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Eine Geschichte

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06.07.2015
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Eine Geschichte

Eine Geschichte

Fünfzehn Jahre hatte ich bei Malford und Söhne gejobbt, gute Arbeit, nette Kollegen, ihr wisst schon, die Art, die was im Kopf haben. Leitende Position, der Verdienst manchmal höher als das, was ich ausgeben konnte. Und meine Frau, sehr hübsch, klug, gebildet, sie ist im sozialen Bereich tätig. Zwei gesunde Kinder.
Dann die Diagnose Krebs, ich könnte jetzt sagen: das Ende einer Erfolgsstory. Aber es ist eine Lüge, es ist eine gottverdammte Lüge. Der Krebs ist nicht das Ende einer Erfolgsstory. So billig lasse ich hier keinen mehr weg, nicht nach einem Jahr Chemotherapie und dem grauenhaften Kampf gegen die Tumore.
Es sind schlaue Tumore, ich hab sie fast lieb. Kleine, stachelige Dinger, die überall dort auftauchen wo sie nicht vermutet wurden, die netten Kleinen. Zum Schluss sagte der Doktor die frechen Kerle hätten ihn ausgetrickst und all das Chemozeugs ist nicht mehr wert als eine angeschissene Hose.
Zum Schluss versteckten wir uns beide nicht mehr hinter schönen Worten, mein Arzt und ich. Ich blickte in seine kummervollen, stahlblauen Augen und er blickte... naja, in zwei eitrige, verquollene Schlitze, weil ich bin ehrlich, viel ist nicht mehr über von mir.
Und jetzt am Schluss wird mir so viel klar. Oh Gott, ich weine die ganze Zeit, weil es wird mir so viel klar. Zunächst mal meine Frau und ich. Zuerst war ja alles so rosarot und schön, aber dann – Langeweile. Gereiztheit. Weil wir beide pflichtbewusst sind, brave Arbeiter, klammerten wir uns an unsere bürgerliche Existenz, wir dachten, die Kinder würden vielleicht was verbessern. Aber wie haben die geweint und geschrien, als wir sie ebenfalls auf Kurs brachten, sie tobten regelrecht. Jetzt schreiben sie gute Noten und haben genauso eine verlogene Zukunft wie ich.
Ich vergesse nie, wie meine Tochter um sich schlug. Sie wollte irgendetwas an der Supermarktkassa und es war klar, wir durften ihr das nicht durchgehen lassen. Aber als ich zusah, wie sie sich am Boden wälzte, da fragte ich mich plötzlich: die verdammten zwei Euro für ihre Schokolade, wären die das nicht wert gewesen um ihr diesen Zorn zu ersparen? Aber Emma – meine Frau – sagte es wäre eine Sache der Prinzipien und natürlich stimmte ich überein – schon aus Prinzip.
Aber ein Stück Liebe ist gestorben, zwischen meiner Tochter und uns und zwischen meiner Frau und mir.
Es war ein Leben ohne Mut, verdammt noch mal. Es war ein gottverdammtes feiges Leben, und kein einziges Mal haben wir uns dagegen aufgelehnt, was unsere Eltern uns eingehämmert haben. Natürlich gab es die wilden Studentenjahre, Drogen, all das mal ausprobieren, dann fühlten wir uns cool. Aber wirklich rebellieren... die Dinge tatsächlich in Frage stellen, dazu waren wir zu bequem, denn wir bekamen ja die Aussicht auf ein gemütliches Leben.
Nehmen wir mal an, ich hätte einmal eine Nacht auf der Straße verbracht, im Müll gewühlt. Nur um zu sehen, wie ein Obdachloser lebt. Oder ich hätte einmal eine Frau geliebt, die mehr Herz als Hirn hat. Oder ich hätte einmal gewagt, hässlich und dumm zu sein, oder besoffen, sinnlos, ganz unten. Das hätte mir das Leben gerettet. Ich weiß es jetzt. Die kleinen Tumorjungs haben es mir zugeflüstert. Sie reden mit mir – ich höre sie deutlich, jeden Tag, jede Nacht. Ich höre ihre Stimmen und sie sagen: Das Leben ist nicht da, um es gemütlich zu haben, Harry. Das Leben ist nicht da, damit du auf der sicheren Seite bleibst. Wenn du vor Gott trittst, Harry, wird er dich fragen: Hast du einmal vorbehaltlos geliebt? Und was wirst du antworten, Harry? Oder er wird dich fragen: Hast du einmal dein letztes Geld einem Bettler geschenkt? Und was wirst du antworten, Harry?
Aber ich lasse mir nichts mehr gefallen von den Tumorfrechdachsen, ich sage: Gott hat mir den Krebs geschickt, er hat mir euch geschickt, und ich glaube, am Ende werden wir schon quitt sein, Gott und ich.
Dann lachen die Tumore und sie sagen mit ihren feinen, lieben Stimmen: Das ist das Geheimnis, Harry. Das am Ende alle quitt sind.

