Schlägern was aufs Maul hauen dürfen, und die Weiber laufen ihnen auch noch scharenweise hinterher … Unsereins muß Wache schieben, während diese Barbaren auf dem beschissenen Floß die Sau raus lassen … Na, jetzt werden diese Muskelprotze erst mal Langeweile schieben. Kein Wind – keine Fahrt …

Die schweren Taue, die das Floß mit dem Segler verbanden, schwangen sacht hin und her.
„Ich seh nichts“, sagte Corona. Er musste seine Augen anstrengen, um die großen Poller, an denen die Trossen festgemacht waren, zu erkennen. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie lauschten noch eine Zeitlang dem Gelächter und der Musik, dann nahmen sie wieder ihre Plätze zwischen dem Vorderdeck und der Kombüse ein.
Moss gähnte und schloss dabei die Augen. Er hatte noch genau drei Sekunden zu leben.

Der Pfeil, der die warme Luft durchschnitt wie ein kalter Gedanke, bohrte sich in Moss‘ weit geöffneten Rachen. Er spaltete sein Gaumensegel, durchschlug einen Halswirbel und blieb schließlich in der Außenwand der Kombüse stecken. Corona stierte fassungslos auf den Schaft des Pfeils, auf die gesträubten Federn, die im Licht der Großmastlaterne wie ein Staubwedel aussahen.
Als er herumwirbelte, war es bereits zu spät. Es gab niemanden mehr, dem er hätte sagen können, dass, als das Messer auf ihn zu sauste, er einen einzelnen Stern auf der Klinge des Küchenmessers erkennen konnte. Scharf und klar zeichnete er sich auf dem blankpolierten Stahl ab.
Er taumelte nach hinten, drehte sich und bekam das Hemd seines Kameraden zu fassen. Als seine Beine erschlafften, zog er Moss mit sich nach unten. Es knackte, als der Pfeil abbrach.

Der Koch kappte mit der blutigen Klinge die Schlepptaue und sah zu, wie sie versanken. Der Eiserne Mann würde zufrieden mit ihm sein. Er blickte zum Himmel und lächelte. Von Westen näherten sich Wolken. Ein Lufthauch trocknete den dünnen Schweißfilm auf seinem Gesicht.
Zwei Dinge blieben noch zu tun.
Zunächst musste die restliche Besatzung sowie die beiden seltsamen Kreaturen, welche in der Kajüte des Kapitäns in ihren Käfigen vor sich hin dämmerten, unschädlich gemacht werden. Er entnahm dem kleinen Stoffbeutel an seinem Gürtel eine Handvoll Kupferkraut und presste es zu einer Kugel zusammen. Dann öffnete er vorsichtig die Luke über dem Laderaum, in dem die Mannschaft schlief. Er setzte die Kugel mit angehaltenem Atem in Brand, ließ sie fallen und schloß die Luke, bevor der giftige Rauch ihm gefährlich werden konnte.

Die Stufen zur Kapitänskajüte knarrten leise. Er blieb stehen und lauschte. Doch außer dem Schnarchen des Kapitäns und den ersten Regentropfen, die auf die Decksplanken fielen, war nichts zu hören. In der einen Hand das todbringende Kraut, in der anderen sein Luntenzeug, wartete der Koch vor der niedrigen Tür, bis er sicher sein konnte, daß dort drin niemand wach war. Dann drückte er vorsichtig die Klinke herunter.
Als der Spalt gerade groß genug war, um eine Hand hindurch stecken zu können, kam ihm ein verlockender Gedanke. Er wollte die schwarzen Tücher von den Käfigen ziehen und endlich mit eigenen Augen sehen, was für Fabelwesen der Kapitän in der Stadt der Wunder an Bord hatte bringen lassen. Er verstaute Kupferkraut und Lunte in der Hosentasche, zog sein Messer und stieß die Tür ganz auf. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und so konnte er im schwachen Licht der Sterne, das durch die beiden Bullaugen schimmerte, mühelos die Umrisse der mannshohen Käfige sowie die Koje, aus der das Schnarchen drang, erkennen.
Zwei lautlose Schritte…
Ein mit aller Kraft geführter Hieb…
Das Schnarchen brach ab.

Der Koch versuchte eine Zeitlang vergeblich, das Messer aus dem Brustkorb des Kapitäns zu ziehen und wandte sich schließlich achselzuckend den Käfigen zu. Unter den Tüchern war jetzt ein Scharren und Schnauben zu hören. Die Geräusche kannte er nur zu gut. Immer, wenn er das Essen serviert hatte, waren die Kreaturen hinter dem schwarzen Stoff unruhig geworden.
Er entzündete die Laterne, die an der niedrigen Decke baumelte, und rieb seine feuchten Handflächen aneinander. Dann streckte er den Arm aus.

Der Regen wurde stärker. Ein kräftiger Wind ließ die Masten knarren. Die Ankerkette straffte sich. Auf dem Fluss erloschen die Feuer und die Menschen flüchteten lachend in ihre Hütten. Niemand bemerkte, dass das Floß Fahrt aufgenommen hatte und langsam davon trieb.

