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Geisterfahrer

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15.10.2015
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Geisterfahrer

Endlos erstreckte sich die A 31 vor seiner Motorhaube. Tobias Hansen gähnte. Ihm war noch immer nicht klar, warum der Alte ihn zu diesem Kunden ans Ende der Welt schickte. Dreihundert Kilometer hin und dreihundert Kilometer zurück für eine Unterschrift, die man genauso gut per Mail bekommen konnte - oder seinetwegen per Post. Aber der Alte war ja hoffnungslos altmodisch. "Kundenbeziehungen wollen gepflegt werden", hatte er wieder mal gesagt. Als ob es auch nur die geringsten Aussichten gäbe, von Onnen & Sohn jemals einen richtig großen Auftrag zu bekommen! Na, wenn es dem Alten Freude machte - vielleicht würde es ja dazu beitragen, dass Tobias den Laden bald überschrieben bekäme; immerhin war der Alte inzwischen deutlich über siebzig. Tobias würde so einiges anders machen als sein Vater.

Er zuckte zusammen und lenkte den BMW zurück in die Spur. Jetzt wäre er über seinen Tagtraum fast eingeschlafen! Dass es auf dieser Autobahn aber auch so einsam war, da musste man ja wegdämmern. Der Mittwochvormittag galt ohnehin nicht gerade als Rush Hour, aber in dieser gottverlassenen Gegend war es wirklich ungewöhnlich ruhig. Den letzten LKW hatte Tobias vor mindestens einer Viertelstunde überholt. Jetzt, da er darüber nachdachte, schien das tatsächlich das letzte Fahrzeug außer seinem eigenen gewesen zu sein, das er gesehen hatte. Das war nun schon mehr als merkwürdig. Hatte er etwa verpasst, dass Ostfriesland evakuiert worden war? Er grinste. Vielleicht hatten sie die Gegend für einen symbolischen Euro an die Holländer verkauft. Mehr war wohl nicht zu holen gewesen ...

Wieder schrak Tobias hoch. Verdammt! Jetzt hätte es ihn wirklich fast von der Straße gerissen! Nicht nur, dass er abermals in den Sekundenschlaf abgeglitten war, nun hatte er auch noch Wahrnehmungsstörungen. Er hatte erst vor sich, dann überall um sich herum ein seltsames gelbliches Flimmern gesehen. Gleichzeitig war für einen Moment ein Kribbeln wie von einem schwachen elektrischen Strom über seinen ganzen Körper gefahren. Er brauchte dringend eine Pause, sonst würde er noch im Graben landen. Und so leer, wie diese Gegend war, würden sie ihn dann wahrscheinlich erst nach zwei Wochen finden.

*​

"Raststätte Rheiderland" stand auf dem Schild. Tobias fragte sich kurz, ob es diese wohl schon länger gab und warum er sie nie zuvor wahrgenommen hatte. Aber er fuhr diese Strecke zu selten, um sich die Frage zu beantworten. Jedenfalls sah hier alles ziemlich neu aus, fast avantgardistisch. Da hatten sich anscheinend ein paar ehrgeizige junge Architekten ausgetobt. Amüsiert nahm Tobias zur Kenntnis, dass die Tankstelle über drei - nein, vier! - Ladestationen für Elektroautos verfügte. Hier war man seiner Zeit offenbar weit voraus, oder die Bauherren waren einfach nur ziemlich optimistisch gewesen. Oder war das hier so ein Testgebiet für neue "Mobilitätskonzepte"? Egal. Er ließ den BMW bis zur Gaststätte weiterrollen. Verdammt, hier war es fast ebenso einsam wie auf der Straße. Gerade mal drei Autos standen auf dem viel zu großen Parkplatz. Eines davon sah übrigens ziemlich futuristisch aus, Tobias erkannte nicht einmal die Marke. Also doch eine Testregion für E-Autos? Wie auch immer. Er stieg aus, schloss den Wagen ab und betrat das Gebäude.

Auch im Innern war alles hypermodern. Elektronische Werbedisplays, vollautomatische Getränke- und Essenausgaben, extravagantes Mobiliar. Tobias fühlte sich fast wie in einer anderen Zeit. Und auch hier drin war alles - menschenleer! Dass keine Gäste zu sehen waren, hatte Tobias fast erwartet, aber wo war das Personal? Oder war der Laden etwa gar nicht geöffnet? Aber dann hätte man ja wohl die Türen abgeschlossen? Außerdem war alles hell erleuchtet, die Elektrogeräte eingeschaltet. Und da es auf Mittag zuging, war es ja wohl auch nicht außerhalb der Geschäftszeiten. Eine Uhr über der Kasse zeigte "Di, 21.10. 11:26" und bestätigte damit sein Zeitgefühl. Dass das Ding bei aller Modernität den falschen Wochentag anzeigte, nahm er achselzuckend hin.

Je länger Tobias sich umsah, desto mehr beschlich ihn das Gefühl, dass dieser Ort mitten aus dem alltäglichen Treiben heraus verlassen worden war. Hier standen noch zwei halbvolle Tassen Kaffee auf einem Tisch - kalt, wie er feststellte. Dort hing noch eine Fleecejacke über dem Stuhl an der Kasse. Die Speisen in den Glaskästen sahen nicht ganz frisch aus, aber auch nicht verdorben; sie konnten höchstens einen oder zwei Tage alt sein.

Erst jetzt kam Tobias auf die Idee, sich bemerkbar zu machen. "Hallo? Ist hier irgendjemand?", rief er erst zaghaft, dann lauter. Keine Antwort, wie erwartet. Nachdem er seine Frage dreimal in steigender Lautstärke wiederholt hatte, wurde ihm bewusst, dass seine Stimme einen fast verzweifelten Klang besaß. Was zum Teufel war hier los? War er auf einmal ganz allein auf der Welt? Dann hatte er die Idee: Wenn hier wirklich etwas passiert war, dann musste es doch in den Nachrichten gekommen sein. Er würde einfach seine Frau anrufen. Oder seinen Vater. Oder die Polizei. Das Handy lag im Wagen. Tobias hastete durch die Tischreihen zurück zum Ausgang. Jetzt erst sah er die Flugblätter.

Sie lagen auf einigen der Tische, manche waren zu Boden gefallen. Er hatte sie wohl zuerst für Werbeflyer gehalten, aber jetzt sprang ihm die Überschrift ins Auge: "EVAKUIERUNG". Tobias griff nach einem der Zettel und las:

Nach dem Einschlag eines atomar bestückten Langstreckengeschosses der libyschen Rebellenarmee in der Nähe von Leer droht eine radioaktive Verseuchung in einem Umkreis von 50 km. Verlassen Sie deshalb schnellstmöglich den Gefahrenbereich.

Es folgten genauere Anweisungen zum Ablauf der Räumung sowie eine Darstellung des betroffenen Gebiets auf einem Kartenausschnitt.

In Tobias' Kopf drehte sich alles. Atomare Geschosse? Krieg mit irgendwelchen libyschen Rebellen? Wieso hatte er davon noch nie etwas gehört? So ein Krieg kam doch nicht von heute auf morgen! Heute früh in den Radionachrichten war davon jedenfalls noch keine Rede gewesen. Und war er jetzt in Gefahr? Womöglich schon tödlich verstrahlt? Er versuchte, sich an die Symptome von Strahlenkrankheit zu erinnern. Haarausfall? Nasenbluten? Irgendwas mit der Haut? Er schien nichts davon zu haben. Er war nur verwirrt und etwas desorientiert, aber das war wohl eher der Schock. Er wusste nicht, ob er träumte oder wach war. Noch einmal las er den Evakuierungsbefehl, und diesmal sah er auch das Datum: "Montag, den 20. Oktober 2025".

2025? Einen Moment lang klammerte sich sein Gehirn an die Hoffnung, das sei ein simpler Schreibfehler, denn es war ja in Wirklichkeit 2015. Doch Tobias wusste schon, dass eine andere Erklärung - so irrsinnig sie auch unter normalen Umständen erschienen wäre - hier wesentlich mehr Sinn ergab. Die Abweichung im Wochentag; er machte sich nicht die Mühe nachzurechnen. Die futuristische Bauweise der Rastanlage. Das ungewöhnliche Elektroauto und die Ladestationen. Die gesamte Raststätte, die auf seiner letzten Reise in den Norden bestimmt noch nicht da war; dessen war er sich jetzt sicher. Und natürlich der Krieg, der nach seinem politischen Wissensstand vollkommen abwegig war. Nein, abgesehen von einer Geisteskrankheit seinerseits gab es nur eine Erklärung für all das: Er hatte - auf welche mysteriöse Weise auch immer - einen Sprung um genau zehn Jahre in die Zukunft gemacht.

