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Serie Tödliche Hobbys – Geocaching

Beitritt
15.10.2015
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Tödliche Hobbys – Geocaching

„Okay“, sagte Heiner, „jetzt sind wir offiziell in der Wildnis. Mein Garmin kennt hier keinen Weg mehr.“
„Google Maps ist auch raus. Das Netz ist weg“, sekundierte Petra kurz darauf. Sie klappte die Schutzhülle des Tablet-Computers zu und schob das Gerät in ihre Umhängetasche.
Lucy stöhnte innerlich. Sie konnte gerade noch die WhatsApp-Nachricht an Deborah versenden, bevor auch ihr Handy den Funkkontakt verlor. OMFG! Geocaching mit meinen Alten in der französischen Pampa. Hol mich hier raus! Lu. Debbie hatte immer einen aufbauenden Spruch parat, aber auf ihre Antwort würde Lucy nun warten müssen, bis sie wieder in der Zivilisation war. Wenn ihre Eltern nur nicht so debil grinsen würden, als ob es das Größte wäre, sich mit bloßen Händen durch den Dschungel schlagen zu dürfen! Sie blickte in das Unterholz. Es schien mit jedem Meter dunkler zu werden.
„Guck nicht so besorgt“, sagte ihr Vater, der ihren Gesichtsausdruck zuverlässig missverstand. „Wir finden immer zurück. Ich hab ja die Koordinaten von unserem Auto gespeichert.“
Den alten Volvo hatten sie am See abgestellt, als die Feldwege nicht mehr zum Fahren taugten. Lac de Quercey hieß der Tümpel, offenbar nach dem nahegelegenen Kaff benannt, in dem bestimmt nur noch drei alte Leute und ein räudiger Hund hausten. Der Name des Sees war auch der Titel des Caches, den Lucys Eltern zu finden hofften, obwohl das Ding offenbar noch weitere zwei Kilometer entfernt war. Durch unberührten Wald natürlich.
Als Kind des einundzwanzigsten Jahrhunderts hatte Lucy nie verstanden, warum sie in eine Familie von Möchtegern-Späthippies geboren werden musste, die ihre Tochter nach einem Kiffer-Song der Beatles benannten. Lucy in the Sky with Diamonds. Urpeinlich! Eigentlich hatten die Macken ihrer Eltern mit der Zeit etwas nachgelassen, aber vor ein paar Jahren hatten sie es zu ihrem Hobby erklärt, mit GPS-Geräten bewaffnet zwischen Dornen, Spinnen und Brennnesseln herumzukriechen, um kleine Plastikdöschen zu finden, die gleichgesinnte Deppen dort versteckt hatten. Seine Funde durfte man dann auf einer Website registrieren, von der man zuvor die Koordinaten abgerufen hatte. Manchmal glaubte Lucy, dass die Cache-Besitzer in ihrer Freizeit hinter Büschen und Hecken saßen und kichernd die armen Irren beobachteten, die ihretwegen auf Bäume stiegen oder unter Brücken krabbelten, um sich über die Entdeckung eines unscheinbaren Metallröhrchens ein Loch in den Bauch zu freuen.
Noch weniger hatte sie begriffen, warum man sich damit einen Frankreich-Urlaub versauen musste, den man ebenso gut in Paris, Marseille oder Nizza hätte verbringen können. So ein geiles Land, und sie mussten ausgerechnet in dessen totesten Teil fahren. „In Frankreich gibt es viel mehr Natur, weil es nicht so dicht besiedelt ist“, hatte ihr Vater doziert. „Die haben fast doppelt so viel Fläche wie wir für etwas weniger Einwohner. Da kann man noch stundenlang laufen, ohne einen Menschen zu treffen!“ Dabei leuchteten seine Augen.
„Danke, Paps, ich hab schon in der Schule mehr Erdkunde, als ich verkrafte“, hatte sie geantwortet. Doch ihr Sarkasmus hatte an den Ferienplänen nichts geändert, und obwohl sie schon siebzehn war, musste sie mitfahren, statt den Sommer mit Steffen am Baggersee zu verbringen. Auf der pseudo-lustigen Ansichtskarte, die sie ihm gestern geschickt hatte, stand: Pas de mer. Pas de montagne. Bienvenue en Bourgogne. Dafür hatte sogar ihr Schulfranzösisch ausgereicht: Kein Meer. Keine Berge. Willkommen in Burgund. Das fasste ihren Urlaub ziemlich treffend zusammen.

Lucy stapfte neben ihren Eltern durch das Grün. Sie hatten die Trampelpfade verlassen, nachdem es keinen direkten Zugang in Richtung des Zieles zu geben schien. Lucys Stimmung war so düster wie das Gehölz um sie herum. Die Hälfte der Zeit musste sie auf Mücken und Bremsen einschlagen, heute Abend würde sie sich wieder nach Zecken absuchen. Ein Urlaub für Masochisten! Dazu kamen die ständigen Geräusche und Bewegungen im Gebüsch, die sie irritierten. Alle naselang sah sie über ihre Schulter, ob etwa ein Wolf, ein Wildschwein oder eine Riesenspinne aus dem Unterholz angriff. Auch ein tollwütiges Eichhörnchen hätte sie nicht ernsthaft überrascht.
Heiner hingegen war frohen Mutes. „Der Cache ist übrigens brandneu. Letzte Woche erst ins Netz gestellt, und bis jetzt hat ihn keiner geloggt. Wir werden die Ersten sein, die ihn finden.“ Er knuffte Lucy an den Oberarm. „Ist das nicht toll? Familie Wiegand auf dem Weg in die Geschichtsbücher!“
„A propos Weg.“ Petra brach durch ein paar Sträucher, vor ihr wurde es etwas heller. „Hier ist ein Feldweg.“
Heiner folgte ihr. „Den kennt mein Garmin immer noch nicht.“ Er blickte den Weg entlang, der jedoch in beiden Richtungen nach wenigen Schritten abbog. „Dafür sind es keine tausend Meter mehr. Nord-Nordost.“ Er zeigte nach links.
„Siehst du, Lucy“, sagte Petra und legte ihr den Arm um die Schultern. „Hier kann man wieder vernünftig laufen. Keine Gefahr mehr, dass dir die High Heels abbrechen.“ Lucy machte sich los und ging zwei Schritte voraus. Sie hasste es, wenn man sie als Weichei hinstellte, bloß weil sie keinen Bock auf Schlamm und Gestrüpp hatte. Immerhin trug sie sehr wohl feste Schuhe, sie hatte ja genügend leidvolle Erfahrungen mit ihren Eltern gemacht.
„Hatte ich übrigens gesagt, dass der Suchhinweis lautet: vide-grenier?“, fragte Heiner. „Lustig, oder?“
„Ein Brüller, Paps.“ Dieser Begriff war ihnen in den letzten Wochen dutzendfach auf Schildern und Plakaten begegnet, und Lucy hatte ihn schließlich nachgeschlagen. „Leere Kornkammer“, hieß das wörtlich, aber gemeint war eine Art Flohmarkt, der auch zu einer Kirmes ausarten konnte. Wenn ich heute noch mitten im Wald Kettenkarussell fahren soll, schreie ich.

„So, nur noch vierhundert Meter. Wartet mal kurz, ich muss eben in die Büsche. Damit ich gleich ganz entspannt suchen kann.“ Heiner grinste, verließ den Weg und begab sich ins dichte Unterholz.
„Danke, Paps, so genau wollten wir es gar nicht wissen.“ Lucy versuchte, etwas Interessantes auf der entgegengesetzten Seite des Weges zu finden. Die Bäume warfen jetzt längere Schatten, es war schon später Nachmittag. Ständig bewegte sich irgendetwas im Gebüsch. Dann raschelte es, als ob jemand von links nach rechts oder von rechts nach links huschte. Zweige winkten, als wollten sie Lucy auf etwas aufmerksam machen: Schau mal! Rate, was sich hier versteckt! Oder wer dich dort verfolgt! Sie wandte sich schaudernd ab und trat wieder einen Schritt näher zu ihrer Mutter.
Als ihr Mann nach langen Minuten noch nicht zurückgekehrt war, begann Petra nach ihm zu rufen. „Heiner? Heiner!“ Keine Antwort. „Brauchst du noch länger? Sag doch wenigstens mal 'nen Ton!“
„Na, super“, murrte Lucy.
„Okay“, sagte Petra und atmete tief durch, „ich gehe mal nach Papa schauen. Lauf nicht weg.“
„Spinnst du? Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen!“
„Wir können ihn nicht beide suchen. Wenn er zurückkommt, muss einer von uns hier sein, weil er sonst anfängt, nach uns zu suchen.“ Lucy öffnete den Mund, um zu protestieren, doch ihre Mutter sprach schon weiter. „Wahrscheinlich ist es eh wieder einer seiner blöden Scherze, also lass dich nicht von ihm erschrecken.“ Sie zwinkerte Lucy verschwörerisch zu, doch die sah die Sorgenfalte auf Petras Stirn. „Lass ihn einfach auflaufen, das hat er mal verdient.“ Damit verschwand sie zwischen den Bäumen, alle paar Augenblicke nach ihrem Mann rufend. Dabei stieg ihre Tonlage allmählich an.
Lucy fühlte sich unbehaglich, war aber wild entschlossen, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Außerdem konnte es ja sein, dass ihr Vater bloß etwas länger für seine Verrichtung brauchte. Und bei der Vorstellung, ihn mit heruntergelassener Hose im Gebüsch vorzufinden, war sie doch ganz zufrieden, auf dem Weg zu bleiben. Wenn ihre Mutter sich das antun wollte – bitte sehr.
Die Minuten vergingen. Lucy trank einen Schluck und steckte die Flasche zurück in ihren Rucksack. Statt ihn wieder über die Schulter zu hängen, hielt sie ihn eng umschlungen vor dem Bauch. Ihr fiel ein, dass es in Gruselfilmen immer eine ganz schlechte Idee war, wenn die Protagonisten sich aufteilten. Ein paar der einschlägigen Streifen, die sie gesehen hatte, gingen ihr durch den Kopf. Scream. Blair Witch Project. Texas Chainsaw Massacre. Ein Insekt streifte ihren Nacken und sie fuhr zusammen. Sehr klug von dir, jetzt solche Gedanken zu wälzen! Sie versuchte, sich stattdessen Steffens Gesicht vorzustellen. Wenn er doch jetzt hier wäre – oder besser, sie zuhause bei ihm! Lucy drückte ihren Rucksack noch fester an sich. Dann stutzte sie. Wann hatte sie eigentlich zuletzt ihre Mutter rufen gehört? War die schon so weit weg? Oder war sie verstummt? Und warum?
Lucy erschrak erneut und stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus, als es neben ihr im Gebüsch knackte und eine Gestalt auf den Weg trat. Beim zweiten Hinsehen erkannte Lucy, dass es Petra war. Ihre Arme waren zerkratzt, die Bluse schmutzig und eingerissen, sie musste in dornigem Gestrüpp hängengeblieben sein. „Ich find ihn nicht. Normalerweise würde ich ihn jetzt anrufen, aber ich hab noch immer kein Netz.“ Petra ließ hilflos die Schultern hängen und blickte zu Boden.
Lucy seufzte. Es war wieder so weit. Ihre Mutter war eine Meisterin der Planung für alle Eventualitäten, aber wenn wirklich mal eine Krise eintrat, war sie wie gelähmt. Unfähig, klar zu denken oder irgendeine Entscheidung zu treffen. Normalerweise verließ sie sich dann auf Heiner, aber wenn der nicht greifbar war, musste Lucy einspringen. So wie letztes Jahr, als ihr Vater mit seiner Nierengeschichte im Krankenhaus lag und Lucy ihre Mutter durch den Alltag steuern musste.
„Plan B, Mama“, sagte sie nun. „Wenn wir uns verlieren, treffen wir uns am Zielpunkt. Hast du dir doch selber so schön ausgedacht.“ Dafür hatte immer jeder die Koordinaten der Caches auf seinem Gerät, sogar Lucy lud sie stets widerwillig, aber gewissenhaft auf ihr Handy. „Nimm dein Tablet, Mama. Zeig uns die Richtung, GPS geht doch auch ohne Netz.“
„Oh. Ja.“ Fahrig kramte Petra in ihrer Tasche, während Lucy einen schmalen Stein nahm und in großen Lettern eine Nachricht für ihren Vater in den weichen Boden ritzte: Treffen am Cache. Dazu malte sie einen Pfeil in die Richtung, in die sie zuletzt gegangen waren. Als Petra das Tablet in Gang gebracht hatte, liefen sie weiter.