 

Recht schwarz aber amüsant. Bei der Beschreibung der Tumore musste ich schmunzeln, ich denke das macht schwarzen Humor aus.

Bei "Supermarktkasse" hast du einen Tippfehler. Und im letzten Satz "Das(s) am Ende alle quitt sind." oder lieg ich da falsch?

Grüße

 
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Hallo dertext!

Das ist mein erstes Feedback und ich fühle mich eigentlich unwohl dabei, mir anzumaßen, Deine Kurzgeschichte zu beurteilen. Aber das ist ja der Sinn dieses Forums und sollte ich mit meinem Urteil falsch liegen, sind ja genügend andere Kritiker da, die mir widersprechen können. ;)

Ich finde, Du hast eine schöne, lebensbejahende Kurzgeschichte geschrieben.
Jedoch bist Du sehr geizig. Du geizt mit Kommas, besonders in der ersten Hälfte. Sei großzügig mit ihnen, sie sind schließlich umsonst. ;)
Als Beispiele:

Zum Schluss sagte der Doktor, die frechen Kerle hätten ihn ausgetrickst und all das Chemozeugs ist nicht mehr wert, als eine angeschissene Hose.
...wären die das nicht wert gewesen, um ihr diesen Zorn zu ersparen?

Darauf achten: In einer Zeitform bleiben. Beispiel:
Zum Schluss sagte der Doktor die frechen Kerle hätten ihn ausgetrickst und all das Chemozeugs ist nicht mehr wert als eine angeschissene Hose.

Darauf achten: Großbuchstaben nach dem Doppelpunkt.

Darauf achten: Singular / Plural.

ihr wisst schon, die Art, die was im Kopf hat.

Auch vom Sprachstil her musst Du noch an den Sätzen arbeiten. Das liest sich m.M. nach häufig nicht ganz flüssig, nicht ganz rund.
Für mich bleibt die Geschichte auch deshalb ein wenig oberflächlich, da ich keinen wirklichen Zugang zum Prot. bekomme - was ich bei der Thematik aber gerade für wichtig halte. Du reißt Gedanken an und oft wünsche ich mir, Du führst sie weiter aus. Dadurch entstand bei mir das Gefühl, als würdest Du von Gedanke zu Gedanke springen.

Die Personifizierung der Tumore finde ich aber eine ansprechende Idee! Auch wenn mir persönlich die Begriffe nicht immer gefallen ("Tumorfrechdachse"). ;)

So - ich hoffe mein Feedback-Einstand ist mir halbwegs gelungen und es ist eine konstruktive und faire Kritik dabei herum gekommen.

Der Fred

 

Hallo, dertext.

Ich muss sagen, da ich neu hier bin, bin ich noch ein wenig nervös, was Feedback angeht. Ich habe deine Geschichte als erste gelesen und muss sagen, dass sie mich sehr amüsiert hat. Diese flache Art, mit der du beschreibst, dabei ist flach nicht auf die Tiefe der Geschichte bezogen, fasziniert mich irgendwie. Obwohl es nicht gerade eine Geschichte ist, die in meinen Geschmack passt, gefällt sie mir.
Der Hauch von Sarkasmus macht es amüsant und ich habe das Gefühl, dass der Protagonist schon mit einer Art Gleichgültigkeit erzählt. Deine Geschichte hat Witz, durch z.B. deine Veranschaulichung der Tumore.
An einigen Sätzen würde ich vielleicht noch feilen, das hat aber höchstens etwas mit Kommatas zu tun oder, wie schon in einem anderen Kommentar erwähnt, mit tieferen Einblicken in die Geschichte des Protagonisten. Kurzgeschichten sind ja aber eigentlich einfach heraus gerissene Fetzen aus der Existens eines Lebewesens. Sie fangen mitten drin an und hören genauso wieder auf.
Dass du manchmal von Gedanke zu Gedanke springst, finde ich gar nicht so schlecht. Alles in Allem gefällt mir die Geschichte. Dass du nicht so tief in einige Erzählungen hinein gehst kommt mir vor, als würde es mit der Gleichgültigkeit zusammen hängen, die mir dein Protagonist durch deinen Schreibstil gegenüber bringt. Ich könnte schwören seine frustrierte Stimme in meinem Kopf zu hören.

