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Treiben

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15.03.2008
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Treiben

Er fragt den Baum, welches Partydress der am Abend tragen will. Die Antwort ist Schweigen. Nichts, was Trixter heute aus der Ruhe bringen könnte. Er sieht einfach zu gut aus. Die petrolfarbene Dieseljeans, der in sattem Orange warm leuchtende Pullover mit den ockergelben Ärmeln, die mattschwarzen Schuhe passend zum Cap – er dreht den Schirm ein wenig nach links und zieht es einen Tick tiefer in die Stirn. Pustet sich eine Strähne aus der Stirn und gefällt sich: 'Ein schöner Mensch streift durch eine schöne Welt. Und ich stecke zufällig in dieses Menschen Haut', denkt er, lehnt sich mit der Schulter gegen die rote Ampel, fühlt mit der Zunge nach der Träne in seinem Mund und sieht gelassen auf den Fluss der Fahrzeuge auf der Kurt-Schumacher-Allee. Es müsste gleich grün werden, der Ampelkorridor rechts von ihm schließt sich gerade. Trixter spürt einen Hauch Unruhe an seinem Hosenbein zerren. Als sie das Bein hochzuklettern versucht, schüttelt er sie mit einem hektischen Schlenker ab, der ihn an die mangelnde Geduld gegenüber der eigenen Ungeduld erinnert. "Kriminalpolizei, kommen Sie bitte mit."
Verblüfft sieht Trixter einen cirka Dreißigjährigen mit Cap, Vollbart und Pilotenbrille mit einem Fahrrad in sein Sichtfeld rollen, direkt vor ihm hält er. Greift in seine Tasche, zieht etwas wie ein Dokument heraus, schlägts mit einer Handgelenkbewegung auf. Aus den Augenwinkeln sieht Trixter einen Capträger-Klon heranrollen, Klick, etwas in seinem Kopf schaltet um, er widmet dem Undercoverbullen keinen zweiten Blick, erwägt nicht mal eine Antwort, kuckt nur kurz nach rechts zu dem sich schließenden Korridor und rennt los, in Richtung seiner Nasenspitze. "Bleib stehen du Idiot, bleib stehen!", hört er hinter sich rufen, da ist er schon halb über die Straße. Ein fettes SUV, das schon zügig anfuhr, kriegt die Eisen verpasst und kommt quietschend zum Stehen. Irgendwer hupt. 'kriegen mich nich', denkt er, 'spacke Scheißbullen.' Trixter war gerade gestern Nacht um den See quasi geflogen, sein ganzer Körper hat zur Zeit so eine Lust aufs Laufen, er spürts richtig Kribbeln vor Freude zwischen Magen und Arsch. Springt über den hohen Bordstein auf die Gehwegplatten und rennt weiter, drei Häuser später hört er wieder das "Stehenbleiben du Idiot". Ohne das bewusst zu reflektieren muss er grinsen. Ein Idiot wäre, wer der Aufforderung Folge leistete. Der Ruf aber war lauter, als er das kool gefunden hätte, weit können die nicht sein. Mist! Dazu dringt das aufdringliche Heulen von Sirenen an seine Ohren. Mit einem Schlag fällt ihm das Grinsen aus der Fresse und zerschellt auf dem Bürgersteig. Hektisch sieht er sich um, sucht einen Durchgang. Am besten ein Gassengewirr, in das er eintauchen könnte, um dann in einem Hausaufgang zu verschwinden, wenn er außer Sicht wäre. Die Sirenen könnten wegen allem Möglichen unterwegs sein, in der Innenstadt waren die so ungefähr alle zehn Minuten zu hören. Und ihn meinten die noch nie. Nix zu sehen. Kein Seitenweg, keine Ausbruchchance. 