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Die Stimme
Der Mann erwacht in der Nacht inmitten der Stille. Seinen Namen kennt er, doch er muss ihn nicht aussprechen, weil er allein ist. Wenig Erinnerungen erfüllen seine Nächte, denn es wird nur Tag und Nacht. Er isst, was ihm gegeben wird und trinkt aus dem Fluss. An die Stimme erinnert er sich kaum und er weiß nicht wie viele Sonnen es her ist. Im Dunkeln sitzt er da, bis er das Licht der Sonne am Horizont bemerkt. Noch im Zwielicht legt er sich wieder schlafen. Als er erwacht, scheint die Sonne, doch keiner der Strahlen erreicht seine nackte Haut, denn die Zweige der Bäume spenden stets Schatten.
Er geht's zum Fluss und hält seine Hände in das kalte Wasser und trinkt. Danach geht zu seinem Strauch und isst ein paar Beeren. Noch bevor er seinen Baum erreicht, sieht er die Sonne untergehen. Mit dem Rücken zum Sonnenuntergang lehnt er sich gegen den Baum. Dort sitzt er, er weiß nicht wie lang, bis er seit langer Zeit die Stimme erneut hört. Die Stimme verspricht ihm eine Überraschung. Keine Gedanken verschwendet er daran, denn zu viel hatte ihm die Stimme bereits versprochen. Die ganze Nacht sitzt er da, sitzt er an seinem Baum gelehnt, bis erneut die Sonne aufgeht.
Der Mann erschreckt sich, als er in der Ferne eine Bewegung wahrnimmt. Oft sieht er in der Nacht schemenhafte Gestalten, aber nie macht er sich die Mühe ihnen zu folgen. Die Gestalt bewegt sich und er erkennt sie. Sie sieht aus wie er, doch hat sie langes Haar und ihr Körper ist üppiger geformt. Der Mann bewegt sich auf die Frau zu und die Frau auf den Mann. Als sich ihre Blicke treffen, spricht der Mann seit unzähligen Zeiten ein Wort.
Hallo, sagt er.
Hallo, sagt die Frau.
Beide verbringen die Nächte miteinander. Sie sprechen und schlafen miteinander. Für Jahre ist die Nacht gleich dem Tag. Der Mann erinnert sich und erkennt, dass er einsam war. Die Frau erinnert sich an nichts. Die Stimme hören sie nicht und die Nacht nehmen sie nicht wahr, denn nun erhellt ein zweites Licht die Dunkelheit.
Irgendwann werden sie müde, fragen sich wo der Fluss entspringt und wohin er fließt. Sie folgen dem Fluss und bemerkten einen mit Baum mit seltsamen Früchten. Die Frau hört im Innern eine Stimme.
Iss nicht von dem Baum.
Der Mann nimmt eine Frucht, die Frau tut es ihm gleich. Beide überkommt ein unbekanntes Gefühl und sie gehen zurück. Auf dem Weg sammeln sie Blätter und Gras, um sich zu bedecken. Sie schämen sich voreinander. Die Frau geht nach Süden. Der Mann nach Norden.
Die Stimme sagt:
Warum hast du von dem Baum gegessen?
Es ist ihre Schuld, sagt der Mann.
Die Frau trifft die Schlange und die Schlange nimmt sie mit in die dunklen Wälder tief im Süden. Sie schläft für Äonen und der Mann vergisst sie. Er denkt an nichts und er fühlt nichts außer die Einsamkeit.
Der nebelverhangene Mond scheint in diesen langen Nächten nur für den Mann, denn die Frau tanzt tief in der Dunkelheit mit allerlei Getier.
Der Mann erwacht tief in der Nacht und sieht die Frau. Er erinnert sich an die Einsamkeit und an die Stimme, die immer wieder sagt:
Geh
In ihrem Brauch trägt sie etwas, was der Mann nicht kennt und er sagt:
Lass' uns dem Fluss folgen, der im Osten entspringt, vorbei an dem Baum.
Begleitet von Schemen und leuchtenden Augen aus dem Unterholz gehen sie den Fluss entlang. Ruhelos wandern sie durch ein wüstes Land, bis es kein Grün mehr gibt. Sie setzen sich nieder und der Mann streichelt ihren Bauch.
Das Licht ist hier nicht hell, aber er ist nicht allein und nie wieder wird er seine Stimme hören.