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Orkus

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08.07.2012
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Orkus

In zwanzig Metern Tiefe kamen die Rochen. Einar Nordström hielt inne, um das Schauspiel zu genießen. Die mächtigen Tiere ließen sich von der Drift tragen und schwebten anmutig durch die blaue Leere. Bei jedem Flügelschlag schimmerten ihre an der Unterseite salzweißen Körper im Licht der Abendsonne, die mit Strahlenspeeren von der Oberfläche herabstieß.
Der Kopfhörer knackte. "Nordström, das ist keine Safari." Williams, der Sicherungstaucher, schob sich ins Blickfeld und deutete auf die Uhr an seinem Handgelenk.
Auf dem Weg in die Tiefe erleben Taucher manchmal ein sonderbares Gefühl des Heimkehrens. Vielleicht ist es das Echo prähistorischer Zeiten; ein Nachklang des evolutionären Ursprungs von den hydrothermalen Quellen am Grund des Meeres. Nordström kannte das Phänomen und überließ sich bereitwillig der Empfindung, in einen Zustand des Friedens zu gleiten: Meter um Meter sank er hinab, abwärts, fort von all den Verwirrungen des Lebens an der Oberfläche.
Seine Atemzüge unterteilten den Abstieg in akustische Einheiten – ein Zischen beim Luftholen, wenn der Lungenautomat das komprimierte Flaschengas auf den Umgebungsdruck entspannte und dann das Geräusch brodelnder Blasen beim Ausatmen. Und mit jedem Flossenschlag, der ihn weiter hinabtrieb, verblassten einige der Bilder, die Nordström seit fünf Wochen begleiteten, verblassten die Erinnerungen an Mayas leblose Augen.
Als sein Tauchcomputer vierzig Meter Tiefe anzeigte und die Konturen des Plateaus sichtbar wurden, drückte er die Mikrofontaste an seiner Maske. "Beginne mit der Suche nach der Bruchkante."
Während das Tauchen mit Pressluftgeräten einen weichen, dämmerigen Trip darstellte, blieb man beim Trimix-Tauchen völlig klar. Nordström spürte den zunehmenden Druck; allmählich verflüchtigte sich die Empfindung friedlichen Schwebens. Das Plateau, auf dem er jetzt wie ein subaquatischer Fallschirmspringer landen würde, war ein kahles, von Furchen und Klüften vernarbtes Felsmassiv. Still und abweisend dräute es in der Tiefe.
"Abhang auf elf Uhr, zwanzig Meter voraus", meldete der Sicherheitstaucher. Der Heliumanteil im Gemisch des Atemgases und der Umgebungsdruck quetschten die Stimme zu einem schaurigen Krächzen zusammen. Weiter unten würden sie sich nur noch mit Hilfe des elektronischen Entzerrers verständigen können.
Solange es bei einem Tauchgang im offenen Meer senkrecht hinab ging, fiel es leicht, die über dem Kopf lastende Wassersäule zu vergessen. Der Abstieg an einer Felswand war dagegen etwas vollkommen anderes. Nordström spürte, wie sich etwas in seinem Bauch zusammenzog, als er an dem jäh in die Finsternis stürzenden Bruch hinab blickte.
"Okay, dann Lampen an und los", knirschte es im Kopfhörer. Auf ein Zeichen von Williams hin kippte Nordström vornüber. Der Strahl seiner Lampe leckte über die schartige Gesteinswand und schreckte eine Geistermuräne auf. Ihr weißer Schlangenleib schnellte aus einer Spalte des Kliffs, wand sich wie unter Schmerzen und mäanderte schließlich in die Dunkelheit davon.
"Eigentlich dürfte ich Sie noch nicht wieder in Dienst stellen", hatte Colonel Bright gesagt. "Aber die Zeit drängt, und mir gehen die Optionen aus. Sind Sie bereit, diese Mission anzunehmen?" Nordström hatte die Frage mit Ja beantwortet, aber das war nur die halbe Wahrheit, denn er war zu allem bereit. Sind Sie bereit, Ihr Haus in Brand zu setzen und sich eine Kugel in den Mund zu schießen?
Ein Kratzen riss ihn aus den Gedanken. "Sie sinken zu schnell, Mann."
"Okay, danke", sagte Nordström. "Ich gleiche aus." Er betätigte den Inflator und hörte, wie Gas in die Tarierweste strömte. Dann schaute er auf den Computer am Handgelenk. Sie hatten eine Tiefe von sechzig Metern erreicht.
"Verdammt kühl hier unten", meldete sich der Sicherungstaucher erneut. "Fülle den Anzug etwas auf."
"Roger", bestätigte Nordström und beobachtete, wie Williams das Ventil der Argonflasche öffnete, um die Wärmedämmung seines Anzugs zu verbessern. Nachdem Williams das Ventil wieder zugedreht hatte, gaben sich die beiden Taucher das Handzeichen für o.k. und schwammen weiter.
Während sie zum Fuß des Kliffs hinab sanken, rekapitulierte Nordström einen Nebensatz in Brights Missionsbeschreibung, der sich auf verschiedene Weise interpretieren ließ: Bei den Ermittlungen müssen die besonderen psychologischen Bedingungen des Langzeitaufenthalts in der Tiefe berücksichtigt werden. Viel wusste man bisher nicht über diese Bedingungen. Es ließen sich kaum mehr als ein paar dünne Akten zum Verlauf der SEALAB- und Tektite-Missionen auftreiben. Unzweifelhaft war jedoch, dass die menschliche Psyche trotz ihrer immateriellen Natur unter dem Druck von einhundert Tonnen auf den Quadratmeter nachgab. Während der Aufbruchsjahre der Unterwasserforschung hatten sich Enthusiasten für Wochen und Monate in Tauchhabitaten aufgehalten und den Biss der Tiefe zu spüren bekommen. Die beschriebenen Symptome waren Verwirrungszustände, Desorientierung, Angst– und Panikgefühle, Schwierigkeiten im Beurteilen von Risiken, beim Planen und Erinnern. Wie würde eine Ermittlung unter diesen Umständen ablaufen?
Im Schein der Lampen schälten sich die Umrisse einer Geröllebene aus der Finsternis. Sie hatten das Basisplateau erreicht.
"Timer läuft ..."
Nordström konnte den Sicherungstaucher trotz Entzerrer kaum noch verstehen.
Es war erstaunlich, wie schwierig sich die Suche nach einem Objekt hier unten gestaltete, das die Größe eines Flugzeughangars hatte. Neben Faktoren wie Strömungsabdrift, geringer Sichtweite und dem Fehlen von GPS spielte das kleine Zeitfenster, das für den Aufenthalt am Grund blieb, die größte Rolle, denn bei einem solchen Tieftauchgang konnte der Aufstieg mit den notwendigen Dekompressionspausen Stunden dauern.
"Beginne mit Suchmuster Alpha", sagte Nordström und rief im Tauchcomputer das Kompass-Display auf.
"Roger", war Williams Roboterstimme zu hören. "Schwimme fünf Meter über Grund …"
"Die Sichtweite ist ja miserabel", sagte Nordström, obwohl sie beim Briefing darüber gesprochen hatten. Seit einigen Tagen herrschte in diesem Gebiet Planktonstau. Der Strahl der Lampe irrte stumpf durch das trübe Wasser. Unter den beiden Tauchern bewegten sich die bräunlichen Wedel eines Kelpfeldes. Wenn es hier unten Algenwälder gab, dann musste die Sichtweite normalerweise sehr hoch sein.
"Hey Nordström, in dieser Suppe … an der Titanic vorbeischwimmen", rauschte es im Kopfhörer.
Nordström drückte die Mikrofontaste und sagte: "Ja, aber die Titanic ist nicht beleuchtet. Kontakt auf neun Uhr."
Der Anblick einer Forschungsstation am Meeresboden, die in beinahe einhundert Metern Tiefe dem gewaltigen Druck des Wassers trotzte, war unvergleichlich - hier mischten sich die romantischen Ideen eines Jules Verne mit der kalten Präsenz des modernen technologischen Genius. Nordström betrachtete fasziniert, wie sich Thetis III in einem Kokon aus Licht an den Grund des Ozeans schmiegte. Die beiden Taucher schwammen auf die Basis zu, und nun wurde klar, dass man sie erwartete - hinter den Panzerglasscheiben des länglichen Habitat-Trakts versammelten sich einige Bewohner der Station und winkten herüber.
Jetzt meldete sich die Crew über Funk: "Thetis III an … Einstiegsluke … grünes Licht …"
Nordström drehte sich zu Williams herum, während es im Kopfhörer noch einmal knackte: "… wiederhole … Einstiegsluke am vorderen Pylon …"
"Roger", sagte Nordström, und sein Blick folgte dem Handzeichen des Sicherheitstauchers, der ihm den Weg wies.

Nordström durchbrach den Wasserspiegel und schwamm an den Rand des Einstiegsbeckens. Er packte den Sicherheitsgriff des Lifts und stellte sich auf die Füße. Jetzt folgte auch Williams. Während die Kettenkonstruktion des Lifts rasselte, nahm Nordström die Maske ab. Es roch nach steriler Luft und Maschinenschmiermittel. Sofort fiel auch der ungewöhnliche Raumklang im Nassbereich des Einstiegstrakts auf. Die dichte Atmosphäre zerrte an der Tonhöhe aller Geräusche und zerfetzte die Akustik in einem heiseren Knirschen. Mit einem Ruck stoppte der Aufzug.
Zwei Männer in den Zebrahemden der norwegischen Marineinfanterie kamen herbei, salutierten und nahmen den Tauchern die Carbonflaschen ab. Nachdem Nordström aus dem Anzug geklettert war, wurde er durch die Schleuse in die Ausrüstungskammer geführt, wo eine blaue Dienstkombi, das rote Barett der Militärpolizei und ein Headset bereitlagen. Kurz darauf kam auch Williams. Er öffnete den Mund, sagte etwas und hielt inne, befremdet vom Klang seiner Stimme. Obwohl es seine Aufgabe war, regelmäßig Besucher und Bewohner der Station nach unten zu geleiten, meist gemeinsam mit einem zweiten Sicherungstaucher, hatte er Thetis III heute zum ersten Mal betreten.
In diesem Augenblick öffnete ein Mann mit Vollmondgesicht in der Offiziersuniform der Royal Navy das Schott der Ausrüstungskammer. Er trat herein, salutierte und forderte Nordström und Williams mit einer Geste auf, ihre Kopfhörer aufzusetzen. Die Modelle waren sehr leicht und man sah, dass sie ein findiger Ingenieur für den Dauereinsatz konzipiert hatte.
"Lieutenant Watts", stellte sich der Offizier mit leiernder Elektrostimme vor, nachdem Nordström und Williams ihre Headsets aktiviert hatten. "Willkommen auf Thetis III. Commander Olafson möchte Sie sofort sprechen."

Das Quartier des Commanders bot reichlich Entschädigung für die Mühen des Aufenthalts am Meeresgrund – vier stahlgefasste Panoramascheiben aus Panzerglas ließen an die Innenarchitektur der Nautilus denken, und Nordström stellte sich Olafson vor, wie er an seinem schmalen Schreibtisch über Dienstplänen saß und hinaus auf das wogende Kelpfeld blickte.
Der Commander war ein schwerer Mann mittleren Alters mit der Statur eines Athleten. Er drückte Nordströms Hand und sagte: "Willkommen, Major."
Dann wandte er sich Williams zu, doch statt eines Handschlags nickte er nur und sagte: "Sergeant, gibt es einen besonderen Grund dafür, dass Sie den Major nicht mit seinem Dienstrang ansprechen?" Der Entzerrer ließ einen schneidenden Unterton ahnen.
Williams wollte etwas sagen, doch dann schwieg er und blickte irritiert zu Nordström hinüber.
"Wir hören bei allen Tauchern in Reichweite den Funkverkehr mit", sagte Olafson. "Ich erwäge einen Ordnungsverweis."
"Commander, Sergeant Williams kannte meinen Rang nicht", schaltete Nordström sich ein. "Colonel Bright wollte meinen Einsatz möglichst unauffällig halten."
"Aha", sagte Olafson. "Gut, dann wäre das geklärt."
Er schien einen Moment zu überlegen, dann sagte er an Williams gewandt: "Sie sind zum ersten Mal auf der Basis. Suchen Sie den Stationsarzt auf, und lassen Sie sich durchchecken. Melden Sie sich danach bei Lieutenant Watts. Er wird Ihnen ein Quartier zuweisen."
Nachdem Williams gegangen war, sagte der Commander: "Ich bin etwas empfindlich, was unsere britischen Kollegen betrifft. Dies ist ein Gemeinschaftsprojekt, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass die Jungs von den Royal Marines das anders sehen. Englische Kommandosprache und Rangbezeichnungen, ein Brite als Oberkommandierender – ein bisschen zu viel Westminster bei diesem Unternehmen."
"Ja, Sir", sagte Nordström.
"Nun gut", fuhr Olafson fort. "Ich möchte unseren Wissenschaftsoffizier beim Briefing dabeihaben. Was dagegen?"
Nordström schüttelte den Kopf. "Nein, Sir."
Olafson machte einen Schritt zu seinem Schreibtisch hinüber, drückte die Taste einer Kommunikationseinheit und sagte: "Lieutenant Anderson, melden Sie sich in meinem Quartier."
Kurz darauf betrat der Wissenschaftsoffizier die Unterkunft des Commanders und begrüßte Nordström mit Handschlag und einem mürrischen Lächeln.
"Gut, dass Sie uns gefunden haben", sagte er. "Es gab schon Teams, die bei solchem Planktonstau abbrechen und wieder auftauchen mussten."
Anderson mochte kaum Dreißig sein, aber sein kurzgeschorenes Haar zeigte bereits einen silbernen Schimmer.
"Bitte setzen Sie sich", forderte Olafson die beiden Männer auf, während er selbst vor den Panoramascheiben stehen blieb und tief Luft holte.
"Bevor wir über die jüngsten Ereignisse sprechen, werde ich Ihnen Funktion und Bedeutung dieses Projekts in den Grundzügen umreißen, denn ich gehe davon aus, dass Sie nicht über ausreichende Informationen verfügen."
Nordström nickte.
"Thetis III ist ein Top-Secret-Unternehmen. Die Station wird von Großbritannien, Norwegen, Schweden und Dänemark finanziert und von Spezialkräften aus Marine und Heer dieser Länder betrieben."
"Sie haben Staubfresser an Bord?", erkundigte sich Nordström überrascht.
"Ja", sagte Olafson. "Sergeant Pyke wurde uns von der Sechsten Infanterie Division geschickt. Sie ist unsere Botanik-Expertin und betreut den hydroponischen Garten. Sie werden sie später kennenlernen."
Olafson verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann, auf und ab zu gehen. Hinter der Gestalt des Commanders schwebte ein riesiger Zackenbarsch heran, berührte das Fenster mit seinem grimmigen Maul und jagte in einer plötzlichen Bewegung davon.
"Diese Station wurde in den späten neunziger Jahren gebaut", sagte Olafson. "Zwei Vorgängermodelle mussten wegen erheblicher technischer Schwierigkeiten aufgegeben werden. In Betrieb ist Thetis III seit elf Jahren, und leider hatten wir bei diesem Projekt einige Rückschläge zu verkraften."
"Todesfälle?", fragte Nordström.
Der Commander nickte. "Auch das."
Anderson räusperte sich und sagte: "Ein gewisses Risiko liegt in der Natur unserer Arbeit hier unten. Das weiß jeder, der sich auf diesen Job einlässt."
"So ist es", sagte Olafson. "Bei jährlichen Betriebskosten von etwa fünfzig Millionen Pfund und Einnahmen in mehr als der zehnfachen Höhe ist offenkundig, dass es sich bei dieser Station um ein Projekt mit einiger finanzieller Bedeutung handelt. Weit wichtiger ist aber, dass hier Forschungsergebnisse von unschätzbarem Wert erzielt werden."
Nordström verstand, worauf die Argumentation des Commanders hinauslief.
"In elf Jahren gab es vier Unfälle mit tödlichem Ausgang", sagte Anderson. "Zwei dieser Unfälle wurden durch die narkotische Wirkung von Wasserstoff verursacht. Zum damaligen Zeitpunkt war die Zusammensetzung des Atemgasgemischs noch experimentell. Die beiden anderen Fälle ereigneten sich bei Montagearbeiten am Außenskelett der Basis."
Nordström sagte: "Ich würde gern noch einmal auf die von Ihnen erwähnten Einnahmen zurückkommen, Commander. Wie verdient man mit einer Unterwasserstation so viel Geld?"
"Der Löwenanteil kommt von der Raumfahrtindustrie", sagte Olafson. "Weltweit werden in diesem Sektor von staatlichen und privaten Unternehmen Milliarden ausgegeben. Natürlich ist die Mars-Mission das wichtigste Prestigeprojekt der Raumfahrt. Aber es geht auch um andere Ideen, beispielsweise um den Bau einer Basis auf dem Mond."
"Und in welchem für die Raumfahrt relevanten Bereich forschen Sie hier?"
"Ein wichtiger Bereich der Forschung ist der Aufbau von autonomen, sich selbstversorgenden Stationen", antwortete Anderson auf eine Geste des Commanders hin. "Aber ebenso bedeutend ist die psychologische Forschung, insbesondere die Frage, wie sich die Mannschaft einer autonomen Basis unter Extrembedingungen verhält."
"Mit anderen Worten", sagte Olafson, "wir sind die Versuchskaninchen."
Nordström bemerkte, wie sehr ihn die Besprechung erschöpfte. Die Hyperdruck-Atmosphäre der Station machte ihm zu schaffen.
"Wie wurde bei den vier Todesfällen ermittelt?", fragte er ein wenig zusammenhangslos.
Olafson schien nicht sofort zu verstehen, doch dann sagte er: "Da die Unfallursachen eindeutig waren und vom Stationsarzt zweifelsfrei bestätigt werden konnten, gab es in diesen Fällen keine externe Ermittlung." Und als sei dies der Tiefpunkt seiner Karriere, fügte er mit einem Blick auf die blaue Finsternis hinter den Glasscheiben hinzu: "Es ist das erste Mal, dass wir die Militärpolizei an Bord haben."
Ein unangenehmes Schweigen breitete sich im Raum aus.
"Commander", sagte Nordström schließlich, "wie viele Personen halten sich normalerweise hier auf, und welche Funktionen üben sie aus?"
Olafson erwachte aus seiner Starre und sagte: "Es befinden sich regulär einundzwanzig Personen auf der Basis. Sie arbeiten in den verschiedensten Bereichen als Techniker, Montage– und Transporttaucher, im hydroponischen Garten … Sie erhalten die genaue Aufstellung, Major."
"Das heißt, nach dem jüngsten Todesfall befinden sich zusammen mit Williams und mir jetzt zweiundzwanzig Personen an Bord?"
"Ja, richtig", bestätigte Olafson.
"Commander, was können Sie mir zu den Vorkommnissen sagen, die vor drei Tagen zum Tod von Corporal James Graham führten?"
"Der Unfall ereignete sich gegen sechs Uhr dreißig abends. Das auf der Basis stationierte Kampfschwimmerteam kehrte von einem mehrstündigen Trainingseinsatz zurück und war weniger als eine Achtelseemeile entfernt, als Corporal Graham den Anschluss zum Trupp verlor. Der Teamführer, Lieutenant Raskid, bemerkte das Fehlen des Coporals und versuchte, Graham über Funk zu rufen, was jedoch erfolglos blieb. Daraufhin begann der Trupp mit der Suche, musste aber nach etwa einer Stunde ohne Ergebnis abbrechen, weil das Atemgas knapp wurde."
"Wann wurde die Station über das Verschwinden von Graham informiert?", fragte Nordström.
"Raskid meldete es sofort per Funk, nachdem er versucht hatte, Graham zu rufen. Das war Schlag achtzehnhundert."
"Wurden weitere Taucher zur Suche abkommandiert?"
"Ja, es gingen buchstäblich alle raus, die Flossen hatten."
"Wie viele Taucher waren das genau?"
"Neben den vier Kampfschwimmern waren acht weitere Taucher draußen."
"Wie lange wurde gesucht?"
"Die Kampfschwimmer kehrten kurz vor sieben Uhr zurück und wollten die Suche trotz Anzeichen von Unterkühlung fortsetzen, aber dazu kam es nicht mehr."
"Und warum nicht?"
Der Commander zog scharf die Luft ein. Sein Gesicht wirkte jetzt sehr blass.
"Weil um sieben Uhr, genau zur Zeit der Vesper, die Überreste des Corporals an den Fenstern der Messe vorbeitrieben."
"Ich verstehe", sagte Nordström.
"Ein Trupp der Suchmannschaft barg, was von Graham übrig geblieben war."
"Wurde nach weiteren Körperteilen oder Spuren gesucht?"
"Ja, wir überprüften insbesondere die drei Strömungsturbinen, denn wir vermuteten zunächst, Graham könnte in eine der Maschinen geraten sein. Aber es fanden sich keine Spuren."
"Sie sagten vorhin, dass sich der Unfall – falls es sich um einen solchen handelt – gegen sechs Uhr dreißig ereignete. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?"
Olafson hob das Kinn und sagte: "Haben Sie Zweifel daran, dass es sich um einen Unfall handelt, Major?"
"Zu diesem Zeitpunkt lässt sich das noch nicht sagen", antwortete Nordström. "Ich bin hier, um das herauszufinden. Also, Commander, noch einmal …"
"Wir haben eine Aufnahme", fiel Olafson ihm ins Wort. Er machte ein paar Schritte hinüber zum Schreibtisch, ergriff ein Tablet, aktivierte das Display und reichte es Nordström. "Bitte, schauen Sie es sich an. Lieutenant Watts hat das am Tag nach dem Vorfall bei der Auswertung der Videodateien entdeckt."
Das Video stammte offenbar von einer Außenkamera der Station. Zunächst war kaum mehr zu sehen, als einige Wasserpflanzen, die sich sanft inmitten von Planktonwirbeln bewegten. Das Wasser war trübe.
Nordström achtete auf die eingeblendeten Aufnahmedaten: 04-08-2014, 18:29:14. Das war vor drei Tagen. Jetzt schob sich ein Taucher mit ruhigen Flossenschlägen ins Bild und verschwand wieder.
Nordström blickte Olafson fragend an und wollte das Tablet schon zurückgeben, doch der Commander sagte: "Warten Sie, da kommt noch etwas."
Die Kamera schien Schwierigkeiten mit dem Fokus zu haben, denn die Aufnahme wurde kurzzeitig unscharf. Während die Autofokusfunktion die Brennweite justierte, glitt ein dunkler, stromlinienförmiger Körper am hinteren Rand des Bildausschnitts entlang. Nordström hob die Augenbrauen.
"Kann ich das noch einmal sehen?", sagte er.
"Sicher", erwiderte der Commander. "Sie können das Tablet mitnehmen. Ich habe Ihnen in einer Datei auch alle relevanten Informationen zur Station zusammenstellen lassen."
Nordström verfolgte erneut, wie zuerst der Taucher und kurz darauf sein Verfolger durch das Bild schwamm.
"Was ist das für ein Hai?", fragte er.
"Wir sind nicht sicher", antwortete Anderson. "Wie Sie selbst sehen, ist die Aufnahme nicht besonders scharf, und die geringe Sichtweite macht die Sache nicht einfacher."
"Welche Arten kommen in Frage?"
"Könnte ein Schwarzhai sein. Oder ein Mako. Möglicherweise auch ein Sechskiemerhai."
Nordström ließ das Video noch einmal laufen.
"Wie groß ist dieses Tier?", fragte er.
"Ziemlich groß, unserer Schätzung nach etwa fünf Meter Körperlänge und circa zweitausend Pfund Gewicht."
Nordström stoppte das Video und betrachtete nachdenklich den metallisch schimmernden Körper des Hais.
"Wir sollten unsere Besprechung an dieser Stelle beenden und alles Weitere auf morgen verschieben", sagte der Commander. "Sie haben noch einen Termin beim Stationsarzt, und ich schlage vor, dass Sie sich danach aufs Ohr hauen. Die ersten Stunden in unserer Wasserstoffatmosphäre sind nicht leicht zu verkraften. Holen Sie sich ein paar Stunden Schlaf. Watts wird Ihnen Ihr Quartier zeigen."