'Verdammte Verkehrsinsel.' "Stehenbleiben!", rufts hinter ihm. 'Verpisst euch!', denkt er. Die Sirenen kommen näher, sind jetzt auf seiner Höhe, zum reinen Sound kommt die Visualisierung: ein Sixer, der vor ihm nach rechts auf die Verkehrsinsel einbiegt und stoppt. Da, eine Öffnung in der Mauer der Zäune! Trixter hetzt um die Ecke, spurtet noch mal nen Zahn schneller. Sieht vor sich eine Backsteinmauer, scannt die Umgegend, sucht einen Ausgang, den es nicht gibt. Zu gestresst zum Fluchen. Er dreht sich um, sieht die beiden vermummten Zivis um die Ecke kommen und schluckt die Träne. Jetzt ist alles kool, er fährt innerlich runter und spürt, wie sich der Tunnelblick des Flüchtens ein bisschen öffnet. Raum für eine Idee, Trixter durchwühlt seine Taschen und täuscht vor, etwas über den Zaun zu werfen. Hebt dann die Arme auf Kopfhöhe, mit den Handflächen nach vorn. In der Hoffnung, das möge als Zeichen seiner Friedfertigkeit verstanden werden. Keiner der beiden bremst seinen Lauf. Trixter spannt alle Muskeln an, da kriegt er schon einen Tackle verpasst. Der erste Aufprall presst die Luft aus seinen Lungen. Er wird nach hinten gestoßen, gegen die Backsteinmauer gedrückt. Ein Bulle greift nach seiner Hand und zerrt sie auf den Rücken. Trixter hält die Spannung aufrecht, spannt die Muskeln gerade so an, dass sie ihm nicht aus Versehen die Schulter auskugeln können, wehrt sich aber nicht. Der andere greift nach Trixters Haarschopf und schlägt seine Stirn gegen den Backstein. Trixter flucht, als er merkt, wie etwas aufplatzt. Warmes Blut läuft über seine Stirn und bleibt in den Augenbrauen hängen. Er schließt die Augen und spürt in sich hinein, da ist kein Schmerz, aber Trixter geht davon aus, später ein paar Blutflecke auf seinem Pullover zu haben. Den wird er nie mehr ganz reinwaschen können. "Was rennst du weg, du Idiot?", quatscht ihn der Typ noch voll, als er schon die Acht einstellt und das Schloss zuschnappen lässt. Viel zu eng. "Seh ich aus wie ein Indianer, oder was?", fragt Trixter.
"Was haste da rüber geworfen?"
"Nix", sagt Trixter, "ich habe nur so getan, als würde ich werfen."
"Du bist ein ganz Cleverer, was? Wir werden schon sehen, was da beim Nachbarn gelandet ist."
Trixter nickt und macht einen Schritt auf den Sixer zu. Vor dem stehen drei Bullen. Einer hat die Daumen hinter dem Gürtel verhakt und sieht aus wie der perfide Kleinstadtsheriff im Road Movie. "Wollen wir?", fragt ein Zivi. Die beiden sehen sich kurz an, der eine zuckt die Achseln und schubst ihn in Richtung des Festnahmewagens. Als Trixter näher kommt, sieht er noch einen Streifenwagen etwas weiter entfernt stehen. Fast muss er wieder grinsen, was für ein Theater. Wahrscheinlich denken die, einen dicken Fisch gefangen zu haben, weil seine Klamotten nicht aussehen, als stammten sie aus der Kleiderkiste. Die werden schon sehen, dass es nix zu sehen gibt. "Rennt die ganze Zeit weg, der Idiot", beschwert sich der Idiotsager. Klingt als fühle er sich persönlich beleidigt. 'Was für ein Lappen', denkt Trixter, ihm liegt so einiges auf der Zunge, aber er spuckts nicht aus. "Weglaufen ist umsonst", sagt der eine Streifenbulle nur, öffnet die Schiebetür und bedeutet Trixter einzusteigen.