Und damit war auch schon die zentrale Frage gestellt: Wie um alles in der Welt war dieser Zeitsprung geschehen? Heute früh war Tobias noch ganz normal zuhause losgefahren, hatte sich von Verena verabschiedet und seine Dienstreise angetreten - und zwar definitiv im Jahr 2015. Und genau dorthin wollte er auch wieder zurück: zu seiner Frau und den Kindern, zu seinem Job in der Firma seines Vaters, die er bald zu übernehmen hoffte, zu seinen Freunden, mit denen er donnerstags immer Squash spielte - kurz: zu seinem Leben. Und raus aus diesem verrückten, verlassenen, verstrahlten Kriegsgebiet der Zukunft!

Aber dafür musste er zuerst mal herausfinden, wie er hierhergekommen war. Tobias unterdrückte seine Panik und zwang sich, klar zu denken. Was war zwischen seiner Haustür und dieser Geisterraststätte passiert? Ab welchem Punkt auf seiner Reise war er nicht mehr in seiner Zeit gewesen? Im Ruhrgebiet war noch alles normal gewesen, da war er sicher. Die Straßen voller Autos und Menschen - da hätte er sicher gemerkt, wenn sich plötzlich etwas verändert hätte. Auch an der Tankstelle irgendwo im Emsland, an der er sich einen Kaffee gekauft und die Toilette aufgesucht hatte, waren ihm keine dieser Stromzapfsäulen aufgefallen, die zehn Jahre später offenbar sehr verbreitet waren. Nein, der Sprung musste irgendwo auf der letzten Etappe seiner Fahrt erfolgt sein, als die Autobahn so leer war und ihm Veränderungen etwa an den Autos nicht mehr auffallen konnten. Als er sowieso schon unaufmerksam und kurz vor dem Einschlafen war. Als er fast von der Straße abgekommen und mehrfach aus dem Sekundenschlaf hochgeschreckt war.

"Moment mal!", rief er und erschrak über den Widerhall seiner eigenen Stimme in der leeren Gaststätte. Dieses Flimmern und das Kribbeln, die ihn das eine Mal eingehüllt hatten. Was, wenn das keine Sinnestäuschungen aus Müdigkeit gewesen waren? Konnte es sein, dass ein Zeitsprung so aussah und sich so anfühlte? Woher sollte man das wissen ...? Tobias dachte noch eine Weile angestrengt nach, aber ihm fiel keine andere Gelegenheit ein, bei der sich sein Zeitsprung ereignet haben konnte. Es sei denn, dies wäre völlig unbemerkt geschehen, dann konnte es irgendwann und irgendwo gewesen sein. Aber das würde ihm nicht weiterhelfen. Dann also das Flimmern. Total spekulativ, natürlich, aber sein einziger Anhaltspunkt.

Tobias sprang in seinen BMW und verließ den Rastplatz. An der nächsten Abfahrt wechselte er auf die Gegenspur und fuhr den Weg zurück, den er gekommen war, Richtung Heimat. Er wunderte sich selbst, dass er sich immer noch an die Verkehrsregeln hielt, statt einfach mitten auf der Autobahn zu wenden und den Rückweg als Geisterfahrer zurückzulegen. Einen Unfall brauchte er dank der Evakuierung schließlich nicht zu fürchten. Na, wenigstens würde er auf die Tempolimits pfeifen. Falls er in eine Radarfalle geraten sollte, konnten sie ihm gerne in zehn Jahren einen saftigen Bußgeldbescheid schicken.

Als er glaubte, sich der Stelle zu nähern, an der das Flimmern aufgetreten war, ging er vom Gas. Die Erscheinung war nur schwach sichtbar gewesen, deshalb musste er jetzt sehr aufmerksam sein. Während er bei langsamer Fahrt angestrengt Ausschau hielt, kamen ihm Zweifel. Was, wenn er auf der falschen Fährte war? Wenn es das Flimmern doch nur in seiner Einbildung gegeben hatte? Oder wenn es zwar real war, aber nichts mit Zeitsprüngen zu tun hatte? Wenn es inzwischen verschwunden war? Wenn es ihn nicht in seine eigene Zeit zurückversetzte, sondern noch weiter in eine womöglich noch schlimmere Zukunft? Oder zurück in die Steinzeit? Es war wirklich zu absurd, die wildesten Szenen irgendwo zwischen Back to the Future, Star Trek und Jurassic Park spielten sich in seinem Kopf ab. Und wenn er tatsächlich in seine Zeit zurückkehrte, was würde er dann tun? Immerhin drohte offenbar ein Atomkrieg. Er müsste versuchen, diesen zu verhindern, aber wer sollte seine abenteuerliche Geschichte glauben? Er hätte wenigstens eine Tageszeitung oder so etwas mitnehmen sollen. Alles, was er vorweisen konnte, war ein zerknülltes Flugblatt in seiner Jackentasche, und das konnte ja nun jeder Spinner mit einem PC und einem Drucker in zehn Minuten zusammengeschustert haben. Zumindest würde er seine Familie retten. Sie sollten wohl am besten rechtzeitig auswandern. Aber wohin? Welche Teile der Welt waren noch vom Krieg betroffen, welche blieben verschont? Oh Mann, Verena würde ihn für verrückt erklären, und er könnte es ihr nicht verübeln.

Fast hätte er über diesen Gedanken sein Ziel verpasst. Er sah das gesuchte gelbliche Flimmern, als er schon fast daran vorbeigefahren war. Es schwebte direkt über dem Asphalt und erstreckte sich ein Stück weit in den Straßengraben, allerdings befand es sich auf der Gegenfahrbahn - also auf der Seite, auf der er auf dem Hinweg den Zeitsprung gemacht hatte. Anscheinend hatte sich das Phänomen nicht vom Fleck bewegt.

Tobias stellte den Wagen am Straßenrand ab, stieg über die Mittelleitplanke und besah sich die Erscheinung aus der Nähe. Sie war vielleicht fünf Meter hoch und fünfzehn Meter breit, doch ihre Ränder waren nicht klar auszumachen. Die Form schien unregelmäßig zu sein. Wenn Tobias durch das Phänomen hindurchschaute, sah er ganz normal die Straße und die Landschaft dahinter - aber in welcher Zeit, das konnte er nicht beurteilen. Als er das Flimmern umkreiste, stellte er fest, dass es überhaupt keine räumliche Tiefe hatte, sondern wie eine Art dünne Scheibe leicht schräg auf der Straßendecke stand. Außerdem war es von der Rückseite nicht zu sehen, so als ob das Portal nur von einer Seite her zu betreten war. Portal - ja, das war es. Ein Portal zwischen den Zeiten. Und die Öffnung war auf der Seite, auf der Tobias es wohl verlassen hatte. Wenigstens das ergab eine Art von Sinn in diesem Albtraum.

Tobias war unschlüssig. Was sollte er jetzt tun? In das Flimmern hineinlaufen und schauen, was passierte? Erst mal eine Hand hineinstecken? So oder so hatte er Angst, wie er sich zögernd eingestand. Wer kannte sich schon mit Zeitportalen aus? Er gab sich einen Ruck. Wenn schon, denn schon - was hatte er schließlich zu verlieren? Entweder dieses Ding brachte ihn nach Hause, oder es war sowieso alles egal. Er kehrte zu seinem Wagen zurück, wendete und fuhr - jetzt doch als Geisterfahrer, yeah! - wieder in Richtung der Raststätte, bis er eine Lücke in der Mittelleitplanke fand, die nach den letzten Baumaßnahmen noch nicht geschlossen worden war. Dort wechselte er auf die Gegenfahrbahn und fuhr zurück zum Zeitportal. Als er das Flimmern vor sich auftauchen sah, hätte er fast doch noch eine Vollbremsung gemacht, aber stattdessen trat er das Gaspedal durch, um seiner Angst keine Chance zu geben. Nun gab es kein Zurück mehr. Die Tachonadel des BMW überschritt gerade die Hundert, als das Flimmern Tobias und den Wagen einhüllte. Für einen Moment schloss er geblendet die Augen. Das elektrische Kribbeln fuhr wieder über seinen Körper. Als er die Augen öffnete, sah er den riesigen Schatten auf sich zukommen. Tobias riss den Mund auf, doch seinen Schrei hörte er bereits nicht mehr.