Auf dem Weg zur medizinischen Station spürte Nordström, wie sich die Erschöpfung in seinem Körper ausbreitete. Er fühlte sich müde, steif und krank. Der Hall seiner unsicheren Schritte wurde von den Platten der Wandarmierungen zurückgeworfen und peitschte durch seinen Kopf. Er musste sich abstützen, um über die handbreiten Schottrahmen zu steigen und zuckte dann jedes Mal zusammen, weil ein schneidender Schmerz in seine Hüftgelenke fuhr.
Der Stationsarzt, Lieutenant Westfield, begrüßte ihn mit den Worten: "Keine Sorge, das ist nur der Druck und der Wasserstoff." Er gab Nordström die Hand, stellte sich kurz vor und wies mit einer Bewegung des Kinns auf die Untersuchungspritsche. "Legen Sie sich da hin. Öffnen Sie Ihre Kombi und machen Sie Ihren Arm frei. Ich gebe Ihnen etwas gegen die Übelkeit und die Schmerzen."
Nordström streckte sich aus und öffnete den Reißverschluss seines Overalls. Während er den rechten Ärmel hochschob, beobachtete er, wie der Arzt ein Paar Latexhandschuhe überstreifte und dann eine Spritze aufzog.
"Ich schätze, Sie sind zu schnell auf Tiefe gegangen", sagte Westfield und trat an die Untersuchungsliege. Nordström verfolgte, wie der Arzt seine Armbeuge desinfizierte. Westfields glänzende Augen waren dunkel und gaben seinem harten Gesicht das Aussehen eines Falken. "Außerdem kann der abrupte Wechsel von Trimix-Atemgas auf unsere Hydrox-Atmosphäre Beschwerden verursachen."
Nordström hielt kurz die Luft an, als er den Stich der Nadel spürte. "Kein Helium in der Atmosphäre?", fragte er dann.
"Nein", erwiderte Westfield. "Wir atmen hier nur Sauerstoff und Wasserstoff. Sie sollten sich ein wenig Zeit für die Eingewöhnung nehmen. Drücken Sie das Mullpäckchen auf den Arm", fügte er mit einem Nicken hinzu.
"Sagen Sie, Doktor, Sie haben doch die Überreste von Corporal Graham untersucht?", fragte Nordström, während ihm Westfield eine Blutdruckmanschette um den linken Arm wickelte.
"Ja, richtig."
"Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?"
"Immer im Dienst, was", sagte Westfield, machte ein paar Schritte hinüber zum Eingang der Krankenstation und schloss die Tür des Schotts. Als er wieder an die Pritsche trat und Nordströms Blick sah, sagte er: "In einer Basis, die einhundert Meter tief im Meer liegt, ist es nicht klug, die Mannschaft zu beunruhigen. Lassen Sie uns diesen kleinen Check hier beenden, dann zeige ich Ihnen alles."
Nordström lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er fühlte sich noch immer ziemlich elend, aber die Schmerzen ließen bereits nach. Minuten versickerten.
"Ich höre mir jetzt mal Ihre Lunge an, Major. Entspannen Sie sich."
Nordström spürte die Kühle des Stethoskops auf seiner Brust. Er lauschte dem Rascheln von Westfields Kittel und dem Summen der Laborelektronik.
Wie stellten sich der Commander und Anderson den Ablauf der Ereignisse vor? Graham hatte aus einem unbekannten Grund den Kontakt zu seinem Team verloren. Dass es technische Probleme gegeben haben musste, schien eindeutig, denn der Teamführer hatte ihn nicht über Funk erreicht. Irgendwie fand der Corporal schließlich seinen Weg zur Basis, wo er von einer Kamera gefilmt, jedoch von keinem Taucher der Suchmannschaft gesehen wurde. Dann erwischte ihn der Hai. Wie wahrscheinlich war dieses Szenario?
Wie wahrscheinlich war es, dass er, Nordström, sich in eine Frau verliebt hatte, die sterben musste, bevor sie ihren dreißigsten Geburtstag feiern konnte? Wie wahrscheinlich war es, dass er Dutzende von Einsätzen heil überstanden hatte, Maya hingegen einer verschleppten Grippe erlag?
"Wie haben Sie reagiert, als Sie von Thetis III erfuhren?", fragte Westfield und ging zu seinem Schreibtisch hinüber.
Nordström rieb sich die Augen. "Ich reagiere immer noch", sagte er.
Westfield lachte heiser. "Ich weiß noch, wie es mir damals ging. Konnte es nicht glauben, bis ich die Station mit meinen eigenen Augen sah."
"Sind wir mit dem Check fertig?"
"Ja, Sie können sich anziehen. Soweit ich sehen kann, ist alles in Ordnung. Trotzdem werde ich mir morgen noch Ihre Blutwerte anschauen."
Nordström nickte.
Westfield drehte den Schirm seines Computers herum und sagte: "Das ist der Fall Graham. Ich schicke Ihnen die Akte auf Ihr Tablet."
"Was halten Sie von der Hai-Geschichte, Lieutenant?"
Westfield schürzte die Lippen und hob die Hände.
"Tja, das ist eine sehr … farbige Geschichte, Major."
"Was meinen Sie damit?"
"Natürlich greifen Haie gelegentlich Taucher an", sagte Westfield. "Das kommt vor."
"Aber?"
"Aber in diesem Fall kann ich mir keinen Reim darauf machen."
"Und warum nicht?"
Westfield ging ein paar Schritte durch den Raum und blieb vor dem Laborkühlschrank stehen.
"Wollen Sie die Überreste sehen?", fragte er.
"Unbedingt."
Während Westfield den Schrank öffnete und einen Kunststoffbehälter aus dem untersten Fach zog, sagte er: "Seit der Inbetriebnahme der Station gab es hier unten keinen Haiangriff auf einen Taucher."
Nordström beobachtete, wie der Arzt die Kiste auf den Operationstisch hievte und den Deckel abnahm.
"Schauen Sie sich diese Verletzungen an", sagte Westfield. Er griff in die Kiste, und eine Minute später lag der kümmerliche Rest von Graham auf dem polierten Edelstahltisch – die untere Hälfte des Schädels, ein Teil von Brustkorb und Schultergürtel und der rechte Oberarm.
"Wie Sie sehen können, haben wir es mit massiven Verletzungen zu tun."
Nordström trat an den Tisch, und etwas in ihm schreckte zurück.
"Sie sehen blass aus, Major. Wollen wir das auf morgen verschieben?"
Nordström wischte sich eine Schweißperle aus der Stirn und sagte: "Nein, es geht schon."
"Gut", sagte Westfield. "Also, was sehen Sie?"
"Die Geweberänder sind glatt, die Faszien nur leicht zerfasert."
"In der Tat", erwiderte Westfield. "Nun hört man ja häufig, wie scharf die Zähne von Haien sind, aber das hier sind wirklich sehr saubere Schnitte …"
"Und weiter?"
Westfield nahm eine Pinzette und schob das Muskelgewebe an Oberarm und Rippen zurück, bis die Knochen sichtbar wurden. Nordströms Augen verengten sich. "Ebenfalls glatte Schnitte und Brüche", sagte er.
"Ja", bestätigte Westfield. "Es gibt im Bereich der Rippen zwar einige Kompressionsfrakturen, wie man sie auch von Haiangriffen her kennt, aber ich habe keinerlei Riefen, Einkerbungen oder Abschabungen gefunden."
"Und was schließen Sie daraus?"
"Entweder haben wir es hier mit dem schärfsten und stärksten Haigebiss aller Zeiten zu tun oder diese Verletzungen rühren von einer Maschine her."

"Sozusagen unsere Gäste-Suite, Sir." Lieutenant Watts, der Kommunikationsoffizier, fiel durch sein weichliches Erscheinungsbild auf. Der Bärenkörper des Commanders, die Wolfsgestalt von Anderson und Westfields Falkengesicht ließen annehmen, das Leben in der Tiefe modelliere Menschen nach animalischen Vorbildern. Doch wenn dies zutraf, nach welchem Wesen war dann Watts geraten?
"Schauen Sie sich diesen Ausblick an, Major. So etwas haben Sie sicher noch nicht gesehen."
"Ich bin nicht hier, um aus dem Fenster zu schauen, Lieutenant", bemerkte Nordström.
"Natürlich nicht, Major", erwiderte Watts ohne eine Spur von Verlegenheit.
"Sie sagten Gäste-Suite. Ich nehme nicht an, dass die Queen zu Besuch war." Nordström sah sich im Quartier um. Neben einem Bett, an dessen Fußende zwei Panoramascheiben mit dem Blick auf ein Riff aus Steinkorallen prunkten, standen Schreibtisch und Stuhl. In einer Nische befand sich ein geräumiger Wandschrank und daneben eine Schiebetür, die zu einem vollausgestatteten Bad führte; ein Luxus den man auf einer Unterwasserstation kaum erwartete.
"Nicht die Queen, nein. Aber wie Sie vielleicht wissen, ist Frederik von Dänemark ausgebildeter Kampfschwimmer." Watts schien das Spiel um die kleine Indiskretion zu genießen.
"Wollen Sie sagen, dass Pingo die Station besichtigt hat?"
"Nun, das haben Sie nicht von mir gehört, Sir."
Nordström massierte sich die Stirn, in der es noch immer pochte und hämmerte.
"Lieutenant, der Commander sagte, Sie haben das Videomaterial mit Graham und dem Hai entdeckt."
"Das ist richtig, Sir."
"Wie kommt es, dass Sie erst einen Tag nach Grahams Tod darauf aufmerksam wurden?"
"Sir, der Crewman, der die Livefeeds überwachte, muss es übersehen haben", antwortete Watts. "Die Einspielungen der zwölf Außenkameras werden auf dem Beobachtungsmonitor nach Zufallsprinzip durchgeschaltet. Sie haben selbst gesehen, dass Graham nur ein paar Sekunden im Bild war und der Hai ebenfalls."
"Werden die kompletten Aufnahmen im Archiv gespeichert?"
"Selbstverständlich, Sir."
"Tauchen Graham und der Hai auf dem Material anderer Kameras auf?"
"Nein, Sir. Bedauerlicherweise nicht."
Nordström musterte Watts mit einem strengem Blick.
"Muss ich die offensichtliche Frage stellen, Lieutenant?"
"Nun, Sir, unser Kameraüberwachungssystem hat eine Abdeckung von einhundert Prozent im Perimeter – bei Normalsicht."
"Was soll das heißen?"
"Also bei diesem trüben Wasser …"
"Wollen Sie sagen, der Angriff wurde wegen der schlechten Sichtbedingungen nicht aufgezeichnet?"
"Anders kann ich es mir nicht erklären, Sir."
In der ersten Nacht quälten Nordström schlimme Träume. Mehrere Male erwachte er heftig atmend mit dem Gefühl eisigen Prickelns auf der Haut. Als er gegen fünf Uhr unter der Dusche stand, erinnerte er sich vage an Bilder von schwingenden Tangblättern und an den Anblick eines Frauenleibes, der bewegungslos zwischen Algen trieb.
Nach dem Ankleiden verbrachte Nordström eine halbe Stunde mit dem Studium des Dossiers, das Olafson für ihn zusammengestellt hatte. Wenn er herausfinden wollte, was hier geschehen war, würde er nicht nur jedes Mitglied der Mannschaft unter die Lupe nehmen müssen. Es ging auch darum, zu verstehen, wie diese Station funktionierte.
Auf dem Weg zur Messe stieß er mit einer Frau in der Felduniform der British Army zusammen, als er um eine Ecke bog. Alica Pyke sprang erschrocken zurück und schob ihr Barett zurecht.
"Entschuldigung, Sir. Ich war in Eile. Meine Schuld." Sie salutierte und wartete darauf, dass Nordström den Gruß erwiderte. Das Crescendo ihrer von Druck, Wasserstoff und Entzerrer verfremdeten Stimme klingelte in Nordströms Ohr. Er betrachtete sie einen Moment lang, musterte die Abzeichen der Sechsten Infanterie Division und hob dann die Hand zur Schläfe. "Sergeant Pyke?"
"Ja, Sir."
"Ich mache heute einen Rundgang durch alle Bereiche der Basis", sagte er. "Sie betreuen das Greenhouse?"
"Den hydroponischen Garten, ja, Sir."
"Dann werde ich meine Tour bei Ihnen beginnen, Sergeant. Halten Sie sich um Nullneunhundert bereit."
"Verstanden, Sir."
Es mochte schwierig sein, als einzige Frau unter zwanzig Männern auf einer Tauchbasis zu arbeiten. Fatal jedoch war, dass hier außer Pyke, die zur Army gehörte, nur Marinesoldaten lebten. Nordström schaute ihr nach und stellte sich vor, wie sich die Seebären das Maul über die kleine Dreckwühlerin zerrissen.