„Dein Vater und ich haben auch unsere Probleme, weißt du?“ Petra starrte den Weg entlang, während sie nebeneinander gingen. „Aber in solchen Momenten kann ich mir nicht vorstellen, was ich jemals ohne ihn machen sollte.“
Ärger stieg in Lucy auf. Warum erzählte ihre Mutter ihr das, und ausgerechnet jetzt? Reichte es nicht, dass sie sich allmählich Sorgen machte um ihren Vater, der sich noch nie – wirklich nie! – im Wald verlaufen hatte? Sollte sie sich jetzt auch noch mit einer möglichen Trennung ihrer Eltern befassen?
Das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Doch wieder ein Netz? Sie blickte aufs Display. „Ich hab ein WLAN. Ist verschlüsselt, aber irgendwo muss hier jemand wohnen.“ Sie fragte sich, was sie wohl gruseliger finden sollte: stundenlang mutterseelenallein durch diese Einöde zu stapfen oder urplötzlich einem Hinterwäldler gegenüberzustehen, der tatsächlich hier lebte. Weitere Filme kamen ihr in den Sinn. Wrong Turn. Cabin in the Woods. Hänsel und Gretel.
„Vielleicht kann uns hier jemand helfen“, riss ihre Mutter sie aus ihren Gedanken. „Wenn hier jemand wohnt, hat er bestimmt Telefon. Festnetz.“
Was immer uns das nützt, um Papa zu finden, dachte Lucy. Sie bogen um die nächste Kurve und sahen den Hof.
Es war ein französischer Bauernhof, wie sie sie schon dutzendweise gesehen hatten. Das gedrungene Wohnhaus, eine große Scheune und etwas, das ein Viehstall sein mochte, waren von einen halbhohen Natursteinmauer umgeben. Dazwischen war etwas freier Platz, an die Mauer drückte sich ein kleiner Kräutergarten. Das Ganze füllte eine Lichtung, im Hintergrund lag ein Acker, und danach kamen wieder Bäume. Eigentlich sehr idyllisch, aber Lucy konnte sich nicht erklären, warum dieses Gehöft mitten im Wald lag statt in einem Dorf.
Auf einem einfachen Holzstuhl vor dem Haus saß ein alter Mann, der ebenfalls ins Klischee passte. Ein kleiner Rentnerbauch trat aus der abgewetzten Lederweste hervor, in der Linken hielt er einen Stumpen, der kalt aussah. Das schien der Altenteiler zu sein. Als er die beiden Frauen auf sich zukommen sah, wirkte er nicht im Mindesten überrascht. Er stand umständlich auf und begrüßte sie mit einem französischen Redeschwall, der sehr freundlich klang, von dem Lucy aber nur „bonjour“ und „belles dames“ verstand. Petra sah ihre Tochter hilfesuchend an. Schon klar. Das hatten sie jetzt davon, dass sie das Reden mit den Eingeborenen immer Heiner überlassen hatten. Lucy kramte ihre Sprachkenntnisse zusammen. Laut ihrem Schulzeugnis waren die ja angeblich ausreichend. Also los.
„Bonjour. Nous cherche mon père“, radebrechte sie. „Papa. Monsieur Wiegand. Il est … perdu.“ Verdammt, was war wohl das Wort für verschwunden? „Dans le Wald. Le bois.“ Sie wies auf das Grün hinter ihnen.
Die Antwort bestand in einem gutmütigen Lachen und einer weiteren Flut unverständlicher Worte. „On l'a trouvé“, hörte sie heraus. „Venez!“
„Wir sollen mitkommen, sie haben ihn gefunden. Glaub ich jedenfalls“, sagte sie zu ihrer Mutter. Der Alte setzte sich in Bewegung und bedeutete ihnen zu folgen. Er wackelte auf die Scheune zu.
„Komisch“, sagte Petra mit Blick auf ihr Tablet. „Die Koordinaten scheinen genau dort zu sein. Man legt doch keinen Cache ins eigene Haus? Aber sieh mal da.“ Vide-Grenier, stand in bunten Buchstaben auf einer handgeschriebenen Tafel.
„Das passt ja wenigstens“, sagte Lucy. Aber was zum Geier feiern die hier in der Einöde?
Ein Flügel des Scheunentors stand offen. Drinnen war es dunkel, die Öffnung gähnte wie ein schwarzes Loch. Der alte Bauer trat zur Seite und wies auffordernd hinein. Lucy zögerte, aber Petra ging voran. „Heiner? Ist alles in ...?“ Hinter der Schwelle blieb sie wie angewurzelt stehen, starrte in den Raum und stieß keuchend den Atem aus. Dann fiel sie in Ohnmacht. Das Tablet schlug klirrend auf den gepflasterten Boden. Lucy stürzte auf ihre Mutter zu, um ihr zu helfen, doch der Alte schubste sie mit erstaunlicher Kraft in die Scheune hinein.
Die große Scheune war in der Tat fast leer. Am entfernten Ende jedoch stand aufrecht ein etwa drei Meter großes Kreuz aus groben Holzbalken. An diesem hing mit Seilen festgebunden ihr Vater, nackt und in Jesus-Pose. Sein Bart und sein halblanges Haar unterstrichen den bizarren Eindruck. Hätte sie nicht bereits an seinen starren, offenen Augen erkannt, dass er tot war, so hätte es ihr die klaffende Wunde in seiner Brust verraten. An seinem Körper war kaum Blut, jemand musste ihn notdürftig gewaschen haben. Auf einem niedrigen, altarähnlichen Tisch lagen seine Kleidung und sein Rucksack, die Inhalte waren ausgeräumt und ebenfalls auf dem Tisch aufgereiht. Eine Vielzahl großer und kleiner Kerzen warf ein schummriges Licht auf die Szenerie.
Neben Heiners Kreuz standen zwei weitere, etwas kleinere. Sie waren noch leer.
Lucy vergaß zu atmen, ihre Knie wurden weich. Sie dachte flüchtig an das Johannisbeergelee, das sie zum Frühstück gegessen hatte, und übergab sich ohne Vorwarnung. Dann erst nahm sie den Mann wahr, der neben den Kreuzen gestanden hatte und sich jetzt aus dem Schatten löste. Er war in einen dunklen Umhang gehüllt, die Kapuze war zurückgeschlagen. Es musste sich um den Sohn des Alten handeln, die Ähnlichkeit war unverkennbar. Er kam gemessenen Schrittes auf sie zu und ergriff im Vorbeigehen die lange Axt, die am Tisch lehnte. Lucy sah die Blutflecken an der Klinge. Im Gehen murmelte er irgendeinen Singsang vor sich hin, in dem sie mehrmals die Worte „bon Dieu“ ausmachen konnte. Welchen perversen Gott meinte er damit? Doch wohl kaum denselben, von dem man ihr im Konfirmationsunterricht erzählt hatte?
Als der Mann die Gruppe am Tor erreicht hatte, drehte er die bewusstlose Petra mit einem Tritt auf den Rücken, holte weit aus und schlug ihr ohne Umschweife die Axt in die Brust. Petras Körper zuckte reflexhaft, ihr Kopf schnellte nach oben und ein Schwall von Blut sprudelte aus ihrem Mund. Gleichzeitig riss sie die Augen auf, als hätte der mächtige Hieb sie noch einmal geweckt. Dann erschlaffte sie sofort wieder, der Kopf stieß mit einem dumpfen Laut auf den Boden, und ihr Blick wies ins Leere.
Jetzt endlich kehrte die Luft in Lucys Lungen zurück, sie kreischte aus Leibeskräften. Ein Fausthieb des Alten ließ sie verstummen. Sie spürte den Schmerz in ihrem Kiefer und schmeckte das Blut auf den Lippen, vermischt mit dem Aroma ihres Erbrochenen. Der Ekel und die Angst in ihrem Bauch wichen einem neuen Gefühl: Wut. Auf den alten Mann, der sie geschlagen hatte. Auf den jüngeren, der ihre Eltern ermordet hatte. Auf ihre Mutter, die sich der ganzen Scheiße durch Ohnmacht und Tod entzogen hatte. Und auf sie selbst, weil sie es nicht verhindert hatte. Diese Wut half ihr, wieder klar und effizient zu denken.
Der alte Bauer griff nach ihr, Lucy hatte keine Zweifel, dass er sie zum nächsten Opfer machen wollte. Doch sie erinnerte sich an den Selbstverteidigungskurs, den sie auf Petras Rat hin belegt hatte, als ein paar unangenehme Jungs mehr als nur freundliches Interesse an ihr bekundet hatten. Sie trat dem Mann zwischen die Beine. Der Tritt war nicht sehr heftig, fand aber sein Ziel, und der Alte beugte sich japsend vornüber. Dort empfing ihn Lucys Knie. Er ging in die Hocke, fasste sich ins blutige Gesicht und rief seinem Sohn mit näselnder Stimme etwas zu. Der war noch damit beschäftigt, seine Axt aus Petras Brustkorb zu befreien.
Lucy sah sich gehetzt um. Sie musste hier raus, am besten zum Auto. Doch das Tor war durch den Kuttenträger versperrt, der jetzt die Axt wieder einsatzbereit in der Hand hielt. Neben den Kreuzen gab es noch eine kleine Tür, die nur angelehnt war. Dorthin versuchte Lucy zu laufen, aber der Alte hatte sich an ihrem Rucksack festgekrallt. Sie ließ die Träger von ihren Schultern gleiten und sprintete los. Im Vorbeirennen schnappte sie Heiners Autoschlüssel vom Altartisch. An der Tür angekommen, stieß sie einen Fluch aus und wandte sich noch einmal um. Sie lief die drei Schritte zurück zum Tisch und griff auch noch nach dem GPS-Gerät, auf dem ihr Vater den Standort des Wagens gespeichert hatte. Der Axtpriester kam auf sie zu. Einer Eingebung folgend fegte sie einen Arm voll Kerzen vom Tisch. Die meisten verlöschten beim Aufprall, doch als sie durch die Tür huschte, sah sie noch, das die Strohreste auf dem Boden Feuer gefangen hatten. Ihr Verfolger brüllte ihr wütend hinterher.
Lucy rannte auf die hüfthohe Mauer zu, als vor ihr eine junge Frau aus dem Haus trat und den Weg zwischen den Gebäuden blockierte. Sie war mit Schüsseln und anderem Geschirr bepackt und schlurfte mit apathischem Blick in Richtung Scheune. Ohne länger über die seltsame Erscheinung nachzudenken, beugte sich Lucy vor und rannte mit der Schulter zuerst in die Frau hinein wie ein Footballspieler auf dem Weg zum Touchdown. Erst als die Frau ächzend gegen die Hauswand prallte, bemerkte Lucy das große Fleischermesser, das jetzt mit dem übrigen Hausrat klirrend zu Boden fiel. Doch sie hatte keine Zeit, sich nachträglich zu ängstigen, sie sprang mit einem großen Satz auf die Mauer und auf der anderen Seite hinunter. Dann rannte sie weiter durchs Unterholz, bis sie sicher war, dass ihr niemand hatte folgen können. Sie hockte sich in eine Senke, rang keuchend nach Luft und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, während ihr Puls sich mehr oder weniger normalisierte.