*​

"Also noch mal von vorn", sagte der Polizist. "Waren sie irgendwie abgelenkt? Haben sie am Navi gespielt? Am Handy? Nebenbei den Playboy gelesen? Sie wären nicht der Erste, das können Sie mir glauben."

"Ich schwöre Ihnen, Herr Wachtmeister", beharrte Erik Sager, "ich habe höchstens mal in die Außenspiegel geschaut. Ich fahre jetzt seit über zwanzig Jahren LKW. Bestimmt eine Million Kilometer oder mehr, unfallfrei. So etwas ist mir noch nicht passiert, dieser Wagen kam wirklich aus dem Nichts - auf einmal war er da!"

"Also, Herr Sager, Sie werden verstehen, dass ich Ihnen das nur schwer glauben kann. Auf einer menschenleeren, schnurgeraden Autobahn sieht man ja wohl auch einen Geisterfahrer schon kilometerweit kommen. Sie müssten alle Zeit der Welt gehabt haben, rechts ranzufahren, anzuhalten oder wenigstens vom Gas zu gehen."

"Aber ...", setzte Sager an, doch der Polizist fuhr ungerührt fort: "Deshalb muss ich Sie bitten, zur Blutprobe mit aufs Revier zu kommen. Und danach können Sie sich auf eine eingehende Befragung gefasst machen. Vielleicht wäre es eine gute Idee, einen Anwalt anzurufen."

*​

"Heute ist Donnerstag, der zweiundzwanzigste Oktober zweitausendundfünfzehn, neun Uhr einunddreißig. Ich obduziere eine männliche Leiche, geborgen aus einem ausgebrannten Unfallfahrzeug. Identität aufgrund starker Verbrennungen noch nicht zweifelsfrei geklärt; dies ist Hauptzweck der Obduktion. Alter vermutlich zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahren, mittelgroß bei leicht korpulenter Statur. Haare weitgehend verbrannt, aber anscheinend kurz und mittelblond oder braun. Ich untersuche zunächst die Kleidung des Toten."

Dr. von Kampen legte das Diktiergerät beiseite, um die Hände frei zu haben, und begann die Jackentaschen des vor ihm liegenden Unfallopfers - wenn es denn ein Unfall war - zu inspizieren. Die rechte Tasche war fast unversehrt, in ihr fand von Kampen aber nicht mehr als eine Packung Kaugummi und ein halbleeres Einwegfeuerzeug. Die linke Seite der Jacke war deutlich stärker vom Feuer in Mitleidenschaft gezogen worden. Von Kampen öffnete vorsichtig die Außentasche und zog mit spitzen Fingern einen größtenteils verbrannten Zettel daraus hervor. Ein Teil der Überschrift war noch zu entziffern: "EVA----RUNG". Darunter ein Text, der praktisch nicht mehr auszumachen war, und etwas, das einmal eine Landkarte gewesen sein mochte. Damit sollten sich die Kriminaltechniker vergnügen, wenn sie wollten.

Als von Kampen das Fragment vorsichtig in eine Aluschale legen wollte, zuckte er zusammen und ließ den Fetzen fallen. Er hatte durch seine Arzthandschuhe hindurch so etwas wie einen leichten elektrischen Schlag bekommen - nicht schmerzhaft, nur überraschend. Aber Papier konnte doch nicht statisch aufgeladen sein? Verblüfft starrte er den verkohlten Zettel an, als ihm eine weitere halbwegs lesbare Stelle ins Auge sprang: "--tober 2025". Doch noch bevor von Kampen sich hierüber Gedanken machen konnte, lief plötzlich ein gelbliches Leuchten über das Papier. Es sah eigentlich nicht wie eine Flamme aus, aber es musste wohl eine gewesen sein, denn nun färbte sich auch der Rest des Zettels kohlschwarz, und das Ganze zerfiel zu einem Häufchen feiner Aschekrümel. Jetzt konnten auch die Techniker nichts mehr daraus machen. "Was um alles in der Welt war das?", rief von Kampen halblaut aus. Ein Rest Glut noch zwanzig Stunden nach dem Brand? Nun ja, die Jacke war aus einem Synthetikmaterial, das konnte recht lange glimmen ...

Von Kampen hielt sich nicht lange mit diesem Gedanken auf. Er hatte heute noch zwei weitere Obduktionen vor sich, von denen mindestens eine weitaus spannender war als eine Kollision auf der Autobahn. Ein mutmaßlicher Giftmord, das hatte immerhin Stil! Voller Vorfreude setzte von Kampen seine Arbeit fort und griff wieder nach dem Diktiergerät: "In den Außentaschen der Jacke: rechts Kaugummi und Feuerzeug wie beigefügt, links etwas verbranntes Papier. Ich untersuche nun die Innentaschen ..."

 

Hallo zusammen,

hier meine erste veröffentlichte Kurzgeschichte; außerdem mein Beitrag zum Marty-McFly-Tag am kommenden Mittwoch. :) Weitere Inspirationen dabei, soweit sie mir bewusst sind:
- Breakfast at Twilight von Philip K. Dick;
- The Langoliers von Stephen King.

Ich freue mich auf Eure Kommentare und bin außerdem dankbar für Hinweise, welche Tags Ihr für passend halten würdet. (Horror? Seltsam? Spannung?)

Grüße vom Holg...

 

Hallo Holg,

erstmal herzlich willkommen im Forum. Dein Einstand hat mir gefallen. Lässt sich wirklich gut lesen. Mir passierts nicht so oft, dass ich eine Geschichte ohne zu scrollen lese, aber Aufbau und Spannungsbogen stimmen und Fehler habe ich auf den ersten Blick auch keine entdeckt, allerdings war ich auch nicht im Korrekturmodus unterwegs. Du hast zwar das Zeitreise-Genre nicht neu erfunden, doch wer könnte das schon?
Am Anfang habe ich gedacht: aha, der Kerl ist eingeschlafen, wacht im OP auf und hat sich alles nur eingebildet, aber gottseidank kam’s ja anders.
Die Szene in der Raststätte hat mir besonders gefallen, sehr bildhaft und atmosphärisch.

Je länger Tobias sich umsah, desto mehr beschlich ihn das Gefühl, dass dieser Ort mitten aus dem alltäglichen Treiben heraus verlassen worden war. Hier standen noch zwei halbvolle Tassen Kaffee auf einem Tisch - kalt, wie er feststellte. Dort hing noch eine Fleecejacke über dem Stuhl an der Kasse. Die Speisen in den Glaskästen sahen nicht ganz frisch aus, aber auch nicht verdorben; sie konnten höchstens einen oder zwei Tage alt sein.

Erst jetzt kam Tobias auf die Idee, sich bemerkbar zu machen. "Hallo? Ist hier irgendjemand?" rief er erst zaghaft, dann lauter. Keine Antwort, wie erwartet. Nachdem er seine Frage dreimal in steigender Lautstärke wiederholt hatte, wurde ihm bewusst, dass seine Stimme einen fast verzweifelten Klang hatte. Was zum Teufel war hier los? War er auf einmal ganz allein auf der Welt? Dann hatte er die Idee: Wenn hier wirklich etwas passiert war, dann musste es doch in den Nachrichten gekommen sein. Er würde einfach seine Frau anrufen. Oder seinen Vater. Oder die Polizei. Das Handy lag im Wagen. Tobias hastete durch die Tischreihen zurück zum Ausgang. Jetzt erst sah er die Flugblätter.

Also, so was gefällt mir einfach. Schreiben kannst Du, und ich bin gespannt, was noch von dir kommt.