Die stählernen Außenbewehrungen der Basis glänzten im Dämmerschein des anbrechenden Tages. Das schwache morgendliche Sonnenlicht reichte kaum, um die Einzelheiten der Stationsarchitektur zu erkennen, und die stagnierende Planktonschicht trübte noch immer die Sicht.
"Unsere Hydrox-Entzerrer arbeiten auch im Taucheinsatz sehr effizient", kratzte Andersons Stimme im Kopfhörer. "Besser als die Helium-Entzerrer, die Sie und Williams mitgebracht haben."
"Stimmt, Lieutenant, die Verbindung ist einwandfrei."
"Okay, also das hier dürfte Sie interessieren. Das gesamte Gewicht des Aufbaus wird von sechs Pylonen gestützt."
Nordström schwenkte die Nase seines Tauchscooters herum und steuerte auf den Wissenschaftsoffizier zu, der in der Nähe eines mächtigen Tragpfeilers schwebte und mit dem Strahl seiner Leuchte die Längsachsen und Querriegel des von Muscheln überwucherten Stahlfachwerks nachzeichnete.
"Der Sinn dieser Architektur besteht darin, die seismischen Stöße des Meeresbodens abzufangen. Die Pylonen fungieren als Lager, mit denen der Baukörper der Station vom Untergrund entkoppelt wird."
Nach einem faden Frühstück in der Messe und dem anschließenden Kurz-Briefing im Quartier des Commanders, hatte sich Nordström dafür entschieden, den Perimeterbereich der Station zu inspizieren, denn Lieutenant Raskid, von dessen Vernehmung er sich viel erhoffte, leitete eine Trainingseinheit außerhalb der Basis und würde erst am Abend zurückkehren. Nun war er mit dem Wissenschaftsoffizier unterwegs, der entschlossen schien, ihm die Besonderheiten der Stationskonstruktion in allen Details vor Augen zu führen.
"Die im Meeresboden versenkte Grundplatte hat ein Gewicht von zweitausend Tonnen", sagte Anderson. "Das klingt gewaltig, aber wenn man die Gesamtmasse der Station bedenkt … Der symmetrische Grundriss der Basis bietet zusätzlichen Schutz gegen die bei Seebeben auftretenden Massenkräfte."
"Wo wurden die Leichenteile geborgen?", fragte Nordström.
"Ein wenig abseits der Westfront, in der Nähe der Messe. Ich bringe Sie hin."
Anderson warf seinen Scooter an und steuerte entlang der Ostseite der Basis. Nordström folgte ihm. Der Bereich zwischen Grundplatte und Unterdeck lag in trüber Dämmerung. Eigentlich sprach nichts dagegen, den Weg zur Westseite abzukürzen, aber Anderson schien nicht gewillt, unter der Station hindurch zu schwimmen.
Falls es in der Umgebung einen gefährlichen Hai gab, ging es Nordström durch den Kopf, mussten die Außenteams ihre Sicherheitsregeln neu überdenken und sich besser schützen. Die Druckluftharpune, die jetzt nach Grahams Tod jeder Taucher in seiner Ausrüstung führte, würde im Ernstfall nicht viel ausrichten.
Nordström hatte Mühe, Andersons Tempo zu halten. Seine Schultern schmerzten, und das Pochen hinter der Stirn war zurück. Natürlich wäre es sinnvoll gewesen, den ersten Tag auf Thetis III ruhig anzugehen. Aber etwas trieb ihn, sich in die Ermittlungen zu stürzen.
Nordströms Blick irrte immer wieder zurück, zu der im Schatten der Basis starrenden Zwischenwelt, jenen klaffenden Spalt von etwa drei Metern Höhe, in den auch tagsüber nur wenig Licht von der Oberfläche drang. Im Bereich des Einstiegstrakts am ersten Pylon dienten Flutlichtstrahler den Tauchern als Orientierung, aber weiter hinten, gähnte ein schwarzes, konturloses Nichts.
In den vergangenen Wochen hatte sich Nordström über dem Mysterium von Mayas Tod das Hirn zermartert. Warum sie? Warum in diesem Alter? Warum überhaupt? Sein ganzes Leben lang war er der epikureischen Überzeugung gefolgt, der Tod sei für die Lebenden bedeutungslos: Denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.
Er hielt diesen Gedanken aufrecht, als sein Vater vor sechs Jahren einen grausamen Alzheimer-Tod starb und konnte dabei sogar etwas Tröstliches finden, denn jenes endgültige Nicht-Mehr-Da-Sein war dem Siechtum der Demenz allemal vorzuziehen. Auch als die Kugel eines Scharfschützen das Leben seines Freundes und Kameraden Erik Sjölander beendete, fand Nordström nicht, dass dies etwas Grundsätzliches änderte, denn ein Mann, der beim norwegischen Küstenjägerkommando diente, wusste, worauf er sich einließ. Erst die Myokarditis einer achtundzwanzigjährigen Meeresbiologin brachte Nordströms Grundsätze ins Wanken.
Im Bereich vor den Fenstern der Messe bewegten sich mächtige Braunalgen in sanftem Tanz.
"Wie groß ist dieses Kelpfeld?", fragte Nordström.
"Riesentang gibt es überall in der Nähe der Station", antwortete Anderson. "Es ist eine genetisch veränderte Variante mit einer deutlich erhöhten Photosynthesefähigkeit."
"Ich habe mich schon gefragt, wie Algen in dieser Tiefe wachsen können."
"Wenn es uns gelingt, Tangwälder dauerhaft auf diesem Niveau anzusiedeln, wird das enormen Einfluss auf das gesamte Ökosystem hier unten haben. Im Grunde ist das ein Terraforming-Projekt."
Nordström ließ sich vom Scooter auf die Höhe der Messefenster ziehen. Der Speisesaal war leer. Man konnte sich gut vorstellen, welchen Schock die vorbeischwebenden Leichenteile bei den Besatzungsmitgliedern ausgelöst hatten, die hier vor vier Tagen ihr Abendessen einnehmen wollten.
"Wo sind diese Strömungsturbinen, von denen der Commander sprach?"
"Etwa zweihundert Meter nördlich", sagte Anderson. "Hinter dem Kelpwald."
Schon vor dem Eintauchen in den Algenwald hatte Nordström wiederholt den Impuls gespürt, über die Schulter zurück zu blicken. Sein Instinkt drängte ihn, anzuhalten und nach Geräuschen zu lauschen, von denen er nicht wusste, ob er sie gehört oder sich lediglich eingebildet hatte. Das Gespräch mit Anderson schien ihn von etwas abzulenken, das sich hier, ganz in der Nähe verborgen hielt.
Jetzt, zwischen den schwingenden Armen der Kelpalgen, erfasste ihn eine solche Unruhe, dass er kurzzeitig daran dachte, den Tauchgang abzubrechen. Seetangranken von mehr als zwanzig Metern Länge streckten sich über drei Etagen dem Licht der Oberfläche entgegen. Am Grund des Algenwaldes herrschte nahezu vollständige Finsternis. Nordström vermied es, sich die Kreaturen vorzustellen, die hier ein nährstoffreiches Habitat gefunden hatten. In der mittleren und oberen Schicht schillerten Schwärme bunter Fische. Nordström entdeckte Seeanemonen und Schirmquallen. Zwischen bräunlichen Girlanden schwamm ein kleiner Kalmar.
Als der Algenwald dichter wurde, verlor Nordström Anderson aus den Augen.
"Lieutenant, ich sehe Sie nicht mehr."
"Roger, ich warte. Suchen Sie nach den aufsteigenden Blasen."
Die Algenwedel waren überall. Sie verschlangen sich in den Armaturen der Tauchflaschen und behinderten Nordström beim Schwimmen. Als er einen Stich in der rechten Hand spürte, durchfuhr es ihn eiskalt. Das abrupt einsetzende Schäumen und Brodeln um ihn her sagte ihm, dass er hyperventilierte. Aus einem schrägen Blickwinkel sah er, wie sein Scooter im Algendschungel davon zischte. Die Blätter des Riesentangs rückten näher, und es war, als zöge ihn die dunkle Bodenschicht des Kelpwaldes in die Tiefe. Nordström begann, hart mit den Flossen zu treten, aber er sank immer weiter.
"Lieutenant, meine Tarierung ... ich sinke."
"Bleiben Sie ruhig, Major. Ich komme zu Ihnen. Nutzen Sie den Inflator, um die Höhe zu halten."
Was zur Hölle war noch einmal der Inflator? Während Nordström mit den zerfließenden Gedanken rang und versuchte, die Bedeutung dieses ominösen Inflators aus einem glitzernden Schwarm von Begriffen zu fischen, schwebte er hinab in das schlammige Sediment des Algenfeldes.
"Halten Sie sich vom Grund fern, Major", rauschte es sehr weit entfernt im Kopfhörer. "Wenn Sie im Morast versinken, finde ich Sie nicht mehr."
Nordström trat mechanisch mit den Beinen. Doch anstatt ins Helle zu schwimmen, musste er die Richtung verfehlt haben, denn der Meeresboden stürzte auf ihn zu, kippte wie eine fallende Wand auf ihn herab und schob sich knirschend vor die Gläser seiner Maske.
Der Schmerz war das Zentrum jeder Erfahrung in diesem Universum. Und der Tod war die Achse diese Zentrums. Man konnte sein Leben damit zubringen, der Wirklichkeit dieses universellen Defekts davonzulaufen. Man konnte es mit einem alten Griechen halten und den Tod zur Illusion erklären. Doch die Wahrheit war, dass Nordström jetzt im schlammigen Boden des Indischen Ozeans erstickte. Die Wahrheit war, dass ihn dieses Schicksal gänzlich unvorbereitet traf, denn er hatte es vierzig Jahre lang vermieden, sich der unabweisbaren Realität von Verfall, Sterben und Tod zu stellen. Jetzt, in diesem Augenblick, der vom stotternden Geräusch des Lungenautomaten ausgefüllt wurde, war diese Realität nicht mehr zu leugnen. Genau wie Sjölander, Graham und Maya wollte er, Einar Nordström, leben, doch die Wünsche eines Sterblichen waren nicht mehr als Schaum auf den Wellen.
Wasser sprudelte ins Maskeninnere. Der Lungenautomat musste sich beinahe vollständig zugesetzt haben, denn bis auf Nordströms Keuchen wurde es still. Die Eiseskälte des Meerwassers kroch an seinem Gesicht empor. Dieser letzte Blick in die Schwärze des Algenmorasts machte Nordström wild. Er spannte einen Muskel an, welchen wusste er nicht, denn er hatte die Kontrolle über seinen Körper verloren. Dann ließ er locker. Spannte an. Ließ locker. Gut möglich, dass er sich auf diese Weise weiter in den Untergrund grub. Gut möglich, dass seine letzte Handlung darin bestand, sich wie ein Lemming in den Boden zu wühlen. Doch immerhin tat er etwas, und dieser Gedanke erleichterte ihn ein wenig.
Als das Wasser den letzten Rest Atemgas aus seiner Maske verdrängt hatte, presste Nordström die Lippen zusammen und bereitete sich darauf vor zu sterben - unversöhnt, leidend, bitter. Er hielt die Luft an und zählte die Sekunden. Als er die Zweiundsiebzig erreichte, packte ihn ein Arm und riss ihn aus der Schwärze.

"Sie übertreiben, Major", sagte Westfield. "Hatte ich Ihnen nicht geraten, ein bisschen auf die Bremse zu treten?"
Nordström öffnete die Augen und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Der Arzt hantierte im hinteren Teil der Krankenstation mit einigen blutgefüllten Reagenzgläsern. "Mein vorläufiger Befund lautet Wasserstoffnarkose, aber nageln Sie mich nicht drauf fest."
"Wie lange war ich bewusstlos?"
"Etwa drei Stunden. Ihr Rendezvous mit Sergeant Pyke haben Sie verpasst, und ich schätze, das wird auch noch ein wenig warten müssen."
Nordström richtete sich auf.
"Was ist passiert?"
"Lieutenant Anderson hat Sie aus dem Kelpfeld gezogen und hergebracht."
"Mein Maske ist vollgelaufen …"
"Anderson steckte Ihnen den Backup-Regler in den Mund, und Sie haben sich brav retten lassen."
Nordström schüttelte ungläubig den Kopf.
"Das alles ist …"
Westfield trat an die Liege. "Hören Sie, Major. Jedes Besatzungsmitglied hier unten wurde in monatelangen Trainings auf den Einsatz vorbereitet. Um ganz offen zu sprechen: Ich weiß nicht, wie der Colonel auf die Idee kommen konnte, Sie von einem Tag zum anderen hierher zu schicken. Ihr Organismus braucht Zeit, um sich anzupassen."
Nordström stellte sich auf die Füße, rückte das Headset zurecht und ergriff seinen blauen Dienstoverall, der auf einem Bügel an der Wand hing.
"Ich gehe ins Treibhaus."
"Es wäre mir lieber, Sie würden den Tag hier auf der Krankenstation verbringen."
"Ich verstehe, Doc", sagte Nordström, zog den Reißverschluss seiner Kombi bis unter das Kinn und schleppte sich aus dem Raum.

Sergeant Pyke zog ihre Hand aus dem Boden, starrte Nordström an und sagte: "Oh, verdammt!"
Es überraschte ihn nicht, Alica im erdbeschmierten Arbeitsoverall anzutreffen, kniend zwischen Büscheln aus Schwertfarn und Bergpalmen. Die Gewächshausstation war eine lichte Oase mit hoher Luftfeuchtigkeit, in der es nach Humus und Aloe Vera roch.
"Entschuldigung, Sir", sagte Alica. "Sie sehen grauenhaft aus."
Nordström winkte ab. "Ein kleiner Zwischenfall beim Tauchen heute früh."
"Ich weiß", sagte Alica. "Ich habe Sie auf der Krankenstation gesehen."
"Neuigkeiten sprechen sich schnell herum, wie?", sagte Nordström leise.
Alica zuckte mit den Schultern. "Es war nur, weil Sie um neun mit mir sprechen wollten …"
"Was ist Ihre Aufgabe hier, Sergeant?", fragte Nordström.
"Ich kümmere mich um die Pflanzen und um den Boden. Und ich führe auch einige Experimente durch."
"Welchen Zweck hat diese Gewächsstation?"
"Der Hauptzweck besteht im Anbau von Gemüse, Beerenfrüchten, Kräutern, Gewürz- und Heilpflanzen."
"Zur Ergänzung Ihrer Lebensmittelreserven?"
"Ja. Die Basis hat in diesem Bereich nahezu Selbstversorgerniveau erreicht. Die Mannschaft ernährt sich von Fisch, Algen und den Produkten des hydroponischen Gartens."
"Welche Gemüsepflanzen ziehen Sie?"
Alica lächelte.
"Was ist, Sergeant Pyke? Habe ich etwas Witziges gesagt?"
"Nun, Sir, dass sich ein Offizier der Militärpolizei nach meinen Auberginen erkundigt, kommt nicht alle Tage vor."
"Aha, Auberginen also. Was noch?"
Während Alica von den Schwierigkeiten sprach, das Gewächshausklima so zu regulieren, dass man unterschiedliche Sorten wie Gurken, Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln und Karotten gleichzeitig ziehen konnte, wanderten Nordströms Gedanken zurück zum Algenfeld, in dem er vor wenigen Stunden beinahe den Tod gefunden hätte. Was genau war da geschehen?
"Und neben den Gewürzkräutern kultivieren wir auch einige Pflanzen mit medizinischer Wirkung."
Natürlich sprach einiges für Westfields Theorie der Wasserstoffnarkose. Das kam beim Hydrox-Tauchen häufig vor.
"Welche Pflanzen sind das?", fragte Nordström mechanisch.
"Warten Sie, ich spüle mir kurz die Hände ab, dann zeige ich es Ihnen."
Alica ging ein paar Schritte hinüber zu einem Arbeitsbereich mit Werkplatte und Geräteschrank und wusch ihre Hände in einem Bottich, der offenbar dazu diente, Gießwasser abstehen zu lassen.
Nordström wies mit einer Geste auf den Kübel: "Das Süßwasser gewinnen Sie durch Destillation aus dem Meer?"
"Wir erproben verschiedene Verfahren, aber den Hauptteil unseres Wassers gewinnen wir durch Umkehrosmose-Technologie."
Alica führte ihn einen schmalen Weg entlang, vorbei an Birkenfeigen, Einblattstauden und Philodendron. Sie betraten einen Bereich, so dicht und exotisch wie ein tropischer Dschungel, in dem Nordström keine essbaren Pflanzen entdecken konnte. Alica schien seine Gedanken zu erraten, denn sie sagte: "Viele dieser Gewächse dienen als natürliche Sauerstoffproduzenten und Luftfilter. Das ist nämlich eine weitere Aufgabe des hydroponischen Gartens. Wir erforschen die Eigenschaften von Grünlilien, Bogenhanf, Drachenbaum, Einblatt und vielen anderen Pflanzen."
Schließlich blieben sie vor einem Feld mit mehreren Beeten stehen, in denen bodennahe Pflanzen und Kräuter wuchsen.
"Hier ziehen wir Heilkräuter wie Teufelskralle, Bärlauch, Thymian aber auch Ginseng und Aloe Vera. Einige dieser Pflanzen können in entsprechender Dosierung wie ein Gift wirken, beispielsweise Waldmeister, Eisenhut und Schöllkraut."
Im Nebel der Erinnerungen tauchte zwischen den Algen des Kelpwaldes etwas auf, das Nordströms Aufmerksamkeit erregte, denn es passte nicht zur Wasserstoffnarkose-Theorie.
"Wie ein Gift", wiederholte Nordström leise.
"Bitte?"
"Vielen Dank für den Rundgang, Sergeant." Nordström drehte sich abrupt um. "Ich komme später noch einmal vorbei."

