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Thema des Monats Retro-Russen

Seniors
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01.09.2005
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Retro-Russen

In Vitalis Zimmer stehen ein Bett und ein Nachttisch, sagte Eugen. Auf dem Tisch läge eine Bibel. Er nippte an seinem Bier. Ich sah Enten nach, die sich die Weser hinabtreiben ließen.
Die Flaschen im Rucksack klimperten, als ich mir eine dritte nahm. Ich hielt Eugen eine hin. Er schüttelte den Kopf. Er trank jetzt viel weniger.
„Bei welchem Siebzehnjährigen sieht denn das Zimmer so aus?“
Zur Antwort zuckte ich die Schultern, machte das Bier auf und dachte an unsere Zimmer von früher. In meinem lagen überall alte Skateboards, durchgebrochen und gesplittert. Alle bewahrten ihre Boards auf, um sie eines Tages an die Wand zu hängen wie Hirschgeweihe. Kaum einer machte es wirklich. Ich auch nicht. Stattdessen war ich irgendwann im ersten Semester übers Wochenende nach Hause gekommen und mein Vater hatte sie alle verbrannt, zusammen mit dem Grünschnitt. In NRW durfte man da schon kein Feuer mehr machen. Es hatte Ärger gegeben. Verwarnung, Bußgeld. Oder Ordnungsgeld. Egal, meine Boards waren weg.
Bei Eugen glänzten die Wände und die Möbel weiß, als wäre es ein Penthouse in New York City und nicht das Einfamilienhaus in der Luisenstraße, für das seine Eltern geschuftet hatten wie im Gulag, bei Bolte Systemtechnik an der Stanze. Und in der Verpackung.
Eugen hatte ein einziges Poster an der Wand. Wenn wir Play Station spielten oder Filme sahen und kifften, sah uns ein riesiger Tupac Shakur dabei zu, im Unterhemd, eine dicke Goldkette um den Hals, mit Tätowierungen, die auf der schwarzen Haut kaum zu erkennen waren. Wir hatten oft darüber geredet, ob es rassistisch sei, das mit den Tätowierungen anzumerken.
Einmal war Eugen raus zum Pinkeln, gerade als das Gras begann, mich paranoid zu machen. Ich hatte Angst, den Riesen-Tupac anzusehen, aber ich spürte, dass er mich ansah. Ich lief aus dem Haus, schnappte mein Fahrrad und fuhr nach Hause, die Hauptstraße entlang, die einsamen Feldwege meidend. Hinter mir hörte ich stampfende, schneller werdende Schritte, und statt „Fi Fei Fo Fam“ drohte eine Stimme so tief wie die Minen von Moria „Niggaz gotta watch they backs coz it's do or die“. Am nächsten Tag erzählte ich Eugen, mir sei schlecht geworden und ich sei so plötzlich gefahren, weil ich ihm nicht ins Zimmer hatte kotzen wollen.
Ich wohnte jetzt in der Innenstadt. Meine Eltern trockneten die Wäsche in meinem Kinderzimmer.
„In dem Alter hast du Phasen“, sagte ich. „Death Metal, Antifa, Haare grün. Und das ist dann eben seine. Er hätte auch Crystal Meth für sich entdecken können.“
„Ach.“ Eugen, machte eine ungeduldige Geste. „Das haben meine Eltern auch erst gesagt. Wenigstens nimmt er keine Drogen.“ Er ahmte den heftigen Akzent nach, mit dem er selbst schon längst nicht mehr sprach, rollte das ,r' in Drogen wie ein kirgisischer Mädchenhändler im Tatort.
„Stimmt doch“, sagte ich.
Eugen schüttelte den Kopf, heftiger als zuvor. „Das ist nicht lustig“, sagte er. „Ich weiß noch, wie es gerade angefangen hat. Ich war für Muttis Geburtstag zu Hause. Ich frage, wo Vitali ist, und mein Vater sagt, der sitzt mit seinen Freunden in der Küche, aber stör die jetzt nicht, die lesen aus der Bibel. Ich hab erst gedacht, das wäre ein Witz. Und dann sitzen die da in der Küche mit der scheiß Bibel! Nochmal ein paar Monate später sehe ich mein altes Zimmer und ich fühle mich wie im Kloster. Oder im Knast. Nur größer. Aber genau so leer.“
Eugen wusste, wovon er sprach. Mit seiner Mechatroniker-Ausbildung hatte er die Kurve gekriegt, aber davor hatte er in Hameln gesessen, ein ganzes langes Jahr.
„Mir wär es doch egal“, sagte er. „Wenn ihn das glücklich macht, bitte. Aber gib das mal bei Google ein, Mennoniten. Die sind wie 'ne Sekte. Bei Wikipedia steht, die sind so ähnlich wie die in Amerika. Die wie früher leben und Kutsche fahren und sowas.“
„Amisch.“
„Auf jeden Fall extrem irgendwie.“
Er wiederholte das mit dem Bett und dem Stuhl. „Das kann es doch nicht sein, in dem Alter.“
Enten. Drei große, keine Küken. Wir sahen ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren.
„Und meine Eltern sagen nichts“, sagte Eugen. „Wegen mir bestimmt. Wegen dem Saufen. Und dem Kiffen. Und den Schlägereien. Dass es klingelt und mein Vater macht im Unterhemd die Tür auf und dann steht da die Polizei. Als Vitali so vierzehn wurde haben sie bestimmt gedacht, die ganze Scheiße jetzt von vorne. Und dann waren sie froh, weil er sich in der Gemeinde engagiert und die Bibel liest. Schräg irgendwie, aber schön, weil deswegen keine Bullen kommen. Mit zwölf hat er noch meine alten Hip-Hop-Sachen gehört. Er hört jetzt gar keine Musik. Nur in der Kirche.“
Ich spürte, dass Eugen von mir eine Lösung des Problems erwartete. Er dachte, ich hätte sowas drauf, weil ich nach dem zweiten noch ein drittes Semester studiert und erst dann abgebrochen hatte. Aber ich war Einzelkind und von den Mennoniten wusste ich nur, dass die Frauen Röcke trugen und Strumpfhosen, lange Zöpfe und Kopftücher. Ihr Tempel war ein vierstöckiges Bürohaus neben dem E-Center. Unten war alles neu gemacht, oben waren die Fenster kaputt. Die Firma hatte irgendwelche Folien hergestellt und jetzt war sie pleite. Wahrscheinlich war das Internet schuld, war es ja immer eigentlich. Über dem Eingang stand Bethaus.
Ich griff in den Rucksack. Es war nur noch ein Bier übrig.
„Wollen wir uns das noch teilen?“, fragte ich.
Eugen schüttelte den Kopf. „Ich muss zurück zu meinen Eltern. Morgen kommt die Verwandtschaft. Wenn ich jetzt extra dafür herkomme und dann verpenne ich alles, gibt's Ärger.“

Am nächsten Tag klingelte das Telefon, spät am Abend. Ich hatte es auf ein Handtuch neben die Badewanne gelegt. Das Wasser war zu heiß. Der Puls pochte in meinem Ohr. Die Zunge fühlte sich schwer an. Ich wollte nicht reden. Eugen war dran.
„Bist du noch besoffen?“, fragte er. „Du klingst komisch.“
Ich entgegnete, ich sei gejoggt und liege nun in der Badewanne. „Wie war's mit der Verwandtschaft?“, fragte ich.
„Hölle. Ich hab mich mit Vitali geschlagen.“
„Was?“
„Eigentlich habe ich ihn geschlagen. Er hat nicht zurückschlagen, bestimmt wegen der anderen Wange und dem Mist. Ich glaube, ich kann nie wieder zu meinen Eltern. Hast du noch kurz Zeit und Bock?“
„Klar.“ Ich hatte zu lange gezögert, als dass es ehrlich hätte klingen können.
„Cool“, sagte Eugen. „Ich bin letzte Ausfahrt Brooklyn.“
Der Burger-King-Parkplatz also, benannt nach einer Romanverfilmung, die wir nie gesehen hatten. Mein Englischlehrer hatte die Klasse damit belästigt, und ich hatte blau gemacht, als er ihn zeigte. Stattdessen hatte ich mit Eugen bei ihm zu Hause Gras geraucht, während seine Eltern sich an der Stanze und in der Verpackung quälten. Eugen war vor Lachen Speichel über das Kinn gelaufen, als ich ihm davon erzählte, und er meinte, das sei ein Film über den Burger-King-Parkplatz, der sei die letzte Ausfahrt Brooklyn, wegen der Leute, die da immer rumhängen. Ich fand das gar nicht so lustig, aber der Name blieb trotzdem hängen.