 

Hallo Kubus,

ich habe nur eine kurze formelle Frage: Wieso gibst du dieser Geschichte das Stichwort Romantik?

Viele Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

bernadette schrieb:
Wieso gibst du dieser Geschichte das Stichwort Romantik?
Das hab ich mich natürlich auch gefragt, Kubus. Und ich hab mich auch gefragt, ob ich den Titel im Sinne von Treiben wie bei einer Treibjagd verstehen soll. Und ich hab mich gefragt, ob das Ding hier ein Fragment ist, und falls nicht, ob es mir, wenn ich’s nochmal lese, eventuell gelänge, es als in sich abgeschlossen zu begreifen. Und ich habe mich obendrein gefragt, ob es mir gar gelänge, einen eventuell darin versteckten Tiefsinn zu enträtseln. Ganz schön viele Fragen eigentlich.
Ich hab’s mittlerweile drei weitere Male gelesen, kein Witz, nicht nur, weil es eh so kurz ist, sondern vor allem der Sprache wegen, also mir gefällt echt, wie das geschrieben ist. Aber darüber hinaus, muss ich zugeben, ist mir kaum etwas dazu eingefallen.
Mir kommt das eher wie eine (sehr gelungene) Schreibübung vor. Ein Dahinfabulieren im besten Wortsinn, als hättest du dich einfach ziel- und konzeptlos treiben (sic) lassen, „mal sehen, was draus wird …“
Auf jeden Fall konnte ich ein paar wirklich feine Sätze darin entdecken:

… der ihn an die mangelnde Geduld gegenüber der eigenen Ungeduld erinnert.

Trixter war gerade gestern Nacht um den See quasi geflogen, sein ganzer Körper hat zur Zeit so eine Lust aufs Laufen, er spürts richtig Kribbeln vor Freude zwischen Magen und Arsch. Springt über den hohen Bordstein auf die Gehwegplatten und rennt weiter, …

Mit einem Schlag fällt ihm das Grinsen aus der Fresse und zerschellt auf dem Bürgersteig.

usw., ja, das hat schon was Treibendes. Ansatzweise kam ich auch dem Protagonisten näher, aber eben nur ansatzweise, so wirklich konnte ich nicht entschlüsseln, mit wem ich es da zu tun habe (und warum). Ein drogendealender Schöngeist? Ein vom Trott des Alltags angepisster Hedonist, der den Reiz der Gefahr sucht, die dunklen Seiten der Welt entdecken will? Oder schlicht das Opfer einer Verwechslung?
So viele Fragen. Ist’s gar die Erfindung eines neuen literarischen Genres? „Weitgehend sinnfrei, aber Hauptsache schnell?“
Ja, der Text hat so was Atemloses, das gefällt mir wirklich sehr. Und mal sehen, was mir nach dem zehnten Mal lesen dazu vielleicht noch einfällt.

offshore

 

Jetzt ist mir tatsächlich noch was eingefallen, Kubus.
Beim erstmaligen Lesen habe ich den Namen des Protagonisten, Trixter, nicht wirklich hinterfragt, sah in ihm höchstens ein Wortspiel mit Sixer (was immer das sein mag. Ein sechsrädriger Polizeiwagen? Egal.)