Im Trainingsraum der Basis roch es nach Schweiß und Eisen. Lieutenant Raskid beobachtete die Bewegungen seiner beiden Männer, die sich zwischen Klimmzugstangen und einer Hantelbank einen Übungskampf lieferten.
"Wenn du schon auf den Boden gehst, dann nimm deinen Gegner mit", rief er gerade einem seiner Leute zu, als Nordström den Trainingsraum betrat. Doch es war zu spät. Nordström sah, wie ein Armhebel den Kampf beendete.
"Achtung! Offizier anwesend!", rief Raskid, und die drei Kampfschwimmer salutierten.
Nachdem Nordström den Gruß erwidert hatte, sagte er zu Raskid: "Ich habe ein paar Fragen, Lieutenant. Der Commander hat Ihnen ja bereits gesagt, dass ich den Tod von Corporal Graham untersuche."
Raskid nickte, warf einen Blick auf die Uhr und sagte dann zu seinen Männern: "Training fortsetzen. Dreißig Minuten. Dann auslockern, abdehnen und unter die Dusche."
Nordström schlug den Weg zur Messe ein. Es ging auf Mitternacht zu, jetzt würde kaum ein Besatzungsmitglied die Befragung stören.
"Sie waren den ganzen Tag im Außeneinsatz und führen trotzdem noch ein Nachttraining durch, Lieutenant?", fragte Nordström im Gehen.
"Wir sind Kampfschwimmer, Sir. Wir haben keinen Achtstundentag."
Nachdem sie sich in der Messe in der Nähe der Panoramafenster an einen Tisch gesetzt hatten, holte Nordström sein Tablet hervor und aktivierte es. Im Speisesaal waren bis auf die Lampen des leeren Buffets alle Lichter gelöscht. Der Meeresgrund vor den Fensterscheiben lag im Dämmerschein der Nachtbeleuchtung.
"Bitte schildern Sie mir die Ereignisse vom Abend des vierten August, Lieutenant."
Raskid sprach monoton und kontrolliert. Seine Darstellung entsprach der des Commanders in allen wesentlichen Punkten. Nordström betrachtete ihn aufmerksam.
"Glauben Sie, dass Corporal Graham von einem Hai angegriffen wurde, Lieutenant?"
Raskid zuckte die Schultern. Er zögerte. "Es ist die einzige Erklärung, die wir im Augenblick haben", sagte er schließlich.
Nordström nickte und schaute auf sein Tablet. "Hat man Grahams Scooter eigentlich gefunden?"
"Nein, bisher nicht", antwortete Raskid.
"Sie sind immer mit den Scootern unterwegs?"
"Nicht immer. Es gibt auch Trainingseinsätze, bei denen die Männer in die Flossen treten müssen."
Nordström notierte Raskids Aussagen. Schließlich sagte er: "Von wo kamen Sie an diesem Abend?"
"An dem Tag stand Strömungstauchen auf dem Programm. Wir trainierten in einer Klamm am Ende des Riffs, etwa eine Seemeile von der Basis entfernt."
"Ich habe mir das Logbuch dieses Tages angesehen, Lieutenant. Sie waren ziemlich lange fort. Mehr als sieben Stunden."
"Für uns ist das ein normales Training."
Nordström nickte. "Das habe ich gesehen, als ich das Logbuch durchgegangen bin. Ihre Einsätze dauern häufig länger als acht Stunden, oft sogar zehn oder sogar vierzehn Stunden."
"Wie gesagt", erwiderte Raskid, ohne mit der Wimper zu zucken. "Wir sind Kampfschwimmer."
Nordström legte das Tablet auf den Tisch. Er stützte die Ellbogen auf, und ohne einen Muskel zu rühren fasste er Raskid über die gefalteten Hände hinweg scharf ins Auge.
"Lieutenant, heute morgen gab es vor der Station einen Zwischenfall."
"Ich hörte von Ihrem Unfall, Sir. Tut mir leid."
"Der Doktor hielt zunächst eine Wasserstoffnarkose für die Ursache."
Raskid reagierte auf diese Bemerkung nicht.
"Doch dann kam mir eine Idee", fuhr Nordström fort. "Ich ließ mich noch einmal untersuchen. Lieutenant Westfield fand eine winzige Einstichstelle in meiner rechten Hand, und eine gezielte Analyse meiner Blutproben erbrachte einen eindeutigen Befund: Kegelschneckengift."
Raskid erwiderte jetzt den bohrenden Blick Nordströms und betrachtete den Major mit kalter Neugier. Ein höhnischer Zug umspielte seine Lippen, als er sagte: "Tja, das ist ein gefährlicher Ort hier unten. Wir alle auf der Station leben mit einem gewissen Risiko."
Nordströms Hand krachte auf den Tisch. "Blödsinn!", rief er und erhob sich abrupt. "Das war kein Unfall. Es war ein gezielter Angriff."
Während er ein paar Schritte auf und ab ging, versuchte er sich zu sammeln.
"Ich habe Westfield recherchieren lassen, wie viele dokumentierte Attacken dieser Tiere auf Menschen vorliegen", sagte er. "Es sind weniger als fünfzig Fälle bekannt. Wie wahrscheinlich ist es, dass mir das ausgerechnet während dieser Untersuchungsmission passiert?"
Er hielt inne und drehte sich zu Raskid herum, der ihn mit unverhohlener Feindseligkeit von seinem Stuhl aus beobachtete.
"Wissen Sie, was ich darüber denke?", sagte Nordström schließlich. "Wer auch immer dahinter steckt, verfolgt das Motiv, mich von meinen Ermittlungen abzuhalten."
"Darf ich offen sprechen, Sir?" Raskid schien vom Gefühlsausbruch des Majors unbeeindruckt.
"Nur zu, Lieutenant, ich bitte darum!"
Raskids Augen blickten starr auf die polierte Tischplatte vor ihm. Sein Gesicht wirkte jetzt leblos und kalt.
"Diese Station erfüllt eine wichtige Funktion. Und die Männer hier unten, die versuchen ihren Dienst zu tun, folgen damit einem inneren Ruf. Sie sehen es als Pflichterfüllung an. Doch das hat man da oben bei euch vergessen. Männer hinter Schreibtischen schicken uns Ermittler auf den Hals, die unsere gefährliche Arbeit noch schwieriger machen."
"Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen", unterbrach ihn Nordström. "Hier unten ist ein Mann unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Sollen wir es einfach dabei belassen?"
"Dieser Mann war ein Soldat", erwiderte Raskid. "Soldaten sterben in der Ausübung ihres Berufes. Das ist nichts Neues."

Williams erhob sich von seiner Pritsche und salutierte, als Nordström das Quartier betrat. Die Enge der Unterkunft war bedrückend. Ein winziges Bullauge ließ das Schimmern des anbrechenden Tages ahnen. Quartiere mit Panoramafenstern waren offenbar Offizieren vorbehalten.
„Wie geht´s Ihnen, Sergeant?“
„Gut, danke, Sir.“
„Ich suche etwas Ablenkung. Lust auf eine Schachpartie? Ich habe ein nettes Programm auf dem Tablet entdeckt.“
Williams betrachtete Nordström verblüfft, der ein beschriebenes Blatt Papier hochhielt: „Audio-Überwachung. Sagen Sie ja.“
„Ähm, gern, Sir.“

Im diffusen Licht des Morgens schwamm Nordström an der Kante des Riffs entlang, das sich südlich der Station erstreckte. Williams folgte in weniger als zehn Metern Abstand. Mit jedem Flossenschlag, der Nordström vorwärts trieb, begannen die Ziffern auf dem Display des Tauchcomputers zu tanzen. Das Gefälle mochte nur ein paar Prozent betragen, aber es war klar, dass die eingeschlagene Richtung in die Tiefe führte.
Williams schien sich die gleichen Gedanken zu machen: "Wie erreichen die HPNS-Grenze, Major. Ich weiß nicht, ob ich fit genug für einen solchen Abstieg bin."
"Verstanden", erwiderte Nordström. "Melden Sie jedes noch so geringfügige Symptom." Nordström warf einen Blick auf das Navigationsdisplay. Sie befanden sich jetzt außerhalb der Funkreichweite der Station. Bei einem Unfall bestand keine Möglichkeit, Hilfe zu rufen. Nordström wusste, dass sich das High Pressure Nervous Syndrome meist mit einem Zittern der Finger ankündigte. Niemand war davor sicher. Die HPNS-Grenze schob sich wie eine unsichtbare Barriere zwischen ihn und das Treiben der Kampfschwimmer, die offenbar weit unterhalb einhundert Metern Tiefe ihrem geheimen Training nachgingen.
Auf die Anfrage Nordströms bei Olafson, worin die konkreten Aufgaben von Raskids Kommando bestünden, hatte er nur neumodische militärische Phrasen zu hören bekommen: Ausbildung für Einsätze im Bereich asymmetrischer Kriegsführung und Terrorismusbekämpfung, Entwicklung von Einsatzkonzepten auf der Basis des Sättigungstauchens usw. Diese ausweichende Antwort des Commanders verstärkte Nordströms Verdacht, dass die Aktivitäten der Kampfschwimmer den Dreh- und Angelpunkt des Rätsels um Grahams Tod darstellten. Oder … Oder hatte er sich in eine fixe Idee verrannt, die mehr auf seiner Antipathie gegenüber Raskid als auf einer vorurteilsfreien Analyse der Fakten beruhte? Kamen hier die besonderen psychologischen Bedingungen der Tiefe ins Spiel, von der Colonel Bright gesprochen hatte? Mochte womöglich wirklich ein großer Hai den Kampfschwimmer getötet haben?
"Major, ich fürchte, bei mir geht es los", kratzte es im Kopfhörer. Nordström hielt inne, drehte sich herum und sah, dass Williams sich auf die Knie gesetzt hatte. Er schaute auf seine Hände und sagte: "Ich habe meine Finger nicht mehr ganz unter Kontrolle. Es ist wie ein leichtes Krampfen in den Handflächen."
"In Ordnung, Sergeant. Lassen Sie mich kurz nachdenken." Nordström bereute jetzt, dass sie keine Scooter mitführten. Seine Vermutung, die Kampfschwimmer könnten in der Lage sein, das elektromagnetische Feld eines Scooters zu orten, mochte richtig sein, doch was nützte nun alle Vorsicht, wenn es nicht einmal gelang, Raskids Team aufzuspüren.
"Ich lasse Sie ungern allein zurückschwimmen, Sergeant, aber ich fürchte, wenn ich es heute nicht versuche, verliere ich den Überraschungsvorteil."
"Machen Sie sich keine Sorgen, Sir", erwiderte Williams. "Ich komme zurecht. Kann nur nicht tiefer tauchen. Ich werde hier auf Sie warten."
Nach kurzem Zögern sagte Nordström: "Gut. Warten Sie hier auf mich. Sollte ich nicht innerhalb einer Stunde zurück sein, schwimmen Sie zur Basis und erstatten dem Commander vollständigen Bericht. Brechen Sie die Funkstille nur im Notfall."
Williams gab das Zeichen für o.k.
Jeder Anfänger lernte die Grundregel, niemals allein zu tauchen. Das galt auch in militärischen Einsätzen, und wenn diese Regel gebrochen werden musste, dann geschah es oft mit schwerwiegenden Folgen. Während Nordström weiter abwärts an der Riffkante entlang schwamm, schaute er auf das Display des Tiefenmessers – hundertvierzig Meter Wassersäule lagen jetzt über ihm. Unter diesen Bedingungen war das Risiko für einen einzelnen Taucher enorm: eine vereiste Membran im Lungenautomaten, ein Defekt am Doppelventil - man durfte nicht daran denken, was alles schiefgehen konnte.
Die Sichtweite besserte sich ein wenig, obwohl das Umgebungslicht immer weiter abnahm. Offenbar stagnierte das Plankton nur innerhalb der Tiefenschicht der Station. Nordström bemerkte, dass die Riffkante hier in ein Plateau auslief, das sich einige Meter in südlicher Richtung ausdehnte und dann abrupt in noch größere Tiefe abfiel. Er schwamm bis zum Bruch des Plateaus und schaute hinab. Einige Sekunden lang wusste er nicht, wie er das, was er sah, deuten sollte. Es war nicht ausgeschlossen, dass ihn seine Augen täuschten.
In der Klamm unter ihm schimmerten Lichter, wie Positionsbaken im Nebel. Die Entfernung war schwer zu schätzen, es mochten vierzig oder fünfzig Meter sein. Nordström spürte, wie sein Herz gegen die Brust schlug. Es grenzte an Wahnsinn, sich auf diesen Trip einzulassen. Doch gegen alle Bedenken schob er sich über die Klippe und sank wie ein Stein in den Abgrund.
Während er dem diffusen Schein der geheimnisvollen Lichtquellen entgegen schwebte, wurde ihm plötzlich klar, dass es nur einen Grund dafür geben konnte, weshalb er jetzt innerhalb einer Mission alle Sicherheitsregeln über den Haufen warf, an die er sich immer gehalten hatte: Er legte es darauf an, zu sterben. Sein Todeswunsch mochte von der Motivation, die Ermittlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, verschleiert werden, aber je tiefer er in die Klamm sank, desto deutlicher spürte er die klaffende Wunde seines ausgehöhlten Lebens – Maya. Was sollte er mit diesem Leben anfangen, jetzt, wo der Mensch verschwunden war, der ihm Freude, Glück und Geborgenheit geschenkt hatte?
Als sein Tauchcomputer anzeigte, dass er sich zweihundert Metern Tiefe näherte, bemerkte Nordström ein Taubheitsgefühl in den Fingerspitzen. Mit einigen Griffen, die ihm vorkamen, als handle ein anderer, öffnete er das Ventil des Inflators und tarierte so lange, bis er nicht mehr weiter sank. Einige Zeit hing er so in der Schwebe, neben ihm die Steilwand, die ihn aufwärts heraus aus der Klamm führen konnte, wenn er jetzt den Entschluss dazu fasste. Unter ihm leuchteten ein halbes Dutzend gelblicher Lichter in der Schwärze des Abgrundes. Offenbar hatte sich Nordström verschätzt, was ihre Entfernung betraf.
Wertvolle Sekunden verstrichen. Also gut, dachte Nordström schließlich und ließ mit einem Knopfdruck Gas aus der Tarierweste ab. Erneut begann er zu sinken. Es war, als würde er an einem unsichtbaren Seil in die Tiefe eines Schachtes gelassen. Er schloss die Augen und spürte feine Nadelstiche in den Fingern, Händen und Unterarmen. Die Symptome des HPNS waren jetzt unverkennbar.
Wer das Leben eines Kriegers wählt, wird im Krieg umkommen, ging es ihm plötzlich ohne erkennbaren Zusammenhang durch den Sinn. Eine Weile grübelte er über diese Eingebung nach und gelangte allmählich zu größter Klarheit über die folgenschwerste Fehleinschätzung seines Lebens. Während all dieser Jahre, die er in Armlänge des Todes verbracht hatte, war ihm nie zu Bewusstsein gekommen, dass er seine Kräfte aus der Liebe zu Maya schöpfte. Blind und taub für die Zeichen des Universums hatte er sich von Selbstgefälligkeit blenden lassen. In Wahrheit gehörten seine beruflichen Erfolge, gehörten die gelungenen Einsätze, Missionen und Ermittlungen nicht ihm. In Wahrheit gehörten sie seiner einzigen wirklichen Tugend, der Liebe zu Maya. Und nun war diese Quelle von Tapferkeit, Mut und Willenskraft versiegt.
Als Nordström den Grund der Klamm erreichte, war er nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft zu schwimmen. Arme und Beine fühlte er nicht mehr, das Atmen fiel ihm schwer. Wie ein auf dem Rücken liegender Käfer trieb er hilflos über die felsige Sohle der Meeresschlucht. Die Carbonflaschen schrammten knirschend gegen das Gestein, bis Nordström an einem Geröllblock hängenblieb.
Er machte einen halbherzigen Versuch, sich aus dieser tödlichen Falle zu befreien, aber es war hoffnungslos, denn seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr, selbst die Stimmbänder versagten ihren Dienst.
Das ist also das Ende, dachte Nordström mit einem Anflug von Belustigung und schaute nach oben, in Richtung der Meeresoberfläche, die sich als schwach leuchtendes Grau von der Schwärze der Klammwände abhob. Es schien ihm, als läge eine besondere Ironie in der Tatsache, dass diese Mission so endete, wie es eigentlich vorherzusehen war: Ein von Trauer entkräfteter Ex-Kampfschwimmer findet bei seinem letzten Einsatz als Ermittler der Militärpolizei ein kaltes Grab im Meer. Gerade als ihm bewusst wurde, dass in dieser Entwicklung keinerlei Ironie, sondern vielmehr eine geradezu formelhafte Folgerichtigkeit lag, schob sich ein riesiger Körper über ihn.
Die zylindrische Masse glitt beinahe lautlos durch die Klamm. Erst als Nordström den Atem anhielt, hörte er das surrende Geräusch von Schiffsschrauben. Einige Sekunden vergingen, in denen sich Nordströms Gedanken überschlugen. Dann verstand er.
Der zerfetzte Körper des Corporals, die geheimen Aktivitäten der Kampfschwimmer in der Nähe der Station, die Positionsleuchten am Grund der Klamm - das alles ergab jetzt Sinn. Nordström hatte seinen letzten Fall gelöst. Er wusste nun, dass Raskids Team mit der Wartung und Betreuung einer geheimen, submarinen U-Boot-Station beauftragt waren. Gut möglich, dass Thetis III nur dem Betrieb dieser Anlage diente. Er wusste auch, dass Graham nicht von den Kiefern eines großen Hais zermalmt, sondern von den Schrauben eines Jagd-U-Bootes zerfetzt worden war. Der Unfall musste in der Nähe von Thetis III geschehen sein. Zu dumm, dass die Überreste des Corporals vor die Panoramafenster der Station getrieben wurden und so eine offizielle Ermittlung ausgelöst hatten. Zu dumm auch, dass er, Nordström, sich nach dem Vorfall im Kelpwald nicht von den Ermittlungen zurückgezogen hatte.
Er würde niemals erfahren, welche Personen an Bord von Thetis III eingeweiht waren. Offenbar hatte Watts, der Kommunikationsoffizier, die Videodateien gefälscht. Doch wie stand es mit dem Commander und mit Anderson? Wussten sie, was gespielt wurde?
Die Gesichter der Mannschaft tauchten vor Nordström im Dunkel des Meeres auf. Als er Alicas lächelnde Lippen sah, entspannte sich sein schmerzender Körper ein wenig. Es mochte an den Wirkungen des HPNS oder an den narkotischen Effekten des Wasserstoffs liegen, aber er fühlte sich diesem Lächeln jetzt sehr nah.
Ein letzter guter Gedanke, dachte Nordström. Bitte. Aus der Schwärze des Meeres schälte sich eine Gestalt. Nordström konnte sie gut erkennen, obwohl er die Augen geschlossen hatte. Der an der Unterseite salzweiße Leib der riesigen Gestalt bewegte sich, als gleite er mit ausgebreiteten Schwingen durch die Dunkelheit. Schließlich war die Gestalt so nahe, dass Nordström ihren sanften Flügelschlag spürte, und er sah, wie ihr Körper im Licht der Abendsonne schimmerte.