Eugen lehnte neben der offenen Fahrertür. Er fuhr jetzt einen Audi, dunkel und seriös und weitgehend im Werkzustand, die Reifen nur ein bisschen breiter, das Fahrgestell nur einen Tucken tiefer. Sein Radio war laut, aber kein Vergleich zu denen der jungen Russen auf dem Parkplatz. Einige von ihnen waren noch nicht geboren, als Tupac erschossen wurde, aber sie hörten ihn trotzdem. Sie hörten Tupac. Wie nostalgisch, retro und auch ein bisschen furchteinflößend, Tupacs und meine gemeinsame Vergangenheit bedenkend.
Bei Eugen liefen die Nachrichten. Er kühlte seine Knöchel an einem Sundae-Eisbecher. Auf dem Boden vor ihm lag eine Schachtel mit einem angebissenen Burger darin.
Das Laufen und das Bad hatten mich ausgebrannt. Mein Metabolismus schrie nach Stoff zum Verfeuern. Einen Moment lang glotzten wir beide den Burger an, Wut in Eugens Augen, Sehnsucht in meinen.
„Onkel Michail ist schuld“, sagte er.
Mir war schlecht vor Hunger, aber es schien mir unhöflich, ihn jetzt noch um Geduld zu bitten, während ich schnell nochmal reinlief, um mir etwas zu essen zu holen.

Der Ablauf der Feier, wie Eugen ihn mir berichtete: Michail wollte trinken. Mit Eugen, mit dessen Vater, mit der Mutter, mit allen. Und alle tranken. Wodka aus der Heimat. Auch Eugen trank, einen kleinen im Schnapsglas, so wie er in Deutschland getrunken wurde. Er musste ja noch fahren. Michail akzeptierte das, angeblich.
Der Onkel wurde komisch, obwohl sonst alle mittranken. Immerhin stand da dieser Sohn des Bruders und seine Sorgen galten dem Führerschein, den sie Michail selbst längst abgenommen hatten. Und obendrein wurde ihm dann bewusst, dass das gar nicht stimmte, dass sonst alle mittranken. Da war Vitali, der Gott gefunden hatte, aber keinem so richtig sagte, wo man suchen musste.
Michail schenkte seinem Neffen ein und der lächelte. Er zwinkerte Vitali zu. Da könne kein Gott ernsthaft dagegen sein, ein paar Gläser mit der Familie, richtige Gläser. Was für ein Swinja-Gott wäre das? „Michail!“, schimpfte Eugens Vater. „Ja, ja, ja, alles gut“, sagte der Onkel.
Am Tisch in der verrauchten Küche sitzend kippte Michail den Wodka, der für Vitali gedacht war, selbst hinunter. Die Gespräche wurden leiser. Nach und nach verließen die Gäste die Küche, nahmen im Wohnzimmer Platz oder gingen in den Garten. In der Küche wurde geschwiegen und getrunken, bis nur noch Eugen und Vitali, ihr Vater und Michail übrig waren. Und eigentlich trank nur noch Michail. Eugens Mutter schaute kurz rein und fragte, ob alles in Ordnung sei. Alles gut, sagte ihr Mann.
Als er den Führerschein abgeben musste, hatte Michail dem Chef noch angeboten, eben nur in der Firma zu arbeiten. Etwas sei doch immer zu tun, auch ohne die Fahrerei. Die Lkw müssen gewaschen, Schrauben und Muttern überprüft und nachgezogen werden. Der Chef hatte das Angebot ausgeschlagen.
Michail begann zu weinen, wie immer, wenn er getrunken hatte. Dann sagte er, dass Gott nunmal ein Arschloch sei, sonst hätte er die Tschetschenen wohl nicht erschaffen.
Vitali sagte: „Gott hat dich nicht als Trinker erschaffen.“
"Vitali!", schrie Eugens Vater. „Es reicht jetzt, beide, meine Güte!“
Michail grinste schief. Dann sprang er auf und schleuderte den Hocker durch die Küche, auf dem er gesessen hatte. Der Hocker traf den Vater in den Bauch. Er sank auf die Knie und schnappte nach Luft.
Eugen stürzte sich auf Michail. Zu spät, um zu verhindern, dass der Onkel Vitali die Faust gegen die Brust rammte. Vitali stand einfach da und wartete auf den Schmerz, fast wie Jesus.
Eugen griff Michail mit links an dessen Hemdkragen und schlug ihm mit der rechten Faust viermal ins Gesicht. Michail blutete aus der Nase und von den Lippen und weinte. Zu Eugens Vater sagte er, er könne stolz auf seinen Sohn sein, weil der alte Männer verprügelt, denen das Leben sowieso schon alles genommen hat. Er schmierte den ganzen Kühlschrank mit seinem Blut voll, weil er sich noch eine Flasche Wodka rausnahm.
Eugen fluchte, trat gegen die Schranktür unter der Spüle und wollte dem Onkel hinterher ins Wohnzimmer. Vitali legte ihm die Hand auf die Schulter.
Eugen fuhr herum. „Alles in Ordnung?“, fragte er.
Vitali schüttelte den Kopf. „Das hättest du nicht tun dürfen“, sagte er. „Michail ist kein böser Mensch. Hurerei, Wein und Most nehmen den Verstand weg. Hosea 4:11.“

Eugen atmete tief ein und sah zum Himmel über dem Burger-King-Parkplatz auf, als müsste von dort jetzt irgendeine Reaktion kommen. „Kurzschluss“, sagte er. „War wie ein Reflex.“
„Was?“, fragte ich.
„Mann, was ich am Telefon gesagt habe. Ich hab' ihm eine reingehauen.“
Eugen rieb seine Fingerknöchel. „Hosea 4:11“, sagte er. „Ich helfe ihm gegen diesen Schwachkopf, und das bekomme ich dann dafür. Hosea 4:11. Ich hab's gegoogelt, das steht da wohl wirklich mit dem Most. Hätte mich aber nicht gewundert, wenn … Alter, isst du gerade den Burger vom Boden?“
Ich fuhr zusammen und hörte auf zu kauen. Langsam legte ich den Burgerrest zurück in die Schachtel. Ich hatte sie aufgehoben, während Eugen seine Knöchel studiert hatte.
„Der Burger war nicht auf dem Boden“, sagte ich. „Der war die ganze Zeit in der Schachtel.“
Eugen zeigte mir einen Vogel. „Alter, du sammelst den Müll vom Boden auf und isst ihn! Das ist letzte Ausfahrt Brooklyn, das und mein Bruder und dieser Asi Michail!“
„Ich hatte Hunger und nochmal, ich habe ihn ja nicht direkt vom Boden gegessen. Ob die Schachtel auf einem Tisch steht oder auf dem Parkplatz, wo ist denn da der Unterschied? Den Burger berührt doch nur der Pappkarton.“
„Würdest du ihn auch essen, wenn die Schachtel auf Scheiße steht?“
„Bitte?“
„Sag doch einfach.“
„Ich weiß nicht, wozu.“
„Einfach so, aus dem Bauch. Würdest du?“
„Das ist doch Quatsch.“
„Aber würdest du?“
„Nein!" Ich schleuderte den Karton mit dem letzten Bissen Burger über den Parkplatz. „Nein“, wiederholte ich ruhig. „Ich würde einen Burger nicht essen, wenn er aus einer Schachtel kommt, die auf Scheiße steht.“
„Ach“, sagte Eugen. „Und was meinst du, wie viele Hunde schon auf diesen Parkplatz geschissen haben?“
„Ich hab ihn ja weggeworfen.“
„Dass du ihn überhaupt erst aufgehoben hast.“
„Wo ist das Problem? Er lag noch in der Schachtel und hier hat auch keiner hingeschissen, und ich hatte Hunger und du offensichtlich nicht!“
„Mir ist der Appetit vergangen.“
„Mir aber nicht.“
„Ey.“
Eine tiefe, morieske Stimme. Sie sprach im derben Akzent, den Eugens Vater hatte, und den vermutlich auch Onkel Michail hatte: „Welche von euch zwei Schwuchteln hat das gerade geworfen?“
„Das geht dich einen Scheiß an“, sagte Eugen, ohne den Fragenden dabei anzusehen. Ich sah ihn an. Er hatte ein fieses kantiges Russengesicht und an seiner Lederjacke klebte eine Scheibe eingelegte Gurke. In der Hand hielt er die jetzt leere Burgerschachtel.
Eugen spuckte auf den Boden und sagte etwas auf Russisch. Der Angesprochene reagierte mit einem Schwinger. Eugen ging sofort zu Boden. Der Angreifer begann auf ihn einzutreten. Drei Freunde des Schlägers kamen herbeigelaufen. Ich dachte einen sehr theatralischen Gedanken: Wir sind verloren.
Genau wie Eugen ein paar Stunden zuvor hatte ich einen Kurzschluss im Kopf. Ein Moment des Mutes, von dem ich bereits ahnte, dass er mir zum Verhängnis würde, bevor er geschehen war.
Ich schubste den Ivan von hinten. Da er gerade das Bein zum Tritt schwang, wäre er fast hingefallen. Etwas stieß in meinen Rücken und holte mich von den Füßen. Der stolpernde Russe vor mir machte einen schnellen Schritt zu Seite. Damit gab er den Weg zum Autodach frei, an dem mein Nasenbein brach. Ich sah Schwärze, in der dunkle Blitze zuckten. Etwas drückte in mein Gesicht und die Blitze hörten auf.