"Seh ich aus wie ein Indianer, oder was?", fragt Trixter.
Und auch diese Stelle ließ mich, auch wenn ich ihren Sinn nicht verstand, gerademal die Augenbraue heben, aber mich nicht weiter darüber nachgrübeln. Ist wohl so ein deutscher Szeneausdruck, dachte ich mir.
Erst jetzt, Stunden später, fanden die beiden Begriffe in meinem Hirn zueinander, auf welchen Umwegen auch immer, es kam quasi zu so einer Art assoziativer Kernfusion.
„Verdammt“, fragte ich mich, „hatte ich da nicht irgendwann mal ein Buch? Wo es auch um einen Trickster ging … Wie hieß das noch mal?“
Und dann stand ich vor meinem Bücherregal und ließ den Blick schweifen, erkannte das Buch schließlich am Einband, den Titel wusste ich ja längst nicht mehr, und dann hatte ich es tatsächlich in Händen, vermutlich zum erstenmal seit gut dreißig Jahren:
„Coyote geht um. Indianische Schelmengeschichten"
Genau, das war’s. Coyote, der Schelm, Coyote, der Trickster. Der Einfachheit halber zitiere ich jetzt einfach mal den Klappentext:
„Coyote, der Alte Mann, der ewig hungrige, ruhelose Schwachkopf und Weltenschöpfer. Nach unzähligen Toden noch immer unsterblich. Ein schmuddeliger Verwandter, ein Vater in alten Klamotten, für den wir uns vor unseren Freunden schämen. Der Narr schlechthin – einer, der die strengen Tabus bricht, oder sie erschafft und sich ihnen schließlich beugen muss. Aus schierer Blödheit verliert er seine Kinder. Souverän nimmt er den Göttern beim Glücksspiel ihre Gewinne ab. Er war vor den Menschen da, bereitete die Erde auf ihre Ankunft vor. Coyote, der rastlos Wandernde.
[…] dem Schelm scheint erlaubt zu sein, was denjenigen, die Schelmengeschichten erzählen und anhören, verboten ist. Die Konsequenzen trägt in der Regel der Schelm selbst: manchmal triumphiert er, meistens aber unterliegt und scheitert er, zum Nutzen und Vergnügen der Schadenfreudigen. Er darf aussprechen, was andere nicht auszusprechen wagen, er verführt sich selbst zu scheinbar unsinniger Handlungsweise, er ist ein Außenseiter, der Herold dessen, was eine bestimmte Gesellschaft im Namen der Sittengesetze verdrängt … "
usw.

So, und was mach ich jetzt mit dieser Erkenntnis, dass dein Protagonist offenbar ein/der Trickster ist? Abgesehen davon, dass ich ein paar Sätze jetzt anders lese und verstehe? Keine Ahnung. Eventuell erscheint mir die Geschichte jetzt weniger fragmentarisch als zu Mittag.
Und zumindest weiß ich, was ich heute Abend wieder einmal lesen werde. Und darauf freue ich mich echt.
Und schon dafür will ich mich bei dir bedanken, Kubus.

offshore

 

Er fragt den Baum, welches Partydress der am Abend tragen will
ließ mich in seiner scheinbaren Naturverbundenheit glauben, Trixter wäre eine andere Schreibweise des Tricksters, jenes Magiers zu Anfang einer jeden Religion, der mit Tricks magische Wirkungen erzielen will und auch kann, selbst inmitten einer modernen Großstadt (Aberglaube lässt sich bei Troglodyten selbst auf höchstem technischen Niveau nicht unterdrücken),

lieber Kubus,

bis ich an eben dem Satz schon zurück auf den Boden der Erzählung fand: Müsste es nicht statt des welches „welchen“ heißen („der“ Dress)? Aber wovor flieht Trixster? Kafkaeskes vermag ich nicht zu entdecken, wenn auch - wie ernst schon bemerkt - einen derzeit einen abscheulichen Hit: Atemlos (will ich nur hoffen, dass niemand das Atmen vergesse). Und somit sitz ich hier ratlos und frage:

Wat nu?, und begnüge mich mit

zwo weiteren Anwandlungen zur Korrektur:

Ohne das bewusst zu reflektieren[,] muss er grinsen.
& ein fehlgeschlagener Versuch, „cool“ einzudeutschen
. Okay, "kuhl" würd die Frage nach "kühl" aufwerfen.

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend bernadette,

mir ist diese Funktion des nachträglichen Kategorie-Zuordnens noch neu. wenn ich den Text im Vorhinein hätte kategorisieren müssen und mich für eine Kategorie entscheiden, wäre es wohl nicht Romantik geworden. aber so ließ ich meinen Blick schweifen und klopfte die Kategoriennamen auf Verbindbarkeit zum Text hin ab, und bei der Romantik fiel mir auf, dass ich in diesem Text getan habe, was mir nahestehende Menschen immer wieder tadelnd bemerken, wenn Kubus Geschichten aus diesem Subkulturkreis erzählt: Du romantisierst.
Wortbedeutung 'romantisieren' nach Duden: "in einem idealisierenden Licht erscheinen lassen; verklären, schönfärben"
auch wenn dieses Verhalten vllt ins Bild passte, wollte ich dieses Mal nicht bewusst kategoriensubversiv handeln. oder die Leser irreführen. Danke für den Hinweis.