 

Hallo Achillus,

habe mich gefreut, eine neue Geschichte von dir zu sehen. Erstmal gescrollt und: uh!, die ist lang. Wollt eigentlich nur mal anlesen und sie mir für später aufheben - bin dann aber hängen geblieben. Oder mit in die Tiefe gerauscht, um das Thema aufzugreifen.
Wirklich sehr spannend. Du bleibst deinem filmischen Schreibstil treu, bietest solide Spannung, in die du eine Menge Recherche-Wissen einbindest, was dem Ganzen den notwendig glaubwürdigen Anstrich verpasst.
An keiner Stelle habe ich mich gelangweilt, fand nichts überflüssig und bin über keine fehler gestolpert. Liest sich wunderbar stringent durch.
So halten wir also mal fest, dass ich Freude am Lesen hatte und diese Tauchfahrt genießen konnte.
Was dann allerdings die Auflösung anbelangt ... naja, da fühle ich mich etwas betrogen.
Finde, du machst es dir damit ein bisschen einfach.
Also im Prinzip machst du genau das, was ich am Anfang der Geschichte Anfang vermutete - der Sog der Tiefe verschlingt letztlich den Prot, um es mal einfach auszudrücken. Das ist ja häufig so, bei Stories mit dieser Thematik. Da du solche Spannung aufbaust, hatte ich auf etwas anderes gehofft. Nordström denkt sich die Auflösung etwas rasch zusammen, finde ich. Und das war es dann. Es ist in meinen Augen keine Überraschung, dafür ist auch der Tod seiner Frau zu present.
Gut, das also zum Gemeckere. Ändert nichts daran, dass ich die Geschichte trotzdem gern gelesen habe.

Im Anbetracht der Länge der kg ist mein Kommentar jetzt sehr spärlich. Vielleicht, weil alles stimmig auf mich wirkt. Ein bisschen auch, weil ich die Zeit zum Lesen eigentlich nicht habe, und mich jetzt eilen muss. Denke aber, da kommt noch Fundierteres dazu. Das hier also als erste positive Rückmeldung mit kleinem Anschubser, noch mal über das Ende nachzudenken.

Eine Winzigkeit:
"Zur Ergänzung Ihr Lebensmittelreserven?"

Einen entspannten Ausklang des Jahres wünsche ich dir :xmas:

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Antike Namen und Philosophie in einer andern Unterwelt (Orkus/Hades) muss mich ja magisch anziehn,

lieber Achillus –

und es wird auch Zeit, Dich mal zu besuchen – eben nicht nur, weil der Name der Mutter Deines Namenspatrons auch genannt wird.

Die Unterwasserwelt ist uns so fremd wie der Weltraum und darüber hab ich seit den Veröffentlichungen der Piccards nix mehr gelesen – und so sprengt Deine Geschichte zwischen dem ersten und dem letzten Auftritt „salzweißer Körper“ die Grenzen der Genres, pendelt zwischen Eros und Tanatos – und selbst, wenn ich mich mit dem Prot frage*

Was zur Hölle war noch einmal der Inflator?
drohte’s mir zwar, wurd dann aber mir nie zu lang (obwohl es unter Wasser weder Humor, noch Ironie zu geben scheint). Aber da sei dann Epikur vor, der sich von zeitgenössischen Hedonisten mit seiner Strategie der Vermeidung von Unlust abgrenzte.
*
Paar Schnitzer, nix bedeutsames, Flüchtigkeit, die sich bei der Länge des Textes wahrscheinlich gar nicht vermeiden lässt - beginnend mit dem zwomal auftauchendem „Ok“. Ist vielleicht unter Wasser so, aber üblicherweise eigentlich o. k. oder okay.
*
Hier lässt sich ein „sich“ sparen
"Es befinden sich […] regulär einundzwanzig Personen auf der Basis.
Das vielleicht hier wieder eingesetzt werden kann
Der Unfall ereignete [sich] gegen sechs Uhr dreißig abends.
*
Hier ist das Komma entbehrlich
Lieutenant Watts[…] hat das am Tag nach …"
*
… eine vereis[t]e Membran im Lungenautomaten, …
… von Trauer entkräfteter Ex-Kampfsch[w]immer findet …

Gruß

Friedel
der noch einen schönen Restfeiertag wünscht und wahrscheinlich noch mal vorbeischaut

 

Hallo Weltenläufer,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Freut mich sehr, dass Du die Geschichte trotz der Länge gelesen hast. Die Recherche für das Technische Tauchen bzw. Tieftauchen hat mir viel Spaß gemacht. Ich konnte eine Menge dabei lernen. Rückblickend weiß ich nicht so recht, ob die Verbindung dieses Settings der Tauchstation mit einer Art Krimigeschichte die richtige Wahl war. Aber ich freue mich natürlich, dass Du es spannend fandest.

Ja, der Abschluss. Ich kann verstehen, dass Du den bemängelst. Das kommt vielleicht ein bisschen plötzlich. Ich hatte eine Weile über einen Show-Down mit Knalleffekt (Explosion der Basis) nachgedacht. Aber dann fand ich, dass dabei die persönliche Geschichte von Nordström zu kurz käme. Andererseits löst sich jetzt der Kriminalfall vielleicht zu schnell auf. Ich werde da noch ein bisschen drüber nachdenken. Vielen Dank für diesen Hinweis und auch den RS-Korrektur-Tipp.

Ich wünsche Dir auch einen gelassenen Jahresausklang.

Bytheway: Hast Du gesehen, dass Novak, Exilfranke und ich Deine letzte Geschichte kommentiert haben?

Gruß Achillus


Hallo Friedrichard,

schön, dass Du reingeschaut hast. Vielen Dank für Deine RS-Hinweise, die ich gleich umgesetzt habe. Ich freue mich darüber, dass Dir der Text nicht zu lang wurde, obwohl es wohl ein schmaler Grat war. Mir ist klar, dass der Anteil an technischen Details recht hoch geraten ist. Aber hier diente es meinem Wunsch, die Station und ihre Arbeit glaubwürdig darzustellen.

Für mich übt das Meer eine große Faszination aus. Ich schwimme und tauche nicht allein aus Trainingsmotiven heraus, sondern weil ich die Bewegung im und unter Wasser sehr genieße. Es ist eine sonderbare und befriedigende Erfahrung, sich in diesem dreidimensionalen Raum beinahe schwerelos bewegen zu können. Ich wollte ein wenig von dieser Faszination in die Geschichte bringen.

Dass es dabei etwas unterkühlt zu geht, da hast Du auf jeden Fall recht. Nordström hat ja gerade einen großen Verlust erfahren. Er stürzt sich in die Arbeit und lässt die Dinge nicht so richtig an sich heran. Ich finde es allerdings auch sehr schwer, das zu beschreiben ohne sentimental zu werden.

Vielen Dank für Deine Zeilen und ein paar ruhige Tage zum Jahresende!

Gru0 Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Das ist ein toller Text, Achillus, packend, spannend und wirklich interessant. Vor allem sprachlich konnte er mich überzeugen, so detailreich und bildhaft, wie er geschrieben ist. Und das Setting ist natürlich großartig und bestens geeignet, mich zu fesseln, auch wenn ich mit Tauchen absolut nichts am Hut habe. Dir gelingt es wunderbar, diese bizarre Welt, in der wir Menschen im Grunde überhaupt nichts verloren haben, zu schildern, sowohl ihre Faszination, als auch ihre (für uns Menschlein) lebensfeindliche Bedrohlichkeit.
Natürlich fühlte ich mich von den ersten Zeilen weg an den Film „Abyss“ von James Cameron erinnert (jessas, der ist auch schon wieder 25 Jahre alt!), und wie von selbst entstanden die entsprechenden Bilder in meinem Kopf. Also die Beschreibung der Unterwasserwelt gelingt dir wirklich toll, und auch die Fülle an notwendigen (technischen) Informationen für den unbedarften Leser bringst du überwiegend sehr dezent und unaufdringlich im Text unter.
Und obwohl ich den Plot … hm, ich sag mal einigermaßen an den Haaren herbeigezogen fand, war ich von Anfang bis zum Ende gefesselt, und das solltest du umso mehr als Kompliment auffassen, weil dieses Genre an sich überhaupt nicht zu meiner Lieblingslektüre zählt. Aber ich erinnere mich, dass es mir mit deiner Story „Tiefraumflug T77 Galateia“ ähnlich gegangen ist. Die hab ich eher leidenschaftslos zu lesen begonnen, na ja, probieren wir's halt mal mit Science Fiction, hab ich mir damals gedacht und war dann schlichtweg begeistert von der Geschichte, wie bei dieser hier vor allem wegen deiner ungemein packenden und souveränen sprachlichen Umsetzung.
Auch die Idee mit dem Tod der Ehefrau, der offenbar Nordströms Psyche nachhaltig zerrüttet hat und sich letztendlich als eigentlicher kausaler Anlass für den ganzen Schlamassel herausstellt fand ich sehr gut. Wenn auch nicht perfekt umgesetzt. Am besten noch in der Schlussszene, als Nordström angesichts seines eigenen Todes sein Dilemma reflektiert, da passt das schon sehr gut, die Einschübe davor allerdings erscheinen mir ein bisschen zu isoliert, die wollten sich mir nicht so recht in den Erzählfluss einfügen. Die wirkten auf mich wie, zwar fürs Verständnis notwendige, aber etwas willkürlich verabreichte Informationshäppchen an den Leser. Solche Erinnerungen des Protagonisten müssten sich für mein Gefühl harmonischer und aus der momentanen Handlung nachvollziehbarer entwickeln. Ich hab jetzt eben noch mal versucht, die beiden Stellen zu finden, wo's mir nicht so recht gepasst hat, aber aufgrund der Länge des Textes hab ich sie nimmer gefunden. Vielleicht verstehst du trotzdem, was ich meine.
Das andere, was ich nicht ganz perfekt fand, war die Art, wie das Hintergrundwissen um die Meeresstation an den Leser vermittelt wird. Du bedienst dich dabei des Kunstgriffs, dass die Informationen vom Commander dem Nordström erzählt werden, weil der das selbst nicht alles weiß. Und das erschien mir ein wenig unglaubwürdig, dass der Nordström teilweise ahnungslos auf so eine Mission geschickt wird.
Aber weder das eine noch das andere hat mein Lesevergnügen getrübt. Es war mir eine wirklich tolle Feiertagslektüre, Achillus, die mir obendrein wieder einmal gezeigt hat, was einem alles entgehen kann, wenn man nicht bisweilen über den Tellerrand schaut.

Noch was: Ganz großartig fand ich das zweimalige Auftauchen der „Rochen mit den salzweißen Bäuchen“, das mir wie eine Allegorie erscheint auf das Wunder der Welt und der Natur und unseren so schändlichen Umgang damit.


Ein paar sprachliche Winzigkeiten haben mich gestört:

Als sein Tauchcomputer vierzig Meter Tiefe anzeigte und die Bodenkonturen des Plateaus sichtbar wurden,
Ich weiß natürlich, was gemeint ist, trotzdem klingt mir das fast wie ein Widerspruch, weil mir der Begriff Boden für die Oberseite des Plataeus unpassend erscheint. Ich würde einfach nur Konturen schreiben.

gaben sich die beiden Taucher das Handzeichen für Ok und schwammen weiter.
Die beiden sinken Richtung Meeresgrund. Kann man das als schwimmen bezeichnen?

Er musste sich abstützen, um über die handbreiten Schottrahmen zu setzen
besser: zu steigen. (bei "setzen über" denke ich eher an schnellen Lauf)

zog den Reißverschluss seiner Kombi bis unter das Kinn
besser: schloss oder machte zu, weil der Reißverschluss als Ganzes reicht so oder so immer bis unters Kinn.

vorbei an Birkenfeigen, Einblattstauden und Philodendron.
Würde ich auch in den Plural setzen: Philodendren

dass Williams sich auf die Knie gesetzt hatte.
Hmm …

Er schaute auf seine Hände herab
Abgesehen davon, dass es eh hinab heißen müsste, ist das Adverb hier unnötig.

In den vergangenen Wochen hatte sich Nordström über dem Mysterium von Mayas Tod das Hirn zermartert.
Ist grammatikalisch möglicherweise nicht falsch, schöner fände ich: ... über das Mysterium von Mayas Tod das Hirn zermartert.

Nordström wischte sich eine Schweißperle aus der Stirn
besser: von der Stirn


So, und jetzt trink ich ein Bier aufs neue Wortkriegerjahr.
Prost, Achillus.

offshore

 

Hallo Achillus,

ich finde Deine Geschichte großartig. Mir ging es anfangs genauso wie offshore, mich hatte die Länge auch etwas abgeschreckt, aber die Geschichte ist von Anfang bis Ende spannend und an keiner Stelle lässt die einen los. Ich habe vor der Unterwasserwelt einen riesengroßen Respekt. Zwar bin ich auch gern getaucht, aber nie mit Atmungsgeräten und nie in so großen Tiefen. Und seit einem Beinaheunfall durch Selbstüberschätzung auf Kreta bei gelber Flagge lasse ich die Finger weg und bewege mich nur noch schwimmenderweise an der Oberfläche. Aber Bilder aus dieser Welt sind immer wieder berauschend schön. In Deiner Geschichte gehst Du verständlicherweise nicht auf diese Schönheit ein, einerseits, weil Nordström hier gar keinen Sinn dafür gehabt hätte, andererseits hätte das nicht zu der Situation gepasst, in der sich die Station befunden hatte.
Der Tod von Nordström lässt natürlich einiges offen. Normalerweise müsste sein Verschwinden eine weitere Ermittlung auslösen. Aus diesem Grund hätte ich mir ein anderes Ende gewünscht. Aber das hat offshore ja schon angesprochen. Mal sehen, was Du daraus noch machst.

Auf jeden Fall sehr gern gelesen!

khnebel

 
Zuletzt bearbeitet:

khnebel schrieb:
Mir ging es anfangs genauso wie offshore, mich hatte die Länge auch etwas abgeschreckt,

khnebel schrieb:
Aus diesem Grund hätte ich mir ein anderes Ende gewünscht. Aber das hat offshore ja schon angesprochen.

Nicht, dass ich ein Problem damit hätte, mit weltenläufer verwechselt zu werden, im Gegenteil, aber in diesem Fall, khnebel, lege ich wert auf die Feststellung, dass sich deine Aussagen offenbar auf weltenläufers Kommentar beziehen und nicht auf meinen. Ich nämlich hatte weder ein Problem mit der Länge, noch mit dem Ende.

Prost,
offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ernst,

vielen Dank für Deinen Kommentar zum Text. Schön, dass er Dir gefallen hat. Die Hauptidee war dabei natürlich, etwas Spannendes zu schreiben, und das scheint zu funktionieren. Es geht mir mit der Unterwasserwelt so, wie Du schreibst: Faszination und Bedrohlichkeit liegen dicht beisammen. Ich erlebe im Training häufig, dass Menschen bei Unterwasser-Übungen ohne Atemgerät mit inneren Widerständen zu kämpfen haben. Die Angst vor dem Ersticken bzw. Ertrinken ist tief verankert. Andererseits kann die Unterwasser-Erfahrung etwas Magisches vermitteln. Jedenfalls empfinde ich es so.

Der Plot ist natürlich dem Bereich des Phantastischen entlehnt. Weltweit existiert (offiziell) nur eine Unterwasserstation. Die Kosten-Nutzen-Relation macht für die wirtschaftsmotivierte Gesellschaft keinen Sinn. Aus diesem Grund habe den Bereich der Weltraumforschung bei der Finanzierung etwas stärker betont, als es in Wirklichkeit der Fall ist.

Du hast die Einschübe angesprochen, die sich auf Mayas Tod beziehen. Ich kann Deinen Eindruck schon nachvollziehen, die kommen manchmal etwas unvermittelt. Ich habe versucht, sie als Gedankensprünge darzustellen, als Erinnerungssplitter, die sich immer wieder in Nordströms Bewusstsein drängen, obwohl er versucht, zu vergessen. Ich schaue mir das noch mal näher an.

Was das Briefing im Quartier des Commanders betrifft, da war meine Idee, dass Nordström bei Annahme der Mission nur das Notwendigste gehört hat: Es existiert eine Unterwasserstation. Dort ist ein Todesfall geschehen. Es muss ermittelt werden. Sind Sie dazu bereit?

Wie realistisch das ist, darüber kann man streiten. Von meiner Beschäftigung mit Geheimdienstarbeit her, habe ich aber schon von Fällen gehört, in denen die Agenten (Ermittler) aus Sicherheitsgründen erst gebrieft wurden, nachdem sie das Geheim-Objekt betreten hatten.

Vielen Dank auch für Deine Anmerkungen zur Sprache und RS. Ich habe gleich ein paar Sachen verändert.

Beste Grüße
Achillus


Hallo khnebel,

vielen Dank für Deine Hinweise und das Lob zum Text. Die Textlänge, das ist so ein heikles Thema hier im Forum. Ich habe mir dazu auch so hin und wieder meine Gedanken gemacht. Während bei einem sehr kurzen Text (weniger als 1000 Worte) jede Formulierung stimmen muss, weil kleine Schnitzer sofort auffallen, muss eine lange Geschichte (mehr als 6000 Worte) sehr interessant und spannend sein, damit sie überhaupt gelesen wird. In beiden Richtungen sind also erhebliche Schwierigkeiten zu meistern. Ich freue mich jedenfalls, dass Du die Geschichte trotz der 9282 Worte von Orkus gelesen hast. Es ist die längste Geschichte, die ich hier im Forum habe, und ich bin erleichtert, dass ein paar Leute antworten.

Zu Deiner Erfahrung mit dem Meer auf Kreta: Ich verstehe sehr gut, was Du meinst. Seit die Menschen zur Erholung an die See fahren, gibt es ja dieses Phänomen, dass wir Landraten es an der Küste mit einem Phänomen zu tun kriegen, das wir überhaupt nicht kennen und begreifen. Jedes Kind, das am Meer lebt, weiß beispielsweise, dass man niemals gegen die Strömung zum Strand schwimmt. Wenn man aus Berlin, Hannover oder Wien kommt, weiß man das aber vielleicht nicht.

Interessant, dass Du die Geschichte weiterdenkst. Ich hatte das noch gar nicht so sehr im Kopf. Tatsächlich wird der Tod von Nordström (falls man ihn nicht doch noch irgendwie rettet) eine weitere Untersuchung auslösen. Raskid, der die U-Boot-Station geheim halten möchte, hatte sicher nicht damit gerechnet, dass Nordström sich auf den Wahnsinn einlässt, in die Tiefe der Klamm zu tauchen. Insofern ist Nordströms Unfall in der Schlucht eine unvorhergesehene Komplikation der Ereignisse.