Ich saß auf einer Bank, ein gutes Stück vom Eingangsbereich des Krankenhauses entfernt, rauchend. Über der Nase hatte ich ein dickes, verstärktes Pflaster. Sie war gar nicht richtig gebrochen. Prellungen, Schürfwunden, verletzter Stolz. Alles tat weh, vorne weg meine Nase, aber eigentlich hatte ich Glück gehabt.
Ich trat die Zigarette aus und zündete mir gleich eine neue an. Ich atmete schwer durch den Mund, als hätte ich eine schlimme Erkältung. Jemand ging vorbei in Richtung Krankenhaus. Die Augen schwollen mir zu, aber ich erkannte ihn trotzdem. Er mich auch.
Der Ausdruck in Vitalis Gesicht ließ mich ahnen, wie ich aussah. Er deutete auf seine Nase und glotzte meine an. „Hat mein Bruder auch so viel abbekommen?“
„Mehr.“ Meine Stimme klang nasal, als würde ich für Kinder eine Ente imitieren. „Glaube ich. Ging ziemlich schnell.“
Vitali nickte. „Ja, meistens ist das so.“ Er hatte rote Flecken im Gesicht, leicht geschwollen, aber nichts war geplatzt. Eugen konnte es nicht ernst gemeint haben.
„Warum bist du eigentlich hier?“, fragte ich.
„Leute von früher“, sagte Vitali. „Haben mich angerufen. Meinten, sie seien nicht sicher, aber wahrscheinlich sei er's. Und dass es ziemlich übel gewesen sein soll. Ich wollte auf dem Handy anrufen, aber er geht nicht dran. Ich glaube, er hat's aus.“
Ich wunderte mich, dass er ein Handy hatte, wo er doch nicht mal Musik hören durfte.
„Wir haben uns da auf dem Parkplatz unterhalten und auf einmal kamen diese Typen angeschissen“, sagte ich.
Vitali nickte. „So passiert das, ja“, sagte er. „Mein Bruder hat es früher nicht anders gemacht.“
„Hat er ja auch die rote Karte für bekommen.“
„Das reicht vor den Menschen, aber nicht vor Gott.“
Ich zuckte zusammen, weil mein Lachen einen scharfen Schmerz von der Nase hoch in die Stirn schickte. Vitali lächelte, wie man über ein Kind lächelt, das etwas Dummes sagt. Nicht, weil es dumm ist, sondern weil es noch nicht lange genug auf der Welt ist, um bestimmte Dinge zu wissen.
„Rauchen ist übrigens ungesund“, sagte er.
„Ich muss mir gleich noch welche kaufen“, erwiderte ich trotzig.
„Und ich gehe jetzt rein, denke ich.“ Sein Entschluss enttäuschte mich. Eugen war Familie und ich eben nicht, aber dass er so schnell weiter wollte, gab mir das Gefühl, ich sei es gar nicht wert, gerettet zu werden.
„Pass auf, dass du dir nicht wieder eine fängst“, sagte ich.
Er grinste, hob die Hand zum Gruß und ging Richtung Eingang. Meine Nase tat jetzt so weh, hätte er sie durch Handauflegen geheilt wäre ich mit ihm gegangen, Halleluja rufend, Erwachsenentaufe im Schwimmbecken, Kutsche fahren, Festplatte mit Musik wegschmeißen, nur noch im Bethaus abhängen, jeden Tag, so als wäre das die letzte Ausfahrt und nicht der Burger-King-Parkplatz.

 

Yo Proof!

Hm, irgendwie kickt deine Geschichte nicht so richtig bei mir. Sie ist gut geschrieben, liest sich angenehm und der Stil ist gut. Die ständigen Wiederholungen bzgl. TuPac und Vergleiche zwischen den allseits berüchtigten Russland-Deutschen, Klischee-Schlägern und Säufern lassen ein sehr plastisches Gefühl der Antriebs- und Hoffnungslosigkeit aufkommen. Diese typsiche Generation, die zwischen Ostblock-Tradition und modernem Westen festklemmt. Vitali mit seinem Kirchentick schlägt da ja ins andere Extrem und aus der stereotypen Art - gut charakterisiert vor allem die Probleme, die Eugen damit hat.
Wie gesagt, gut geschrieben und gut strukturiert - und trotzdem fehlt jedenfalls für meinen bescheidenen Geschmack das gewisse Etwas. Der Punkt, wo ich mir sage: "Ja, und jetzt?" Für eine Fingerübung finde ich die Story zu gut und detailliert, aber zum Nachdenken regt sie mich persönlich nicht an. Vielleicht deshalb, weil mir sowohl der Prot mit seiner Kiffer-Oberflächlichkeit, als auch Vitali mit seinem Betjulen-Verhalten ziemlich am Allerwertesten vorbei gehen. Allenfalls für Eugen kann ich mich erwärmen. Außerdem finde ich dieses ganze Gangstaaa-Rappaaa-Boyz-Getue außerhalb der Bronx ehrlich gesagt ziemlich lächerlich.;) Aber gut, das tut der Geschichte ja keinen Abbruch.

Wie gesagt - gut geschrieben, aber von der Handlung her fand ich die Story irgendwie... "gewöhnlich", wenn man so will. Nicht langweilig, aber jetzt auch keine literarische Party-Granate:).

Anyway, viele Grüße vom Eisenmann

 

Hallo Proof,

Ich hatte die Geschichte schon gelesen, als sie neu eingestellt war, konnte mich aber noch nicht zu einem Kommentar durchringen, weil sie zwar gut geschrieben ist, mich aber nicht fesselt. Heute habe ich dann mittendrin leider wieder abgebrochen, weil sie nicht wirklich anders geworden ist nach deiner Überarbeitung. Nicht böse sein, das liegt an meinen Empfindungen, anderen gefällt sie besser.

Hier habe ich aber noch ein paar Anmerkungen:

„Denk an das Pfand. Die freuen sich.“

Ich hätte mich jetzt mit gestritten, bis ich im Duden nachgeschaut hatte. Bei uns in Sachsen sagen nur Ausländer das Pfand, und damit meine ich auch Nordrhein-Westfalen etc. :D

In NRW durfte man da schon kein Feuer mehr machen.

Ich weiß nicht warum, aber hier stört mich die Abkürzung.

„Der Vollidiot“, sagte Eugen. Michail habe den Kopf geschüttelt und Eugens Vater vorwurfsvoll angesehen. Der Vater zuckte die Schultern.

Das Fette sollte im PQP stehen, sonst kommen die Zeiten durcheinander. Mich hat das beim Lesen rausgehauen. Ich empfinde, dass der ganze Teil, den Eugen nicht selbst erzählt, nicht im Präteritum passt. Das klingt, als seinen die beiden gerade mit dabei. Außerdem finde ich die Stelle etwas zu langatmig.

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo Proof,

Deine Geschichte liest sich für mich wie eine Abfolge von Szenen, in denen zwar die gleichen Personen mitspielen, die aber sonst kaum miteinander zusammenhängen. Vielleicht sind auch Rückblenden dabei, aber die waren für mich kaum zu erkennen.

Da ich einige Zeit in einem Ort mit einem großen russlanddeutschen Anteil gelebt habe, habe ich manche Geschehen schnell nachvollziehen können. Bei dem Konflikt zwischen Vitali und den anderen fehlt mir aber noch die altgläubige (Ur-) Großmutter.

Szenen aus dem Ghetto könnte man Deine Geschichte nennen. Aber halt Szenen - das Leben plätschert so ohne Aussicht, ohne Ziel dahin. Wenn Du das darstellen wolltest, ist es Dir gelungen. Aber ob man dieses Stimmungsbild eine Geschichte nennen kann?

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Proof,

ich habe den Anfang sehr konzentriert gelesen und fand es teilweise schwierig, reinzukommen. Dein Stil hat zwar was sehr lässiges, aber für mich als Leser wird es auch kompliziert.

Das fängt beim ersten Satz an, um dir das an einem Beispiel zu verdeutlichen:

Ein Bett und ein Nachttisch, darauf eine Bibel. Eugen wiederholte es, dann nippte er an seinem Bier. Ich sah Enten nach, die sich die Weser hinabtreiben ließen.
Die Flaschen im Rucksack klimperten, als ich mir eine dritte nahm. Ich hielt Eugen eine hin. Er schüttelte den Kopf. Seit einer halben Stunde nuckelte er an diesem letzten Rest, den die meisten wegschütten, weil er fast nur noch aus Rotz besteht.
„Bei welchem Siebzehnjährigen sieht denn das Zimmer so aus?“

Erst sieben Sätze später bekomme ich überhaupt eine Ahnung davon, was der Eingangssatz soll. Ich eiere da zwischen Bildbeschreibung eines Fotos, dem Wortspiel: "ich packe in mein Köfferchen" bis zu einem Buchtitel hin und her. Sowas finde ich anstrengend.

Oder hier:

Bei Eugen glänzten die Wände und die Möbel weiß, als wäre es ein Penthouse in New York City und nicht das Einfamilienhaus in der Luisenstraße, für das seine Eltern geschuftet hatten wie im Gulag, bei Bolte Systemtechnik an der Stanze. Und in der Verpackung.
Der fette Satz hing bei mir erstmal in der Luft, bis ich ihn der Arbeit zuordnen konnte. Das ist für mich zu schlampig geschrieben. In einem Satz ginge das noch, aber nicht als eigenständiger. Das haut mich raus als Leser.