Verschneite Grüße,
Harry

 

Hallöchen Holg,

auch mir hat dein Einstand recht gut gefallen. Wie Harry schon sagte, schreiben kannst du. Wenn ich etwas kritisieren müsste, würde ich anmerken, dass mir persönlich der Anfang zunächst etwas spannungsarm vorkam, mit dem dritten Absatz hattest du mich aber, und das ist gar nicht mal schlecht für die erste Geschichte.

Freue mich darauf, noch mehr von dir zu lesen!

MfG
NerdLion

 

Hallo Holg,

mir hat die Geschichte auch gefallen. Da gibt es einiges an Potenzial bei Deiner Art zu schreiben, und das lässt auf weitere spannende Geschichten hoffen. Jetzt ein bisschen Detailkritik:

Die Handlung lebt von der bizarren Situation und zieht den Leser in Richtung Auflösung, denn natürlich möchte man wissen, wie das ungewöhnliche Erlebnis wohl endet. Die Auflösung fand ich okay, auch wenn das Ganze kein großer Knall ist.

Im Bereich der Handlung verschenkt die Geschichte allerdings dort einige Punkte, wo Du als Autor ein paar wirklich ungewöhnliche Wendungen einfügen könntest. Mal von dem eigenwilligen Detail abgesehen, dass Lybien Ostfriesland bombardiert, gibt es in der Zukunft, die Hansen erlebt, keine Highlights, die den Leser faszinieren könnten. Das Ganze wirkt deshalb ein wenig unausgearbeitet. Es fehlt eine Prise Finesse.

Das gilt auch für die Sprache. Vom Schreibhandwerk her gefällt mir schon sehr gut, dass der Text eine Dynamik hat, nicht gleichförmig ist, sondern in einer angenehmen Wellenform daherkommt. Dieser Effekt entsteht durch die Einschübe der Gedankengänge des Protagonisten. Es ist kein "Er ging hier hin. Er hob das auf. Er blickte dorthin..." –Text. Man kann das sehr flüssig lesen.

Vervollkommnen lässt sich das nun, indem Du die Stilistik verfeinerst und damit beginnst, fragwürdige Stellen rauszunehmen:

Jetzt war er über seinen Tagtraum fast eingeschlafen! Dass es auf dieser Autobahn aber auch so einsam war, da musste man ja wegdämmern. Der Mittwochvormittag war ohnehin nicht gerade die Rush Hour, aber in dieser gottverlassenen Gegend war es wirklich ungewöhnlich ruhig.

Die Häufung von war ist stilistisch keine gute Wahl. Das Wort taucht überhaupt im Text zu häufig auf und das klingt nicht so gut.

Das war nun tatsächlich etwas krass.

Etwas krass, das geht nicht.

... kamen Zweifel in ihm auf.

Das ist auch ein Beispiel. Zwischen "kamen Zweifel in ihm auf" und "kamen ihm Zweifel" liegen stilistisch gesehen Welten. Wenn Du etwas mit drei Worten sagen kannst, dann tue es nicht mit fünf. Mein Eindruck ist, dass sich der Text schon recht flüssig liest. Aber um gut zu klingen, da fehlt noch einiges an Klarheit, Kürze, Eleganz. Ein gutes Training besteht darin, Autoren, die vollendet schreiben, übungsweise zu kopieren. Man lernt daraus sehr viel und findet dann auch seinen eigenen Stil.

Okay, soviel erst mal von mir.

Gruß Achillus

 

Hallo zusammen,

erst mal vielen Dank für den freundlichen Empfang und das viele Lob. Das kam ja deutlich besser an, als ich erwartet habe, und macht mir Mut für weitere Werke...

Um auf ein paar der Punkte von Achillus einzugehen:

Die Auflösung fand ich okay, auch wenn das Ganze kein großer Knall ist. (...) Es fehlt eine Prise Finesse.

Jep, das ist mir bewusst. Wie auch Harry schon schrieb: das Genre nicht neu erfunden. Ich arbeite dran und werde meinen Hauptberuf noch eine Weile behalten. ;)

Die Häufung von war ist stilistisch keine gute Wahl. Das Wort taucht überhaupt im Text zu häufig auf und das klingt nicht so gut.

Hm, das ist gar nicht leicht. "Sein" ist ein Verb, das man sehr häufig braucht. Ich werde künftig verstärkt darauf achten.

Wenn Du etwas mit drei Worten sagen kannst, dann tue es nicht mit fünf.

Das ist natürlich so eine Grundsatzfrage, man kann das ja auch als Stilmittel benutzen. Aber da mein Stil eigentlich ein recht sachlicher ist (finde ich jedenfalls), sollte es auf mich wohl passen. Hast Du noch weitere Beispiele in meinem Text gefunden?

Ansonsten habe ich immer einen Drang, Dinge möglichst präzise zu schildern, das macht es auch manchmal sperrig. Geht vielleicht in die gleiche Richtung.

Ein gutes Training besteht darin, Autoren, die vollendet schreiben, übungsweise zu kopieren. Man lernt daraus sehr viel und findet dann auch seinen eigenen Stil.

Da habe ich ein echtes Hindernis, weil ich meine Lieblingsautoren bevorzugt im englischen Original lese (momentan zuvorderst P. K. Dick). Und selbst auf Englisch zu schreiben, wäre wohl etwas vermessen. :)

Natürlich sind auch die anderen Punkte angekommen, die ich jetzt nicht beantwortet habe. Noch mal danke an alle!

Grüße vom Holg...

 

Hallo Holg,

ja ich habe noch ein paar Beispiele:

Er hatte durch seine Arzthandschuhe hindurch so etwas wie einen leichten elektrischen Schlag bekommen - nicht schmerzhaft, nur überraschend. Aber Papier konnte doch nicht statisch aufgeladen sein? Verblüfft starrte er den verkohlten Zettel an, als ihm eine weitere halbwegs lesbare Stelle ins Auge sprang: "--tober 2025". Doch noch bevor von Kampen sich hierüber Gedanken machen konnte, lief plötzlich eine Art gelbliches Leuchten von links nach rechts über das Papier. Es sah eigentlich nicht wie eine Flamme aus

Ich finde es gut, wenn Du sehr präzise schreiben möchtest. Das bedeutet aber nicht, Du müsstest jedes Detail bis ins Kleinste beschreiben. Wenn Du das tust, stößt Du automatisch an die Grenzen des Erzählerischen. Das wird dann ein Sachtext. Mit anderen Worten: Habe den Mut, dem Leser das Zusammensetzen der Szenerie zu überlassen und gib ihm nur die Eckdaten. Du kannst die Vorstellungskraft des Lesers nicht übertreffen, aber Du blockierst sie, wenn Du alles haarklein darlegen möchtest.

Da habe ich ein echtes Hindernis, weil ich meine Lieblingsautoren bevorzugt im englischen Original lese (momentan zuvorderst P. K. Dick). Und selbst auf Englisch zu schreiben, wäre wohl etwas vermessen.

Ist natürlich toll, seine Lieblingsautoren im Original zu lesen. Aber sprachlich bringt Dich das als Autor nicht weiter. Du lernst nur gut zu schreiben, wenn Du gute Texte liest. Daran führt, glaube ich, kein Weg vorbei.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

danke für die weiteren Beispiele. Die sind bei näherem Hinsehen schon treffend, auch wenn es mich in den Fingern juckt, das eine oder andere Wort jetzt noch zu rechtfertigen.

Ich finde es gut, wenn Du sehr präzise schreiben möchtest. Das bedeutet aber nicht, Du müsstest jedes Detail bis ins Kleinste beschreiben. Wenn Du das tust, stößt Du automatisch an die Grenzen des Erzählerischen. Das wird dann ein Sachtext. Mit anderen Worten: Habe den Mut, dem Leser das Zusammensetzen der Szenerie zu überlassen und gib ihm nur die Eckdaten. Du kannst die Vorstellungskraft des Lesers nicht übertreffen, aber Du blockierst sie, wenn Du alles haarklein darlegen möchtest.

Genau das ist mein Problem. Ich bin da von meinem Beruf geprägt, wo ich Dinge sehr präzise, eindeutig und vollständig beschreiben muss. Mit bewussten Auslassungen tue ich mich genauso schwer wie mit Dramatik und Emotion. Aber u.a. dafür schreibe ich solche Geschichten - um mal die andere Seite in mir zum Leben zu erwecken.