Lucy unterdrückte die Tränen, verbot sich den Gedanken an ihre grausam abgeschlachteten Eltern und zwang sich, zielgerichtet zu denken. Es half, wenn sie die Wut reaktivierte, die sie in der Scheune gefühlt hatte.
Sie musste in die Zivilisation zurückfinden und die Polizei alarmieren. Das Problem, mit ihren beschränkten Sprachkenntnissen das Geschehene zu erklären, verschob sie auf später. Als Hilfsmittel hatte sie die Autoschlüssel, Papas GPS-Gerät und … kein Handy. Scheiße! Sie hatte es in der Hand gehalten, als der alte Psychopath sie in die Scheune geschubst hatte, wahrscheinlich war es ihr dabei heruntergefallen.
Okay, also mit dem Auto in den nächsten Ort. Das würde sie hinkriegen, Steffen hatte ein bisschen mit ihr geübt, weil sie im September mit der Fahrschule anfangen wollte. Steffen! Noch ein Gedanke, den sie vorerst verdrängen musste.
Demnach musste sie zuerst dem Garmin den Standort des Autos entlocken. Ihr Vater hatte ihr das Gerät erklärt, als sie anfangs noch versucht hatte, an diesem bescheuerten Hobby teilzuhaben. Aber das war Jahre her. Lucy kämpfte sich durch die Menüs, selbsterklärend war das Ding nicht gerade. Es ist auch nur ein blöder Computer, du kannst das! Es schien ewig zu dauern, bis sie den Kasten endlich dazu bewegt hatte, ihr die eigene Position, die des Wagens und die Himmelsrichtung samt Entfernung anzuzeigen.
Jetzt musste sie nur noch losrennen, dabei den Hof unauffällig und weiträumig umrunden und trotzdem schneller sein als die Psycho-Bauern, die ihr mit Sicherheit folgten. Klar doch, was könnte leichter sein? Sie überlegte, wie viel Zeit ihr das Feuerchen in der Scheune wohl gebracht haben mochte. Eher wenig vermutlich, ein Großbrand war es sicher nicht geworden. Schade eigentlich, den Feuertod hätte sie den kranken Arschlöchern allemal gegönnt. Also los, keine Zeit zu verlieren!

Lucy joggte den Waldweg entlang, vor ihr wurde es licht. In Sport hatte sie schon immer bessere Noten gehabt als in Sprachen oder Geografie. Der Blick aufs Display zeigte ihr, dass sie es fast geschafft hatte, hinter diesen Bäumen musste schon der See mit dem kleinen Parkplatz kommen. Der Weg hierher war reibungslos verlaufen, anscheinend hatten die Waldpsychos ihre Fährte verloren. Bloß gut, dass die keinen Hund hatten wie die meisten anderen Bauern. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon geopfert, als mal gerade keine Touristen vorbeikamen. Sie konnte nicht fassen, dass es so was mitten in Europa geben sollte! Nein, Lucy, jetzt noch nicht denken, sonst brichst du hier heulend zusammen. Bis zur Polizei musst du es noch schaffen!
Sie trat aus dem Wald und blickte sich vorsichtig um. Noch immer niemand zu sehen. Sollte es wirklich geklappt haben? Schnell rannte sie hinüber zum Wagen, öffnete die Fahrertür und warf sich hinein. Die Tür verriegelte sie von innen.
Mal sehen, wie ging das noch? Handbremse, Kupplung treten, Gang raus, Anlasser. Der Diesel sprang auf Anhieb an. Rückwärtsgang, Kupplung langsam kommen lassen … der Wagen bockte und der Motor erstarb. Abgewürgt – die blöde Handbremse! Noch mal von vorn.
Im zweiten Anlauf machte sie es richtig. Sie setzte vorsichtig zurück, um zu wenden, aber der Wagen fuhr sich komisch, irgendwie schwerfällig. Steckte sie im Schlamm? Nein, es war doch seit Tagen trockenes Wetter, der Boden fest. Auch als sie vorwärts in Richtung Straße fuhr, eierte die Lenkung so, dass sie kaum geradeaus steuern konnte, geschweige denn beschleunigen. Dazu kamen knirschende Geräusche, die der Volvo sonst nie gemacht hatte.
Lucy überfiel ein furchtbarer Gedanke. Fuhr es sich so, wenn die Reifen platt waren? Hatten die Psychos das Auto vor ihr erreicht und sabotiert? Vielleicht schon vor Stunden, bei ihrer Ankunft? Anzuhalten und nachzuschauen kam gar nicht in Frage, sie konnte nur versuchen, irgendwie zum nächsten Ort zu kommen. Aber wie lange konnte man auf den Felgen fahren? Sie schaute noch einmal auf alle Anzeigen und Hebel, ob sie nicht doch etwas falsch gemacht hatte. Als sie wieder auf den Weg blickte und die Gestalt sah, erschrak sie und trat reflexhaft auf die Bremse. Damit würgte sie erneut den Motor ab.
Es war der alte Bauer, der aus dem Wald getreten war und jetzt vor ihrem Kühler stand! Zwei Schritte hinter ihm stand die apathische junge Frau. War der Dritte auch in der Nähe? Lucy sah ihn nicht.
Der Alte schüttelte drohend die Faust und ließ eine Schimpftirade los, deren Wortlaut sie nicht interessierte. Noch einmal suchte sie in sich nach der Wut. Sie startete wieder den Motor, ließ die Kupplung kommen und gab Vollgas. „Sterbt doch einfach, ihr verdammten Schweine!“ Der Wagen sprang mit einem gequälten Laut vorwärts. Lucy sah den Kopf des Alten eine Delle in die Haube schlagen, als die Stoßstange ihm die Beine wegriss. Für einen endlos scheinenden Moment blickte sie in die ausdruckslosen Augen der Frau, bevor der Volvo auch sie erfasste. Beide Körper rutschten über die Kotflügel ab und verschwanden aus Lucys Blickfeld. Das Auto schlingerte bedrohlich über den Feldweg, doch sie nahm den Fuß nicht vom Gas. Plötzlich eine Bewegung im Rückspiegel – Lucy schaute hin und sah den Mann in der Kutte auf dem Weg stehen. Er trug die Axt in der Hand, doch Lucy war bereits außer Reichweite und entfernte sich rasch. Trotzdem traute sie sich nicht zu jubeln, sondern wimmerte leise vor sich hin: „Nun fahr schon, blödes Auto, liebes Auto, fahr einfach, bitte, schneller, schneller!“ Der Mann sah ihr nach und verschwand an der nächsten Kurve aus ihrem Sichtfeld.

Sie hatte das Ortsschild fast erreicht: Quercey. Das winzige Dorf, das Lucy noch vor wenigen Stunden wie das Ende der Welt vorgekommen war, erschien ihr nun als Leuchtturm der Zivilisation. Hier würde sie Hilfe finden, die Polizei verständigen können. Hoffnung keimte in ihr auf, gepaart mit der Bitterkeit der Tatsache, die sie nun nicht mehr aus ihrem Kopf verbannen konnte: Ihre Eltern waren tot, ermordet von verrückten Waldbewohnern. Aber wenigstens ich werde leben, keine Ahnung wie, aber ich werde leben. Und diese Psycho-Arschlöcher werden ihre gerechte Strafe kriegen.
Lucy trat weiter das Gaspedal durch, der Motor jaulte im zweiten Gang, doch das nahm sie kaum wahr. Tränen flossen ihre Wangen hinab und ihre Nase lief ungehemmt. Jetzt verstand sie, was es hieß, Rotz und Wasser zu heulen. Die Tropfen in ihren Augen brachen das Licht der tiefstehenden Sonne, Lucy war geblendet und übersah ein besonders tiefes Schlagloch auf der heruntergekommenen Straße. Das Lenkrad, das sie ohnehin kaum noch halten konnte, entglitt ihren zittrigen Händen, der Volvo brach nach rechts aus und kam in einem flachen Graben abrupt zum Stehen. Lucy schlug hart mit dem Kopf auf das Lenkrad, ihr wurde schwarz vor Augen. Sie kämpfte gegen die drohende Ohnmacht und wusste nicht, ob sie erfolgreich gewesen war, als sie die Augen wieder aufschlug. Die Sonne schien noch genauso zu stehen wie zuvor. Falls sie das Bewusstsein verloren hatte, dann nur kurz.
Stöhnend befreite sich Lucy aus dem Fahrzeugwrack. Der Wagen machte seinem Ruf als Schwedenpanzer Ehre, die Tür ließ sich trotz des Unfalls ohne Probleme öffnen. Als Lucy ausstieg, gab ihr linker Fuß unter ihr nach und sie fiel ins hohe Gras. Doch der Schmerz, der ihr Bein hochfuhr, war nicht zu stark, er hatte sie nur überrascht. Sie versuchte wieder aufzustehen, und es gelang. Nur verstaucht, nicht gebrochen.
Es waren nur noch wenige hundert Meter bis zum ersten Haus. Lucy biss die Zähne zusammen und humpelte vorwärts, so schnell sie konnte. Der Bäuerin, die auf ihr Klingeln hin öffnete, fiel sie fast in die Arme.
„Aidez-moi, s'il vous plaît! Appelez la police! On a tué mes parents. Ils sont morts.“ Lucy hatte sich die Sätze auf der Fahrt zurechtgelegt und mit dumpfer Verblüffung zur Kenntnis genommen, wie leicht ihr die Wörter für getötet und tot eingefallen waren.
Die geschockte Frau stützte Lucy, führte sie ins Innere des Hauses und ließ sie in einen Sessel rutschen. Ihren Redeschwall konnte Lucy nicht verstehen, sie war nicht mehr in der Lage, sich darauf zu konzentrieren. „La police, s'il vous plaît“, sagte sie selbst noch ein paar Mal, und die Bäuerin nickte, während sie in beruhigendem Ton weiterredete. Nachdem sie Lucy abgelegt hatte, griff sie ein schnurloses Telefon vom Couchtisch und verließ damit den Raum.
Als die Frau nach kurzer Zeit wiederkam, hatte sie eine Flasche und ein Glas in der Hand. „La police est en route“, sagte sie extra deutlich zu Lucy. Die Polizei ist unterwegs. Dann goss sie etwas zu trinken ein und versuchte es Lucy einzuflößen. Das Zeug war scharf, anscheinend ein Schnaps, Lucy hustete den ersten Schluck wieder aus. Der zweite ging besser, das Brennen im Hals hatte paradoxerweise etwas Linderndes. Lucy ließ den Kopf an die Sessellehne sinken und schloss die Augen. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und fühlte etwas Klebriges. Blut. Sie machte die Augen wieder auf, sah die Flecken, die sie auf dem Sessel hinterließ, und hob hilflos die Schultern. „Pardon ...“, murmelte sie, aber die Bäuerin redete abermals beruhigend auf sie ein. Lucy gab sich ihrer Erschöpfung hin.