Mit der Zeit merkte ich, dass ich nicht mehr konzentriert gelesen habe, weil mich die Thematik einfach nicht gepackt hat, dazu war mir das alles zu plätschernd. Dann fing ich an, quer zu lesen. Deshalb kann ich dir für die gesamte Geschichte kein Feedback geben, aber ich finde es wichtig, dass man sowas ein Lese-Erlebnis auch gesagt bekommt, wenn es natürlich alles andere als erfreulich ist. :shy:

Liebe Grüße
bernadette

 

Moin und Frohes Fest noch!

Eisen:

aber zum Nachdenken regt sie mich persönlich nicht an.

Mit seinen Geschichten zum Nachdenken anregen wollen ist aber auch so ähnlich wie anspruchsvoll schreiben. So literarischer Landfrauenzirkel in der Stadtbibliothek, Germanistik-Studenten im zweiten Semester etc.. Nee, in erster Linie will ich immer nur erzählen, unterhalten eigentlich. Wer da später was rauszieht, das überlasse ich jedem selbst. Mich nervt das auch, wenn Leute mir den Sinn des Lebens beibringen wollen. Autoren eingeschlossen. Insofern bin ich selbst stets bemüht, anderen mit meiner vermeintlichen Lebensweisheit nicht auf den Sack zu gehen.


der Prot mit seiner Kiffer-Oberflächlichkeit,

Man erfährt nicht viel über ihn. Da habe ich wohl was versäumt und zuviel übers Rauchen geschrieben, wenn die Geschichte tatsächlich mehr Leute zu diesem Urteil bringt.


Außerdem finde ich dieses ganze Gangstaaa-Rappaaa-Boyz-Getue außerhalb der Bronx ehrlich gesagt ziemlich lächerlich

Ein Riesen-Tupac direkt von der Bohnenranke und eine Scheibe Gurke auf der Gangsterjacke. Klar, man kann den ironischen Bruch noch dicker machen, aber irgendwann wird's dann zur Farce. Bei meinem Humor muss ich sowieso immer aufpassen, nicht ins Alberne abzugleiten.


khnebl:

weil sie nicht wirklich anders geworden ist nach deiner Überarbeitung.

Das, äh ... wird damit zusammenhängen, dass ich noch gar nix dran gemacht hab. :)

Das Pfand ... kommt bei mir eigentlich auch mit "der". Keine Ahnung, was die Figur da reitet. Vielleicht will sie den Kumpel beeindrucken.


Ich empfinde, dass der ganze Teil, den Eugen nicht selbst erzählt, nicht im Präteritum passt. Das klingt, als seinen die beiden gerade mit dabei.

Mit dem Stück hatte ich zugegebenermaßen die meisten Bauchschmerzen. Diese Art zu erzählen, das Hin und Her zwischen direkter und indirekter Rede zweier Figuren plus der Sichtweise eines allwissenden Erzählers, das hat sich beim Schreiben so ergeben und hinterher fand ich's einfach saucool. Da ist schon recht viel abgeschliffen, so an Parts, von denen ich spürte, dass sie für Verwirrung sorgen würden. Werde ich wohl nochmal rangehen. Und kürzen ist vermutlich auch nicht die schlechteste Idee.


Jobär:

Deine Geschichte liest sich für mich wie eine Abfolge von Szenen, in denen zwar die gleichen Personen mitspielen, die aber sonst kaum miteinander zusammenhängen.

Aber woran machst du das fest? Du hast Weser, Feier, Parkplatz, Krankenhaus, die optisch voneinander getrennt sind. Die Redenden nehmen Bezug auf Vorangegangenes ("Hat mein Bruder auch so viel abbekommen?“). Wie sollen diese Szenen nicht miteinander zusammenhängen?


Aber ob man dieses Stimmungsbild eine Geschichte nennen kann?

Da handeln Personen und ihre Handlungen haben Konsequenzen (zum Beispiel Nase kaputt). Was soll daran nicht Geschichte sein? Stimmungsbild klingt so nach diesen Dingern, bei denen eine Figur rauchend am Fenster steht und beim inneren Monolog über das Dasein im Allgemeinen und Besonderen sinniert. Draußen regnet es selbstredend in Strömen. Dann: Ein dreibeiniger Hund, der beim Versuch, eine Straßenlaterne anzupinkeln immer wieder auf die Schnauze fällt. Aber auch immer wieder aufsteht!


Bernadette:

Ich habe hier natürlich ganz gut herumexperimentiert und mag dabei an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinaus geschossen sein. Nun hast du dir aber ausgerechnet zwei Dinger rausgesucht, die ich echt langelangelange betrachtet und sie dann sehr bewusst genau so geschrieben habe, wie sie in der Geschichte stehen.

Der Satz mit Bett und Stuhl war so der erste Funken in meinem Kopf, der zur Story geführt hat. Vielleicht setze ich ihn noch in die wörtliche Rede, das könnte es etwas klarer machen. Und die sechs Sätze bis zur Auflösung sind wahrscheinlich echt zu lang.

"Und in der Verpackung" gab es erst gar nicht und dann nach einem Komma, also in der herkömmlichen Form. Spaßeshalber habe ich dann dieses Arhythmische da reingebaut, und mit jedem Mal lesen hat es mir einfach immer besser gefallen. Für mich ist das wie eine akustische Rückkopplung, etwas eigentlich Unschönes, das bewusst als Teil des Stücks eingesetzt wird. Aber ist wohl legitim, es nur unschön zu finden.


weil mich die Thematik einfach nicht gepackt hat

Das ist doof und tut mir leid, aber es ist schwierig, darauf zu reagieren. "Thema juckt mich nicht" ist ja im Grunde wie "Das finde ich nicht gruselig/witzig". Muss man halt akzeptieren. Vielleicht beim nächsten Mal wieder.


Vielen Dank für Eure Kommentare, Kritiken und Anregungen!

Restweihnachtliche Grüße
JC

 

Hallo Proof

wieder so ne lange Geschichte :) und das ist auch der wesentliche Kritikpunkt, den ich habe. Viel zu lang. Motive, die sich wiederholen, manchmal ohne Sinn. TuPac, die ganze Sauferei und Kifferei...
Dabei gefällt mir die Geschichte. Nostalgische Erinnerung an das Coming of Age bei Deutsch-Russen.
Denn das erwähnst du nicht: du sprichst über Deutsch-Russen. Richtig echte Russen sind eher Atheisten und feiern richtig :) (zumindest kenne ich das so von meiner Petersburger Verwandschaft)...
Richtig gut wäre der Text, wenn du ihn kürzt, deutlich kürzt. Guter Tonfall, guter Rhythmus. Im jetzigen Zustand ist er nur teilweise unterhaltsam und manchmal etwas nervig.

Ein paar Stellen, die mir aufgefallen sind:

nuckelte er an diesem letzten Rest, den die meisten wegschütten, weil er fast nur noch aus Rotz besteht.
hä? :)

Alle bewahrten ihre Boards auf, um sie eines Tages an die Wand zu hängen wie Hirschgeweihe. Kaum einer machte es wirklich. Ich auch nicht.
das ist stark:)

den wir nie gesehen hatten, der auf einem Roman von Hubert Selby basierte, was uns aber egal gewesen wäre, wenn wir es gewusst hätten.
klingt unlogisch mit dem Konjunktiv 2 und ein bisschen wie Bildungsgequatsche...

Eugen lehnte neben der offenen Fahrertür. Er fuhr jetzt einen Audi, dunkel und seriös und weitgehend im Werkzustand, die Reifen nur ein bisschen breiter, das Fahrgestell nur einen Tucken tiefer.
wow: das ist echr russisch :)

Hurerei, Wein und Most nehmen den Verstand weg. Hosea 4:11.“
da brauchst du nicht die Bibel zitieren :) übrigens: sind das Orthodoxe? dann fehlt der Priester, der mitsäuft...

Ich schubste den Ivan von hinten.
aha: jetzt kommen die richtigen Russen :)

Meine Nase tat jetzt so weh, hätte er sie durch Handauflegen geheilt wäre ich mit ihm gegangen, Halleluja rufend, Erwachsenentaufe im Schwimmbecken, Kutsche fahren, Festplatte mit Musik wegschmeißen, nur noch im Bethaus abhängen, jeden Tag, so als wäre das die letzte Ausfahrt und nicht der Burger-King-Parkplatz.
starker Schluss :)

kennst du den Winter-Wodka? den legst du in den Gefrierschrank und dann schmeckt er fast schon sirupartig ...
viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

Viel zu lang.

Ich habe jetzt erstmal so drei Seiten rausgehauen.


du sprichst über Deutsch-Russen

Das benutzt ja kaum einer. Die sind denke ich in einer ähnlichen Situation wie in Deutschland aufgewachsene Kinder von eingewanderten Türken, wenn sie in die Türkei fahren: Sind immer die anderen, nicht von hier, egal wo.

ein bisschen wie Bildungsgequatsche...