Tagchen offshore,

dein Beitrag hat mich total gefreut und daran erinnert, was auf dieser Plattform für Begegnungen möglich sind. die setzt sich durch verschiedene Aspekte noch mal deutlich von anderen Literaturplattformen ab, auch wenn es noch andere kleine und feine Begegnungsstätten gibt. aber dieses Begeistern durch eigene Prosa und das Begeistertwerden durch anderer Avatare Texte ist in der Qualität mE ein Alleinstellungsmerkmal von kurzgeschichten.de. ich hatte in der Hinsicht so viele spannende und famose Erlebnisse hier, und ja, dein Kommentar war eines davon. also dafür schreibe ich doch auch. das ist eine ganz starke Motivation, andere Menschen mit einer selbstgeschriebenen Geschichte zu erfreuen. also den Dank gebe ich ehrlichen Herzens zurück. mir macht das auch sehr viel Freude, die Denkbewegungen der Leser nachvollziehen zu dürfen - dafür ist so ein Kommentar wie deiner, bei dem mensch zu sehen glaubt, wie jemand grübelt und liest, assoziiert und verknüpft, bis das angeregte Hirn Brücken findet und beschreitet. schöner Moment, als du dieses Buch aus dem Regal nahmst. (das wird sich nach der Zeit auch gefreut zu haben, endlich wieder von Leserhänden genommen und aufgeschlagen und teilrezipiert zu werden.) ja, das gibt sehr viel her, wenn der Prozess des Textvollendens durch den Rezipienten so sichtbar gemacht wird, wie das in deinen zwei Kommentaren geschah.
du hast ja ein paar Fragen formuliert. und die so gestellt, dass sie nicht direkt an mich gehen. diese Fragen hast du hier halböffentlich dir selbst und sie dadurch quasi in den Raum gestellt. ich danke für dieses nichtinvasive Fragen. ich weiß jetzt ein wenig mehr übers Schreiben allgemein und über mein Schreiben als vor sechs Jahren, als ich hier startete. aber ich merke, dass ich in vielerlei Hinsicht mit meinen damaligen intuitiven Einstellungen noch immer konform gehe. also die Kategorie spielt für mich kaum eine Rolle, ebenso die Frage, welcher Gattung dieser Text zuzuordnen sei. ob der jetzt eine echte short story oder vllt eher ein Fragment sei. und Schreibübung darf der Meinermeinenach gerne geheißen werden, oder dahinfabuliert. für mich ist immer noch am wichtigsten, dass mir das Schreiben Freude macht, weil der Akt selbst befriedigt, und ich mitunter noch etwas über mich oder bestimmte Themen, die mich dauerhaft beschäftigen, herausfinde. das ist ein zentraler Ort. der andere liegt wohl beim Textvollender: also wenn der Text Spaß macht oder zum Mitdenken anregt oder zur Kritik, oder .. dann empfinde ich einen Text als gelungen.
ich habe auch eigene Ideen zu eigenen Texten in Hinsicht auf mögliche Be- und Ausdeutung, und Trixter heißt die Figur nicht (nur) wegen der phonetischen Nähe zum Sixer, aber ich würde meine Intention gerne in Schweigen hüllen. nicht um mich interessant zu machen, oder etwaige Untiefe des Textes zu verdecken, sondern um zu weiterem interpretieren einzuladen. ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Ausdeutung des Autors oft einen höheren Rang eingeräumt bekommt, als die Interpretationen von Lesern. dabei sehe ich es so, dass ich als Schreiber nach der Endfertigung und Onlinestellung des Textes nur ein Interpret unter vielen möglichen Ausdeutern wäre. dein Ansatz gefällt mir jedenfalls sehr gut "Ist’s gar die Erfindung eines neuen literarischen Genres? „Weitgehend sinnfrei, aber Hauptsache schnell?“
habe das Tricksterzitat sehr interessiert gelesen. der ist für mich eine der spannendsten Mythenfiguren. und ha! ich war das Wochenende unterwegs zur Hansestadt Rostock wo ich jemand im Circus Fantasia besuchte und bei diesem Menschen im Zirkuswagen schlief. und diese Person schenkte mir eine selbstgemachte Umhängetasche aus Leinen mit einem selbstabgepausten nasepopelnden Schelm drauf. das war nach dem Tricksterkommentar schon auf die bestmögliche Art verblüffend.