Ein energisches Klopfen an der Tür ließ Lucy hochschrecken. Sie musste kurz eingeschlafen sein. Durchs Fenster sah sie ein Auto an der Straße. Die Polizei? Der Wagen schien kein Blaulicht zu tragen.
Die Hausherrin bedeutete ihr, sitzen zu bleiben, aber Lucy fühlte sich ohnehin zu schwach, um aufzustehen. Die Frau ging in den Flur, Lucy hörte das Öffnen der Haustür und die schweren Schritte eines Mannes. Die gedämpfte Stimme kam ihr vage bekannt vor, dann trat der Mann neben der Bäuerin ins Wohnzimmer. Es war der Kuttenträger mit der Axt!
Für eine Sekunde verweigerte Lucys Gehirn den Dienst. Sie verstand nicht, wie dieser Psychopath sich an diesem Ort befinden konnte. Er durfte nicht hier sein, dieses Haus war doch die Rettung! Lucy erwog, einfach die Augen zu schließen und darauf zu hoffen, dass dies ein Trugbild war. Oder dass gleich ein Polizist hinter dem Mann durch die Tür treten und ihn erschießen würde.
Doch als der Kuttenmann einen Schritt in ihre Richtung machte, erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie rollte sich vom Sessel, krabbelte auf allen Vieren um ihn herum und brachte so das Möbelstück zwischen sich und den Axtmörder. Dann schaute sie sich gehetzt nach einer Fluchtmöglichkeit um.
Hinter ihr war eine zweite Tür, die in einen Garten oder Hinterhof führen mochte. Mit einem verzweifelten Schrei kippte Lucy den Sessel nach vorne, dem Mann vor die Füße, dann rannte sie zur Tür, so schnell es ihr Knöchel zuließ. Die Tür war verschlossen, doch der Schlüssel steckte. Quälend lange Augenblicke fummelte Lucy daran herum, während ihr Verfolger den Sessel zur Seite warf. Dann war die Tür offen. Lucy stürzte hinaus und blieb mit offenem Mund stehen.
Sie fand sich in einem geräumigen Innenhof. Vor ihr stand eine Art Kutsche oder Fuhrwerk, dessen Ladefläche mit Sitzbänken bestückt war. Etwa ein Dutzend Menschen machte sich daran zu schaffen, sie schmückten den Wagen mit Blumenkränzen und Girlanden. Am Gestänge über den Sitzen befanden sich keine Planen, stattdessen hing dort ein großes Schild mit bunter Aufschrift: Village de Quercey. Zwei junge Burschen waren gerade dabei, eine zweite Tafel zu befestigen. Darauf stand in farbenfrohen Lettern: Vide-Grenier août 2016. Kisten mit Flohmarktwaren warteten darauf, auf den Wagen geladen zu werden, alle Anwesenden schwatzten angeregt und schienen in bester Feierlaune zu sein. Als sie das blut‑ und dreckverschmierte Mädchen auf den Hof stürzen sahen, hielten sie inne und starrten Lucy an.
„Hilfe“, sagte Lucy mit schwacher Stimme. „Aidez-moi!“ Die Leute sahen sie an, dann den Mann hinter ihr. Der gab in barschem Tonfall irgendein Kommando, auf das sich alle in Bewegung setzten. Sie kamen näher und bildeten einen Kreis um Lucy. Die schaute ungläubig in die eben noch lachenden, jetzt aber ernsten und abweisenden Gesichter. Mit flehend erhobenen Händen ging sie auf einen jungen Mann zu, doch der stieß sie zurück in die Mitte des Platzes. Die vorher so freundliche Bäuerin war hinzugetreten und stand mit verschränkten Armen da. Warum hilft mir denn keiner?
Der Kuttenträger löste sich aus der Runde und trat auf sie zu. Lucy versuchte zwischen zwei jungen Frauen, die am schwächsten aussahen, durch den Kreis zu brechen, doch sie wurde gepackt und zurückgeschleudert. Ihr Knöchel gab wieder nach und sie fiel auf das Pflaster.
Der Mann stand über ihr und schwang die Axt in die Höhe.
Lucy schloss die Augen.

*

„So, Lac de Quercey, von hier müssen wir zu Fuß weiter.“ Die drei jungen Männer schälten sich aus dem Kleinwagen, den sie am Rand des Sees geparkt hatten. „Der Cache ist noch zwei Kilometer weg“, rief Markus seinen Freunden zu, „aber ab hier geht's durch den Wald!“
„Hey, guckt mal, da hat einer versucht, sein altes Auto im See zu entsorgen“, meinte Tonio. „Ist aber nicht ganz untergegangen. Sind ja tolle Sitten hier.“
„Scheint gar kein Franzose zu sein, sondern ein Deutscher“, antwortete Frederik.
„Wie willst du das wissen? Der hat doch kein Nummernschild.“
„Aber der Aufkleber da an der Heckscheibe: Lucy an Bord. Auf Deutsch.“
„Na toll, und dafür fahren wir achthundert Kilometer? Aber egal, ab in den Wald! Ich hab so ein Gefühl, das wird der krasseste Cache von ganz Frankreich ...“

 

Hallo noch mal, Kanji,

wenn es dir jedes Mal diesen Zusatz in Klammern entlockt, werde ich es vielleicht lieber nicht mehr erwähnen und lediglich meinen Leseeindruck schildern
(...)
Nur kein Mitleid. Stand ja Horror drauf.
Okay, keine Beileidsbekundungen mehr von mir. :D

Das verstehe ich und es funktioniert bei mir auch sehr gut, wenn's dramatisch ist, wie z.B. beim "Das Leben ist schön", auch bei "Star Wars" und "Herr der Ringe". Bei Zombiefilmen, zB. üüüüberhaupt nicht und eben wohl bei Horror nicht. Vielleicht muss ich das üben.
Keine Ahnung, vielleicht ist das auch eine Form von Abhärtung, die gar nicht erstrebenswert ist - Blutvergießen witzig finden zu können ... :shy:

Anhand der Namen habe ich mir ihr Alter ausgerechnet. Auf Mitteldeutschland kam ich wegen des Baggersees. Im Norden geht's ans Meer, im Süden wäre es eher ein Bergsee geworden. Baggersee assoziiere ich mit der Mitte.
Also, Baggerseen haben wir auch hier im Norden. Ich denke, wenn man nicht direkt an der Waterkant wohnt, ist so ein See auch für norddeutsche Jugendliche besser für einen Nachmittag erreichbar als die Küste. Obwohl - Steffen fährt ja schon Auto. Wie auch immer, eine bestimmte Region wollte ich gar nicht vorgeben.



Hallo maria.meerhaba,

oje, jetzt ist die Zerfetzerin da! :eek:

Geocaching, jetzt sagt mir das was! Ich kenne jemanden, der das auch macht. Sucht nach Plastikdosen und schreibt dann seinen Namen hinein. Ich habe immer noch keine Ahnung, was daran Spaß machen soll.
Schnitzeljagd in modernem Gewand, das hatte wieselmaus schon bemerkt. Ich bin da auch nicht so'n Fan von. Wer's mag ...

Ich verspüre weder Hass, Wut, Trauer, sonst was. Vielleicht bin ich zu müde, vielleicht einfach nur eiskalt, ich weiß es nicht, aber jetzt in diesem Moment tut mir keiner leid.
Hm. Vielleicht ist das etwas speziell, ich wollte halt keine Prota, die immer nur flennend durch die Gegend rennt, aber irgendein Gefühl braucht sie ja. Natürlich muss ich das auch hinreichend glaubhaft machen, vielleicht kriege ich das ja noch verstärkt.

Sohn? Woher weiß sie das? Woher kommt das?
Das stand ca. 20 Zeilen weiter oben, als der Typ mit der Kutte das erste Mal auftritt:
Es musste sich um den Sohn des Alten handeln, die Ähnlichkeit war unverkennbar.

Reaktivieren hört sich so mechanisch und unschön an.
Ist was dran, ich werde nach einem besseren Wort suchen.

Die Figuren sind nicht schlecht beschrieben, bei denen werde ich nicht meckern (zumindest nicht viel), doch es sind die actionbeladenen Szenen, die mich stören. Als der Vater im Wald kacken geht und verschwindet, das habe ich erwartet und ich war mir sicher, die Mutter würde auch verschwinden, was ja nicht passiert und mich positiv überrascht hat. Der Italiener war am Anfang cool, wie er sie zu verstehen versucht, lacht und sagt, dass Papa in der Scheune ist und sie dorthin hineinführt. Booom, Papa tot, geht noch, akzeptabel und dann diese Szene, wo der Typ beim Vorbeigehen die Axt aus dem Boden zieht, Wahnsinn, da hatte ich so ein überdeutliches Bild vor Augen, dass mir einer abgegangen ist.
Yeah, da habe ich doch schon mal die Hälfte der Geschichte ganz gut hingekriegt!

Aber schon bei der ersten Flucht verliert sich für mich die Geschichte. Es klappt irgendwie viel zu einfach.
Da hätte ich dir im Grundsatz noch zustimmen können, aber ...

Da knallt sie ihm eine in die Eier und kann flüchten. Für Leute, die das öfter machen, kam mir das dann doch zu lächerlich einfach vor, wie sie sich verteidigen. Ich bin mir sicher, ein anderer hätte ihren Tritt abgewehrt. Egal, wie alt und fett er ist.
Das sehe ich anders. Zum einen stelle ich mir den Alten nicht so besonders agil vor (aber das könnte ich vielleicht noch etwas deutlicher machen). Zum anderen gehe ich nicht davon aus, dass er mit dieser Gegenwehr gerechnet hat: Das Mädchen hat eben noch gekotzt und anschließend gekreischt, und er hat ihr eine runtergehauen. Die Eltern waren auch keine Gegner. Ich glaube, die halten Familie Wiegand für eine leichte Beute.

Doch vor dem Auto verliert sich wieder die Geschichte. Sie überfährt die beiden und das scheinbar ziemlich einfach. Da sein Kopf an das Auto knallt, gehe ich mal davon aus, dass da eine gewisse Entfernung war. Wieso ist der Typ nicht zur Seite gesprungen? Wieso ist die Frau nicht zur Seite gesprungen. Es liest sich für mich so, als hätten sie nur darauf gewartet, überfahren zu werden. Wenn er knapp vor dem Auto gestanden wäre, dann hätte ich auch eine gewisse Fluchtreaktion erwartet. Doch davon liest sich nicht viel.
Der Alte ist nicht beweglich genug, und die Frau ist ja schon in der vorigen Szene auf dem Hof ziemlich apathisch. Ich könnte aber etwas deutlicher machen, dass der Alte zumindest noch versucht, zur Seite zu hoppeln.