Ist es auch, kommt vom Englischlehrer. Hab das nochmal leicht anders formuliert.


Guter Tonfall, guter Rhythmus.

Danke!


kennst du den Winter-Wodka? den legst du in den Gefrierschrank und dann schmeckt er fast schon sirupartig

Ich trinke so gut wie keinen Hartbölk, da bin ich sehr unautorig. Klingt aber nach einem interessanten Experiment. Werd mal im Russen-Markt um die Ecke nach fragen ...


Danke für deine Eindrücke, Tipps und fürs Lesen sowieso!

Grüße
JC

 

Hallo Proof,
ich hab mich grad etwas erschrocken, denn mir gings ganz ganz anders als den anderen Kommentatoren, ich finde die Geschichte sehr gut, sehr doppelbödig und überraschend in ihren diversen Ebenen, und kam jetzt grad angesichts der anderen Komms an mir selbst ins Zweifeln. Aber scheiß der Hund drauf, ich bleib dabei, ich find die Geschichte nun mal gut, ich find sie nur an ein paar Ecken sprachlich ausnahmsweise mal stolperig. Vielleicht weil du was Neues ausprobiert hast (hab ich bissel so verstanden, was die Stelle mit dem auktorialen Erzählen betrifft und dem Indirekten).

Ich zeig dir auch gleich mal, wo ich das finde, kann aber auch sein, dass ich demnächst mal abgerufen werde zum Bötchen fahren, dann mach ich ein Edit. Okay? Kuck einfach später noch mal nach.

Ich fang erst mal mit dem Inhalt an:
Warum gefällt mir die Geschichte inhaltlich? Weil ich finde, dass du erstens die Beziehung zwischen den beiden Kumpels gut ausgearbeitet hast. Man merkt, wie der Prot sich mit dem Eugen vergleicht und ihn trotz seiner Knastvergangenheit beneidet. Er sieht den Eugen auf dem Weg nach oben und sich tendenziell auf dem nach unten. Die Szene mit dem Burger find ich da sehr cool gemacht. Und er beneidet den Eugen um seine Familie - speziell um sein Verhältnis zu dem Bruder. mAN merkt das (find ich) nicht gleich, aber es ist total da. Und das mag ich. Auch das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern ist so, dass man sieht, die lassen sich nicht im Stich, komme was da wolle und wenn sie noch so sehr wie Tag und Nacht sind. Und auch darauf ist der Prot neidisch/eifersüchtig - oder besser traurig, dass er das nicht hat. Er würd sogar gerne gerettet werden.
Auch die Tupac-Chose als Identifikationsfigur, ich weiß nicht, mir gefiel auch das, ich hab auch noch gar nicht so oft in Geschichten gelesen, dass Tupac so häufig verwendet worden wäre. Also - mir gefiels.

Und jetzt zum Sprachlichen: Und naja, was soll ich sagen, da gibts aber ein paar Stellen, die find ich echt nicht so gelungen.
Kuck mal zum Beispiel hier:

Der Burger-King-Parkplatz also, benannt nach einem Film, den wir nie gesehen hatten, der auf einem Roman von Hubert Selby basierte, was uns aber egal war. Mein Englischlehrer hatte die Klasse damit belästigt, und ich hatte blau gemacht, als er ihn zeigte. Im Medienraum, der so hieß, weil ein Fernseher und ein Videorekorder darin standen. Stattdessen hatte ich mit Eugen bei ihm zu Hause Gras geraucht, während seine Eltern sich an der Stanze und in der Verpackung quälten. Eugen war vor Lachen Speichel über das Kinn gelaufen, als ich ihm davon erzählte, und er meinte, das sei ein Film über den Burger-King-Parkplatz, der sei die letzte Ausfahrt Brooklyn, wegen der Leute, die da immer rumhängen. Ich fand das gar nicht so lustig, auch weil wir uns selbst ständig dort trafen, aber der Name blieb trotzdem hängen.
Die Idee, Last exit Brooklyn, also Film und Buch hier reinzubringen gefällt mir gut. Auch dass der Prot eine abgeklärteStellung dazu hat und sowohl Film als auch Buch erwähnt werden. Aber warum (im ersten schwarz gefärbten Satz) so umständlich? Mit zwei Relastivsätzen nacheinander?Das klingt einfach nicht gut. Und es ist doch eine Schlüsselszene - dieser Verweis auf den Parkplatz.
Dann: Warum soll die Einrichtung des Pseudomedienraums interessieren? Das könnt aus meiner Sicht raus.
Und in dem zweiten markierten Satz würde ich die Relativierung rausnehmen. Ich kann mir zwar vorstellen, dass du das extra gemacht hast, um den Leser nicht mit der Nase draufzustoßen, aber lass mal das Einschränkende weg oder probier es wenigstens mal, ich fände es vom Rhythmus her besser und auch inhaltlich, denn wie gesagt, der Protagonist will ja eigentlich keine solch verlorene Gestalt sein - und ist doch eine.

Und obendrein wurde ihm dann bewusst, dass das gar nicht stimmte, dass sonst alle mittranken.
Oder das hier. Doch nicht zwei "dass"-Sätze aneinander. Viele Leute kriegen ja schon Pickel, wenn man nur einen dass-Satz verwendet, ich seh das nicht ganz so fundamentatlistisch, obwohl ja echt was dran ist stilistisch, aber zwei find ich echt zu viel.

So und jetzt will ich Bötchen fahren.
Edit folgt irgendwann.
Aber soviel schon mal, die Probleme beziehen sich hauptsächlich auf die Erzählung Eugens von der Familienfeier. da find ichs noch unrund.
Bis dann
Novak

 

Hallo Proof,

ich habe deine Geschichte inzwischen zweimal gelesen, einmal kurz nachdem du sie gepostet hattest und nun noch einmal.
Du schreibst echt super - hast manche originelle Formulierung, bist auch sonst stilsicher und man kann sich so voll auf den Inhalt einlassen. :) Da wartest du mit Authentizität und zwischenmenschlichen Trägodien im Kleinen auf, die sich zu Großem aufbauschen. Allgemein gefällt mir das gut.
Dass sich der große Sinn hinter jeder Kurzgeschichte ershcließen muss? Ist bei deiner sicher nicht der Fall - du kommst zu keiner Konklusio, bzw. weniger, sondern zeichnest einfach ein Bild deiner Charaktere, ihrer sozialen Situation. Und in diesem Rahmen kaufe ich dir (fast) alles ab, was du mir da vorsetzt.
Das mag ich auch um Längen besser als Geschichten, die einen existenzphilosophischen Spannungsbogen haben, mit dem sie das Rad neu erfinden wollen.

Dennoch gab es einige Dinge, über die ich gestolpert bin, z.B. gleich der Anfang - was du ja inzwischen schon verbessert hast, wie ich sehe.

Er dachte, ich hätte sowas drauf, weil ich nach dem zweiten noch ein drittes Semester studiert und erst dann abgebrochen hatte.

Warum ist es so wichtig, nach wie vielen Semestern er abgebrochen hat, bzw. warum hätte sein Kumpel eine andere Meinung von ihm, wenn er nach dem zweiten Semester abgebrochen hat? Der Sinn dieser Information hat sich mir nicht ganz erschlossen, aber kann auch sein, ich war beim Leser zu unaufmerksam.

Auch die Erklärung für "letzte Ausfahrt" fand ich ... Hm ... Vielleicht liegt es auch daran, dass ich so viele Geschichte gelesen habe, die "auf Teufel komm raus" am "Thema des Monats" teilnehmen wollten und deshalb das Ausfahrt-Motiv geradezu gewalttätig in ihre Geschichten gebracht haben und bin deshalb darauf sensibilisiert, aber ich fand's bei dir unnötig, sowas noch reinzubringen. Das hat für mich die Geschichte "überladen" wirken lassen.
Du hast tolle Dinge drin - den Bruderkonflikt, die Sache mit dem Akzent und wie du ihn beschreibst (das rollende "r"), die Familienzwistigkeiten - und die tragen das ganze.

Das war so das, was mir aufgefallen ist; allgemein finde ich die Geschichte sehr, sehr gut.

Viele Grüße
Tell

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Novak,

kam jetzt grad angesichts der anderen Komms an mir selbst ins Zweifeln.

Das meiste davon ist aber auch eher "Irgendwie nicht meins", Geschmacksfrage also.


ihn trotz seiner Knastvergangenheit beneidet.

Oder gerade wegen. Thug Life. :D


Und er beneidet den Eugen um seine Familie - speziell um sein Verhältnis zu dem Bruder.

Das ist so, denke ich auch. Chaotisches Rudel, aber besser als allein durch die Wälder zu streifen. Wird schließlich kalt nachts.


Tupac-Chose

Das wird eine Generationenfrage sein, dass man das noch nicht so oft gelesen hat. Vor dreißig Jahren hätte das Känguru aus den Känguru-Chroniken wahrscheinlich Jimi Hendrix gehört. Oder Deep Purple. Aber weil der Autor in dem Alter ist, in dem er ist, hört es Nirvana.