mein lieber Friedrichard,

o, ich traue mich, so was unironisch zu schreiben.

warum sollte es keine Magie mehr geben? nur weil wir unsere Höhlen nun selbst bauen? oder weil unsere Religion nun Ökonomie und Wissenschaft heißen und mensch die Intuition durch Rationalisierung salonfähig zu machen versucht?

der Dress? o je, das scheint im Deutschen ja die Bezeichung für Sportkleidung zu sein.
ich hab ans englische Dress gedacht. (bzw Trixter dachte dran, der ist kein Mosebach, ich sehe es ihm nach. können wir ihm das durchgehen lassen? ich denke, das passt.) aber danke für den Hinweis. ich muss ja nicht die gleiche Fehler machen wie mein Literaturpersonal.
Kafkaeskes sehe ich ebenfalls nicht. wenn sie abscheulich war, dann doch wenigstens - kurz!
nach dem Komma kuck ich gleich.
und das mit kool sehe ich anders. schreibe ich schon ewig und drei Tage so. dein Statement klingt ziemlich normativ-bewertend! :-)

Danke euch allen fürs Vorbeischauen und Teilhaben lassen.

Viele Grüße von der alternativen Sau,
euer Kubus

 

'Ein schöner Mensch streift durch eine schöne Welt. Und ich stecke zufällig in dieses Menschen Haut', …
„Vanitas!VanitatumVanitas!“, dröhnt Kollege Gryphius uns uneitel eitlen Gecken zur Warnung. Aber ach!,
mein lieber Friedrichard,
good heaven, happiness is a warm gun,
o, ich traue mich, so was unironisch zu schreiben
und so was korrekt getrennt! 's sei hier begonnen mit einem Spiel voller ironisierender Nichtironie,

lieber Kubus,

warum der volle, streng klingende Name, wo das vertrautere Friedel von den vrideln min doch gang und gäbe ist und warum sollte es keine Magie mehr geben?

Klingts so bei mir?

Doch, doch, die gibt es und wirds immer geben. Und wärn's nur magische Augenblicke, die sich auswalzen zu längeren Zeiträumen Wie zur Bestätigung hat vor wenigen Tagen der Blitz bei mir eingeschlagen und es war wir beim ersten Mal – ich sag mal > 60 und kein bisschen weise/leise. Verzaubert wie’n kleiner Junge (obwohl der da auch schon 40 war) …

der Dress? o je, das scheint im Deutschen ja die Bezeichung für Sportkleidung zu sein.
Ist er in der Tat und kommt vom engl. dress, der Substantivierung des to dress i. S. von herrichten/aufmachen (incl. Speisen!) und als wärstu nun ein confidence trickster werd ich mal das Treiben von den Wortbedeutungen her zu knacken versuchen (ist übrigens NICHT ein hobby von mir, aber's ist immer wieder nützlich, auf Wörterbücher alter Sprachen zurückgreifen zu können – nicht nur weil’s sich anbietet).