Ist natürlich toll, seine Lieblingsautoren im Original zu lesen. Aber sprachlich bringt Dich das als Autor nicht weiter.

Ach, ganz so würde ich das nicht sehen. Zum obigen Punkt zum Beispiel kann ich mir auch sprachunabhängig einiges abgucken. Aber klar, eine gewisse Lücke bleibt.

Grüße vom Holg...

 

Hola Holg, the Incredible!

Indeed – incredible!
Das ist doch der Wahnsinn: Eine Geschichte, schon beim Scrollen erkennbar, ist unzumutbar lang – und ich lese sie. Nicht sehr aufmerksam, science fiction ist eh’ nicht mein Ding, aber ich bleib dran. Der Typ kann schreiben. Hat gute Tricks drauf, so mit vielen Fragezeichen u. ä.
Ich bleibe dabei – der stellt so viele Fragen in den Raum, ich muss verdoorie die Antwort kennen!
Was ich sagen will: Du fesselst Deinen Leser, wie es einst die Großen taten. Ich will mich nicht prostituieren, doch erliege ich tatsächlich der Gewalt Deines Schreibstils. Da ist kein Durchhänger, kein Irgendwas, das einem den Lesespaß vergällt, sondern durchgehende Spannung.
Ich kann nur sagen: Kompliment Dir, der Du Dich selbst >The Incredible< nennst und lobst.
Hier wäre Bescheidenheit völlig fehl am Platze.

Mach mal einen 20-Jahresvertrag mit dem Forum!

José

 

Hallo José,

ich erröte...

Normalerweise würde ich denken, Du veräppelst mich, aber andere in diesem Forum hast Du geradeheraus verrissen, wenn Du ihre Texte nicht mochtest. Also scheinst Du es wohl so zu meinen. Ich glaub's ja kaum. Danke für die Ovationen!

Dann ist jetzt der ideale Moment, endlich ins Bett zu gehen und lächelnd einzuschlafen.

Grüße vom Holg...


BTW: Mein Forenname ist nicht Hybris, sondern Reverenz an eine seelenverwandte literarische Figur...

 

Ich wusste es doch, als ich deinen Forennamen las, musste ich gleich an den wunderbaren Hulk denken. Die Seelenverwandtschaft gibt mir allerdings zu denken. Du weißt schon, dass man hier aber nicht so einfach rumhulken darf? Im Moment befindest du dich ja scheints und gottseidank im Bruce-Zustand. Dann will ich mal sorgen, dass es dabei bleibt.
Also das ganze Geplänkel heißt einfach nur: Herzlich Willkommen, holg. Die Geschichte ist echt schön spannend geschrieben.
Ich les normalerweise kein science fiction, nur welche, die eigentlich keine sind. :D
Aber deine Referenz an Dick und King hatte mich dann doch angelockt. Und tatsächlich, du schaffst es, die Atmosphäre der Langoliers beim Lesen zu triggern. Das hat viel Spaß gemacht. Gemein ist natürlich das Ende (nicht ernsthaft gemeint). Da fasst sich der arme Tobias endlich ein Herz, und dann das. Aber nicht nur für den Tobias ists gemein, für die ganze Menschheit, die Wissenschaft und Forschung. Da obduziert so ein Kerl rum und hat eigentlich ein Zeitportal in den Pfoten. Naja, wer weiß, was die Leut damit angefangen hätten Nichts Gutes vermutlich.
Dein sparsamer Stil (damit meine ich, dass du wenige oder gar keine Vergleiche oder sonstige Sprachbilder benutzt) dem es dennoch gelingt, Spannung aufzubauen, gefällt mir sehr gut. Die vielen "wars", die Achillus genannt hat, sind mir beim ersten Lesen nicht aufgefallen, aber wenn man es dann weiß, springt es natürlich ins Auge, Ich bin zwar nicht der prinzipielle Verfechter des Mottos "Wenn Du etwas mit drei Worten sagen kannst, dann tue es nicht mit fünf. ", das Achillus dir empfohlen hat. Aber es lohnt sich trotzdem, darüber nachzudenken und es einfach mal auszuprobieren. Hier bei deiner Geschichte und deinem Stil würde es passen. Ein anderer Stil lebt gerade von einer bestimmten Färbung, die meinetwegen durch den bewussten Gebrauch von Füllwörtern erzeugt wir. Oder von bewusst eingesetzten Sprachbildern. Wenn du auch gerne King liest, wirst du sicherlich wissen, dass der eine Menge Sprachbilder benutzt, um Stimmung zu machen. Aber die sind dosiert eingesetzt.
Bei vielen Stellen, die Achillus zitiert hat, geht es mir ähnlich wie ihm. Also beispielsweise die Stelle: kamen Zweifel in ihm auf. Das ist amS weder sprachlich notwendige Genauigkeit, die dich das so sagen lässt, noch eine bewusst eingesetzte stilistische Färbung, sondern eine Gewohnheit in der deutschen Sprache. Man spricht und schreibt einfach sehr redundant, vielleicht, um sich erst mal Zeit zum Denken zu verschaffen? In wem als in ihm (dem Denkenden) könnten die Zweifel denn sonst noch aufkommen? Also hast du da was Überflüssiges geschrieben. Und das ist das Gegenteil von Genauigkeit. Leser sagt, weiß ich doch, dass er nicht von außen denkt.
Du zweifelst ja noch so ein bisschen, darum hacke ich so darauf rum.
An anderen Stellen, die Achillus zitiert hat, sehe ich das ein bisschen anders, aber das ist auch völlig wurscht. Es lohnt sich auf jeden Fall, diesem Kürzungs- und Überprüfungsweg zu folgen, die das Geschriebene auf Redunzen oder völlige Selbstverständlichkeiten zu prüfen und sich zu fragen, ob man das wirklich haben muss und haben will. Es geht nicht darum, all diese Wörter oder Stellen rauszuschmeißen, sondern sich ihrer bewusst zu werden. Und sich dann eben dafür oder dagegen zu entscheiden.
Ich mach das immer so, dass ich eine Stelle dann so ausprobiere, wie ich sie geschrieben hatte und dann so, wie mein Kommentator das moniert hat. Und dann seh ich schon, ob das zu mir passt oder nicht bzw zu dem Tonfall, in dem ich eine Geschichte schreiben wollte.
Davon abgesehen, ich glaub, mit diesem Kram beschäftigt man sich, solange man schreibt. Das sagt eine, die für ihren überschwappenden Stil bekannt ist. :(

Noch eine Kleinigkeit: An einer Stelle (ich finde die leider gerade nicht) nennst du den Tobias wieder mit Vor- und Nachnamen. Ich fänd es schöner, es, wenn man den Helden denn mal namentlich mit Vor- und Nachnamen eingeführt hat, es beim Vornamen zu belassen. Aber das ist sicherlich reine Geschmackssache.

Viel Spaß noch beim Lesen, Schreiben und Kommentieren.
Viele Grüße von Novak.

PS: Marty McFly wird sich über deinen Beitrag sicherlich freuen.

 

Hallo Novak!

Die Seelenverwandtschaft gibt mir allerdings zu denken. Du weißt schon, dass man hier aber nicht so einfach rumhulken darf? Im Moment befindest du dich ja scheints und gottseidank im Bruce-Zustand.

Ist auch der weitaus häufigere Zustand. Aber ab und zu wird man doch mal gepflegt ausrasten dürfen? Außerdem fand ich "Dr. Banner" als Forennamen weniger spannend. ;)

Die Geschichte ist echt schön spannend geschrieben.
Ich les normalerweise kein science fiction, nur welche, die eigentlich keine sind.

Die beste SF ist m.E. sowieso die, die nicht völlig abgehoben in reine Fantasiewelten abdriftet, sondern noch einen Bezug zur Gegenwart enthält.

Da Du mit Deiner Stilkritik weitgehend Achillus sekundierst, werde ich mir Eure Anmerkungen um so mehr zu Herzen nehmen. Wenn Ihr es nun schon beide sagt... Zumindest meine Neigung zu Bandwurmsätzen hatte ich hier halbwegs im Griff. Wenn sie doch noch auftreten, dann meistens (!) absichtlich.

Stilistisch sehe ich mich übrigens selbst näher an Dick als an King, aber wahrscheinlich gibt es sowieso viel mehr Einflüsse, die ich gar nicht benennen kann.