Dass-Sätze kenne ich auch so als stilistisches Verboten. Dann lese ich Texte, die mir gefallen, und da sind lauter dass-Sätze drin. Darauf frage ich mich: Ja klar, warum auch nicht, wer sagt das eigentlich mit den dass-Sätzen? Natürlich sollte man es nicht überstrapazieren, aber das gilt ja für alles. Ich finde, auch an der von dir zitierten Stelle, dass-Sätze eignen sich immer ganz gut, um so ein Gefühl von "Da steht gerade einer an der Kasse hinter mir und erzählt das" reinzubringen. Das "dass" hat ja etwas sehr Umgangssprachliches. "Und dann hat er gesagt, dass ihn das ankotzt, wie ..." Nur eine absolute Minderheit würde wohl im Alltag sagen: "Er sagte, es kotze ihn an, wie ..."[/QUOTE]

Deine anderen Vorschläge habe ich mal eingebaut.

Hast du von der Feier die Version gelesen, die beginnt mit "Der Ablauf der Feier, wie Eugen ihn mir schilderte:"? Da hatte ich schon ganz gut was dran gemacht.


Maria:

Obwohl der eine Typ ihm die Seele öffnet und seine Probleme ausspricht, hebt er vom Boden den Burger auf und frisst ihn, einfach so, als wäre ihm sein Freund, für den er extra rausgegangen ist, einfach nur egal

Hartes Urteil. Das mit dem Burger war mehr so zur Auflockerung gedacht, auch dass Eugen an der Stelle da gleich einen Strick draus dreht, als wäre er Jesus im Garten Getsemani und der Prot ein Jünger, der weggepennt ist. Da zeigt sich mal wieder, wie wenig Einfluss man mitunter auf die Lesart seiner eigenen Texte hat.


wieso wird die Geschichte aus der Sicht dieses Freundes erzählt?

Ich schreibe diese Art von Ich-Erzähler-Geschichten sehr gern. Das meiste darin ist gelogen, aber da stecken immer so zehn Prozent von mir drin. Und ich bin eben keine Russe.


Hättest du einen anderen Erzähler gehabt, hätte mir die Geschichte gefallen

Aus oben genanntem Grund kann ich mir die Geschichte als Dritte-Person nicht recht vorstellen, aber vielleicht versuche ich irgendwann mal ein Experiment und checke die Wirkung dieser Story ohne die Beobachter-Distanz. Danke für die Idee!


einwandfreies Deutsch

Es sind die kleinen Aufmerksamkeiten, die wirklich zählen.


Tell:

Tragödien im Kleinen

Erinnert mich wieder an das Jim-Jarmusch-Zitat mit dem Kaiser von China, und weil ich hier schon so lange bin, beschleicht mich das Gefühl, ich hätte es schon mindenstens fünfmal gebracht, deshalb schreibe ich's nicht, um nicht dement zu wirken. Kennst du's denn?


Warum ist es so wichtig, nach wie vielen Semestern er abgebrochen hat, bzw. warum hätte sein Kumpel eine andere Meinung von ihm, wenn er nach dem zweiten Semester abgebrochen hat?

Der allgemeinen Akademisierung zum Trotz gibt es meiner Erfahrung nach immer noch Leute, die glauben, wer studiert hat, könnte übers Wasser laufen. Das wollte ich an der Stelle ein bisschen karikieren. Auch wenn es natürlich die Interpretation des Erzählers ist, dass Eugen ihm eine Lösung zutraut, weil der Kumpel doch mal an der Uni war. Selbst wenn er drei Semester lang nur vor der PlayStation rumgehangen hat, um sich schlussendlich zu exmatrikulieren.


aber ich fand's bei dir unnötig

Hach. Weil ehrlich am längsten währt, gebe ich's mal zu: Die Story ist etwa ein Jahr alt, und in der ursprünglichen Version gab es keine letzte Ausfahrt Brooklyn. Ja, ich hab's gebogen. Aber wer will jetzt den ersten St-AUA!

Ich hätte nicht gepostet, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, dass etwas Neues dabei herumgekommen ist. Eine Version der Geschichte, zu der ich absolut stehen kann. Der Film gehört zum Negativsten, was ich je gesehen habe. Da gehe ich halt mit ein bisschen Humor gegen an.


Vielen Dank für Eure Kritiken!
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proof
Ich schleime jetzt mal ein bisschen (meine es aber ernst): Ich verstehe überhaupt nicht, dass die Geschichte noch ohne jede Stimme bei der Challenge ist, und kann es mir nur so erklären, dass sie mindestens 26 Mal auf dem persönlichen vierten Platz gelandet ist ;)...

Ich war sofort drin in der Geschichte. Zum einen ist sie klasse geschrieben, auf den Punkt gebracht sozusagen. Natürlich sind das alles keine Helden zum Verlieben, da spürt man die Perspektivlosigkeit, und das alles ist schon ziemlich trostlos, aber es wirkt eben auch echt. Ich habe beruflich ab und an mal mit diesem Sozialmilieu in Offenbach zu tun, und du hast das (Bremer?)-Pendant sehr realistisch getroffen.

Apropos Offenbach: Ich war übrigens irgendwann dann voll drin in der Tugce-Problematik, (möglicherweise war es der Burger), was ich aber nicht störend fand, im Gegenteil. Mich hat das nur noch mehr gefesselt.

Kurz ein paar Anmerkungen noch zum Text:

Zur Antwort zuckte ich die Schultern, machte das Bier auf und dachte an unsere Zimmer von früher. In meinem alte Skateboards, durchgebrochen und gesplittert.
Hier bin ich kurz mal raus gewesen, weil ich den zweiten Satz grammatikalisch nicht gerafft habe. Als der Groschen gefallen ist, war es kein Problem mehr, aber,warum auch immer, hier hat es bei mir gedauert. Nur als Info

Der Ablauf der Feier, wie Eugen ihn mir berichtete: Michail wollte trinken. Mit Eugen, mit dessen Vater, mit der Mutter, mit allen. Und alle tranken. Wodka aus der Heimat. Auch Eugen trank, einen kleinen im Schnapsglas, so wie er in Deutschland getrunken wurde. Er musste ja noch fahren. Michail akzeptierte das, angeblich. ..
Ich zitiere nur mal stellvertretend bis hier hin, aber diesen ganzen Onkel Michail-Abschnitt (also bis zur Schlägerei und der Abreibung für Vitali) fand ich sehr stark. Das sagt viel aus über die Grundproblematik deiner Figuren.

„Und ich gehe jetzt rein, denke ich.“ Sein Entschluss enttäuschte mich. Eugen war Familie und ich eben nicht, aber dass er so schnell weiter wollte, gab mir das Gefühl, ich sei es gar nicht wert, gerettet zu werden.
Das ist fies, aber gut. Und so ein bisschen für mich der Kern deiner Geschichte.

Zum Titel: Der klingt geil, mich hat er zum Lesen animiert, ich kann ihn aber nicht so ganz in Bezug bringen mit der Geschichte. Da hätte ich gern noch mal Aufklärung vom Autor.
Mir geht es da wie Novak, ich finde das hier einen wirklich starken Text...

LG svg

 

Hallo Proof,

zunächst ein Lob: Der Titel deiner Geschichte ist sehr gut gewählt. Er ist ein Hingucker und das war einer der Gründe, weshalb ich diese Geschichte schon vor ein paar Tagen anfing zu lesen, aber dann abgelenkt war oder mich hab ablenken lassen, so dass ich sie nicht zuende gelesen habe.

Also, um ehrlich zu sein, es gibt Geschichten, bei denen schafft es im Prinzip keine Ablenkung der Welt, einen vom Lesen abzuhalten, da würde man, wie wenn man süchtig ist, eher einen Ehekrach hinnehmen, Hauptsache man kann die Geschichte zuende lesen.
Kennste bestimmt auch solche Geschichten und Romane.

Deine Geschichte gehörte leider nicht dazu.
Das lag durchaus nicht am Genre und Thema, sondern daran, dass es in dieser Geschichte gehörig an Spannung fehlte.
Nun ist bereits der Plot: Protagonist kommt nicht damit klar, dass sein Bruder in einer anderen, religiösen Welt lebt, für sich genommen, echt nichts, was nur so vor Spannung strotzt, nicht wahr?

Aus diesem Grunde hat es diese Geschichte schon von Haus aus schwer, aus dem Knick zu kommen.
Aber trotzdem hättest du einfach mehr Zug reinbringen können.
So plätschert es dahin, die Typen stehen da zusammen rum, rauchen und labern und so geht das durchgängig durch die Geschichte weiter.

Da ist nicht genügend Konflikt zwischen den Brüdern, und nein, der Konflikt, dass sie sich sogar prügeln ist für mich keiner, denn das wirkt auf mich so wie das Biertrinken. Es gehört dazu, ergo gehört auch eine aggressive Auseinandersetzung dazu.

Ich denke, du hättest da noch einen kräftigen Konfliktstoff mit zwischen den Brüdern einbauen sollen.