treiben (got. dreib[j]an; ahd. triban, mhd. triben) = in Bewegung setzen (und in spezieller Bedeutungen wie etwa eine Pflanze – und sei’s der zur Party hergerichtete Baum – wachsen zu lassen. Der Duden verweist auf verwandte Wörter [Ge]Trieb[e]; Trift (=[Meeres]Strömung, wobei mir schon jetzt das trunkene Schiff* einfällt), aber ursprünglich „das“ Treiben, wie auch ursprünglich der Trieb (im Vieh-Trieb, im Gegensatz zum) [Jagd]Trieb, dem Instinkt verwandt als psychologische und der latenten Bereitschaft zu bestimmtem Verhalten als zoologische Kategorie,

womit schon die zwote Hälfte der Handlung (T. als Getriebener auf der Trifft – durch [Scheiß]Bullen), aber auch zugleich ein Wortspiel mit dem endungslosen treib(en) und dem engl. tribe, dem Stamm als Ethnie

"Seh ich aus wie ein Indianer, oder was?", fragt Trixter.
Sieht ein Stadtindianer aus wie der native American? Seh ich aus wie ein Bundesbürger (eher wie Jerry Garcia zu Lebzeiten).
Er fragt den Baum, …
der erwartungsgemäß schweigt.

Baum – da ist zunächst im got. seit dem 4. Jh. belegte triu (am wahrscheinlichsten genau so ausgesprochen wie’s da steht, ein engl. tree mit ’nem u als Endung). Triu bedeutet aber zugleich das Holz selber wie auch das Handwerkszeug aus ihm: ein Prügel (nicht das Ergebnis, die Prügel).

Am Anfang, so sag ich mal, wird dem T. auf verschwiegene Art Prügel angedroht.

Es darf nicht verschwiegen werden, dass got. auch ein bagms für den Baum gibt, das dem boum(e) germanistischer Zunge näher liegt. Der findet von seiner indoeuropäischen Herkunft her eine überraschende Wende, die Dir sogar näher liegen wird: Nach dem Duden (Bd. 7, Ausg. 2006, S. 74) wird sie unter Teer (!) behandelt, das im dt. sinnig genug aus dem Niederdeutschen übernommen wird. Den Küstenbewohnern war es das wichtigste Hilfsmittel beim Schiffsbau und bedeutet demnach „der zum Baum Gehörige“. Und tatsächlich, im Altsächsischen gibt’s ein treo (was dann mit der Auswanderung nach Britannien mitgenommen wird). Dass dann die Verwandtschaft zum Trog (als hölzernem Gefäß) offengelegt wird dürfte weniger überraschen als die zu „treu“ usw. usf.

Keine bange, ich komm jetzt nicht mit dem üblen Scherz, der Baum als Kanu, selbst wenn T. dem Verkehrsfluss an der K.-S.-Allee zuschaut.

Trixter spürt einen Hauch Unruhe an seinem Hosenbein zerren. Als sie das Bein hochzuklettern versucht, …
Dabei gilt doch Ruhe als erste Bürgerpflicht! Aber T.
schüttelt […] sie mit einem hektischen Schlenker ab, der ihn an die mangelnde Geduld gegenüber der eigenen Ungeduld erinnert.