Ich mach das immer so, dass ich eine Stelle dann so ausprobiere, wie ich sie geschrieben hatte und dann so, wie mein Kommentator das moniert hat. Und dann seh ich schon, ob das zu mir passt oder nicht bzw zu dem Tonfall, in dem ich eine Geschichte schreiben wollte.

Das ist ein guter Tipp, den werde ich mal anwenden.

Grüße vom Holg...

 

Hallo Holg!

Dann gebe ich hier also auch mal meinen Senf dazu.
Du hast dich da mMn an ein schwieriges Thema rangewagt, zumindest schwierig für eine Kurzgeschichte. Zeitreisen sind für mich immer eher Sache eines Romans, weil man schnell ins langweilig Oberflächliche abrutscht, wenn man die Zukunft, die man darstellen will, nicht detailliert durchdenkt und darstellt. Du hast das hier aber ganz gut gemacht. Man erfährt jetzt nicht wahnsinnig viel über deine fiktive Zukunft, aber das ist wie gesagt in Kurzgeschichten ja auch kaum machbar und im Endeffekt kannst du ja nichts dafür, dass ich mich in so was gerne verwühle und dann auch mit 800-Seiten-Romanen kein Problem habe :D

Ein paar Kleinigkeiten sind mir aber aufgefallen:

Das war nun tatsächlich etwas krass.

So eine Ausdrucksweise ist mir zwar mit meinen 17 Jahren mehr als nur geläufig, aber es passt nicht so ganz zu deinem Charakter. Wäre dein Protagonist ein patziger Jugendlicher, würde es sich wunderbar fügen, aber da dein Tobias ein Mann mittleren Alters ist, der sonst keine Anzeichen von "Jugendsprache" zeigt, fällt das ein wenig aus deinem sonstigen Ausdruck heraus.

Identität aufgrund starker Verbrennungen noch nicht zweifelsfrei geklärt; dies ist Hauptzweck der Obduktion. Alter vermutlich zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahren, dunkelblondes kurzes Haar

Das ist jetzt nicht direkt ein Fehler und vielleicht irre ich mich auch, aber fangen Haare nicht total schnell Feuer oder fangen zumindest an zu kohlen? Wenn also um ihn herum alles gebrannt hat/explodiert ist, wundert es mich, dass da tatsächlich noch Haare zum Beschreiben da sind, selbst wenn der Körper nicht komplett verbrannt ist.

Ein mutmaßlicher Giftmord, das hatte immerhin Stil! Voller Vorfreude setzte von Kampen seine Arbeit fort

Dass er sich mit Vorfreude an die Arbeit macht, finde ich ein wenig... strange. Ich bin kein Pathologe, allerdings habe ich insofern eine klitzekleine Einsicht in diesen Bereich, da praktisch meine ganze Familie aus Kripos besteht. Interesse, auch mal eine Art Erleichterung, von den alltäglichen Fällen wegzukommen, ja - aber Vorfreude? Das scheint mir doch etwas sehr morbide. Wir reden hier immer noch von Leichen, bei letzterer sogar von Mord.
Aber ich schätze, was man von dieser Beschreibung hält, das ist irgendwo auch Geschmackssache.

Mein letzter Punkt ist, dass Tobias sich doch recht schnell mit dem Gedanken anfreundet, in der Zukunft gelandet zu sein, und das gar nicht mehr in Frage stellt. Hier beschränkt einen wieder das Konzept der Kurzgeschichte, aber es hat mich doch gewundert, dass seine Zweifel dann auf einmal wie weggeblasen waren (mir ist allerdings bewusst, dass es sich auch nicht schön liest, wenn der Protagonist ständig etwas a la "Aber das kann doch nicht sein! Nein, es muss eine rationale Erklärung geben!" denkt).

Freue mich, noch weitere Texte von dir zu lesen :)

LG Krizzle

 

Hallo Holg,

du bist mir durch deine durchdachten Kommentare bei anderen Usern aufgefallen. Das, in Verbindung mit dem grünsten aller Marvel-Helden als Nick, hat mich dazu verleitet, mal zu schauen, was du so schreibst.

Ich hatte bereits eine Liste angelegt mit Hinweisen, dann aber aus Versehen den Tab geschlossen - und nun ist alles weg :mad:
Ich finde leider nicht die Zeit, noch mal anzufangen, aber ich will dir wenigstens meinen Gesamteindruck dalassen.

Ich bin gut in die Geschichte reingekommen. Das ist flott geschrieben und spannend.
Ab dem ersten Sternchen hapert es dann jedoch.
Klar, du willst nicht zu viel verraten, aber futuristisch, avantgardistsch, Speisen nicht "ganz frisch" ... Das sind leere Worthülsen. Da kommen keine Bilder auf und es sieht nach Faulheit des Autors aus. Da braucht es Bilder. Gar nichts ausuferndes, aber etwas, das eben greifbar wird.

Dann kommt die Idee mit dem Zeitsprung. Idee ist ja gut, aber es ist schon echt eine herausforderung, diesen Prozess, der im Kopf des Prots in Gang gesetzt wird, glaubhaft darzustelen. Ich finde, dir gelingt das nur halbherzig. Er arrangiert sich ja recht fix mit der Umkrempelung seiner Welt.
UNd ab diesem Punkt habe ich auch angefangen zu überfliegen. Bis zum Ende. Ich hatte nicht den Eindruck, etwas verpasst zu haben. DIe Auflösung dann, naja. Das ist so wie eine Geschichte mit einem Zeitungsausschnitt enden zu lassen. Kann man machen, aber ... joa. Finde ich persönlich nciht so prickelnd. Da ist so viel Pozenzial dann einfach abgeschnitten.

Dennoch: Schreiben kannst du scheinbar und du nimmst dich eines interessanten Themas an. Da bin ich gespannt, was noch so kommen wird. :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Krizzle,

danke für die Kommentare. Da ist ja wieder etwas Gedankenfutter für mich dabei.

Du hast dich da mMn an ein schwieriges Thema rangewagt, zumindest schwierig für eine Kurzgeschichte. Zeitreisen sind für mich immer eher Sache eines Romans, weil man schnell ins langweilig Oberflächliche abrutscht, wenn man die Zukunft, die man darstellen will, nicht detailliert durchdenkt und darstellt.

Den Part fand ich gar nicht so schwer. Ich hatte es aber auch insofern leicht, als ich bewusst nur ein paar Jahre in die Zukunft gegangen bin. Die Unterschiede sollten subtil sein, damit Tobias nur langsam merkt, wo er gelandet ist. Da brauchte ich keine umfassend neue Welt zu zeichnen. Selbst das Kriegsszenario diente eigentlich nur als Mittel, den Protagonisten aufgrund der Evakuierung ohne fremde Hilfe auskommen müssen zu lassen. (Müssen zu lassen?! Doch, scheint korrekt zu sein...)

So eine Ausdrucksweise ist mir zwar mit meinen 17 Jahren mehr als nur geläufig, aber es passt nicht so ganz zu deinem Charakter. Wäre dein Protagonist ein patziger Jugendlicher, würde es sich wunderbar fügen, aber da dein Tobias ein Mann mittleren Alters ist, der sonst keine Anzeichen von "Jugendsprache" zeigt, fällt das ein wenig aus deinem sonstigen Ausdruck heraus.

Nun ja. Ich bin in der gleichen Altersklasse und würde das genau so formulieren. (Habe ich ja auch.) Aber es passt nicht zum Rest, das stimmt schon.

fangen Haare nicht total schnell Feuer oder fangen zumindest an zu kohlen?

Oha, da hast Du recht. Die Haarfarbe kann ich ersatzlos streichen, ist für den Plot auch unwichtig.

Dass er sich mit Vorfreude an die Arbeit macht, finde ich ein wenig... strange. (...) Das scheint mir doch etwas sehr morbide.

Strange und morbide? Schuldig im Sinne der Anklage. Hier habe ich mir einen billigen Gag gegönnt und die klischeehafte Witzfigur des Pathologen aus der Klamottenkiste gezogen, der einfach Spass an seinen Leichen hat. So ungefähr wie der Dr. Brinkman aus den Wixxer-Filmen. Billig, wie gesagt.