Die Räder sind zerstochen, vielleicht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die auf den Felgen so einen langen Weg zurücklegen kann. Kann ich mir einfach nicht vorstellen. Vielleicht war ja nur ein Rad geplatzt, dann vielleicht. Aber auch nur vielleicht. Ich weiß es nicht. Noch nie erlebt.
Ich habe tatsächlich versucht, im Internet zu erfahren, wie weit man mit platten Reifen fahren kann, wenn man es echt darauf ankommen lässt. Dabei habe ich haufenweise Hinweise gefunden, dass man das lassen soll, weil man damit den Reifen und evtl. auch Achse, Lenkung usw. irreparabel beschädigen kann. Schön und gut, aber meine eigentliche Frage ist unbeantwortet geblieben. Also musste ich da auf Risiko spielen. Falls es jemand mal erlebt hat, lasse ich mich aber gerne belehren.

so richtig habe ich deinen Axtmann nicht mehr geglaubt, denn immer wieder musste ich mir die Frage stellen, wie jemand, der scheinbar so viel Macht über ein Dorf hat, so ein Mädchen einfach fliehen lassen konnte. Denn die Flucht ist für mich der Knackpunkt der Geschichte und ich finde, es passiert reibungslos. Das sind geübte Mörder und da erwarte ich mir schon, dass irgendetwas besonderes dem Mädchen einfallen musste, damit es fliehen konnte.
Okay, vielleicht fällt mir da noch was Originelles ein, aber eigentlich bin ich da selber gar nicht so unzufrieden. Denn letztlich klappt es aus Sicht der Psychos doch ganz gut: Wer es schafft, von dem Gehöft im Wald zu entkommen, der scheitert an seinem sabotierten Auto, und spätestens im Dorf ist dann Schluss. Aber unkreativ mag es sein, das gebe ich zu.

Überhaupt finde ich die Idee toll, dass sie überzeugt sind, als erster einen Cache zu finden, obwohl anderer sicherlich auch schon dort waren, aber ihren Namen nicht schreiben konnten, weil sie halt ermordet worden sind.
Der Vater erwähnt zu Beginn, dass es den Cache erst seit der Vorwoche gibt. (Man kann das auf der Website sehen.) Es kann also gut sein, dass sie tatsächlich die Ersten sind, weil das Ding ja auch recht abgelegen ist. Vielleicht ein Grund mehr, warum die Mörder noch nicht so professionell agieren.

Erst in Scheune glaube ich ihnen nicht mehr. Besser gesagt ihr. Du versuchst sie wütend darzustellen, du willst auch, dass deine Leser die Mörder aus tiefsten Herzen hassen, aber das konnte ich nicht. Dafür hast du mir nicht genug Details gegeben. Wenn die bösen Leute ein Gesicht bekommen hätten, so ein richtiges Gesicht mit Leib und Seele, dann hätte ich sie vielleicht hassen können, aber so sind sie total Farblos und ich schaffe es nicht, sie zu hassen. Eigentlich fühle ich nichts, was sie betrifft und das ist der schwache Teil der Geschichte. Ich kann die Bösen für ihre bösen Taten nicht hassen. Geht nicht.
Ich denke nicht, dass ich den Hinterwäldlern viel mehr Gesicht verleihen werde. Die will ich gar nicht groß erklären, da gebe ich mich mit "gesichtslosen" Schlitzern im Grundsatz zufrieden. Aber wie oben erwähnt, kann ich versuchen, Lucys Emotionen noch besser darzustellen inkl. der Frage, wie und warum ihre Wut entsteht.

Da ich mich im Horrormilieu auskenne, war ich vom Ende nicht überrascht und bei der Entwicklung der Geschichte habe ich auch dieses Ende erwartet. Also dennoch finde ich, du machst das mit der Spannung gut und sorgst dafür, dass es sich in die Länge zieht. Ja, ich glaube, es gelingt dir, auch wenn ich den Text für vorhersehbar empfinde.
Ja, Spiel mit Stereotypen und so, ich habe das in anderen Komms schon ein paar Mal erklärt. Das war im Prinzip Absicht, aber es hätte ein bisschen mehr Ironie vertragen können. Um so besser, wenn innerhalb dieses Schemaas trotzdem der Spannungsbogen funktioniert.

Ich finde, es ist trotzdem ein guter Text und es gelingt dir. In Richtung Mitte fand ich es etwas Langweilig, bei dem ganzen Kram, was du da geschrieben hast, aber ansonsten ist er nicht schlecht.
Den Mittelteil, vor allem die Flucht durch den Wald, hatten auch schon andere als langatmig moniert. Das werde ich auf jeden Fall straffen.

Also ich hatte meinen Spaß.
Und das ist ja das Wichtigste. ;)



Vielen Dank noch mal euch beiden! Ab morgen bin ich dann endlich im Überarbeitungsmodus, mal sehen, was ich da so schaffe.

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Unglaublicher,
ich hab deine Geschichte schon lang gelesen und mich zum Teil über sie amüsiert. Das Mädchen immer wieder auf die gesehenen Filme referieren zu lassen, das fand ich witzig. Den Anfang mochte ich gern.

Gleichzeitig hat die Gesch mich aber leider gelangweilt, besonders in den Fluchtszenen und am Ende. Ja, ich muss das leider so sagen. Mir gefiel halt der Anfang. Das freche, kesse Mädchen, ihre flappsigen Antworten.
Von mir aus hätte da ruhig noch mehr Konflikt zwischen den dreien sein können. Irgendwas Tiefergehendes. Meine Überlegung zu deiner Idee, die ich übrigens total spannend finde, wäre wahrscheinlich eher gewesen, die Personen sehr sehr auszupinseln, einen Konflikt zwischen ihnen einzubauen, zumindest das zu versuchen, wobei das bei vielen Leser trotz aller Mühe sehr schwer ist, wie man hier oder auch bei meinen Geschichten an den leserreaktionen bemerken kann. Jedenfalls wäre das mein Weg gewesen. Und ich hätte versucht, zwischen den Beknackten im Wald und der Familie einen Zusammenhang herzustellen, so was in der Richtung, dass die regelrecht hingelockt worden sind, vielleicht sogar ganz persönlich. Aber das alles schreibe ich jetzt nicht, weil ich dir meine Herangehensweise empfehlen will, sondern, weil ich dir sagen will, dass Horror zu schreiben, einfach eine sauschwere Sache ist. Eigentlich macht man immer was falsch. Du wirst immer Leute haben, die total was vermissen oder unrealistisch finden und deswegen deine Geschichte rst gar nicht lesen oder sie finden den Ablauf bereits bekannt, oder total ungruselig oder unidentifikationsmäßig. Das wäre/ist bei einer Geschichte nach meinem Muster, das eigentlich kein Muster sein will :D, nicht anders. Aber was man daraus mitnehmen kann, und darauf kommt es mir an, das ist, sich seiner eigenen "Horror"intention sehr bewusst zu werden. Du hast diese Vision eigentlich ja schon, da komme ich später drauf zu sprechen.

Deine Geschichte hat mich ganz grundsätzlich über Horrorgeschichten zum Nachdenken gebracht, bzw ich hab mir meinen eigenen Geschmack und meine Entscheidungen vielleicht etwas bewusster gemacht. Einen Teil meiner Überlegungen kannst du in meiner Antwort zu Exilfranke zu meiner letzten Geschichte lesen, da spare ich mir jetzt eine Wiederholung. Den anderen Teil schreib ich jetzt mal hier.
Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mit einem Haufen Chips oder Popcorn oder sonstwas mal wieder einen der alten Filme genießen will - und jedes Mal schalte ich entnervt ab, wenn die Tüte leer ist. und glaub mir, das geht schnell. Wenn man ernsthaft eine Geschichte a la Scream oder Blairwitch Project schreiben will, hat man es verflucht schwer, das Muster ist ein sehr erkennbares und es ist ausgelutscht, Ausgangs- und Endsituationen sind klar, man muss unbedingt einen Dreh finden, um den erfahrenen Horrorleser zu erwischen. Und viele dieser Filme, Blairwitch Project zum Beispiel hatten unter anderem deswegen Erfolg, weil sie einen neuen Dreh fanden. Bei Blairwitch zum Beispiel die Handkamera, das das Grauen nie gezeigt oder erklärt wird, sondern in der puren Angst besteht.
Wie soll man als ganz normaler Autor dem noch was hinzufügen? Ich kann mir das nur ganz schwer vorstellen. Nicht, dass einem das nicht gelingen kann, der Teufel ist ein eichhörnchen. Trotzdem halte ich es aus meinen ganz persönlichen Gründen prinzipiell für einen falschen Weg, diesen tausend Geschichten eine tausendeinste anzukleben. Es kann eine Schreibübung sein, um den Stil zu trainieren. Mehr aber auch nicht. Es ist wirklich gar nichts Neues mehr, Charaktere, Situationen sind immer nur Material, um das identische Muster zu zeigen. Also von daher, eine ernsthafte, wirklich spannende Geschichte im Stile dieser Filme, nachdem man die alle kennt? Eigentlich halte ich es wie gesagt für unmöglich, aber ich lass mich ja auch gerne überraschen.

Du machst das auch ganz bewusst nicht, eine 1001 Geschichte hinzufügen, sondern wolltest den Splatter mit Ironie verbinden. Ja, richtige Entscheidung amS, dann tritt ein neues Thema hinzu, auch wenn es die Ironisierung auch schon gibt. Aber ich halte es dennoch für geschickter und besser, als sich auf das pure Muster zu beschränken, dieses Muster selbst zu ironisieren.

Ich hatte beim Schreiben zwei Ziele, die sich ein bisschen ins Gehege gekommen sind. Das eine war, einfach eine spannende Splattergeschichte zu schreiben mit dem Geocaching als innovativem Element. (Ich habe mal in der Internet Movie Database gesucht: Es scheint tatsächlich noch keinen einschlägigen Film zu geben, obwohl Geocaching ja nun wirklich nicht mehr so neu und auch hinreichend populär ist.) Das zweite Ziel war, ein bisschen mit den Konventionen und Stereotypen des Genres zu spielen und auf diese Weise etwas Ironie reinzubringen - daher z.B. Lucys ständige Gedanken an solche Filme usw. und auch die Tatsache, dass ihr das so überhaupt nichts nützt. Das Ergebnis ist offenbar ein bisschen halbherzig geraten und wirkt in der Tat etwas zu konventionell.
Ja, das sehe ich auch so, es ist halbherzig, unentschieden. Du wolltest einerseits Spannung herstellen, andererseits dich lustig machen. Wenn du dich aber tatsächlich lustig machst, dir das gelingt, wie soll man dann vor Spannung beben? Das ist eine echt schwierige Mischung.
Davon ab, auch deinen Protagonisten merk man es an, dass sie nur Vorlage/Material für das nachfolgende Inszenieren des Grauens sind, auch wenn du das geil geschreiben hast. Ich finde das aber hier nicht schlimm, weil du ja eine ganz andere Intention hattest, als eine Charakterzeichnung mit den entsprechenden Hintergründen und innerpsychischen Konflikten.

Ich werde in der Überarbeitung versuchen, das ironische Element etwas zu stärken.
Gute Entscheidung. Ich würde auch in den Verfolgungsszenen noch stärker damit spielen. Irgendwo hattest du da schon so ein paar vielversprechende Ansätze. Also das Mädchen gerade deswegen den Alten in die Eier treten lassen, weil das auch schon mal oder noch nie in einem Splatter geklappt hat, so genau weiß ich das auch nicht mehr, wie sich die Girlies da immer befreien. :D Also so ganz übertrieben halt jetzt. Es würde dann wesentlich stärker in Richtung einer Parodie gehen. Ich weiß zwar nicht, ob das in deinem Interesse ist, aber das wäre jedenfalls eine Möglichkeit.

Mach mal das mit dem Ironischen, ich bin gespannt.
Und davon ab, nimm meine Überlegungen nicht gegen deine Geschichte oder dein Vorhaben gerichtet, da spielt so viel Geschmack eine Rolle, aber eben auch, deswegen bin ich da auch so ausführlich geworden, grundsätzliche Probleme, die mit dem Genre zu tun haben und mit den entsprechenden Erwartungen an dieses Genre. Für dieses im Genre liegende Dilemma können weder du was noch ich, aber beim Schreiben muss man damit umgehen. Wir beide lieben dieses Genre einerseits, treffen aber eben ganz unterschedliche Entscheidungen, um diesem Dilemma - als Schlagwort dazu nur - z. B. der Vorhersagbarkeit zu entgehen.