Ich bin mit meinen Gedanken zum Ende der Geschichte noch nicht ganz fertig. Ehrlich gesagt bedauere ich es, Nordström so elend krepieren zu sehen. Es ist ein Tod, den ich ihm nicht wünsche. Anderseits hat die Gewalt seiner Fehleinschätzungen ihn an diesen Punkt gebracht. So kommt es mir jedenfalls vor. Ich werde da noch drüber nachdenken.

Beste Grüße
Achillus

 

„Glückliche Heimfahrt suchst du, o weitberühmter Odysseus: / Aber sie wird dir ein Gott schwer machen; denn nimmer entrinnen / Wirst du dem Erderschüttrer [Poseidon]! Er trägt dir heimlichen Groll nach, / Zürnend, weil du den Sohn [Polyphem] des Augenlichtes beraubt hast. // Dennoch kämet ihr einst, obzwar unglücklich, zur Heimat“, spricht Theiresias, der blinde (!) Seher im elften Gesang der Odyssee und hierhin zog mich ein erster mythischer Faden in Deine Geschichte mit der lateinischen Variante übern Hades, dem Titel des elften Gesanges. Viele Wege führen bekanntermaßen in den Orkus/Hades,
*
lieber Achill,
*
doch wenige führen wieder hinaus.

Du merkst, wir driften jetzt scheinbar ab. Aber geschehen denn Verbrechen, um aufgeklärt zu werden? Da setzen uns - und vor allem dem weiblichen Publikum - die Betreiber des Genres eine falsche Prämisse vor. Verbrechen vom einfachsten Mundraub bis zum Massenmord wollen gar nicht aufgeklärt werden und triumphieren in der Statistik ...

Mir fallen von den Rückkehrern aus der Unterwelt nur zwo ein, die bei einigem Nachdenken tatsächlich mit der Geschichte Einar Nordströms zusammenhängen können: Eben der schon genannte Odysseus, aber auch Orpheus, von dem man gar zu gern vergisst, dass er nicht nur ein Musiker war, sondern auch Krieger: Er zog mit den Argonauten, das Goldene Vlies zu rauben, wie Generationen später die Hellenen einen vorgeblichen Frauenraub zum Anlass nahmen, eine konkurrierende Handelsstadt an strategisch wichtigem Punkt zu vernichten. Und mit diesen Kriegern wird Nordström schon allein durch seinen Vornamen in Verbindung zu bringen sein. Einar bedeutet im altisländischen sowohl den einzelnen Krieger als auch das ganze Heer.

Steigt Odysseus zu seiner Mutter hinab, so Orpheus zu seiner Frau, die viele Namen trägt, wenn auch nicht Maya, das im indischen Raum auch die Bedeutung von Betrug und Täuschung haben soll (Wiki, dem ich nicht traue). Nordtröm vermisst seine junge, angeblich an verschleppter Grippe verstorbene Frau.

Aber eine besondere Bemerkung drängt nun alles weg von der kriegerisch-heroischen Seite und klopft am Gewaltverbrechen an – in Sachen Sgt. A. Pyke (wenn auch nicht gewisse Anpflanzungen in ihrem Garten gemeint sind):

Es mochte schwierig sein, als einzige Frau unter zwanzig Männern auf einer Tauchbasis zu arbeiten. Fatal jedoch war, dass hier außer Pyke, die zur Army gehörte, nur Marinesoldaten lebten.
*
Nun gehen wir einfach die Namen der Reihe nach durch und beginnen sinnigerweise mit der ältesten männlichen Person, dem (paradox genug) blinden Seher: Theiresias.

Er wurde geblendet, weil er Athene nackt gesehen hat.
Eurydike wurde auf der Flucht vor ihrem Vergewaltiger von einer Schlange getötet - die an sich bei den alten Hellenen einen besseren Ruf hat, als die alttestamentarische …
Kann die Schlange als Begleiterin eines Gottes ohne Auftrag handeln? Wie steif kann eine Schlange werden?
Schließen wir bei der Jüngsten: Odysseus Mutter, Antikleia, wurde von Sysiphos vergewaltigt (einige behaupten gar, er und nicht Laertes wäre der Vater des Odysseus).
*
Na, vielleicht ist das gar nicht Deine Intention. Aber die Gedanken sind nun mal nicht ohne die Geschichte zusammengekommen … Das sicherste Verbrechen ist halt immer das unentdeckte.

Gruß und schönen Jahresausklang vom

Friedel

 

hallo ernst offshore,

ich bitte vielmals um Entschuldigung. Da hab ich mich wirklich vertan. Man sollte eben doch erst noch mal richtig nachlesen. Natürlich hatte ich das bei Weltenläufer gelesen. Aber mir gefällt dieser Text richtig gut.
Ich wünsche Dir einen guten Rutsch und für nächstes Jahr alles Gute.

khnebel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard,

schön, dass Du noch mal reingeschaut hast. Genau wie Dich fasziniert mich die Idee der Unterwelt, in die der Held hinabfährt, um sein Schicksal zu erfüllen. So, wie ich es verstehe, ist diese Unterwelt ein innerer Ort. Die von Dir genannten Helden, Odysseus und Orpheus, aber auch Herakles und Theseus hatten in der Unterwelt höchst persönliche Geschäfte zu erledigen: Odysseus spricht mit seiner Mutter, Orpheus sucht seine Geliebte, Herakles sucht Sühne für den Mord an seiner Frau und seinen Kindern und Theseus begleitet Peirithoos, seinen Freund und Kampfgefährten, in die Finsternis.

In meiner Geschichte kehrt Nordström zu sich selbst und Maya, der Liebe seines Lebens, zurück. Ihm wird bewusst, dass er die Bedeutung dieser Liebe immer unterschätzt hatte. So geht es, denke ich, sehr vielen Menschen, die erst im Moment der Verlustes begreifen, was ihnen genommen wurde. Ich finde, das ist eine bittere Einsicht, die sich letztlich auf eine falsch ausgerichtete Wahrnehmung zurückführen lässt. Aus Routine achten wir gering, was unser Leben reich macht.

Im Grunde war das ja auch schon mein Thema bei der Geschichte Der Klang des Meeres. Offenbar lässt mich die Idee nicht los.

Beste Grüße
Achillus

 

Hallo Achillus,

einen Krimi in ungewöhnlicher Umgebung präsentierst du uns. Ich mochte die Geschichte sehr, vor allem halt das Setting. Tauchst du auch privat? Egal. Wenn nicht, bist du auf jeden Fall ein begnadeter Rechercher. Du machst das sehr geschickt, verwebst die technischen Details mit der Geschichte, sodass da kein Bruch entsteht.
Besonders zum Beginn deiner Geschichte muss ich dich beglückwünschen. Allein schon durch die ganzen unbekannten Eindrücke unter Wasser, die hier geschildert werden, hattest du mich, und dann noch die eingestreuten Cliffhanger:

verblassten die Erinnerungen an Mayas leblose Augen.
Nebensatz in Brights Missionsbeschreibung
Leblose Augen? Eine Mission?
Das verspricht ein spannender Plot zu werden. Und die Spannung hält sich den ganzen Text aufrecht, ich hätte diesen Nordström gern noch länger bei seinen Ermittlungen über die Schulter gesehen, aber jede Geschichte braucht ihr Ende und diese endet hier. Habe die Geschichte schon heute Morgen gelesen, musste aber ein bisschen darüber nachdenken. Meine Gedanken zum Schluss waren sehr zweigeteilt. Einerseits sagte ich mir, ja, es muss so enden, geht gar nicht anders, andererseits kam es mir nicht ganz schlüssig vor. Das hat sich auch nach dieser Bedenkzeit nicht geändert. Was ich am Schluss gut finde, ist das Szenische, dass er sich in diesen Abgrund stürzt, einfach loslässt und auch die Gedanken hierzu sind nachvollziehbar. Dann aber kommt das U-Boot. Im ersten Moment dachte ich mir, was für eine gute Wendung, naheliegend, aber ich wäre nie draufgekommen, so oder ähnlich muss wohl auch Nordström empfunden haben. Aber eben nur im ersten Moment.
Er stellt sich die falsche Frage: Wer steckt noch alles mit drin? Ich frage mich, wieso überhaupt die Vertuschung? Haben sie Angst vor einem Skandal?
Es gab doch schon vorher Tote:
Zwei dieser Unfälle wurden durch die narkotische Wirkung von Wasserstoff verursacht. Zum damaligen Zeitpunkt war die Zusammensetzung des Atemgasgemischs noch experimentell.
Mir bleiben zu viele Fragen ungeklärt. Warum bekennt sich die Station nicht dazu, eine U-Boot-Station zu sein? Und dass genau dann ein U-Boot auftaucht, kurz bevor Nordström den Löffel abgibt, wirkt etwas konstruiert, so als möchtest du dem Leser noch einen halben Knochen zuwerfen. Mit diesem Intrigen-Plot hast du natürlich auch unheimlich hohe Erwartungen an die Auflösung erzeugt, und diese Erwartungen wurden bei mir nur halb erfüllt.
Aber ich habe mich nie gelangweilt. Es war ein Text, der Spaß gemacht hat, aber gleichzeitig zum Denken anregt, ist das Thema ja hochbrisant, da für 2022 die Mission "Mars-One" angesetzt ist. Nun ist es ja schon heikel genug in der Tiefe des Meeres zu ermitteln, wie du uns eindrucksvoll gezeigt hast.
Tauchen mit Pressluftgeräten einen weichen, dämmerigen Trip darstellte,
Gibt es hier nicht ein besseres Verb? Vllt: für einen weichen dämmrigen Trip sorgt ...?
für Ok und schwammen weiter.
Okay, O.K. oder o.k.
ersten Mal betreten.
In diesem Augenblick betrat ein Mann mit
2xbetreten

Nachdem Williams gegangen war[,] sagte der Commander:
Und als sei dies der Tiefpunkt seiner Karriere[,] fügte er mit einem Blick auf die blaue Finsternis hinter den Glasscheiben hinzu:
Und der Tod war die Achse diese Zentrums.
dieses

Frohes neues Jahr, in dem wir uns hoffentlich noch mal lesen, aber ist ja noch viel Zeit. War ein interessanter Ausflug in die Tiefe.

Grüße Hacke

 

Hallo Hacke,

vielen Dank für Deinen Kommentar zur Geschichte. Ja, einiges, was bei den Taucherlebnissen im Text beschrieben wird, kenne ich von meinen eigenen Taucherfahrungen her, obwohl ich niemals Tieftauchen (50 Meter und mehr) betrieben habe. Für Sporttaucher sind die Tiefen bis 15 oder 30 Meter ohnehin viel interessanter, denn dort findet man ein reiches Unterwasserleben.

Das Technische Tauchen hat ja ein bisschen andere Zielsetzungen. Dort werden Tauchgänge äußerst penibel geplant, denn in 90 oder 100 Meter Tiefe sind die Risiken beachtlich. Das Tec-Diving ist wahrscheinlich so gefährlich wie das Höhlentauchen. Das Hauptproblem dabei scheint mir zu sein, dass die Atemgase aber einem bestimmten Druck giftig werden bzw. narkotisch wirken und es technisch äußerst schwierig ist, diese Eigenschaften zu umgehen.

Dazu kommt, dass es schier unmöglich ist, beim Auftreten von Problemen aus einer Tiefe von 60, 70 oder 100 Metern einfach aufzutauchen, denn das löst die Taucherkrankheit aus. Ein gefahrloser Aufstieg dauert mehrere Stunden. Ich finde es faszinierend, wie schwierig es ist, in die Meerestiefen vorzudringen.

Zu Deinen Bedenken, was den Schluss der Geschichte betrifft: Du hast sicher recht mit dem Hinweis auf mehrere unbeantwortete Fragen. Ich finde das auch ein wenig unbefriedigend. Ich hatte mir anfangs vorgestellt, Nordström würde den Fall detailliert aufrollen, alle Fragen schlüssig klären. Doch dann fiel mir auf, dass seine Verfassung eigentlich auf ein anderes Ende zielt.

Nordström geht in die Finsternis. Ich betrachte es als letzten Triumph, dass er zumindest die groben Züge des Komplotts entdeckt. Aus militärischer Sicht ist eine U-Boot-Basis in 200 oder 300 Meter Wassertiefe ja eine Ungeheuerlichkeit. Eine solche Basis wäre extrem schwer zu orten und kaum anzugreifen. Aus diesem Grund die hohe Geheimhaltungsstufe in meiner Geschichte.

Dass nun gerade ein U-Boot auftaucht, als Nordström zum Boden der Klamm sinkt, ist wirklich ein großer Zufall. Oder es weist auf rege Aktivität in der U-Boot-Basis hin. Ich habe dieses Ende wegen des dramatischen Effekts gewählt und auch, weil es mir allzu lange Erklärungen erspart. Realistischer wäre es, wenn Nordström nur die U-Boot-Station entdecken würde und sich dann den Rest der Geschichte zusammenreimt.

Ich werde da auf jeden Fall noch drüber nachdenken.

Vielen Dank auch für Deine Korrekturhinweise. Ich konnte schon alle bis auf einen umsetzen. Bei Tauchen mit Pressluftgeräten einen weichen, dämmerigen Trip darstellte … fällt mir gerade noch nichts besseres ein, aber Du hast auf jeden Fall recht, das klingt nicht gut.

Hat mich sehr gefreut, Hacke, dass Du reingeschaut hast.

Beste Grüße
Achillus

 

Nebenbei und nur so am Rand: Die Bauweise von Thetis III (sechs Pylonen stützten das gesamte Gewicht des Aufbaus und sollen seismische „Stöße des Meeresbodens abfangen“) erinnert mich an moderne Pfahlbauweise im Holland der Reichen und Schönen … Nederlandse Elite und Thetis III sind also besser gerüstet für den Klimawandel als der Rest der Welt …

lieber Achill,

und da bin ich nochmals, wenn auch nicht mit der heutigen Fassung, was wir mit Fassung ertragen sollten.

Zuerst mit der Frage, was mögen Nordseeanrainer militärisch im Indischen Ozean suchen?, und wenn wir uns erinnern an Piccards Bathyscaph (griech.: Tiefboot) zu friedlichen Zwecken (und einer gehörigen Portion Neugier): Eine druckfeste Tauchkugel mit Besatzung, die m. W. an einem mit Benzin, das in der Tiefe nur wenig zusammengedrückt wird, gefüllten Tragkörper hing. Wie mittels Sand die Höhe des Ballons geändert wird, geschiehts in der Tiefe mit dem Benzin (und andern Ballaststoffen).

Aber die Ähnlichkeit zu Weltraumabenteuern ist nicht nur in den Anfängen der Tiefseeforschung zu finden
Direkt zu Anfang

… kamen die Rochen. …
wie die Invasion der Raumschiffe der sog. Kulturindustrie.
Die mächtigen Tiere ließen sich von der Drift tragen und schwebten anmutig durch die blaue Leere.
Nur dass das All schwarz und stumm ist wie die Nacht, die Geräuschkulisse made in Hollywood & cie. (nicht etwa St. Lem & Co.) – wahrscheinlich ein Hinweis, dass der Mensch die Stille nicht ertragen könnte, zumindest nicht mehr, wenn er erst mal „westlich“ infiziert und kultiviert ist.
Bei jedem Flügelschlag schimmerten ihre an der Unterseite salzweißen Körper im Licht der Abendsonne, die mit Strahlenspeeren von der Oberfläche herabstieß.
Hier auch ein Ansatz von Militarisierung, denn Laser haben auch was messerscharfes an sich - sollte der Leser geläutert gegen Ende selber drauf kommen, wenn
[a]us der Schwärze des Meeres […] sich eine Gestalt [schälte].
Auch wieder mit „salzweißem Leib“.

Mit „salzweiß“ ist natürlich die Farbe von Kochsalz (NaCl) gemeint, das freilich in kristalliner Form einen Haken hat: Es bräunt … Und niemand darf vergessen: NaCl ist Grundlage der Salzsäure, die so ziemlich alle Metalle auflösen kann. Von der, unterstellt „bösen“ Stief- oder Schwiegermutter bleiben nur Goldzähne übrig, sofern sie welche … Übrigens: Die Gestalt könnte auch ein U-Boot sein … Warum sollte man nicht ein Schiff (ob Raum, ob Unterwasser) in der Architektur des Rochens bauen können? Und

m Trainingsraum der Basis roch es nach Schweiß und Eisen,
da ist es bis zum Blut + Eisen nur noch ein kleiner Schritt.

Ach, ich werd über- und schwermütig – zurück zur „Liebe des Lebens“ – was ja das persönliche Schicksals Nordströms bestimmt.

Auf dem Weg in die Tiefe erleben Taucher manchmal ein sonderbares Gefühl des Heimkehrens. …
Nordström hat das „eigentliche“ gesellschaftliche Leben satt, ihn beherrschen
Mayas leblose Augen.
Und er hat so etwas wie Albträume im
Anblick eines Frauenleibes, der bewegungslos zwischen Algen trieb.
Der Tod wird ihm zum Mysterium (dabei ist es doch in Wirklichkeit das Leben) und nimmt dazu den erst sozialen und dann biologischen Tod seines Alten Herrn als Erlösung. Aber daran schließt sich ein Satz, der alles relativiert:
Erst die Myokarditis einer achtundzwanzigjährigen Meeresbiologin brachte Nordströms Grundsätze ins Wanken.
Nachzudenken über Leben und Tod.

Maya hatte ein krankes Herz (was auch im übertragenen Sinne gedeutet werden kann – da komm ich gleich drauf zurück).

Der Schmerz war das Zentrum jeder Erfahrung in diesem Universum. Und der Tod war die Achse diese Zentrums
dem/der man, wie jeder wissen sollte, nur vergeblich davonlaufen, davonzukommen trachten kann.

Aber wird Nordström seiner scheinbaren Liebe des Lebens untreu? Die erste Szene mit Symbolgehalt lässt es schon vermuten:

Sergeant Pyke zog ihre Hand aus dem Boden, starrte Nordström an …
Eine bodenständige Frau - unter Wasser! Ausgerechnet die Frau unter 20 Kriegern.