Ich hoffe ich habe nicht zu viel unnützes Zeug geschrieben und irgendetwas mit Nutzen.

Liebe Grüße, Miss Nobody.

 

Hallo dertext,

puh ... für mich war das leider nichts. In meinem engeren Kreis sind schon Menschen an Krebs gestorben oder leiden daran und ich finde es sehr befremdlich, die Tumore als putzige Frechdachse zu bezeichnen, die man fast lieb hat. Ich verstehe, was du sagen willst, im Angesicht des Todes überdenkt der Protagonist hier sein Leben und ihm wird klar, dass er immer nur mit angezogener Bremse gefahren ist, nichts riskiert hat, nicht geopfert hat - immer nur auf Nummer sicher gegangen ist. Dabei würde mich das viel mehr interessieren, als die Verniedlichung der Tumore! Also vielleicht gehst du ja bezüglich der Lebensgeschichte des Mannes (Verhältnis zu Job, Ehefrau und Kindern) noch mehr ins Detail?

Und dann am Schluss: Gott hat mir den Krebs geschickt, er hat mir euch geschickt, und ich glaube, am Ende werden wir schon quitt sein, Gott und ich. Ähmm ja ... Mag daran liegen, dass ich nicht an Gott glaube, aber das ist schon äußerst grausam. Gott schickt ihm Tumore? Warum? Weil er nicht vorbehaltlos geliebt hat? Weil er in Gottes Augen nicht genug gelebt hat?? Verstehe ich nicht. Aber da gehe ich lieber nicht ins Detail, Glaube ist Glaube, da ist es schwierig zu diskutieren.

Eine grammatikalische Kleinigkeit zum Schluss:

Dass am Ende alle quitt sind.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo dertext,

ich fand deine Geschichte eher deprimierend, als lustig. Aber ich fand sie gut.
Alle haben Angst vor einem ungenutzten Leben, ich zumindest ;) das hast du ganz gut auf den Punkt gebracht. Ich will jetzt gar nicht mit YOLO, carpe diem und den ganzen ausgelutschten Phrasen anfangen, aber ein Körnchen Wahrheit steckt eben schon drin.

Ich picke mir jetzt mal kreuz und quer was von deiner Geschichte raus...

Es war ein gottverdammtes(,) feiges Leben, und kein einziges Mal haben wir uns dagegen aufgelehnt, was unsere Eltern uns eingehämmert haben.

Ich verstehe gut, was er meint. Aber da fehlt ein kleines Komma.

Es sind schlaue Tumore, ich hab sie fast lieb.

Hier kann ich RinaWus Kritik verstehen. Tumore sind nunmal nicht Dinge, die man "lieb" hat.

Ich vergesse nie, wie meine Tochter um sich schlug. Sie wollte irgendetwas an der Supermarktkassa und es war klar, wir durften ihr das nicht durchgehen lassen. Aber als ich zusah, wie sie sich am Boden wälzte, da fragte ich mich plötzlich: die verdammten zwei Euro für ihre Schokolade, wären die das nicht wert gewesen um ihr diesen Zorn zu ersparen?

Dieser Gedanke ist ein bisschen... ungewöhnlich. Denkt man, wenn der Tod an die Tür klopft, daran, dass man seiner Tochter keine Schokolade gekauft hat? Ein ziemlich unwichtiger Gedanke und ich glaube auch nicht, dass die Tochter bleibende Schäden davon getragen hat. Aber gut, ist eben mMn etwas unpassend.

