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Angelausflug
„Wie geht es dir?“, fragt er mich zum dreißigsten Mal an diesem Tag und schaut mich von der Seite an. „Immer noch gut – wie vor einer Minute auch“, erwidere ich leicht genervt. „Schön“, sagt er und wir laufen weiter den Strand entlang. „Und dir?“, frage ich nach ein paar Minuten. „Auch gut.“ Wir bleiben stehen und schauen aufs Meer hinaus. „Es ist windig heute“, stelle ich fest und sehe, dass er zustimmend nickt. „Fahren wir trotzdem raus?“. „Ich weiß nicht“, er zögert. „Ach bitte Papi“, dränge ich ihn und er nickt: „So windig ist es nun auch wieder nicht.“
Als wir später die Felsen zum Hafen hinunter klettern, betrachte ich meinen Vater. Er schaut prüfend auf das Meer hinaus und ich stelle ihn mir mit seiner Kapitänsmütze vor, die er vor einigen Jahren zum bestandenen Bootsführerschein bekam. Mein Vater klettert zuerst ins Boot, ich reiche ihm die Angelsachen und befreie das Boot von seinen Fesseln, dann steige ich zu ihm hinab. Wir schweigen uns an, während er es geschickt durch die Felsen auf das offene Meer lenkt. „Hier soll eine gute Stelle sein“, sagt er plötzlich und hält den Motor an. „Willst du zuerst?“ Er reicht mir die Angel. Ich betrachte die Haken und prüfe, ob sich die Schnur an der Spitze verheddert hat, dann hole ich aus und werfe so weit ich kann, denn die Strömung wird die Schnur bald zurück zu unserem Boot treiben. Jetzt heißt es warten.
„Gibt es sonst was Neues?“ -„Nein, nicht wirklich. Und bei dir?“ -„Auch nicht.“ -„OK.“ -„OK“.
Nach einer halben Stunde habe ich keine Lust mehr zu warten. „Fahren wir weiter?“, frage ich. „OK“, antwortet mein Vater. - „Darf ich jetzt fahren?“ Er sieht mich skeptisch an. „Die Wellen sind zu hoch“, sagt er. - „Ach Quatsch. Du weißt doch, dass ich gut fahren kann!“ „Na gut“, gibt er sich geschlagen. Wir tauschen die Plätze und ich werfe den Motor an und steuere das Boot geschickt durch die Wellen. „Das machst du gar nicht mal schlecht“, lobt er mich und ich bin sehr stolz über sein Kompliment. In einer kleinen Einbuchtung bleiben wir schließlich stehen. Er wirft die Angel raus, während ich die Wellen betrachte, die unser Boot bei der Fahrt verursacht hat. Meine Gedanken schweifen ab zu einem Vorfall, der sich einige Jahre zuvor ereignete. Mein Vater und ich waren damals ebenfalls auf einem Angelausflug, als sich urplötzlich der Himmel verdunkelte und die Wellen drei Meter hoch ragten. Als das Boot zu kentern drohte und mein Vater gegen die Wellen ankämpfte, fiel mir auf, dass ich keine Angst hatte. Ich vertraute darauf, dass er uns retten würde. In diesem Moment wurde mir bewusst, was Freud und Erikson mit ihrem Urvertrauen meinten. Ich saß in diesem wackeligen Boot und dachte über die Psychoanalyse nach, während mein Vater es irgendwie schaffte uns heil ans Land zu bringen.
Wir warten. Eine Minute – fünf Minuten – zehn Minuten. Doch dann! Ein kurzer Ruck an der Angel, gefolgt von mehreren kleinen Stößen. „Ein Schwarm!“, ruft mein Vater. Er eilt zur Angel und zieht sie heraus. An allen drei Haken zappeln grünlich glänzende Makrelen. Begeistert wie ein kleiner Junge befreit er die Fische von den Haken und wirft sie ins Boot. „Schnell wirf die Angel wieder rein!“, ruft er mir zu und ich gehorche. Ein paar Sekunden später ziehe auch ich drei Makrelen ins Boot. Mein Vater ist euphorisch. „Dann kann ich ja wieder den Ofen anschmeißen!“, ruft er. - „Ja bitte. Ich liebe geräucherte Makrelen“. „Ich weiß“, er zwinkert mir zu und beschreibt mir detailliert die verschiedensten Zubereitungsarten von Makrelen. „Ich liebe dieses Land“, seufze ich und betrachte die Berge, die sich am Horizont auftürmen. „Ich würde am liebsten für immer hier bleiben.“ „Dann tu´s doch!“, lacht mein Vater. „Ich hoffe doch, dass du mich dann mitnimmst und wir zusammen ein Haus direkt am Fjord bauen und immer wenn uns danach ist fahren wir zum fischen raus.“ „Das wäre schön“, antworte ich und hole die nächsten Makrelen ins Boot. So geht es eine Weile weiter, bis wir schließlich zwanzig Fische zählen. Dann bleibt die Angel still und die Aufregung legt sich wieder. „Merk dir die Stelle“, sagt mein Vater. „Morgen fahren wir nochmal hier hin.“
Am nächsten Abend machen wir uns erneut auf den Weg. Da es mein Verdienst war, dass wir die Stelle gefunden haben, darf ich das Boot steuern. Wir halten in der kleinen Bucht und werfen unsere Angeln raus. Dann warten wir... und warten und warten. Doch nichts passiert. Das Meer ist ruhig und unsere Angeln bleiben still. Ich betrachte die Wellen. Sehe zu wie sie gemächlich hin und her schaukeln. Immer und immer wieder – stets im selben Rhythmus.
„Und sonst so?“, fragt mein Vater und ich wünsche mir nichts mehr, als das ein Fisch anbeißt, unser Boot kentert oder irgendetwas passiert, das die Stille durchdringt, die sich zwischen uns gebildet hat.