Wie soll man das Paar Ruhe – Geduld mit seinen Negationen begreifen? Ruhe bedeutet auch Rast und wer rastet, rostet, aber “rust never sleeps“, weiß man nicht erst seit Neil Young, dass es da eigentlich keinen Kompromiss geben dürfte. Geduld (das Langmütige) kommt uns vom Verb dulden, das alles erträgt, ohne zu maulen und damit zur Bürgerpflicht mit der Ruhe gebunden wird. Selbst seine Negation wird geduldet, aber wesentlich allein dem Tüchtigen (Cehfs sind jähzornig und ticken nicht wie ihre Untergebenen). Manchmal ist es das Schaf in uns, wogegen sich Unduldsamkeit auflehnt – wenn’s sein muss, gegen die Obrigkeit und notfalls auch durch Flucht, ob allerdings die Prämisse „immer der Nase nach“ erfolgreich ist, ist eher zu bezweifeln. Da muss man das Prinzip des hakenschlakenden Hasen anwenden und die dummen Hunde rasen erst mal geradeaus weiter … Nicht Lola, sonder T. rennt.
Ein Idiot wäre, wer der Aufforderung Folge leistete
. Vom Ursprung her ist der Idiot nicht der Idiot, den wir damit bezeichnen, sondern die Privatperson. Womit wir in der griechischen Mythologie landen:
Dazu dringt das aufdringliche Heulen von Sirenen an seine Ohren.
Deren Name ist uns aus der Odyssee bekannt (und Horkheimer und Adorno haben in der Dialektik der Aufklärung die Odyssee als ersten bürgerlichen Roman gewertet und eben so gedeutet): Meerjungfrauen, die wie unsere niedliche Loreley durch ihre bloße Erscheinung den Fahrensleuten mit ihrem betörenden Gesang zum Verhängnis werden – und der Itakker hört zu, lässt sich aber am Baum – dem Mast des hellenischen Schiffes oder auch des Floßes oder großen Kanus – festbinden, während seinen Männern das Ohr verklebt wird. So ist der Genuss dem Chef vorbehalten, der seine Ungeduld am Mast zähmen lässt, während sein Leute (alles Überlebende des Troianischen Krieges und damit ebenso Helden wie ihr gebundener Boss, und wer glaubt, der wirkliche Krieg ginge um die schöne Helena, der dürfte sich was vormachen. Die Griechen fielen wie die Mafia über ihren Konkurrenten her von der anderen Küste her.
Da kann einem das Lächeln vergehn

zum reinen Sound kommt die Visualisierung: ein Sixer, der vor ihm nach rechts auf die Verkehrsinsel einbiegt und stoppt
Da hammern, ’n „Sixer“, kein six-pack aber doch ein Pack (in den Augen T.s), ein Fahrzeug mit sechs Achsen oder Zylindern oder Mann Besatzung (also Kleinbus). That’s six of one and a half dozen of another! It’s at sixes and sevens. Jacke wie Hose liegen im Argen!
[T.] sucht einen Ausgang, den es nicht gibt.
T. hätte so klug sein müssen wie T(heseus) und mit einer Ariadne buchstäblich anbändeln sollen, am besten in Staatsdienst (immerhin wars Original minoische Prinzessin). Und da haben wir den Trickster:
Raum für eine Idee, Trixter durchwühlt seine Taschen und täuscht vor, etwas über den Zaun zu werfen.
Was nicht viel hilft, außer eine Frage der Art
"Was haste da rüber geworfen?"
Und da wird der Trickser ehrlich, weil er weiß, dass man ihm nicht glauben wird:
"Nix", sagt Trixter, "ich habe nur so getan, als würde ich werfen",
dabei haben doch Lügen kurze Beine … - und doch wird ihm nicht geglaubt.

Es ist also ein gelungener Plan - worüber auch immer - gewesen, nur dass die Staatsmacht sich erst nach der Festnahme dafür interessiert, leider nicht schon vorher. So endet das Treiben Trixters mit einer Treibjagd, die auch der Hase wie's Kaninchen nicht entkommt. You ain't nothing like a hounddog ...

So viel oder so wenig für heute und ein schönes Wochenende hier aus'm Pott in den Norden vom

Friedel

*

“Comme je descendais des Fleuves impassibles,
Je ne me sentis plus guidé par les haleurs :
Des Peaux-Rouges criards les avaient pris pour cib
Les ayant cloués nus aux poteaux de couleurs”,​
beginnt Rimbauds Le Bateau ivre, Das Trunkene Schiff:
„Als ich auf gefühllosen Strömen hinabfuhr,
fühlt' ich mich nicht mehr von den Treidlern geführt:
Schreiende Rothäute hatten sie zur Zielscheibe gemacht,
nachdem sie die nackt an bunte Pfählbäume genagelt."​
Rimbaud-Kubus, Magier der >kühnen< Metapher!

 

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