Z.B. wenn beide in dasselbe Mädchen verliebt sind und die sich tatsächlich dem religiösen Bruder zuzuwenden scheint oder Vitali ist der Familienheilige und sein Bruder steht für das sog. schwarze Schaf in der Familie und bekommt es laufend zu spüren. Sowas kann ganz schön an einem nagen und Neid hervorrufen. Bring noch einen Haufen Probleme zwischen die Brüder, so dass der Leser fast schon um das Leben der beiden fürchten muss.

Eine spannungsgeladene Atmosphäre schaffst du, indem du mit fortschreitender Geschichte immer weiter Probleme aufbaust, da darf sich bis zum Ende hin nichts mehr entspannen, sondern es muss immer heftiger, fast unlösbar werden.

Ich bring mal ein billiges Beispiel: A muss nach B, so schnell wie es nur geht, denn daheim werden dringend lebensnotwendige Medikamente benötigt. Er muss dazu über ein hochgefährliches Meer, hat aber kein Boot. Er muss es stehlen, das gelingt ihm mit knapper Mühe, aber er wird nun verfolgt vom Opfer, auf See stellt er fest, dass das Boot leck ist, er muss wie ein wilder schöpfen, das Wetter ändert sich dramatisch, die Wellen erhöhen sich bedrohlich, es kommt Sturm, Regen, Hagel und haushoher Wellengang auf sein Boot zu, er verliert die Orientierung, ist klammgefroren und kann sich kaum noch bewegen, hat bereits blutige Hände, und nun kommt noch zu allem Überfluss ein Seebeben dazu, die Wellen schlagen über dem Boot zusammen. Das alles ist echt keine große Kunst, so wie ich es beschrieben habe, aber es sollte dir verdeutlichen, wie du durch Steigerung der Konflikte die Spannung erhöhen kannst. Die Kunst ist, einerseits solche Probleme realistisch und nicht wie an den Haaren herbeigezogen wirken zu lassen und die noch höhere Kunst ist, am Ende ein Happy End zu schreiben, das einem jeder abkauft. :D

Wie auch immer, ich hoffe, ich habe dir klar gemacht, was mir an deiner Geschichte so überdeutlich fehlt.

Dann habe ich an manchen Stellen deine Sprache nicht so ideal gefunden. Du formulierst manchmal sehr schlicht, was ich immer dann, wenn die Protas mit einander quatschen sogar sehr passend fände und finde, aber in der Erzählung selbst, macht es keinen guten Eindruck.

Hier mal so ein Beispiel, als Stellvertreter für viele:

Der Ablauf der Feier, wie Eugen ihn mir berichtete: Michail wollte trinken.
Das ist einfach nur hölzern und das kann man wirklich eleganter formulieren.


Bei diesem Satz habe ich mich gefragt, ob du es wirklich so ausdrücken wolltest:

Da war Vitali, der Gott gefunden hatte, aber keinem so richtig sagte, wo man suchen musste.
Nicht, wo man suchen musste. Doch eher, was man dann vorfindet, wenn man ihn gefunden hat. Das ist doch das Spannende. Dein Prota zweifelt doch daran, dass es sich überhaupt lohnt, Gott zu suchen.

Noch ein wenig Textkram:

während ich schnell nochmal reinlief um mir etwas zu essen zu holen.
Ich würde vor "um" ein Komma setzen.

Michail blutete aus der Nase und von den Lippen und weinte
Von den Lippen bluten klingt komisch. Vielleicht:
Blut tropfte aus Michails Nase und von seinen Lippen. Er weinte.
Eugen war in Rage und wollte dem Onkel hinterher in Wohnzimmer.
ins
„Ich würde einen Burger nicht essen, wenn er aus einer Schachtel kommt, die auf Scheiße steht.“
Die auf Scheiße steht? Du meinst, eine Schachtel, die oben auf einem Hundehaufen platziert ist? Ich finde, das klingt unrund. Vielleicht: "Ich würde einen Burger nicht essen, der aus einer Schachtel kommt, die auf einem Hundeschiss gelegen hat."

Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

So ist das wohl mit dem Geschmack:

Der Ablauf der Feier, wie Eugen ihn mir berichtete: Michail wollte trinken.

Da war Vitali, der Gott gefunden hatte, aber keinem so richtig sagte, wo man suchen musste.

Beide Stellen finde ich sprachlich total gelungen. Leider kann ichs gar nicht richtig begründen, warum mir das so geht.
Es sind nur vage Gefühle, ich schreib sie mal trotzdem auf, weil ich das echt interessant finde, wie sehr die Meinungen hier über die Geschichte auseinandergehen. Ich versteh selbst nicht, woran das eigentlich liegt. Es ist ja nicht so, dass der Ablauf oder das Geschehen so polarisieren würde. Vielleicht liegts wirklich an dem Erzähler, der manchen gar nicht schmeckt.

Aber erst mal zu den beiden Sätzen:
In dem ersten Satz wird in einer sehr gerafften Form ein Bericht über die Feier suggeriert. Klar könnte man das länger, eleganter, flüssiger, soghafter formulieren, aber es passt doch total gut zu dem Erzähler, der allem distanziert gegenüber steht, an nichts wirklich Anteil nimmt, und dennoch Sehnsucht in sich trägt. Gerade so einer würde so bruchstückhaft erzählen.
Und in dem zweiten Satz kommt für mich ganz wunderbar zum Ausdruck, dass der Onkel sich dran stört, dass Vitali nicht mittrinkt und sich dabei auch noch zurückhält, das heißt, der bietet für den leicht angeätzten Onkel noch nicht mal die Angrifffläche, dass er missionieren will oder voller Freude über seine Religion erzählt, der ruht einfach nur in sich, ist nicht klugscheißerisch oder besserwisserisch oder lässt andere Anteil nehmen, und genau diese Ruhe, genau die ist dem Onkel ein Dorn im Auge, weil Vitali keine Angriffsfläche bietet und etwas weiß, was er anderen vorenthält, was die aber gar nicht wissen wollen. Ja, so verquer emfind ich die ganze Meschpoke.

Wenn ich noch was verbessern würde an der Geschichte, dann hier in dem Ablauf dnach (weil du mal in deiner Antwort gefragt hattest):

Als er den Führerschein abgeben musste, hatte Michail dem Chef noch angeboten, eben nur in der Firma zu arbeiten. Etwas sei doch immer zu tun, auch ohne die Fahrerei. Die Lkw müssen gewaschen, Schrauben und Muttern überprüft und nachgezogen werden. Der Chef hatte das Angebot ausgeschlagen.
Ich würde das nicht berichtend, nacherzählend wiedergeben, sondern als indirekte Rede oder als direkte Rede. Es ist hier durch die Berichtsform zu stark abgegrenzt von Michails Weinen. Dabei ist es doch der Grund für die Weinerllichkeit. Eie Blamage, eine Demütigung, die ihn (zusammen mit der Sauferei) so aggressiv macht. Durch die Redeform verzahnst du das doch besser und bietest den Ablauf in einem zusammenhängenden Guss an, so wirkt es abgebrochen.

Eugens Vater schrie den Namen seines jüngsten Sohnes und setzte hinterher: „Es reicht jetzt, beide, meine Güte!“
Das würde ich in direkte Rede setzen, es wirkt nämlich sonst auch so komisch abgebrochen zum Rest. Du bringst eine Distanz in die Szene rein, die aber nicht funktional ist.
Eher so (nur zur Veranschaulichung, wie ich das meine):
"Vitali!" Eugend Vater war aufgesprungen, der Stuhl hinter ihm fiel polternd um. "Es reicht jetzt beide ...."
Dadurch verzahnst du besser und der Anschluss klappt gut mit Michails Aggressivität.

Eugen war in Rage und wollte dem Onkel hinterher in Wohnzimmer.
war in Rage find ich auch nicht so gut, weil du da aus dem Szenischen rausgehst, ich würd lieber eine Handlung zeigen. Sonst hast du das in dem Abschnitt nämlich auch gemacht.