Noch was zu deiner Idee. Die finde ich grandios. als ich das las, musste ich sofort daran denken, dass der Horror sich zum Beispiel auch in der Benutzung des Hobbys selbst zeigen könnte. Man kennt ja schon Romanfiguren, die zum Leben erwachen und einem Autor den Verstand rauben. Warum sollte es nicht einen Fotografen geben, der von seinen Motiven heimgesucht wird? Was weiß ich, ist jetzt einfach ins Blaue gedacht. Oder so was wie, dass man sich aus dem Vollzug dieses Hobbys nicht mehr lösen kann, zum Beispiel den Geoschatz nicht findet, dabei aber immer irrer wird, der Dorfhaufen von Axtdödels, alles enttäuschte Geocacher sind. Nur beim Briefmarkensammeln fällts mir etwas schwer. Zu Tode geleimt vielleicht.
Wie auch immer, du siehst deine Idee finde ich super. Ja, sogar ziemlich inspirierend.

Deine Geschichte als solche ist schön geschreiben, aber das weißt du bestimmt selbst. ich würde an ein paar Längen arbeiten (Flucht) und die Sache mit der Ironisierung vorantreiben.
Bin gespannt.
Viele Grüße von Novak

 

Noch eine Kleinigkeit, Holg:

Als der Mann die Gruppe am Tor erreicht hatte, drehte er die bewusstlose Petra mit einem Tritt auf den Rücken, holte weit aus und schlug ihr ohne Umschweife die Axt in die Brust.
Nicht von ungefähr hab ich diesen Satz zu Beginn meines ersten Kommentars zitiert. Der ist in seiner lakonischen Wucht einfach großartig.
Allerdings glaube ich mittlerweile, dass er noch ein wenig an Coolness gewinnen könnte, eben noch lakonischer klänge, ließest du das Markierte weg. Erzähltechnisch gesehen ist es im Grunde ja vollkommen überflüssig – es geht ja aus der Handlung hervor, dass der Irre das unvermittelt tut. Deshalb erübrigt es sich eigentlich auch, es dem Leser explizit zu beschreiben.

(Mann! Worüber zerbreche ich mir da eigentlich den Kopf? :confused:)

 

Hallo Novak,

ich fange mal mit dem Fazit an:

ich würde an ein paar Längen arbeiten (Flucht) und die Sache mit der Ironisierung vorantreiben.
Genau das ist meine Absicht, und ich bin schon dabei. Zum Glück habe ich diese Woche relativ viel Zeit, da sollte es mal nicht so ewig dauern.

Du sprichst mir in deinem Komm in vielen Punkten aus der Seele, was die (begrenzten) Möglichkeiten zur Innovation im Horrorgenre betrifft. Vermutlich habe ich mir da nicht gerade das einfachste Thema ausgesucht, aber da mir die Idee nun mal im Urlaub gekommen war, wollte ich sie auch niederschreiben, und nachdem die Geschichte geschrieben war, wollte ich sie auch posten.

Mir gefiel halt der Anfang. Das freche, kesse Mädchen, ihre flappsigen Antworten.
Vielleicht habe ich da schon meine ganze Kreativität verströmt. :D Das war halt der Ausgangspunkt, und den hatte ich sehr plastisch im Kopf. Was danach kam - nun ja, das ist tatsächlich ziemlich konventionell geraten.

Von mir aus hätte da ruhig noch mehr Konflikt zwischen den dreien sein können. Irgendwas Tiefergehendes. Meine Überlegung zu deiner Idee, die ich übrigens total spannend finde, wäre wahrscheinlich eher gewesen, die Personen sehr sehr auszupinseln, einen Konflikt zwischen ihnen einzubauen, zumindest das zu versuchen, wobei das bei vielen Leser trotz aller Mühe sehr schwer ist, wie man hier oder auch bei meinen Geschichten an den leserreaktionen bemerken kann.
Ja, hätte man machen können. Aber dann hätte ich die Befürchtung gehabt, die Geschichte zu überladen, denn für den eigentlichen Plot hätte dieser innerfamiliäre Konflikt wenig bis keine Bedeutung gehabt. (Oder ich hätte einen komplett anderen Plot gebraucht.) Es hätte Spaß gemacht, das auszumalen, aber die meisten Leser hätten es mir wahrscheinlich als (weitere) unnötige Länge angekreidet.

Ich finde es aber toll, wie du diesen Weg gehst, z.B. in deinen Fleißigen Händen. Es ist halt ein anderer, vielleicht probiere ich den ja irgendwann auch mal aus. Er scheint mir ein bisschen weniger ausgelatscht.

Und ich hätte versucht, zwischen den Beknackten im Wald und der Familie einen Zusammenhang herzustellen, so was in der Richtung, dass die regelrecht hingelockt worden sind, vielleicht sogar ganz persönlich.
Auch eine schöne Idee, eine sehr schöne sogar, aber ebenfalls schwer mit dem Plot zu vereinbaren, weil so ein Geocache ja im Internet für alle sichtbar ist und von jedem gesucht werden darf. Da hätte ich das Spielprinzip schon arg verbiegen müssen, um so etwas möglich zu machen.

Aber das alles schreibe ich jetzt nicht, weil ich dir meine Herangehensweise empfehlen will, sondern, weil ich dir sagen will, dass Horror zu schreiben, einfach eine sauschwere Sache ist. Eigentlich macht man immer was falsch.
Hab ich gemerkt!

Deine Geschichte hat mich ganz grundsätzlich über Horrorgeschichten zum Nachdenken gebracht, bzw ich hab mir meinen eigenen Geschmack und meine Entscheidungen vielleicht etwas bewusster gemacht.
Das ging mir ähnlich. Ich habe zuerst unbekümmert drauflosgeschrieben, weil ich halt diese lustigen Bilder im Kopf hatte, und sah mich dann im Laufe des Schreibens immer wieder vor der Frage, wo ich damit eigentlich hinwollte, wie ich dem etwas Frisches geben kann, was eigentlich an Horror bzw. Splatter das Attraktive sein kann usw. Fast hätte ich es gelassen, weil ich mir ab irgendeinem Punkt so uninspiriert vorkam. Der Twist mit der Ironie kam dann etwas verspätet ins Spiel, und das ist wohl auch ein Grund für die Unausgegorenheit.

Wie soll man als ganz normaler Autor dem noch was hinzufügen? Ich kann mir das nur ganz schwer vorstellen. Nicht, dass einem das nicht gelingen kann, der Teufel ist ein eichhörnchen.
Eichhörnchen! Tolle Idee!! In meinem Text kommt ja schon eins vor, das baue ich aus. :lol:

Nein, nur ein Scherz. (Obwohl ...) Du hast Recht, man kommt da schnell vom Hölzchen zum Stöckchen.

Ja, das sehe ich auch so, es ist halbherzig, unentschieden. Du wolltest einerseits Spannung herstellen, andererseits dich lustig machen. Wenn du dich aber tatsächlich lustig machst, dir das gelingt, wie soll man dann vor Spannung beben? Das ist eine echt schwierige Mischung.
Bei Scream hat's funktioniert. Aber da waren auch Profis am Werk.

Davon ab, auch deinen Protagonisten merk man es an, dass sie nur Vorlage/Material für das nachfolgende Inszenieren des Grauens sind
Der Punkt würde mich näher interessieren. Was meinst du damit genau?

Also das Mädchen gerade deswegen den Alten in die Eier treten lassen, weil das auch schon mal oder noch nie in einem Splatter geklappt hat, so genau weiß ich das auch nicht mehr, wie sich die Girlies da immer befreien. Also so ganz übertrieben halt jetzt. Es würde dann wesentlich stärker in Richtung einer Parodie gehen. Ich weiß zwar nicht, ob das in deinem Interesse ist, aber das wäre jedenfalls eine Möglichkeit.
Ich hatte in einem anderen Komm schon geschrieben, dass ich kein Scary Movie machen wollte. Aber das ist vermutlich ein schmaler Grat.

Und davon ab, nimm meine Überlegungen nicht gegen deine Geschichte oder dein Vorhaben gerichtet
Wäre ich gar nicht drauf gekommen, du sagst ja so viel Unterstützendes.

Noch was zu deiner Idee. Die finde ich grandios. als ich das las, musste ich sofort daran denken, dass der Horror sich zum Beispiel auch in der Benutzung des Hobbys selbst zeigen könnte.
Mann, da gibst du mir ja gleich eine Menge Ideen vor! (Oder nimmst sie mir weg? ;)) Vielleicht sollten wir mit mehreren zusammen so eine Serie schreiben, die muss ja nicht immer von einem einzigen Autor sein? Das wäre dann allerdings fast schon wie ein Thema des Monats, dafür hätte die Überschrift vielleicht auch getaugt. Schade, dass mir das jetzt erst einfällt.

Meine Güte, so viele Assoziationen ...



Hallo noch mal, ernst offshore,

Mann! Worüber zerbreche ich mir da eigentlich den Kopf?
Das fragst du ausgerechnet einen, der sich wochenlang mit dem Thema befasst hat? :lol:

An dem Satz, den du da diskutierst, habe ich die letzten zwei Tage auch mehrmals gesessen. Einerseits geht es mir wie dir, es kommt mir zu plakativ vor, wenn ich betone, was der Leser ja idealerweise von alleine merken sollte. Andererseits werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas fehlt, wenn ich diese zwei Worte wegnehme. So, als ob der Leser dann denken würde: Na, das hat der Holg aber lieblos gemacht. Weil man eben doch nicht richtig sieht, wie der Typ das im Vorbeigehen macht.

Vielleicht, wenn ich ein unauffälligeres Wort für "ohne Umschweife" finde? Oder den Text drumherum etwas optimiere? So viele Gedanken für zwei Worte ... :shy:



Herzlichen Dank euch beiden!

Grüße vom Holg ...

 

Hallo unglaublicher Holg,

ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich dir, gewissermaßen als Dankeschön für deinen Kommentar, erst auch einen Kommentar hinterlasse, bevor ich dir dann im anderen Thema antworte.
Ich habe deine Geschichte nämlich schon eine Weile im Blick, bin aber bisher noch zurückgeschreckt, weil es ja doch um nicht wenig Text geht.
Nicht wenig Text - da kann ich eigentlich gleich anknüpfen: Ich habe die Geschichte das erste Mal sehr spät nachts gelesen, wollte auch nur kurz reinschauen, wie sie sich so anlässt, weil es wirklich zu spät war. Und dann war ich plötzlich doch durch :) Ich fand sie sehr kurzweilig.

Mir hat dabei unter anderem gut gefallen, wie du den Leser durch diesen flapsigen Erzählton in Sicherheit wiegst. Und dann war plötzlich das Grauen da. Mich hat das schon erwischt, denn trotz aller Ankündigung ("wir haben ihn gefunden" und so) dachte ich immer: Das kann doch nicht sein, dass das hier jetzt wirklich ernst wird.
(Ich habe gesehen, das andere diesen Sprung nicht so gut mitmachen konnten und die Katastrophe dann nicht ganz ernst nehmen konnten. Das ging mir nicht so - vielleicht auch, weil ich im Horror-Genre selten unterwegs bin?)