Warum sag ich nun Krieger? Es führt den älteren Gedankengang weiter: Weil Vergewaltigung ein Mittel des Krieges ist, den Gegner zu demütigen (womit wir wieder in den antiken Hades gelangen …) Zudem hastu,

lieber Achill,

wie dem Einar der Frau einen bezeichnenden Namen gegeben:

Alica lächelte.
Alice (engl., frz., frz. ausgeschrieben Adelaide = Adelheid auf germanistischer Zunge, adal = edel, [c]heit = Gestalt, Körper), ob bewusst oder nicht: Der Autor gesteht Sgt. Pyke einen schönen Körper zu, eine edle Gestalt halt. Da passen dann irgendwie die paar Zeilen über wehrhafte Pflanzen wie eine Einleitung zum
Kegelschneckengift
, wobei in vielen Mythen und Sagen auch der Liebestrank (meist heimlich verabreicht in nichttödlicher Dosis) giftig ist.

Gleichwohl:

Während all dieser Jahre, die er in Armlänge des Todes verbracht hatte, war ihm nie zu Bewusstsein gekommen, dass er seine Kräfte aus der Liebe zu Maya schöpfte.
Liebe macht blind. Sie fragt schon in den Korinther Briefen nicht. Aber da ist doch ein Schnitt
Als er Alicas lächelnde Lippen sah, entspannte sich sein schmerzender Körper ein wenig. Es mochte
dies oder das sein
…, aber er fühlte sich diesem Lächeln jetzt sehr nah.

Jetzt wirkt sich alles, was nach der Verbannung Herbst 2013 über mich kam von Vorteil auf, dass ich glatt inzwischen über die Bedeutung des Wortes Liebe einen Vortrag halten könnte. Aber hier nur das wichtigste hierzu.

Wir sollten uns schon darüber im Klaren sein, dass „Liebe“ – als Zuneigung zu einer andern Person, die nur in der Erfüllung durch die Zuneigung der andern Person zu einem selbst erfüllt werden kann – und „verliebt sein“ nicht identisch sein müssen, wohl aber können.

Lust auf und zu eine/-m/-r etwas haben ist eher ein „gern“ haben, selbst wenn ich behaupte, meine Hunde „lieb zu haben“. Das Problem ist dabei, um auch die Seite aufzuführen, dass ich nicht weiß, ob sie „mich liebhaben“ oder nur den Alpharüden in mir sehn (wobei, das sei am Rande vermerkt, dieser Alpharüde eher anarchi[sti]sch veranlagt ist und weder Alpharüde oder, um aufs Soziale zu kommen, keine Vater-, und seit einiger Zeit erst recht keine Großvaterfigur sein will, Kumpel [beide Großväter arbeiteten im bergbau, der eine als Knappe, der andere als Schmied] oder Freund), womit wir einen Sprung zur ursprünglichen Liebe wagen können: zur Mutter-Kind-Beziehung, die ja zum geringsten Teil auf freiwilliger Basis erfolgt – wie auch die Beziehung zum lieben Gott oder anderen Hierarchen - das Alte Testament lehrt uns da eine eher erzwungene, oft gewaltsame „Beziehung“, wie die an sich abstrakte Vaterlandsliebe (die sich bei mir eher als Liebe zur Muttersprache äußert) und die Liebe zu irgendwelchem „Eigentum“ (es/sie/er ist mein) äußert, Libido enttarnt sich da als Begierde / Begehr wie nach dem Geld oder Macht.

Den Goten – keine bange, Du würdest einfache Leute, die nicht durch lateinische oder griechische Schulen gegangen sind, ganz gut verstehn, etwa wie das Holländisch heute) war das entscheidende im Wort „Liebe“ (= frijaþwa; dieses þ ist nix anderes als heute noch das ti-aitsch der Anglosaxen) die Freiheit (= frijei; got.), also die Unabhängigkeit von irgendwelchen Besitzansprüchen, und „frijon“ war, was man gern tat – weil als freier Mensch, wie dann auch „friond/i“ den/die Freund/in meinte.
Das klingt seit dem sechsten Jahrhundert auf westgermanistischer Zunge „fridil“ (was auch den Geliebten wie den Ehegatten umfasste - mhd. vrîdel, aber auch schon bei Walther v. d. Vogelweide friedel, naja, war am Ursprung des kleinen F. nicht so gemeint, aber notwendig, wo vier Friedrichs aus drei Generationen zu unterscheiden waren). Die Liebe (amor) ist im nhd. die „Zustandsbildung zu dem Adj. lieb“ [Anpassung an neuere dt. Rechtschreibung durch mich], definieren die Grimm Brüder im Deutschen Wörterbuch (Bd. 12, Sp. 896). Da hat sich nicht allzu viel in den letzten anderthalb Jahrhunderten geändert. Denn die Liebe, wie wir sie heute kennen, ist die der bürgerlichen Gesellschaft, wo verliebt-sein, sich und einem andern lieb-sein mit dem code civil, dem Bürgerlichen Gesetzbuch einhergeht. Es geht nicht mehr um Freiheit, sondern Besitz (und der Drang danach liegt schon in der Eifersucht). Aber noch bei Luther heißt’s zur innigen Zuneigung eines Menschen zum andern „liebe aber heiszet auf deudsch (wie jederman weis) nichts anders, denn von herzen einem günstig und hold sein, und alle güte und freundschaft erbieten, und erzeigen.“ Und selbst der Pfarrer Paul Gerhardt rebellierte im 30-jährigen Krieg gegen seinen Boss „Ich aber, dein geringster Knecht, / Ich sag es frei und mein es recht: / Ich liebe dich, doch nicht soviel, / Als ich dich gerne lieben will.“ [Wir singen Dir Immanuel] Schon der Prediger Salomo (9, 1) weiß in Luthers Übersetzung um den Gegensatz von Liebe und (Kälte, Abneigung, vor allem aber) Hass „doch kennet kein mensch weder die liebe noch den hasz irgend eines, den er fur sich hat“, was darauf hinweist, dass immer schon bekannt war, dass kein Mensch weiß, wie weit die Liebe gehen kann, ohne in Hass umzuschlagen (so gibt’s ja auch den folgerichtigen Schluss, dass einer nicht hassen könne, der nicht geliebt habe). Auf Glaube, Liebe, Hoffnung geh ich gar nicht erst ein – der liebe Gott und DU werden mir verzeihn. Aber zurück zur Zweisamkeit!

Verbunden sind zumal häufig Liebe und Treue, da gibt’s die keusche, lautere, sinnliche, die lästerlich unzüchtige, die nur fleischliche Liebe, mit denen eine (mittelalterlich anmutende) Variante nix zu tun hat: Die Minne. Die ist das andauernde Gefühl der Liebe, das keiner Afa unterliegt (Afa = Abschreibung für Abnutzung), denn über allen bürgerlichen Varianten wird die Liebe als das, was ICH lieb hab, also besitze, zum Neutrum. Mein Haus, Auto, Weib, Kind. Es ist einem das ihn Erfreuende (was nix mit den Goten mehr zu tun hat, sondern eher mit all den Eroberern). Lieb & Leid gehören in der bürgerlichen Welt zusammen wie Glaube/Gläubiger.
und Schuld/Sünde/Schuldner.

Dank Hollywoods und Abhängigen inflationärem Gebrauch wird das Wort Liebe selbst abgenutzt, macht es zur Formel, etwa im one-night-stand – wobei die Verwendung in formalisierten Anreden (liebe/r xyz), wo vormals ein sehr geehrte/r stand, ihr Übriges tut. Liebe ist inzwischen nur mehr ein Wort und immer auch Ware gewesen. Und dennoch gilt immer noch der Ausspruch von 1404 durch und im Narrenschiff des Sebastian Brant „wer mich lieb hat, den lieb ouch ich“.

Die Liebe des Lebens ist auch eine Idealvorstellung, die sich am besten durch Trennung frisch halten lässt. Unser Held hier ist nahe dran, die verlorene Liebe des Lebens gegen eine andere einzutauschen, dem er – wenn es denn das Ende der Geschichte sein muss – nur durch eines entgehen kann: Den Tod zu akzeptieren. Alles andere wäre auch amerikanischer Klüngel.

Mit dem Wunsch auf ein gutes neues Jahr vom

Friedel

 

Hallo Friedrichard,

mit großem Vergnügen habe ich Deine Reflexionen zum Text gelesen und danke Dir dafür. Du hast natürlich recht, in der Geschichte wimmelt es von Hinweisen auf das Militärische, und es kommt darin auch eine militarisierte Weltsicht zum Tragen – die Eroberung des Meeresbodens als Projekt von Navy und Army, da weiß man, in welche Richtung das wohl laufen wird.

Überhaupt ist das Militär ein sonderbarer Haufen, mit all den Konventionen, die Kommunikation und Zusammenleben regeln. Ich habe das ja am Rande ein bisschen anklingen lassen, bei Olafson, der Williams anschnauzt, beim Gespräch zwischen Nordström und Pyke, dem Gerangel zwischen Army und Navy usw.

Du hast danach gefragt, was die da eigentlich im Indik wollen, und ich antworte lapidar: Wahrnehmung globaler geostrategischer Interessen.

Und der Machismo, der auf einem solchen Stützpunkt herrscht, scheint mir eine Konsequenz aus den Strukturen zu sein, die das Militär (aber nicht nur das; auch Klöster, Schulen, Universitäten, Konzerne bringen das zustande) entwickelt, um Schlagkraft aufzubauen – zu allererst die Chain of Command.

Deine Reflexionen zur Liebe habe ich mit Spannung gelesen. Bei Nordström wollte ich sie als Tugend darstellen, denn dort umfasst sie – genau, wie Du es beschreibst – nicht nur das Verliebtsein, sondern einen Prozess, der auf Gegenseitigkeit beruht und eine Schleifenbewegung vollzieht, die sich dem anderen immer stärker annähert. Liebe als Läuterung gewissermaßen. Allerdings begreift Nordström das ja erst im Augenblick des Todes, bzw. kurz davor.

Sehr schön fand ich auch, wie Du die sanfte Anziehung zwischen Pyke und Nordström interpretierst. Für mein Empfinden liegt darin so etwas wie Hoffnung, die sich dann – selbstverständlich – doch nicht erfüllt. Es wäre grausam und oberflächlich, würde Nordström sich kurz nach dem Verlust von Maya in die nächste Beziehung stürzen, aber das ist ja hier nicht der Punkt.

Eine Frage noch:

Jetzt wirkt sich alles, was nach der Verbannung Herbst 2013 über mich kam von Vorteil auf

Was meinst Du denn damit? Verbannung?

Beste Grüße
aus dem verregneten Berlin


Hallo Manlio,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Mit Deinen Hinweisen triffst Du so ziemlich, was ich selbst über den Text denke, wenn ich meine Ansprüche an Literatur zum Maßstab nehme. Die Figuren könnten lebendiger und die Dramaturgie mehr auf den Punkt gebracht sein. Das sehe ich auch so. Mir kam ebenso der Gedanke, dass sich da ein bisschen viel Personal rumtreibt, aber andererseits wollte ich eben eine betriebsame Unterwasserstation beschreiben. Schön, dass der Text Dir trotzdem einiges Vergnügen bereitet hat.

Beste Grüße
Achillus

 

Hallo Achillus,
diese Geschichte geht nicht nur in die Tiefe des Meeres, sondern auch in die von Körper und Seele. Es liest sich flüssig, manchmal sehr „militärisch“, aber das hängt mit dem Inhalt zusammen.

Bei jedem Flügelschlag
„Flossenschlag“ finde ich besser.
Wir atmen hier nur Sauerstoff und Wasserstoff.
Klingt gefährlich, sehr explosiv. Hier könnte man doch für uns Laien einbringen, dass Hydrox ein Atemgasgemisch aus Sauerstoff und Wasserstoff ist. Vor allem weil Hydrox in der Geschichte später eine größere Rolle spielt.
Erst die Myokarditis einer achtundzwanzigjährigen Meeresbiologin brachte Nordströms Grundsätze ins Wanken.
Das passt nicht so richtig ins Bild. Die Typen hier spielen dauernd mit dem Leben. Stirbt jemand eines natürlichen Todes, soll ein Kampftaucher plötzlich so weich und sentimental werden? Es müsste rüberkommen, dass diese Frau für Nordström etwas Besonderes war, er von ihr abhängig war. Sie ist gestorben und nur das war das Schlimme. An was sie gestorben ist, spielt keine große Rolle mehr. So, wie es jetzt dasteht, meint man, Nordström brächte die Existenz von Myokarditis aus der Bahn.
Die Druckluftharpune, die jetzt nach Grahams Tod jeder Taucher in seiner Ausrüstung führte, würde im Ernstfall nicht viel ausrichten.
Hier wird klar, dass niemand an den Hai glaubt, sonst würden sie wirksame Waffen mitgeben. Soll das dem Leser mitgeteilt werden? Ich denke, die Spannung wird kaum beeinflusst.
Den hydroponischen Garten
Ein spannendes Projekt. Ich gehe davon aus, dass der Garten mit einem Sonnensimulator beleuchtet wird und menschliche Exkremente als Dünger verwendet werden. Die Pflanzen, vor allem solche, die Medikamente produzieren, wären zum Teil genetisch verändert.
welchen Schock die vorbeischwebenden Leich[en]teile bei den Besatzungsmitgliedern
"Lieutenant Anderson hat Sie aus dem Kelpfeld gezogen und hergebracht."
Somit wäre Anderson nicht in das U-Boot-Projekt eingeweiht?
Ich weiß nicht, wie der Colonel auf die Idee kommen konnte, Sie von einem Tag zum anderen hierher zu schicken.
Ein Hinweis, dass Colonel Bright einen Mord an Nordström in Auftrag gab? Oder hat Bright keine Ahnung vom Tauchen?
Im Nebel der Erinnerungen tauchte zwischen den Algen des Kelpwaldes etwas auf, das Nordströms Aufmerksamkeit erregte, denn es passte nicht zur Wasserstoffnarkose-Theorie.
Der Kontext von „etwas“ wird nicht klar. Etwas, das mit Süsswassergewinnung zu tun hat? Ich denke eher, es solle der Giftstachel sein?
"Ich ließ mich noch einmal untersuchen. Lieutenant Westfield fand eine winzige Einstichstelle in meiner rechten Hand, und eine gezielte Analyse meiner Blutproben erbrachte einen eindeutigen Befund: Kegelschneckengift."
Westfield spielt also auch keine Rolle im U-Boot-Projekt. Warum kann Nordström diese Einstichstelle nicht selbst spüren und sehen? Ich fände es spannender, wenn Nordström wegen dieser Einstichstelle zum Arzt ginge. Der Arzt bliebe eher ein Verdächtiger.
„Audio-Überwachung. Sagen Sie ja.“
Wie hat Nordström das erkannt?
"Wir sind Kampfschwimmer, Sir. Wir haben keinen Achtstundentag."
Kampftraining ist ein Thema in fast allen Deiner Geschichten. Solche Passagen erinnern mich an Lenka in der Serie „Der dunkle Spiegel“. (Warum geht es dort nicht weiter?)

Das erbauliche Ende ist Dir – finde ich – sehr gelungen. Der Tod von Graham wird als Unfall – nicht Mord - aufgeklärt. Das Ende bleibt größtenteils offen. Es wird nicht klar, wer über das U-Boot Bescheid wusste. Graham wusste wohl Bescheid, ebenso Watts, Olafson und Raskid wahrscheinlich auch. Die Botanikerin bleibt ein Rätsel. Sie hätte mit ihren „medizinischen Pflanzen“ Möglichkeiten, die Mannschaft zu beeinflussen; und zusätzlich als einzige Frau …
Ein Rätsel bleibt, wie jemand Nordström Conotoxin spritzen konnte, ohne dass er es merkte. Oder habe ich was übersehen? War eine Nadel im Taucheranzug? Warum ist die Stichwunde an der Hand?
Du hast die Geschichte nicht unter Science Fiction, Krimi und Gesellschaft gestellt. So unterstelle ich dir, dass Du es nur auf den Spannungseffekt abgesehen hast. Aber Thetis III gäbe genug Stoff für mehr und eine Fortsetzung. Wozu wurde die U-Boot-Station gebaut? Wer finanziert das Unternehmen? Wer leitet es? Was treiben die sonst noch in der Tiefe? Die Liebe der Botanikerin. Schließlich könnte der Tiefseegarten bei vielen menschlichen Bedürfnissen helfen; als Machtinstrument noch gewaltiger als U-Boote …
Das sind jetzt auf die Schnelle meine Gedanken. Insgesamt hat mir das Lesen Spaß gemacht. Unterhaltsam, spannend und lehrreich.
Viele Grüße
Fugu

 
Zuletzt bearbeitet:

Was meinst Du denn damit? Verbannung?
Das wäre eine längere Geschichte,

lieber Achill,

darum nur so viel oder wenig, dass ich gerne anecke und darum oftmals haarscharf am Rauswurf vorbeischredder und September '13 des Feldes, pardon, für einen Monat Hausverbot, sofern man's im wirrtuellen so umschreiben kann, erhielt und zugleich den Status eines Gastes. Ob gern gesehen muss jeder mit sich selbst ausmachen.

Aber noch - eher zufällig - ein Hinweis zu Flügeln und Flossen, das eine eine Substantivierung des Verbs fliegen, das andere des Verbs fließen. Aber richtig interessant wird, wenn man weiß, dass "flozza" (ahd.), "vlozze" (mhd) sich gegen "vischveder" bzw. "vlozvedere", wir würden heute sagen "Fischfeder" bzw. "Floßfeder" (oder auch "Flussfeder") durchgesetzt hat.

Nun schwimmen Rochen i. d. R. langsam mit wellenförmigen Bewegungen der Brustflossen, aber ähneln gegenüber dem sonst eher hektischen Treiben der Brustflossen anderer Fischarten dem nahezu eingestellten Flügelschlag bei Gleit- und/oder Segelflug nicht nur von Raubvögeln.

Gruß

Friedel

 

Hallo Fugusan,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Schön, dass Du wieder reingeschaut hast. Erst mal kurz zu Deiner Frage, was Der dunkle Spiegel macht. Ich hatte im letzten Jahr ein bisschen die Lust dran verloren, aber demnächst geht es wieder weiter. Danke für Dein Interesse und die Nachfrage.

Klingt gefährlich, sehr explosiv. Hier könnte man doch für uns Laien einbringen, dass Hydrox ein Atemgasgemisch aus Sauerstoff und Wasserstoff ist. Vor allem weil Hydrox in der Geschichte später eine größere Rolle spielt.

Da hast Du recht. Die Verbindung von und Wasserstoff kann zu Knallgas führen, und das ist hochexplosiv, wie wohl jeder noch aus dem Chemieunterricht weiß. Die bei großen Tiefen verwendeten Atemgase haben aber einen so geringen Anteil von Sauerstoff, dass es nicht zum Big Bang kommt.