Mein letzter Punkt ist, dass Tobias sich doch recht schnell mit dem Gedanken anfreundet, in der Zukunft gelandet zu sein, und das gar nicht mehr in Frage stellt. Hier beschränkt einen wieder das Konzept der Kurzgeschichte, aber es hat mich doch gewundert, dass seine Zweifel dann auf einmal wie weggeblasen waren (mir ist allerdings bewusst, dass es sich auch nicht schön liest, wenn der Protagonist ständig etwas a la "Aber das kann doch nicht sein! Nein, es muss eine rationale Erklärung geben!" denkt).

Ja, damit beschreibst Du genau mein Dilemma. In einem Roman hätte ich ihn noch mehr Erklärungs- und Lösungswege probieren lassen: Zeitung, Radio/TV, Handy; mal die nächste nicht evakuierte Stadt ansteuern usw. Das wäre nicht nur lang geworden, sondern ich hätte auch erklären müssen, warum ihm das nicht weiterhilft - oder die Story hätte einen ganz anderen Verlauf genommen, das wäre natürlich auch ein Weg. Aber ein Roman ist wohl für nächsten zwanzig Jahre erst mal keine Option.

Grüße vom Holg...

 

Hallo weltenläufer,

wie schon Kermit wusste: It ain't easy being green...

Ich hatte bereits eine Liste angelegt mit Hinweisen, dann aber aus Versehen den Tab geschlossen - und nun ist alles weg :mad:

Ich fühle mich beraubt! Das hätte ich natürlich gerne alles gewusst, aber Unfälle passieren...

Ab dem ersten Sternchen hapert es dann jedoch.

Oha, das ist früh...

Klar, du willst nicht zu viel verraten, aber futuristisch, avantgardistsch, Speisen nicht "ganz frisch" ... Das sind leere Worthülsen. Da kommen keine Bilder auf und es sieht nach Faulheit des Autors aus. Da braucht es Bilder. Gar nichts ausuferndes, aber etwas, das eben greifbar wird.

Hmmm... mir wird gerade bewusst, woran das liegt: Ich glaube, an diesen Stellen habe ich weniger als an anderen konkrete Bilder in meinem eigenen Kopf gehabt. D.h. ich habe nur so bildhaft geschrieben, wie ich es selbst gesehen habe. Kann sein, dass ich da gerade so im Schwung war und so viel auf einmal loswerden wollte, dass ich mir nicht die notwendige Zeit genommen habe. Das ist ein echt wertvoller Hinweis!

Dann kommt die Idee mit dem Zeitsprung. Idee ist ja gut, aber es ist schon echt eine herausforderung, diesen Prozess, der im Kopf des Prots in Gang gesetzt wird, glaubhaft darzustelen. Ich finde, dir gelingt das nur halbherzig. Er arrangiert sich ja recht fix mit der Umkrempelung seiner Welt.

Siehe meine Antwort an Krizzle. Ich wollte ja auch mit der Story vorankommen. Ist wohl eine Gratwanderung.

DIe Auflösung dann, naja. Das ist so wie eine Geschichte mit einem Zeitungsausschnitt enden zu lassen.

Lustig, dass Du das mit dem Zeitungsausschnitt schreibst. Habe ich genau so in einer früheren Geschichte (noch nicht veröffentlicht) gemacht und war selbst unzufrieden damit. Der Schluss ist aber auch immer das Schwierigste.

Grüße vom Holg...

 

Hallo Incredible Holg,

Willkommen im Forum! Mir hat dein Debüt auch gut gefallen. Es ist eine schöne Idee und es hat Spaß gemacht, die zu lesen. Kritikpunkte habe ich eigentlich nur auf der Mikroebene, so ein paar einzelne Sätze oder Formulierungen, die ich verbesserungswürdig finde. Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass sich zwischen deinen ersten Schreibversuchen und deiner ersten veröffentlichen Geschichte schon einiges getan hat. Ich glaube das ist ein sehr guter Zeitpunkt für dich, hierher zu kommen - das Grundhandwerkszeug ist schon ziemlich gut entwickelt, aber beim Feinschliff kann sich noch einiges tun. Dafür ist das Forum optimal. :)

Was Tags betrifft - Horror, Seltsam und Spannung wären alle nicht verkehrt, aber ich glaube, Science Fiction ist schon das Passendste. Grundsätzlich gibt es da aber keine sehr strengen Regeln, das einzige ist eigentlich, dass der "Kinder" Tag wirklich für Texte gedacht ist, die FÜR Kinder sind, (und nicht für irgendwelche Horrorstories, in denen Kinder vorkommen oder so). Ansonsten kannst du da im Prinzip wählen, was du für passend hältst, und bis zu drei für eine Geschichte auswählen :)

Wie schon gesagt, an der Handlung und dem Aufbau der Geschichte gibt es für mich nicht viel auszusetzen. Ich fand es zwar ein bisschen schade, wie die Geschichte endet, weil es schon spannend gewesen wäre, wenn Tobias überlebt hätte, wie er mit diesem Wissen über den drohenden Atomschlag in zehn Jahren umgeht und wie sich das weiter entwickelt. Aber wenn du in diese Richtung gegangen wärst, hätte das Ganze viel länger werden müssen und die ganze Zeitsprungsache wäre zu einem Nebenschauplatz geworden. Und ich fand das Ende schon ziemlich effektiv - wie man erst noch so einen Hoffnungsschimmer hat, dass der Pathologe sich aus dem Flyer etwas zusammenreimen könnte, und dieser letzte Hinweis sich dann auch noch in nichts auflöst. Das hätte eine nette Outer Limits-Folge oder so was abgeben können. :)

Gut, dann komme ich mal zum Textkram:

Endlos erstreckte sich die A 31 vor seiner Motorhaube.
A31 - ohne Leerzeichen

Den letzten LKW hatte Tobias wohl vor mindestens einer Viertelstunde überholt.
Das "wohl" ist so ein Füllwort, das ich überflüssig finde. Das ist ja aus Tobias' Sicht erzählt, da finde ich es schon deutlich genug, dass das seine Einschätzung ist.

Das war nun tatsächlich etwas krass.
Ich denke nicht, dass dein Protagonist zu alt ist für das Wort krass, aber ich finde die Formulierung trotzdem nicht optimal. Denn "krass" drückt ja ein Extrem aus, und "etwas" ist ein abschwächendes, relativierendes Wort. Zusammen klingt das so ähnlich wie "ein bisschen schwanger". Also ich würde statt krass eher so was wie eigenartig oder merkwürdig schreiben.

Aber er fuhr diese Strecke zu selten, um sich die Frage selbst beantworten zu können.
Das geht auf jeden Fall kürzer und knackiger. Dieses "sich selbst" macht die Formulierung unnötig schwerfällig, finde ich. "um die Frage beantworten zu können" wäre doch auch okay, oder "um das zu beantworten."

Verflixt, hier war es fast ebenso einsam wie auf der Straße.
Verflixt hat für mich einen etwas altmodischen Klang, vielleicht weil das so ein Wort ist, was gerne genommen wird, damit im Nachmittagsprogramm keine richtigen Flüche vorkommen. :)

Er hatte - auf welche mysteriöse Weise auch immer - einen Sprung um genau zehn Jahre in die Zukunft gemacht.

Und damit war auch schon die zentrale Frage gestellt: Auf welche rätselhafte Art und Weise war dieser Zeitsprung geschehen?

Das ist zwar mit etwas Abstand und auch nicht ganz gleich formuliert, aber es wirkt auf mich trotzdem wie eine Wiederholung.

Tobias zauderte.
Das ist auch nur so ein Bauchgefühl, aber "zauderte" klingt für mich altmodischer als "zögerte", es passt irgendwie nicht ganz in eine SciFi-Geschichte.

Er gab sich einen Ruck und fasste einen Entschluss.
Das Fette würde ich weglassen, finde ich überflüssig. Wozu sollte er sich sonst einen Ruck geben?

"Ich schwöre Ihnen, Herr Wachtmeister", beharrte Erik Sager,
Hmm, das ist wieder so was, wo mein Bauchgefühl sagt: altmodisch. In Krimis sind das höchstens noch alte Omas, die "Herr Wachtmeister" sagen. Kann auch bloß mein subjektiver Eindruck sein.