Ich stürze mich mal hinein und schaue, woran ich hängen bleibe:

„Google Maps ist auch raus. Das Netz ist weg“, sekundierte Petra kurz darauf.
"Kurz darauf" könnte evtl. weg, oder? Das ist eigentlich klar.

Den ganzen Beginn finde ich gelungen. Ich bin da schnell in den Sog gekommen und bin sportlich mit dem flotten Text mitgejoggt. Ein Satz haut mich da etwas raus:

Alle naselang sah sie über ihre Schulter, ob etwa ein Wolf, ein Wildschwein oder eine Riesenspinne aus dem Unterholz angriff. Auch ein tollwütiges Eichhörnchen hätte sie nicht ernsthaft überrascht.
Wolf und Riesenspinne fürchtet sie ja wahrscheinlich nicht wirklich, oder? Aber sie fürchtet sich ja schon. Mir scheint dieser Satz irgendwo zwischen Satire und Ernst zu schwanken, dagegen wäre wahrscheinlich nichts zu sagen. Aber letztlich geht der Ernst - scheint mir - hier unter, vielleicht weil Übertreibung und das, was sie wirklich fürchtet, für ich unklar miteinander vermischt sind. Die Übertreibungen machen es für mich unglaubwürdig, dass sie wirklich immer wieder über die Schulter schaut. Ich bin mir nicht sicher ob das halbwegs verständlich war, aber so wichtig ist es auch nicht.

...vide-grenier (...) „Leere Kornkammer“, hieß das wörtlich,
Hier mache ich doch glatt mal den :klug:-Alarm an! In der Zusammensetzung "vide-grenier" steckt eigentlich ein Verb, so wie etwa auch in "Passe-muraille", "tire-bouchon" o.ä. Das Verb ist nur nicht so leicht erkennbar, weil es genauso aussieht wie das Adjektiv. "Vide-grenier" ist also der "Speicherleerer", wie der tire-bouchon der Korkenzieher ist.
Dabei ist ja wirklich toll, wie Lucy das nachgeschlagen hat und sich das Wort davon eben doch noch nicht ganz aufschlüsseln kann. Genau das passiert ja oft, wenn man im Wörterbuch nachschaut. Falls du etwas änderst, soll das bitte ja nicht verloren gehen!

Ständig bewegte sich irgendetwas im Gebüsch. Dann raschelte es, als ob jemand von links nach rechts oder von rechts nach links huschte. Zweige winkten, als wollten sie Lucy auf etwas aufmerksam machen: Schau mal! Rate, was sich hier versteckt! Oder wer dich dort verfolgt! Sie wandte sich schaudernd ab und trat wieder einen Schritt näher zu ihrer Mutter.
Ich mache noch einen Nachklapp zu meiner Anmerkung oben. Diese zweite Stelle finde ich nämlich absolut glaubwürdig. Sie ist flapsig, und trotzdem nimmt man Lucy ab, dass es ihr dort im Wald unheimlich ist. Ich wollte das nur mal so gegenüberstellen, weil es mir aufgefallen ist.

Es war ein französischer Bauernhof,
Da bin ich mir nicht sicher, ob man "französisch" nicht besser weglassen sollte. Es ist ja schon klar, dass der französische Bauernhof als Typus gemeint ist, nicht als ein Bauernhof, der eben in Frankreich steht. Aber ginge das nicht anders?

begrüßte sie mit einem französischen Redeschwall, der sehr freundlich klang, von dem Lucy aber nur „bonjour“ und „belles dames“ verstand.
Hier würde ich "französisch" aber, glaube ich, weglassen. Das merkt man ja dann gleich an den Wörtern, die folgen.

„On l'a trouvé“, hörte sie heraus. „Venez!“
Das finde ich sehr wirkungsvoll. Ganz nebenbei bekommt man den ersten kalten Schauer übergegossen.
Überraschend finde ich aber, wie Lucy das so locker hinnimmt. "Wir haben ihn gefunden" sagt man ja nicht unbedingt, wenn alles in Ordnung ist. (Lucy könnte ja evtl. noch etwas anderes heraushören und dann nur so ungefähr mitbekommen haben, dass der Papa da auf dem Hof ist)

Hinter der Schwelle blieb sie wie angewurzelt stehen, starrte in den Raum und stieß keuchend den Atem aus. Dann fiel sie in Ohnmacht.
Hier stand ja, glaube ich, in einer früheren Version so etwas wie "da erwartete sie das Grauen" o.ä. Ich wollte nur anmerken, dass mir die alte Version gut gefallen hat. Für mich hat sich das Grauen in der Ankündigung verstärkt. Macht nichts, es ist aber vielleicht interessant zu wissen, wie verschiedene Leser verschieden reagieren.

An der Tür angekommen, stieß sie einen Fluch aus und wandte sich noch einmal um. Sie lief die drei Schritte zurück zum Tisch und griff auch noch nach dem GPS-Gerät, auf dem ihr Vater den Standort des Wagens gespeichert hatte. Der Axtpriester kam auf sie zu.
Hier frage ich mich, ob der Kuttenträger sie nicht längst erreicht haben müsste?

Bloß gut, dass die keinen Hund hatten wie die meisten anderen Bauern.
Kann sie da so sicher sein?

Nein, Lucy, jetzt noch nicht denken, sonst brichst du hier heulend zusammen. Bis zur Polizei musst du es noch schaffen!
Diese Idee gefällt mir an sich gut: Sie unterdrückt bewusst ihre Emotionen um handlungsfähig zu blieben. Ich glaube auch, das das wirklich bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Angesichts des wirklich heftigen Verlusts, den Lucy gerade wegstecken muss, ist das für mich hier aber nur grenzwertig glaubwürdig. Will sagen: Ich nehme das nicht einfach so an, sondern ich frage mich, ob das noch sein kann, wenngleich ich es auch nicht ablehne. Das wirft mich etwas aus dem Geschehen. (Ich wüsste aber nicht, wie man die Sache reibungsloser gestalten könnte.)

Hoffnung keimte in ihr auf, gepaart mit der Bitterkeit der Tatsache, die sie nun nicht mehr aus ihrem Kopf verbannen konnte: Ihre Eltern waren tot, ermordet von verrückten Waldbewohnern. Aber wenigstens ich werde leben, keine Ahnung wie, aber ich werde leben. Und diese Psycho-Arschlöcher werden ihre gerechte Strafe kriegen.
Da ist mir Lucys Innenleben wird mir ein bisschchen zu trocken abgehakt, wenn es ihr wirklich klar werden soll, was da geschehen ist.

„Aidez-moi, s'il vous plaît! Appelez la police! On a tué mes parents. Ils sont morts."
Fast zu korrekt, gemessen an der vorangegangenen Stammelei :)

Ihren Redeschwall konnte Lucy nicht verstehen,
Eine Kleinigkeit: "Redeschwall" war oben schon mal in einer in gewisser Weise ähnlichen Situation (Jemand redet und Lucy versteht es nicht).

Schöne Geschichte, flott erzählt!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch,

Ich habe die Geschichte das erste Mal sehr spät nachts gelesen, wollte auch nur kurz reinschauen, wie sie sich so anlässt, weil es wirklich zu spät war. Und dann war ich plötzlich doch durch Ich fand sie sehr kurzweilig.
Mir hat dabei unter anderem gut gefallen, wie du den Leser durch diesen flapsigen Erzählton in Sicherheit wiegst. Und dann war plötzlich das Grauen da. Mich hat das schon erwischt, denn trotz aller Ankündigung ("wir haben ihn gefunden" und so) dachte ich immer: Das kann doch nicht sein, dass das hier jetzt wirklich ernst wird.
Das freut mich sehr, dass meine Story für dich so gut funktioniert hat. Ich hoffe, das lag nicht nur daran, dass es mitten in der Nacht war. Da gruselt es sich manchmal schon ganz von selbst. :D

(Ich habe gesehen, das andere diesen Sprung nicht so gut mitmachen konnten und die Katastrophe dann nicht ganz ernst nehmen konnten. Das ging mir nicht so - vielleicht auch, weil ich im Horror-Genre selten unterwegs bin?)
Ja, ich glaube, die Vertrautheit mit dem Genre spielt eine wichtige Rolle. Die hilft einerseits, gewisse Abläufe zu akzeptieren, die vielleicht sonst Stirnrunzeln hervorrufen; andererseits sorgt sie für ein gewisses Déjà-vu-Gefühl, wenn man die zwanzigste Backwood-Splatter-Geschichte sieht/liest. Ich komme auf beides gleich noch zurück.

"Kurz darauf" könnte evtl. weg, oder? Das ist eigentlich klar.
An der Stelle wollte ich klar machen, dass Petra nicht sofort antwortet, sondern ein bisschen später, aber eben nicht viel später.

Mir scheint dieser Satz irgendwo zwischen Satire und Ernst zu schwanken, dagegen wäre wahrscheinlich nichts zu sagen. Aber letztlich geht der Ernst - scheint mir - hier unter, vielleicht weil Übertreibung und das, was sie wirklich fürchtet, für ich unklar miteinander vermischt sind. Die Übertreibungen machen es für mich unglaubwürdig, dass sie wirklich immer wieder über die Schulter schaut. Ich bin mir nicht sicher ob das halbwegs verständlich war, aber so wichtig ist es auch nicht.
Wenn ich widersprechen darf: Doch, ich finde das wichtig. Gerade der Spagat zwischen "ernsthafter" Spannung und Ironie (u.a. durch Übertreibung) ist nach der bisherigen Diskussion das Hauptproblem dieses Textes und der wichtigste Gegenstand meiner momentan laufenden Überarbeitung. Ich hoffe, es wird dich nicht enttäuschen, dass die nächste Version (hoffentlich noch diese Woche) stärker in die ironische Richtung gehen wird. Der Grund ist, dass die Handlung, wenn man sie bierernst nimmt, einfach zu abgegriffen und die fünfhundertste ihrer Art ist. Das ist die negative Seite der oben angesprochenen Vertrautheit: Für die Horrorfans ist dies hier einfach ziemlich gewöhnlich. Mit mehr Humor hoffe ich dieser Falle zu entkommen. Mein Ziel ist es aber, trotzdem die Spannung nicht zu verlieren, und das ist echt schwer.

Deine Anmerkung verstehe ich nun so, dass die Vermischung beider Ebenen innerhalb eines Satzes (oder sonstwie sehr dicht beisammen) zu Konfusion führen kann. Ich werde versuchen, das zu beachten.