Der Stoff fühlte sich seltsam an. Fast wie menschliche Haut, dachte der Koch. Er zögerte kurz und zog mit einem Ruck beide Tücher zugleich herunter.
Was er sah, ließ ihn aufstöhnen. Das Licht der Laterne reichte aus, um hinter den Holzstäben die grotesk verformten Gliedmaßen der monströsen Geschöpfe zu erkennen. Eines der Dinger riß sein abscheuliches Maul auf und gab ein Zischen von sich. Ein dünner Speichelstrahl traf den Koch zwischen die Augen. Er streckte beide Arme von sich und wich zurück. An der Türschwelle wäre er fast gestürzt, aber er fing sich und hetzte die Treppe hinauf. Seine Augen brannten entsetzlich. Er legte den Kopf in den Nacken und heulte den Himmel an. Der Regen zerfloß auf seinen Pupillen und verdampfte augenblicklich. Zitternd und halbblind nahm er einen widerwärtigen Geruch wahr. Im selben Moment, als er erkannte, dass seine Augen begonnen hatten, sich in Rauch aufzulösen, hörte er von von unten das Geräusch von splitterndem Holz.
Das Letzte, das der Koch wahrnahm, waren heisere Klagelaute, gefolgt von wütendem Kreischen.

 

Hallo harrytherobot,

intesive Beschreibungen lassen einen in deine Geschichte eintauchen, man spürt die tropische Atmosphäre, schwitzt geradezu mit. Und wartet auf eine Erklärung, warum der Koch tut was er tut, was sich unter der Abdeckung befindet.
Ich fand das Ende enttäuschend. Was der eiserne Mann (und wieso er so heißt) will und weshalb der Koch mit ihm gemeinsame Sache macht, welche Monster verborgen sind unter dem Tuch, weshalb das Wegziehen dazu führt, dass sie wohl ausbrechen können ... Es bleiben zuviele ungeklärte Fragen für meinen Geschmack, schade.

Beste Grüße,

Eva

 

Hallo Eva, hallo morlou!
Zuerst mal danke ich Euch sehr für eure Kommentare.
Tja, Neugier und Phantasie… Zugegeben, in der Geschichte herrscht kein Mangel an ‘losen Fäden‘ ( inklusive der abgetrennten Schlepptrossen ). Bin schon froh, daß niemand sich gefragt hat, was der Koch für eine Polierpaste benutzt hat, daß sein Messer so schön glänzt … Aber im Ernst – mir persönlich geht es beim Lesen solcher Texte immer so, dass meine Neugier zwar frustriert ist, meine Phantasie sich jedoch über Arbeit freut und in der Regel angeregt wird.

Wenn ich z.B. einen Film gesehen habe, in dem am Ende alles geklärt ist und keine Frage offen bleibt, bin ich weniger zufrieden, als wenn mich die Geschichte anschließend noch eine Zeitlang beschäftigt ( Kubrick, Lynch etc.). Kurz gesagt – ich mag das Rätselhafte. Klingt egoistisch, ich weiß, aber beim Schreiben ausschließlich an den oder die Leserin zu denken, fällt mir ein bisschen schwer, denn man schreibt ja unter anderem auch, weil es einem selbst Spaß macht. Das Erzeugen einer bestimmten Atmosphäre funktioniert bei mir am besten, wenn ich auch Geschehnisse und Figuren, die nur am Rand der Handlung eine Rolle spielen, einfließen lasse. Schreibprozess… ein unendliches Thema. Wenigstens scheint euch meine Schreibe gefallen zu haben, was mich sehr freut.
Was die Monster angeht, scheinen sie ein bißchen wie ( blöder Vergleich ) Wellensittiche zu reagieren, die in dem Moment richtig wach werden, wenn der Käfig abgedeckt wird. Sie sehen den toten Kapitän mit dem Messer in der Brust und geraten außer sich vor Wut.
Greyaunt bedeutet nichts anderes als graue Tante, ein, wie ich finde, durchaus passender Name für einen alten Segler. Der Untertitel Curiosity killed the cook ist einfach nur eine Abänderung des im englischen sehr gebräuchlichen Sprichworts Curiosity killed the cat. Nur ein Spass eigentlich, aber wenn er noch anderen übel aufstößt, werde ich mir überlegen, ihn wieder zu streichen. Noch mal vielen Dank für eure Kritik.
Schöne Grüße
Harry

 

Hallo harry,

Ich kann mich den beiden vorhergehenden Kommentatoren anschließen - die Geschichte liest sich gut und ist spannend - aber ich finde sie zu kurz und hätte gerne mehr Antworten. Das scheint deine Spezialität zu sein - bei deiner Höllengeschichte ging mir das ja auch schon so. :)

Das ist natürlich auch eine Art Kompliment, wenn sich die Leser am Ende wünschen, es wäre noch nicht vorbei. Vielleicht lässt du dich von dem positiven Feedback zu längeren Texten motivieren. :)

"Curiosity killed the cook" fand ich hübsch - aber das hängt wahrscheinlich davon ab, ob man die englische Redensart kennt.

"Grey Aunt" würde ich auseinderschreiben, dann ist es eindeutiger, dass es eine graue Tante ist. Sonst muss man echt an die Greyhoundbusse denken, mir ging es zumindest auch so.

Ansonsten habe ich an den Einzelheiten der Geschichte nichts zu meckern, wie gesagt, die hätte von mir aus ruhig so weitergehen können :)

Grüße von Perdita

 

Hallo Perdita!
Danke Dir für deinen freundlichen Kommentar. Du hast schon recht, das Ding ist recht kurz und ich nehme mir vor, demnächst ein bißchen ausführlicher zu werden. Die Sache mit der grauen Tante habe ich geändert. An die Greyhound Busse hatte ich im Traum nicht gedacht, aber wo ihr's erwähnt...
Dass die Geschichte spannend ist und gut geschrieben, geht mir natürlich runter wie Öl. Das motiviert einen wirklich und man kann es nicht oft genug hören.
Herzliche Grüße
Harry

 

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