Ich blickte in seine kummervollen, stahlblauen Augen und er blickte... naja, in zwei eitrige, verquollene Schlitze, weil ich bin ehrlich, viel ist nicht mehr über von mir.

Diesen Satz finde ich gut, auch wenn du über statt übrig geschrieben hast ;)

Und jetzt am Schluss wird mir so viel klar. Oh Gott, ich weine die ganze Zeit, weil es wird mir so viel klar.

Diese Satzwiederholung stört mich. Schreib doch: Und jetzt am Schluss wird mir so vieles klar. Gott, ich weine die ganze Zeit, weil mir so vieles klar wird.

Dann die Diagnose Krebs, ich könnte jetzt sagen:

Hier finde ich, fehlt eine Pause. Dann die Diagnose Krebs. Ich könnte jetzt sagen...

Am Titel hab ich noch zu meckern... Heißt die Geschichte so, weil dir nichts besseres eingefallen ist, oder ist da ein tieferer Sinn?

Ansonsten habe ich die Geschichte gerne gelesen, die mich auch ein bisschen zum Nachdenken angeregt hat xD

Liebe Grüße

Lucinda

 

Hallo dertext,

die Geschichte wirkt auf mich ebenfalls einerseits erschütternd, allein schon das Thema, aber auch weil ich mich gefragt hab, ob sie einen autobiografischen Hintergrund hat. Ich hoffe nicht. Das täte mir sonst wirklich sehr, sehr leid.
Andererseits gefällt sie mir, auch wenn solche Geschichten sonst gar nicht mein Ding sind. Ich finde, du hast einen schönen Schreibstil und es gelingt dir, ein sehr unangenehmes Thema auf originelle Weise und vor allem unterhaltsam darzustellen, ohne dabei die nötige Ernsthaftigkeit aus den Augen zu verlieren.

Mir gefällt die Personifizierung der Tumore, eine gute Idee, trotzdem kann ich mich noch nicht ganz damit anfreunden. Ich hätte sie eher als kleine Fieslinge charakterisiert, die ausgeklügelt und unberechenbar handeln, weniger als lieb gewonnene Freunde des Protagonisten. Das würde ich unbedingt ändern. Der schwarze Humor geht dadurch ja nicht unbedingt verloren.

Hätte mir am Ende gewünscht, dass der Protagonist spontan etwas von dem einlöst, was er aus seiner Sicht unterlassen hat. Oder auf etwas zurückblickt, worauf er trotz allem stolz sein kann. Den Glauben finde ich hingegen in Ordnung, gerade in so einer beschissenen Lage erscheint das gar nicht mal so abwegig.
Sprachlich ist vielleicht stellenweise noch ein Feinschliff erforderlich, worauf schon hingewiesen wurde. Es könnte hilfreich sein, wenn du dir den Text mit etwas zeitlichem Abstand noch mal zu Gemüte führst. Aber im Großen und Ganzen ist das eigentlich sehr ordentlich bis auf die angesprochenen Schnitzer, die du wahrscheinlich schon verbessert hast.

"Eine Geschichte", die dann schließlich noch einen anderen Titel verlangt. Da kann ich mich Lucinda nur anschließen. Einfach noch mal grübeln. Wenn dir so witzige Synonyme für Tumore einfallen, dann bestimmt auch ein Titel, der etwas mehr hergibt und trotzdem nicht zu viel verrät.

Besten Gruß!
catweazle

 

Hallo dertext,

nachdem ich vor kurzem einen alten Bekannten getroffen habe, der lange "verschollen" war und nun erzählte, er habe Lungenkrebs. kann ich Deine Darstellung recht gut nachvollziehen. Wie RinaWu schon schrieb: Für diese Sichtweise ist Glauben - oder wenigstens gutes Wissen - erforderlich. Gott schickt alles - auch die Tumore, auch den Tod und manchmal auch eine lebenumstürzende Erkenntnis. Wenn überhaupt etwas fehlt, dann der Aspekt: Wie setzt der Prot seine Einsichten gegenüber seiner Familie um?

Gerne gelesen . humorvoll und doch ernst und tiefgründig. Gefällt mir. Auf Fehlerchen gehe ich jetzt nicht ein. Aber vielleicht kommst Du ja mal dazu, auf die Kommentare zu antworten.:Pfeif:

Liebe Grüße

Jobär

 

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