Hier mache ich doch glatt mal den Klugscheiß-Alarm an! In der Zusammensetzung "vide-grenier" steckt eigentlich ein Verb, so wie etwa auch in "Passe-muraille", "tire-bouchon" o.ä. Das Verb ist nur nicht so leicht erkennbar, weil es genauso aussieht wie das Adjektiv. "Vide-grenier" ist also der "Speicherleerer", wie der tire-bouchon der Korkenzieher ist.
Dabei ist ja wirklich toll, wie Lucy das nachgeschlagen hat und sich das Wort davon eben doch noch nicht ganz aufschlüsseln kann. Genau das passiert ja oft, wenn man im Wörterbuch nachschaut. Falls du etwas änderst, soll das bitte ja nicht verloren gehen!
Darauf habe ich fast gewartet, dass mal jemand mit richtig fundiertem Französisch draufguckt. ;) Dass diese Übersetzung nicht so optimal ist, war mir bewusst, schon allein von der Wortstellung her kann das ja nicht passen. Ein "leerer Speicher" müsste ein "grenier vide" sein. Ich habe das allerdings nicht bewusst Lucy in die Schuhe geschoben, sondern mich mit dieser groben Näherung zufriedengegeben, damit die Erklärung nicht zu kompliziert wird. Ich fand es nämlich auch so schon grenzwertig. Ich habe aber nichts gegen deine Interpretation einzuwenden, und wenn du das sogar gut findest, werde ich an dieser Stelle guten Gewissens faul sein und die Passage einfach so stehenlassen. :lol:

Diese zweite Stelle finde ich nämlich absolut glaubwürdig. Sie ist flapsig, und trotzdem nimmt man Lucy ab, dass es ihr dort im Wald unheimlich ist.
Yes!! :thumbsup:

Da bin ich mir nicht sicher, ob man "französisch" nicht besser weglassen sollte. Es ist ja schon klar, dass der französische Bauernhof als Typus gemeint ist, nicht als ein Bauernhof, der eben in Frankreich steht. Aber ginge das nicht anders?
Anders bestimmt, aber einfacher? Ich bin momentan bestrebt (Überarbeitung, wie gesagt), den Text eher kürzer als länger zu machen. Dafür erscheint mir die andere ähnliche Stelle geeignet:
Hier würde ich "französisch" aber, glaube ich, weglassen. Das merkt man ja dann gleich an den Wörtern, die folgen.
Gekauft!

Überraschend finde ich aber, wie Lucy das so locker hinnimmt. "Wir haben ihn gefunden" sagt man ja nicht unbedingt, wenn alles in Ordnung ist.
Hast Recht, da könnte ich ein paar Zweifel bei Lucy einstreuen. Ich hatte schon nachträglich eingefügt, dass Petra auf der Schwelle fragt: „Heiner? Ist alles in ...?“ Aber bei Lucy fehlt in der Hinsicht wirklich noch etwas.

Hier stand ja, glaube ich, in einer früheren Version so etwas wie "da erwartete sie das Grauen" o.ä. Ich wollte nur anmerken, dass mir die alte Version gut gefallen hat. Für mich hat sich das Grauen in der Ankündigung verstärkt.
Gut aufgepasst! Ja, das war auch die Intention, die ich ursprünglich mit dem kleinen Satz hatte. Ihn wegzulassen, stärkt aber die Lakonie und diese wiederum die Ironie, deshalb bin ich dem Rat gefolgt. Andersrum gesagt hat das ominöse "Dorrrt erwarrrtete sie das Grrrauen" (gesprochen mit der Synchronstimme von Vincent Price ;)) so etwas Ernsthaft-Bedeutungsschweres.

Hier frage ich mich, ob der Kuttenträger sie nicht längst erreicht haben müsste?
Hm, könnte sein. Vielleicht sollte er etwas länger damit kämpfen, die Axt aus Petras Rippen freizukriegen. ;)

Bloß gut, dass die keinen Hund hatten wie die meisten anderen Bauern.
Kann sie da so sicher sein?
Sie nimmt das einfach an, weil bis jetzt noch kein Hund hinter ihr her ist. Der Satz fällt aber eh aus Tempogründen raus.

Diese Idee gefällt mir an sich gut: Sie unterdrückt bewusst ihre Emotionen um handlungsfähig zu blieben. Ich glaube auch, das das wirklich bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Angesichts des wirklich heftigen Verlusts, den Lucy gerade wegstecken muss, ist das für mich hier aber nur grenzwertig glaubwürdig. Will sagen: Ich nehme das nicht einfach so an, sondern ich frage mich, ob das noch sein kann, wenngleich ich es auch nicht ablehne. Das wirft mich etwas aus dem Geschehen. (Ich wüsste aber nicht, wie man die Sache reibungsloser gestalten könnte.)
Ich auch nicht. Das ist die andere Seite der Medaille in Bezug auf die Vertrautheit mit dem Genre. Der geübte Horrorleser nimmt das m.E. hin, dass sich Leute auch im Trauma irgendwie am Laufen halten können. Anders käme auch keine Story dabei heraus, denn realistisch wäre es, dass das Opfer vor Schreck erstarrt oder wimmernd zusammenbricht und sich in beiden Fällen kurz und bündig abschlachten lässt. Abspann und Schluss, war 'n kurzer Film. So hat wohl jedes Genre seine Konventionen: Im Actioner schleppt sich der Held auch mit acht Schussverletzungen durch die zweite Filmhälfte ("is' nur 'ne Fleischwunde!"), der Kickboxer steht auch nach dem dritten Volltreffer wieder auf usw.

Das enthebt den Autor nicht der Pflicht, diesen Ablauf so gut wie möglich plausibel zu machen, und ich habe da mein Bestes getan (Leitmotiv: Wut, und außerdem war Lucy schon immer krisenfester als z.B. ihre Mutter). Aber den Rest muss der Leser mit sich selbst ausmachen.

Da ist mir Lucys Innenleben wird mir ein bisschchen zu trocken abgehakt, wenn es ihr wirklich klar werden soll, was da geschehen ist.
Im Prinzip siehe oben, auch wenn an ich dieser speziellen Stelle noch etwas gründlicher sein könnte. Kann aber auch sein, dass ich es hier lieber ganz streiche zugunsten des Tempos.

Fast zu korrekt, gemessen an der vorangegangenen Stammelei
Diesmal hatte sie den ganzen Weg Zeit, sich den Satz zu überlegen. Ich erwähne das ja sogar extra, was eigentlich viel zu erklärbärig ist. Und so schwer ist dieser Satz auch nicht, selbst für den Abdeckerkurs in der Q2. :D Aber vielleicht schraube ich da trotzdem noch mal dran.

Eine Kleinigkeit: "Redeschwall" war oben schon mal in einer in gewisser Weise ähnlichen Situation (Jemand redet und Lucy versteht es nicht).
Okay, ich werde nach einem Synonym suchen.

Schöne Geschichte, flott erzählt!
Freut mich sehr! :) Vielen Dank für deinen Kommentar!

Grüße vom Holg ...

 

Hi Incredible Holg,

Nochmal kurz:

Deine Anmerkung verstehe ich nun so, dass die Vermischung beider Ebenen innerhalb eines Satzes (oder sonstwie sehr dicht beisammen) zu Konfusion führen kann. Ich werde versuchen, das zu beachten.
Ja, das meinte ich. (Ich habe dabei übrigens nichts dagegen, wenn es mehr Richtung Ironie gehen soll.)

Hier frage ich mich, ob der Kuttenträger sie nicht längst erreicht haben müsste?
Hm, könnte sein. Vielleicht sollte er etwas länger damit kämpfen, die Axt aus Petras Rippen freizukriegen. ;)
Das klingt nach einer guten Lösung! Mir gefällt sie jedenfalls so gut, dass ich den Aufwand nicht scheue, dich ganz ausdrücklich darin zu bestärken, das so zu machen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch,

danke für die nochmalige Rückmeldung!

Ich habe dabei übrigens nichts dagegen, wenn es mehr Richtung Ironie gehen soll.
Freut mich!

Das klingt nach einer guten Lösung! Mir gefällt sie jedenfalls so gut, dass ich den Aufwand nicht scheue, dich ganz ausdrücklich darin zu bestärken, das so zu machen.
Gerne! Wenn's dich nicht stört, die Rippen knacken zu hören ... ;)

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Luna80,

danke fürs Reinschauen. Freut mich, dass dir meine Geschichte gefällt!

Was mich brennend interessiert: Seid ihr Geocacher?
Kommt drauf an, wen du mit "ihr" meinst. :D In unserer Familie steht es 3:2 für die Cacher-Fraktion. Ich bilde zusammen mit unserer einen Tochter (die für Lucys Lustlosigkeit Patin stehen musste) die "2". Trotzdem habe ich beim Mitgeschleiftwerden genug mitbekommen, um die Begriffe zu kennen und anzuwenden. (Klingt wie eine Lernzieldefinition an der Geocaching-Schule: Kann die wichtigsten Begriffe benennen und anwenden. ;))

Für mich als aktiver Geocacher war deine Geschichte nun ein absolutes Muss und mir kam Lucys Lustlosigkeit doch recht bekannt vor - zerren wir doch unsere Kinder selber auch durch den Wald.
Yes - ins Schwarze! :lol:

Also trotz deines kleinen Schnitzers mit Google maps (was ich übrigens auch nicht wusste) fand ich schon, dass du gut recherchiert hast - falls du kein Geocacher sein solltes.
Und diesen Schnitzer werde ich in der Überarbeitung auch noch ausmerzen. Die braucht nur leider doch ein paar Tage länger als erhofft.

Ich finde, du kannst den Owner des Caches ruhig als solchen. Jeder der des englischen etwas mächtig ist - was ja überwiegend der Fall ist - weiß wer damit gemeint ist.
Tja, da weiß ich immer nicht so ... dieses Denglisch ist ja fast wie in der Businesswelt. Oder in der IT. Oder ... oder ... Manche Leute nervt es total, wenn es doch völlig brauchbare deutsche Worte mit derselben Bedeutung gibt. Und wenn ich "Owner" schreibe, dann wohl auch "Hint", das ist dann schon ein bisschen weniger geläufig. Da kommt man schnell auf Abwege.

Aber ich werde darüber noch mal nachdenken, danke für den Hinweis.

Ab der Szene in der Scheune hättest du bestimmt noch mehr Horror herauszuholen. Also ich habe mich auch nicht wirklich gruseln können. Aber die Idee, auch wenn sie klassisch ist ...
"Klassisch" ist aber eine sehr freundliche Umschreibung für "schon tausendmal gesehen" ... :D

Ja, ich werde in der Fluchtszene das Tempo noch mal etwas anziehen, aber das wird nicht die Welt bringen. An der Handlung als solcher möchte ich nicht mehr groß drehen, die Idee für den großen Wurf hätte ich auch überhaupt nicht. Ansonsten habe ich ja beschlossen, den Ironiefaktor zu erhöhen. Mal sehen, wie das ankommt ... ich bin mir bei dem aktuellen Entwicklungsstand noch ziemlich unsicher ... deshalb dauert es auch noch, obwohl ich eigentlich letzte Woche schon fertig sein wollte.

ist doch sehr schön und auch toll geschrieben. Vor allem das Ende, das mein Interesse an einer Fortsetzung weckt - so muss es sein.
Gerne gelesen.
Na, das ist doch das Wichtigste, vielen Dank!

Grüße vom Holg ...

 

Hy @Holg,

ich mag die Geschichte, vor allem das Horrorkonzept von wahnsinnigen Hinterwäldlern. Irgendwie musste ich währenddessen an "Wrong Torn" oder "Beim Sterben ist jeder der Erste" denken^^.
Du hast einen tollen Schreibstil und einen coolen Humor, weiter so.

Bin schon auf weiteres Gespannt. ;)

Gruß, Ian

 

Hallo Ian Barrens,

vielen Dank für dein Lob! Ja, für mich funktioniert dieses Konzept auch immer wieder, das muss wohl irgendeine Urangst anzapfen, obwohl natürlich absolut zu Recht die mangelnde Innovation angemerkt wurde.

Falls du auch in die Komms geschaut hast, weißt du ja, dass ich noch eine Überarbeitung in der Mache habe, in der ich den Humor- oder besser Ironieanteil noch etwas steigern werde. Für alle anderen kann ich bei dieser Gelegenheit noch mal erwähnen, dass das nicht vergessen ist, es geht bloß nicht so leicht von der Hand wie erhofft.

Bin schon auf weiteres Gespannt.
Die zweite Geschichte der Serie ist ja schon im Forum, allerdings kein Horror.

Danke für deinen Besuch!

Grüße vom Holg ...

 

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