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Lebenstanz
Fangen wir an.
Mit einem Schrei. Einem Schrei, wie Du ihn auch ausgerufen hast, als Du den Leib Deiner Mutter verließest.
Bitte was?
Schreien. Schnaufen. Atmen.
Atme! - Tief in den Bauch.
Ich sehe Menschen in einem Kreis. Ihre Körper stehen dicht beisammen, sie berühren sich, Schultern, Hände, Hüften. Manche Finger verhaken sich, manch Ellenbogen ruht auf einer Schulter. Dann dreht sich jemand weg. Gebeugte Knie und eine kurze Bewegung. Fort.
Hinter den Wolken die Sonne, ihr Licht: Sie ist da.
„Findet Euch“, hieß es.
Und wir tun es.
Sitzen auf dem Boden. Atmen. Tief ein und aus. Sehen uns an und finden uns. Zu zweit, zu dritt, zu viert. Ganz so, wie wir es wollen. Krabbeln aufeinander zu.
Wir helfen uns gegenseitig.
Wobei?
Beim Atmen. Beim Bewegen. Beim Erspüren.
Hand auf Hand auf Rücken und auf Brust. Atmen spüren, den Rumpf aufrichten. Kreisen, lehnen.
Wie weit willst Du gehen? Wie stark willst Du Dich bewegen? Dreh Dich vor und zurück, die anderen helfen Dir dabei. Bis Du Dich fallen lassen kannst und hinabgleitest, in ein dunkles Meer aus Kontakt. In warme Wogen aus Menschenleibern. In eine organische Masse, die in Bewegung fällt. Vor und zurück, ganz wie es den Wellen beliebt.
Du bist ein kleines Boot, ein Fisch am Grund, Deine Hände, wie Möwen, die über das Wasser fliegen.
Mittendrin.
Ein Teil vom Ganzen.
Verschnaufen.
Dort sind die anderen. Übereinander, ineinander, verwinkelt verwickelt.
Ich sehe aus dem Fenster, sehe das Licht, sehe die Wolken.
Wie traurig es sich anfühlt, alleine zu sein, habe ich vorher noch nie gespürt.
Zurück zu den Menschen! Sie entwinden sich und stehen auf. Tanzen allein, tanzen miteinander. So, wie es jedem beliebt. Und ich würde gerne mit Dir tanzen, mit Dir über den Boden tollen, mit dir mich ineinander rollen. Mit Dir, der Du dastehst, mit lockigem Haar und schwarzem Gewand.
Denn Du erinnerst mich an ihn. An jemanden, den ich einmal kannte, dem ich nicht nahe sein kann. Den ich lange nicht mehr spürte. Jetzt nicht. Heute nicht. Und morgen nicht.
Wenn ich mich nur trauen würde … aber:
Was geschähe, wenn Du „Nein“ zeigtest?
Ich glaube, die Zeit ist noch nicht reif. Weder für Dich, sein zweites Ich, noch für mich, es Dir jetzt zu zeigen. Also tanze ich alleine weiter, springe durch die Menschen hindurch, fasse Hände, streife Füße, weiche aus und mittenrein.
Ich trau mich nicht.
Vielleicht siehst Du mich doch, denke ich. Mein Gefühl sagt mir, Du tust es. Aber du bist genauso scheu wie ich. Also gucken wir auf den Boden und tanzen umeinander herum, - ich will´s Dir zeigen, denk ich mir, wie toll ich mit mir tanzen kann.
Nur niemals wieder alleine sein.
[...]