Davon abgesehen wollte ich auch das hier noch mal sagen: Also ich hab die Geschichte noch mal gelesen (sind jetzt schon paarmal) und bleib bei meiner Meinung. Ich finde die Geschichte gut.
Ich hätte ihr auch einen Punkt gegegeben, aber ich hab mich vertippt. Scheiße. Naja, Ist ein wenig peinlich. Aber ich wollte das trotzdem mal gesagt haben, weil ich einfach finde, dass deine Geschichte unterbewertet ist.
Aber scheiß der Hund drauf, das ist ja auch nicht die Hauptsache an so einem Wettbewerb bei uns, da gehts um die schönen Geschichten (und die hast du geschrieben) und um das Sichausprobieren und wie ich dich kenne, macht das Unterbewertete mir (als altem Gerechtigkeitsfanatiker) vermutlich eh mehr aus als dir. ;)
Bis denn
Novak
Viele Grüße

 

Hallo Proof,

dein Titel ist schon mal sehr geil! Auf jeden Fall einer, den ich gerne anklicke. Habe es jetzt getan und wurde auch ziemlich schnell in deine Geschichte hineingesaugt. Ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas Probleme hatte, deine drei Kerle auseinanderzuhalten. Kann gar nicht sagen, warum das so ist, bleibt das Personal doch sehr überschaubar. War aber so.
Überhaupt fand ich den Anfang am schwierigsten. Bis ich erst mal begriffen hatte, worum es da eigentlich geht, sind schon ein paar Zeilen vergangen.
Dann noch dieser Satz, den ich dreimal lesen musste, bis ich ihn endlich kapiert hatte:

In meinem alte Skateboards, durchgebrochen und gesplittert.
vielleicht kannst du das umformulieren
Aber dann bin ich wirklich gut in deine Geschichte reingekommen. Ich finde, du bringst das ganz gut zwischen den Zeilen durch, in welcher Schicht die beiden angesiedelt sind, was sie so durchlebt haben, und letztlich zu den geformt hat, die sie jetzt sind zu dem Zeitpunkt deiner Geschichte.
Sympathisch werden sie mir nicht. Aber das sollen sie wahrscheinlich auch nicht. Milieustudie.
Ein bisschen kreist der Text um sich selbst. Irgendwer hat gesagt, er ließe ihn kalt. Mich hat der Text schon berührt, aber er bleibt dennoch auf Distanz. Die beiden Kerle und auch Vitali bleiben trotz der angerissen Jugend irgendwie nicht richtig greifbar. Was hingegen sehr schnell klar ist, ist die Situation auf dem Parkplatz. Als sie da ankommen, und du den Seitenblick auf die anderen Russen gewährt, ist klar, dass es mit denen Stress geben wird. Finde ich gar nicht schlimm, dass man das sofort vorher riecht, denn so kommt da so ein unruhiges Vibrieren rein. Stark finde ich, was den Auslöser gibt. Diese herrlich absurde Situation mit dem Burger. Das ist wirklich Tarantino-like: “würdest du ihn auch fressen, wenn er auf scheiße gestanden hätte“ -wie geil :D

Insgesamt wirklich gerne gelesen

grüßlichst
Weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus,

svg:

dass die Geschichte noch ohne jede Stimme bei der Challenge ist

Juckt mich nicht. Einige der ersten Geschichten, die ich hier gepostet habe, waren zu Themen des Monats. Damals, nach dem Krieg, hatten wir insgesamt nicht viel, und es gab auch keine Abstimmung nach dem TdM. Ich mach das, weil ich es einfach spannend finde zu sehen, was unterschiedliche Stichworte in unterschiedlichen Autoren zu Tage fördern. So eine Abstimmung ist letzten Endes wie ein Literaturwettbewerb. Wenn du von 50 Schreibern nicht unter die ersten drei kommst, kann es sein, dass alle Geschichten besser waren als deine. Wenn das so ist, dann ist das so und du musst damit leben. Es kann aber auch sein, dass da noch ganz andere Faktoren mit reinspielen. Und du wirst es nie erfahren. Also wen interessiert's?


Hier bin ich kurz mal raus gewesen

Hab mal einen richtigen Satz daraus gemacht.


Und so ein bisschen für mich der Kern deiner Geschichte.

Ja, das hatte schon jemand gesagt. Der Ich-Erzähler ist da wohl stärker in den Vordergrund geraten, als ich beabsichtigt hatte. Er sollte eher ein Protokollführer sein. Aber scheint ja immer noch zu funktionieren.


ich kann ihn aber nicht so ganz in Bezug bringen mit der Geschichte

Noch so ein Geständnis: Der Titel klingt cool. Und irgendwie geht es um Russen. Mehr habe ich mir da nicht bei gedacht. Obwohl die besagten Retro-Russen auf dem Parkplatz natürlich eine Kette von Ereignissen in Gang setzen, die mit Selbsterkenntnis des Ich-Erzählers endet. So würde ich mir das jetzt im Nachhinein erklären (schön reden). Als Judith-Hermann-Fan wollte ich es eigentlich erst Russen, retro nennen (kein Witz!). Momentchen darauf rumgekaut und raus kam Retro-Russen.


ich finde das hier einen wirklich starken Text

Danke!


Lakita:

Der Titel deiner Geschichte ist sehr gut gewählt.

Alliterationen gehen immer ab.


Protagonist kommt nicht damit klar, dass sein Bruder in einer anderen, religiösen Welt lebt, für sich genommen, echt nichts, was nur so vor Spannung strotzt

Naja, wenn man davon ausgeht, dass man ein eher liebevolles Verhältnis zu seinen Geschwistern pflegt, birgt das schon Konflikt-Stoff. Da kann man glaube ich nicht objektiv sagen, das sei nicht spannend.


A muss nach B

Das kann man so machen, und das hat dann auch seine Daseinsberechtigung. Aber auch das wird der eine oder andere wieder doof finden. Vor so zwei Jahren habe ich mal eine „alltägliche“ Geschichte gepostet, da war sogar eine Verfolgungsjagd (!) drin. Ein Kritiker hat so sinngemäß gechrieben: Ja klar, Action halt, die Leute stehen auf sowas, aber da nimmst du dem Text natürlich auch Glaubwürdigkeit. Die Retro-Russen sind bezogen auf diese grundsätzlichen inhaltlichen Fragen schon so, wie ich sie haben will. Allen werden sie nie gefallen.


Du formulierst manchmal sehr schlicht

Ja, das ist mein Stil. Oder einer meiner Stile. So ganz bin ich mir noch nicht sicher, den einen gefunden zu haben. Aber ich bin wohl näher dran als vor zehn Jahren.


Dein Prota zweifelt doch daran, dass es sich überhaupt lohnt, Gott zu suchen.

Der angemerkte Satz ist ein bisschen Form über Inhalt. Der klingt halt geil (find ich), so wie er ist. Allerdings: Wenn du weißt, wo du suchen musst, wirst du vermutlich auch kurz danach wissen, was es zu finden gibt (wg. „Doch eher, was man dann vorfindet, wenn man ihn gefunden hat“).


Komma ist drin …

Ins auch …


"Ich würde einen Burger nicht essen, der aus einer Schachtel kommt, die auf einem Hundeschiss gelegen hat."

Mmmmhnääääää, da finde ich meine Version lässiger.


Novak:

Leider kann ichs gar nicht richtig begründen, warum mir das so geht.

Wird auch schwer ab einem gewissen Punkt. Da geht es um persönliche Eindrücke. Sind aber alle wichtig. Wenn sich nur Leute zu Wort melden, die etwas scheiße finden, fängt man vielleicht an zu verschlimmbessern, weil man denkt, es stimme etwas Prinzipielles nicht. Und wenn jeder nur schreibt, was er geil findet, kriegt man Welteroberungsfantasien.


wie sehr die Meinungen hier über die Geschichte auseinandergehen

Das konnte ich schon immer ganz gut.


Ja, so verquer emfind ich die ganze Meschpoke.

Voll wie zehn Russen.


Ich würde das nicht berichtend, nacherzählend wiedergeben

Ich muss mal schauen. Das ist an der Stelle selbstredend ein bisschen getrickst, weil da Infos kommen, bei denen man sich sonst fragen würde: Woher weiß der Erzähler das? Kann er nur von Eugen. Warum sollte der das so detailliert wiedergeben? Es reicht doch: "Bei seiner Spedition ist er geflogen, als sie ihm den Führerschein abgenommen haben."


Die anderen beiden Sachen habe ich mal gemacht.


Ich hätte ihr auch einen Punkt gegegeben

So wie früher in der Mathe-Klausur, wenn man zumindest seinen Namen richtig oben drüber geschrieben hatte. Habe ich aber auch nicht immer geschafft.


mir (als altem Gerechtigkeitsfanatiker)

Ich dachte, du bist 'n Mädchen!


Weltenläufer:

Auf jeden Fall einer, den ich gerne anklicke.

Ich bin schon so'n Clickbait-Spezi. Sollte Banner-Werbung für Wodka und einen Uschanka-Online-Versandhandel ranschaffen.


Dann noch dieser Satz

Geändert.


in welcher Schicht die beiden angesiedelt sind

Untere Mittelklasse? Also, ich wollte hier eigentlich nicht so auf South Central hinaus. Liest sich das so?


Sympathisch werden sie mir nicht. Aber das sollen sie wahrscheinlich auch nicht.

Wäre schön wenn, ist aber kein Muss. Wenn ich Horror schreibe, achte ich da immer drauf, den Prot irgendwie liebenswert hinzubekommen, sonst funktioniert das meist nicht. Eine Geschichte wie diese hier ist da grauer – Menschen haben ihre witzigen, traurigen, spannenden Geschichten, auch wenn diese Leute mich nicht interessieren oder ich sie vielleicht sogar gar nicht leiden kann.


Diese herrlich absurde Situation mit dem Burger. Das ist wirklich Tarantino-like:

An den hatte ich gar nicht gedacht, aber jetzt, wo du's sagst …

Vielen Dank für Eure Eindrücke, Kritiken, Verbesserungen und fürs Lesen!


Nastrovje
Punktless Proof

 

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