Das ist so, weil die Verträglichkeit von Sauerstoff mit zunehmenden Druck sinkt. Während wir Sauerstoff an der Oberfläche mit einem Anteil von 21% atmen können, dürfen es bei einer Tauchtiefe von 90m nur noch 5% sein. Ein höherer Anteil wirkt giftig. Hydroxgemische enthalten weniger als 3 bis 4 % Sauerstoff.

Ich hatte wirklich darüber nachgedacht, noch mehr Aspekte der Tauchphysik in die Geschichte einzubringen, aber das wäre dann für viele nicht mehr interessant gewesen, denke ich.

So, wie es jetzt dasteht, meint man, Nordström brächte die Existenz von Myokarditis aus der Bahn.

Hm, das ist mir gar nicht aufgefallen. Ich dachte, es wäre schon klar, dass es keine Frage der Krankheit ist, sondern, dass Nordström der Tod zu schaffen macht. Werde das noch mal durchdenken.


Hier wird klar, dass niemand an den Hai glaubt, sonst würden sie wirksame Waffen mitgeben. Soll das dem Leser mitgeteilt werden? Ich denke, die Spannung wird kaum beeinflusst.

Ich dachte in eine andere Richtung. Ich wollte klarmachen, dass sich Nordström kaum gegen das Tier wehren könnte, falls es noch einmal zuschlägt. Ich habe das geschrieben, weil Kritiker anmerken könnten, dass es nicht plausibel wäre, wenn sich die Taucher überhaupt nicht schützen würden. Doch es ist einfach klar, dass es gegen ein Tier von 5m Größe keine effizienten Unterwasserwaffen gibt.


Ein spannendes Projekt. Ich gehe davon aus, dass der Garten mit einem Sonnensimulator beleuchtet wird und menschliche Exkremente als Dünger verwendet werden. Die Pflanzen, vor allem solche, die Medikamente produzieren, wären zum Teil genetisch verändert.

Du sprichst mir aus der Seele. Anfangs hatte der hydroponische Garten eine wesentlich größere Bedeutung in meiner Geschichte, genauso wie der Maschinenraum mit den Umkehrosmose-Anlagen und die Strömungsturbinen. Ich hatte mir eine längere Zeit den Spaß gemacht, eine Idee zu entwerfen, welche Dinge man im Betrieb einer UW-Station berücksichtigen müsste: Energieversorgung, Wasser- und Nahrungsgewinnung, Atemgasproduktion usw. Aber irgendwann wurde mir klar, dass das für eine Geschichte zu viel ist. Der Leser will ja keine Konzeptdarstellung lesen, sondern eine spannende Geschichte.

Was nun die Figuren und ihre Mitwisserschaft betrifft, da habe ich mir vorgestellt, dass neben Raskid und Watts auch der Wissenschaftsoffizier in dieser Sache stecken könnte. Aber ich habe das nicht bis zum Ende auseinandergenommen, weil es für Story keinen Unterschied machte. Man kann es so lesen, dass Raskid im Algenwald den Angriff auf Nordström durchführt (mit einer kleinen Harpune beispielsweise). Man kann es aber auch so lesen, dass Westfield es macht oder dass es wirklich ein dummer Zufall (ein tatsächlicher Biss einer Kegelschnecke) ist.

Der Kontext von „etwas“ wird nicht klar. Etwas, das mit Süsswassergewinnung zu tun hat? Ich denke eher, es solle der Giftstachel sein?

Ja, da hast Du recht. Das werde ich überarbeiten. Stimmt auf jeden Fall.

„Audio-Überwachung. Sagen Sie ja.“ Wie hat Nordström das erkannt?

Da die Entzerrer die ganze Zeit aufzeichnen, geht Nordström davon aus, dass er überwacht wird. Sicher ist er nicht, aber er will Risiken vermeiden, insbesondere weil er dem Kommunikationsoffizier misstraut.

Du hast die Geschichte nicht unter Science Fiction, Krimi und Gesellschaft gestellt. So unterstelle ich dir, dass Du es nur auf den Spannungseffekt abgesehen hast. Aber Thetis III gäbe genug Stoff für mehr und eine Fortsetzung.

Das sehe ich auch so. Es wäre phantastisch, die Geheimnisse dieser Station weiter auszuloten. Aber da ich mich ja im Schreiben von Kurzgeschichten üben möchte, würde das den Rahmen sprengen. Ich finde es überhaupt toll, dass die Geschichte gelesen wurde, obwohl sie so lang ist.

Fugu, vielen Dank für Deine Gedanken.

Beste Grüße
Achillus


Hallo Friedrichard,

schön, dass das Hausverbot zeitlich begrenzt war. Nachdem ich mich ja auch mit manchem Mod oder User gekabbelt habe, kommt mir das bekannt vor.

Zu den Flossen: Vielen Dank für den Exkurs. Ich finde auch, dass es so aussieht, als würden Rochen unter Wasser fliegen. Deshalb die verwendeten Schwingen und Flügel.

Beste Grüße
aus dem Regen-Berlin
Achillus

 

Hallo Achillus,

Sprachlich sehr schön formuliert und angenehm zu lesen. Genau damit fängt das Problem aber an, denn inhaltlich finde ich die Geschichte schwach. Zum großen Teil wird dies aber durch deinen sehr schönen Schreibstil kaschiert, bzw. wird davon abgelenkt. Ich bin mir sicher, dass du dir dessen auch bewusst bist.

Selber las ich deine Geschichte in einem Rutsch durch, und es wurde mir auch nicht langweilig dabei. Das lag aber daran, dass ich wirklich wissen wollte, wie du den nächsten Satz formulierst, den nächsten Sachverhalt beschreibst, die kommende Szene sprachlich einleitest und so vieles mehr. Damit war dies für mich eher ein sprachlicher Genusstext als eine Geschichte.

Kommen wir zum Plot und damit gleich zu einer grundlegenden Frage: Was ist der Plot, oder um was geht es in deiner Geschichte überhaupt? So wie ich deine Geschichte verstehe, geht es um folgendes: Wegen Herzkummer begeht jemand (alias Nordström) Selbstmord, bzw sucht den Tod. Dies wird dem Leser aber erst ganz am Schluss wirklich bewusst. Denn diese Thematik wird nur ab und zu eingestreut. Es macht den Anschein, als wäre es nur ein Nebenthema. Das Ende wirkt daher auch abrupt und die Geschichte unvollständig.

Liest man die Geschichte von vorne, so erkennt man schnell drei mögliche Themenstränge: der Mord, die Unterwasserstation und ihre Funktion, und die Todesthematik. Diese hast du nun versucht gleichwertig zu verknüpfen. Das Resultat ist aber, meiner Meinung nach, dass keines der Themen richtig rüber kommt. Spannung gleich null, gut vorhersehbar, ist kein Krimi, ist kein Thriller, geht nicht in die psychologische Tiefe. Macht inhaltlich einen unvollständigen Eindruck.

Ebenfalls vermisse ich, dass die Unterwasserstation bzw. ihre Funktion nicht wirklich durchdacht waren. Top-secret aber „Forschungsergebnisse“ werden kommerziell verwendet (mal abgesehen, dass es dafür keine Unterwasserstation benötigt) … Das alles weit weg im Indischen Ozean (Logistik?) … und dann braucht es eine Top-secret Station um eine „top-top-secret“ Station zu decken? Warum, braucht es das? Wenn schon öffentliche Station deckt top-secret. Und was für Wartung passiert in der U-Boot-Station und warum braucht es dafür Elitesoldaten und nicht Techniker … Warum können die U-Boot Soldaten dies nicht selbst erledigen. Abgesehen davon ist eine stationäre U-Boot-Station nun wirklich einfach zu zerstören. Leider wird auch überhaupt kein Grund genannt, warum diese im Indischen Ozean ist. Geopolitisch macht dies überhaupt keinen Sinn (oder hat Indien China besiegt?). So viele offene Fragen … Du hast zwar viele Details von der Unterwasserstation und dem Tauchen allgemein recherchiert, aber den „Bilderrahmen“ leider nicht.

Dabei drängt sich hier geradezu ein entsprechendes Umfeld auf, die Arktis! Die maritimen Abgrenzungen sind nicht ganz geklärt und ein Wettrennen der Anrainerstaaten um die Beanspruchung der natürlichen Ressourcen läuft schon. Statt einer absolut geheimen U-Boot-Station gibt es nun einen Verräter (in der submarinen Militärstation), der leider bei seinen Aktivitäten durch ein gegnerisches U-Boot getötet wurde und dann tot an der eigenen Station vorbei driftete und so weiter. Soviel muss man an deiner Version gar nicht umschreiben. Sind aber nur Ideen von mir.

Viele Grüße
Kroko

 

Hallo Kroko,

Du hast ja schon ein paar Geschichten von mir sehr hilfreich kommentiert, und deshalb freue ich mich, dass Du wieder reingeschaut hast. Vielen Dank dafür. Deine Analyse kann ich in vielen Punkten nachvollziehen, und stimme Dir auch teilweise in Deiner Kritik zu. Deinem Gesamturteil mag ich mich nicht anschließen, vielleicht weil ich voreingenommen bin (ist ja schließlich mein Text, in dem viel Mühe und Arbeit drinsteckt), vielleicht weil ich andere Maßstäbe anlege.

Ich gehe es mal durch:

So wie ich deine Geschichte verstehe, geht es um folgendes: Wegen Herzkummer begeht jemand (alias Nordström) Selbstmord, bzw sucht den Tod. Dies wird dem Leser aber erst ganz am Schluss wirklich bewusst. Denn diese Thematik wird nur ab und zu eingestreut. Es macht den Anschein, als wäre es nur ein Nebenthema. Das Ende wirkt daher auch abrupt und die Geschichte unvollständig.

Als Ergänzung scheint mir noch wichtig, dass diese Entwicklung ja ein Resultat der Komplikationen am Meeresgrund sind. Nordström plant nicht, sich zu töten, aber seine Stimmung ist von Anfang an depressiv. Die Mission setzt ihm zu, seine schlechte geistige Verfassung und die Sogwirkung der Tiefe machen ihn fertig.

In jedem Teil der Geschichte wird erwähnt, wie es um Nordström physisch und psychisch steht. Dass der Sprung über die Klippe dann eigentlich einer Selbsttötung gleichkommt und nicht nur – wie er erst denkt – ein hohes Risiko beinhaltet, ist für mein Verständnis kein so abruptes Ereignis, wie es Dir erscheint. Ich entnehme dem, dass ich vorher noch deutlicher beschreiben sollte, wie angeschlagen Nordström ist.

Liest man die Geschichte von vorne, so erkennt man schnell drei mögliche Themenstränge: der Mord, die Unterwasserstation und ihre Funktion, und die Todesthematik. Diese hast du nun versucht gleichwertig zu verknüpfen. Das Resultat ist aber, meiner Meinung nach, dass keines der Themen richtig rüber kommt. Spannung gleich null, gut vorhersehbar, ist kein Krimi, ist kein Thriller, geht nicht in die psychologische Tiefe. Macht inhaltlich einen unvollständigen Eindruck.

Deinem ersten Kritikpunkt hier würde ich soweit zustimmen, dass die Verknüpfung von Nordströms persönlicher Problematik (dem Tod seiner Freundin/ Frau) und dem Kriminalfall (Grahams Tod) noch besser strukturiert werden könnte. Ich weiß allerdings nicht genau, wie man das umsetzen sollte. Im Moment scheint mir auch das Problem zu sein, dass beide Themen nicht so eindringlich behandelt werden, wie es vielleicht möglich wäre. Das hast Du sicher recht.

Dass es aber keinerlei Spannung in der Geschichte gäbe, sehe ich nicht so. Ich habe ja besonders den Tauchgang, der dann im Algenwald endet und den letzten Tauchgang so gestaltet, dass immer die Frage offenbleibt, ob der Hai angreifen könnte oder ob es vielleicht ein anderes dunkles Geheimnis gibt. Versteh mich richtig, ich weiß, dass es nicht so spannend ist, dass es den Leser förmlich zerreißt. Aber Dein Urteil finde ich in diesem Punkt übertrieben.

Ebenfalls vermisse ich, dass die Unterwasserstation bzw. ihre Funktion nicht wirklich durchdacht waren. Top-secret aber „Forschungsergebnisse“ werden kommerziell verwendet (mal abgesehen, dass es dafür keine Unterwasserstation benötigt)

Dass wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse aus einem Geheimprojekt gewonnen werden können, sehe ich nicht als Widerspruch an. Viele Entwicklungen, die heute im Bereich Technik und Konsum viel Geld einbringen, stammen ursprünglich aus geheimer militärischer Forschung. Siehe GPS, das in den 70er Jahren vom US-Militär entwickelt wurde.

Dass UW-Stationen durchaus besonders wertvolle Ergebnisse liefern können, sieht man am Projekt Aquarius, das für mich eine wesentliche Inspirationsquelle bei dieser Geschichte war. Dort hat man die NEEMO-Experimente (englisch NASA Extreme Environment Mission Operations) durchgeführt, um Weltraummissionen vorzubereiten. Es ging um den Umgang mit feindlichen Lebensbedingungen, Entwicklungen von Kommunikationstechnologien, Teambildung, Verhalten der Mannschaft unter Druck (in doppelter Hinsicht), um biomedizinische Untersuchungen … Ich finde also die Idee "meiner" UW-Station keineswegs so weit hergeholt, wie Du es beschreibst.

Das alles weit weg im Indischen Ozean (Logistik?) … und dann braucht es eine Top-secret Station um eine „top-top-secret“ Station zu decken? Warum, braucht es das? Wenn schon öffentliche Station deckt top-secret.

Nun ja, es würde kaum Sinn machen, eine U-Boot-Basis vor der Haustür von Dänemark in der Nordsee zu bauen. Die Militär-Basen, die beispielsweise die USA überall bei ihren Verbündeten rund um die Welt bauen (Beispiele: Südkorea, Ägypten, Kenia, Japan, Spanien, Türkei, Grönland, Honduras, Italien), dienen ja offensichtlich dem Aspekt, als Trittsteine Zugang zu weiten Gebieten des Erdballs zu ermöglichen.

Und was ist so unwahrscheinlich daran, dass es bei einem Geheimprojekt mehrere Sicherheitsstufen gibt? Nehmen wir die UW-Station in meiner Geschichte als Geheimprojekt, so schließt das doch keineswegs aus, dass dieses Projekt neben seiner Aufgabe als Trainings- und Forschungsstation noch einen zweiten Auftrag hat, nämlich als Support- und Backup-Basis für die U-Boot-Station zu dienen, die dann einer noch höheren Sicherheitsstufe unterliegt. Ich würde Deinen Einwand verstehen, wenn es Dir darum ginge, dass diese Idee die Geschichte unnötig kompliziert macht. Aber vom Realismusaspekt her sehe ich die Sache anders als Du.

Und was für Wartung passiert in der U-Boot-Station und warum braucht es dafür Elitesoldaten und nicht Techniker … Warum können die U-Boot Soldaten dies nicht selbst erledigen. Abgesehen davon ist eine stationäre U-Boot-Station nun wirklich einfach zu zerstören. Leider wird auch überhaupt kein Grund genannt, warum diese im Indischen Ozean ist. Geopolitisch macht dies überhaupt keinen Sinn (oder hat Indien China besiegt?).

Ich dachte mir schon – genau so wie Du es beschreibst – dass die U-Boot-Soldaten die wesentlichen Wartungsarbeiten von Basis und U-Booten übernehmen. Aber erstens benötigt eine U-Boot Station ja auch eine Security-Truppe (Kontrolltauchgänge, Wartung von Seeminen, Schutzeinrichtungen, Sensoren) und zweitens sollte ja auch jemand nach dem rechten schauen, wenn keine U-Boote in der Basis sind. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, weshalb Du den Einsatz von Kampfschwimmern für diese Zwecke als nicht plausibel betrachtest.

Eine U-Boot-Basis in 200 Meter Tiefe ist vor allem deshalb so brisant, weil es keine Möglichkeit gibt, ihren Standort aus der Luft oder dem Weltraum aus aufzuklären. Einen Bunker kann man durch Oberflächenbewegungen von Transportern z.B. aufklären. Was sich in 200 Meter Tiefe abspielt, ist nur durch Horchbojen aufzuklären, die durch Störmaßnahmen zu täuschen sind.

Darüber hinaus kann man auf eine Station am Meeresgrund auch nicht einfach eine Bombe fallen lassen, insbesondere wenn ihr Standort unbekannt ist und sie irgendwo in einer Klamm, vielleicht sogar in einem Felsen liegt.

Und was den geopolitischen Aspekt betrifft, ist der Indische Ozean durchaus von Bedeutung: Man vermutet beispielsweise, dass China Birma deshalb unterstützt hat, weil das den Zugang zum Indischen Ozean garantiert. In diesem Gebiet findet ca. 40% der weltweiten Offshore-Ölproduktion statt. Das ist schon mal aus ökonomischer Sicht ein wichtiger strategischer Sachverhalt. Und wenn Du Dir Anrainerstaaten wie Israel, Saudi-Arabien, Kuweit, Indien, Irak, Birma, Ägypten, Kenia, Indonesien anschaust, dann fallen Dir sicher auch ein paar weitere strategische Aspekte ein.

Dabei drängt sich hier geradezu ein entsprechendes Umfeld auf, die Arktis! Die maritimen Abgrenzungen sind nicht ganz geklärt und ein Wettrennen der Anrainerstaaten um die Beanspruchung der natürlichen Ressourcen läuft schon. Statt einer absolut geheimen U-Boot-Station gibt es nun einen Verräter (in der submarinen Militärstation), der leider bei seinen Aktivitäten durch ein gegnerisches U-Boot getötet wurde und dann tot an der eigenen Station vorbei driftete und so weiter. Soviel muss man an deiner Version gar nicht umschreiben. Sind aber nur Ideen von mir.

Das ist natürlich eine wunderbare Idee. Ich stimme Dir zu, das wäre ein toller Ansatz. Aber erstens müsste man mehr umschreiben, als mir lieb ist. Sicher sind Flora und Fauna in arktischen Gewässer ganz anders als im Indik. Ich weiß auch nicht, ob der Hai-Plot passen würde, den ich sehr mag. Zweitens sehe ich in der aktuellen Version nicht so gravierende Defizite wie Du.

Kroko, trotz meiner in verschiedenen Punkten anderen Einschätzung des Textes fand ich es sehr hilfreich, mich mit Deinen Hinweisen auseinanderzusetzen. Vielen Dank dafür.

Beste Grüße
Achillus

 

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