Von Kampen hielt sich nicht lange mit diesem Gedanken auf. Er hatte heute noch zwei weitere Obduktionen vor sich, von denen mindestens eine weitaus spannender war als eine Kollision auf der Autobahn. Ein mutmaßlicher Giftmord, das hatte immerhin Stil!
Ich mochte den Pathologen (oder Rechtsmediziner, wie auch immer). Irgendwie habe ich auch in Krimis immer eine Schwäche für die, Klischee hin oder her. :) Auf jeden Fall wollte ich das lobend hervorheben, dass du der Figur so ein bisschen Charakter gegeben hast, obwohl die Geschichte schon fast zuende ist. Nachdem die Hauptfigur verstorben ist, ist das echt gut, dass man als Leser noch eine Figur hat, die das Interesse wach hält.
In so einem Fall finde ich Klischees nützlich, man hat da ja nicht den Raum, um da eine differenzierte Charakterstudie einzubauen, das ist eine Nebenfigur, die da sozusagen den Rest der Geschichte abwickelt. Aber es macht halt schon was aus, wenn die trotzdem ein bisschen Farbe hat.

Grüße von Perdita

 

Hallo Perdita,

schön, dass Dir meine kleine Geschichte gefallen hat; und auch, dass Du meinen Pathologen magst. :)

Deine Hinweise finde ich größtenteils sehr treffend, die werde ich mir zu Herzen nehmen. Folgende Punkte möchte ich kurz aufgreifen:

  • A31 vs. A 31: Neben den Streckenverläufen des ostfriesischen Autobahnnetzes habe ich tatsächlich auch die Notation ausführlicher recherchiert, als ein Mensch bei klarem Verstand das tun würde. Das Ergebnis war uneinheitlich. Auf Straßenschildern steht i.d.R. kein Leerschritt, aber da ist auch der Platz knapp. Der Duden scheint ebenfalls die Leere zu fürchten, aber eine klare Regel habe ich dort nicht gefunden. Die Mehrheit der "ernsthaften" Webseiten (und auch Wikipedia) scheint aber durchgängig Mut zur Lücke zu haben. Den Auschlag hat mir dann das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gegeben.
  • Wachtmeister: Vor ewigen Zeiten habe ich mal irgendwo (Bastian Sick?) eine längere Erörterung dazu gelesen, wie man eigentlich Polizisten anreden sollte. In den USA sagt man "Officer" und liegt nie falsch, aber bei uns scheint ein solcher neutraler Begriff zu fehlen. Wohl dem, der die Schulterpolster der Uniformen lesen und den grünen Engel korrekt als "Herr Polizeihauptmeister A 9 mit Amtszulage" ansprechen kann. Ein ähnliches Problem (nur ohne Dienstgrade) haben wir ja mit der Bedienung im Restaurant. "Hallo Fräulein!" soll man heute wohl nicht mehr rufen, aber was ist der Ersatz?
  • Fehler von Protagonisten: Der "Wachtmeister" ist natürlich ein schönes Beispiel dafür, dass nicht der Autor, sondern nur eine seiner fiktiven Personen einen sprachlichen oder sonstigen Lapsus begangen hat. Es liegt also gar nicht an mir. :)
Grüße vom Holg...

 

Ein mutmaßlicher Giftmord, das hatte immerhin Stil!

Komm ich um einen herum, der Torsten Sträter und zugleich die A 31 (incl. EL) kennt, SF hin oder her? Nee, ne,

lieber Holg,

und zudem geben Erstlinge mehr her, als man glaubt. Z. B., dass ein feiner Humor mitschwingt (siehe Eingangszitat). Und - geben wir es zu - die erste von Privaten fertiggestellte Autobahn hätte eine solche Geschichte verdient. Heute noch!, wenn man nach Emden will und in ein Gewirr von Baustellen gerät, als wäre die Bahn ein Jahrhundert altes Werk ...

Und sofort fällt der Hang zum Schulaufsatz mit seinen strengen Zeitregeln und der daraus folgenden Diktatur der Hilfsverben auf, wie in dem Fall:

Je länger Tobias sich umsah, desto mehr beschlich ihn das Gefühl, dass dieser Ort mitten aus dem alltäglichen Treiben heraus verlassen worden war.
"verlassen wurde" täte es schon, ohne größeren Schaden anzurichten

"Hallo? Ist hier irgendjemand?"[,] rief er erst zaghaft, dann lauter.
(Komma, weil der übergeordnete Satz rief er ..." weitergeht). Kommt öfters vor, schau noch mal durch!

Keine Antwort, wie erwartet. Nachdem er seine Frage dreimal in steigender Lautstärke wiederholt hatte, wurde ihm bewusst, dass seine Stimme einen fast verzweifelten Klang hatte.
Ist nicht falsch, aber zwomal das gleiche Hilfsverb, wo das zwote durch die Substantivierung eines Verbs erzwungen wird. Warum nicht "..., dass seine Stimme fast verzweifelt klang"? Und selbst das erste haben ließe sich einsparen durchs einfache Präteritum "wiederholte" ...

Und dann die Possessivpronomen. Wer hat da Angst um SEINE Besitzstände, der Autor oder der Prot?

... dorthin wollte er auch wieder zurück: zu seiner Frau und den Kindern, zu seinem Job in der Firma seines Vaters, die er bald zu übernehmen hoffte, zu seinen Freunden, mit denen er donnerstags immer Squash spielte - kurz: zu seinem Leben.

Was, wenn das keine Sinnestäuschungen aus Müdigkeit gewesen waren?
Hier reduziert der Konjunktiv "wären" die Hilfsverben um die Hälfte ...

Konnte es sein, dass ein Zeitsprung so aussah und sich so anfühlte? Woher sollte man das wissen
...? Hastu so drin mit den Auslassungspunkten ... Müsstestu also auch noch mal durchgehn.

Tobias dachte noch eine Weile angestrengt nach, aber ihm fiel keine andere Gelegenheit ein, bei der sich sein Zeitsprung ereignet haben konnte. Es sei denn, dies wäre völlig unbemerkt geschehen, dann konnte es irgendwann und irgendwo gewesen sein. Aber das würde ihm nicht weiterhelfen. Dann also das Flimmern. Total spekulativ, natürlich, aber sein einziger Anhaltspunkt.
Die Ellipsen am Ende sind gut, aber "haben konnte", wo ein "ereignete" zum darauffolgenden Konjunktiv passte. Und wäre ein "nicht weiterhülfe" nicht viel eleganter als die würde-Konstruktion?

Die Einleitung

Was, wenn er
schreit nach dem Konjunktiv irrealis!, wäre, hätte sind angesagt, und hier wird's zwodeutig (was ich mag)
Und wenn er tatsächlich in seine Zeit zurückkehrte, was würde er dann tun?
"Zurückkehrte" Vergangenheitsform und doch bloße Möglichkeit! (Beim "Portal" geht's eigentlich im Konj. II weiter)


dunkelblondes[,] kurzes Haar
Komma zwischen gleichrangigen Adjektiven (bloße Aufzählung. Probe: Komma lässt sich gefahrlos durch ein "und" wie in jeder anderen Aufzählung ersetzen.

, mittelgroß bei leicht korpulenter Statur.
Sträters Torsten - na so was!

Gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Friedrichard schrieb:
Keine Antwort, wie erwartet. Nachdem er seine Frage dreimal in steigender Lautstärke wiederholt hatte, wurde ihm bewusst, dass seine Stimme einen fast verzweifelten Klang hatte.
Ist nicht falsch, aber zwomal das gleiche Hilfsverb, wo das zwote durch die Substantivierung eines Verbs erzwungen wird. Warum nicht "..., dass seine Stimme fast verzweifelt klang"? Und selbst das erste haben ließe sich einsparen durchs einfache Präteritum "wiederholte" ...

... nicht allerdings, ohne gleichzeitig den Satz geringfügig zu ändern.

Nachdem er wiederholte, wurde ihm bewusst ...

geht meinem Sprachgefühl nach nämlich nicht. Die Konjunktion nachdem drückt doch explizit die Vorzeitigkeit des Geschehens im ersten Satzteil aus. Eine zweimalige Verwendung des Präteritums würde aber eine Gleichzeitigkeit evozieren.

 

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