1089
Kalt, dunkel, einsam – so ist die Lage momentan bei uns. Vor 1042 Tagen sind wir auf dem Planeten Proxima Centauri B gelandet, um eine Kolonie zu starten. Ein neues zu Hause für die Menschheit. Nur leider ist dieser Planet nicht bewohnbar, ganz und gar nicht. Die uns gegebenen Daten haben uns getäuscht, sie sind falsch. Auf dem Planeten gibt es kein Wasser. Nur trockene, endlose Landschaften, starke Stürme und zu niedrige Temperaturen. Bei der Landung sind 7 von 17 Astronauten gestorben, weil einer unserer Haupttanks explodiert ist. 3 weitere Astronauten wurden beim Erforschen des Planeten vom Sturm mitgenommen und wurden nie mehr wieder gesehen. Wir flogen vor 1036 Tagen zurück ins All und kreisen seitdem im Orbit des Planeten, wie die Satelliten bei der Erde. Wir könnten nicht mehr zur Erde zurückfliegen, da der Treibstoff nicht mehr ausreichen würde und wir können auch nicht nach Hilfe rufen, da sämtliche Kommunikationsgeräte auf Proxima B vom Sturm zerstört wurden. Es war das Jahr 2054 als ich meine Familie verließ, um ein neues zu Hause zu finden. Jetzt haben wir das Jahr 2071 und ich weiß ganz genau, dass ich vielleicht nie wieder zurück kann.
Ein lauter Knall hat mich plötzlich aus meinen tiefen Gedanken gerissen. Ich weiß nicht, was das war, also suche ich das ganze Raumschiff ab, um zu gucken, was das war. Und Leider war es Astronaut AUS-21E. Er hat sich eine Kugel in den Kopf geschossen. Somit sind nur noch ich, Astronautin SWE-31A und der Roboter TERRA übrig. Die anderen haben sich ebenfalls über die Zeit umgebracht. Sie können den Schmerz nicht vertragen, dass sie nie wieder zur Erde zurückfliegen können und ihre geliebten Familien sehen können. Das ist für mich allerdings nachvollziehbar, aber trotzdem habe ich noch die Hoffnung, dass die NASA ein Rettungsraumschiff zu uns schickt, weil wir schon seit fast 3 Jahren keine Signale mehr an die Erde senden. Aber Astronaut AUS-21E tut mir sehr leid, er war der jüngste von uns. Er war aus Australien, war 38 Jahre alt und hörte auf den Namen Eric. Wir alle haben ihn sehr gemocht, weil er immer für eine lockere Stimmung unter uns gesorgt hat. Möge er in Frieden ruhen.
„Er ist jetzt der 5.“, sagt SWE-31A zu mir. Ich antworte nur mit „Ich weiß.“, weil ich einfach nicht so genau weiß, was ich in dieser Situation sagen soll. Es verletzt mich innerlich die Menschen gehen zu sehen, mit denen ich mehrere Jahre zusammen gearbeitet habe. Und allein der Gedanke, dass nur noch zwei Menschen in diesem Raumschiff übrig sind, ist für mich äußerst surreal. In diesem emotionalen Moment kommt TERRA in den Raum. „Ich muss euch mitteilen, dass die Treibstoff- und somit auch die Stromversorgung voraussichtlich noch 47 Tage reichen wird.“. In den Augen von SWE-31A sehe ich, wie auch sie langsam verzweifelt. Ich mache mir auch schon lange Sorgen, um ihre Psyche. Sie weint jede Nacht, starrt in die unendlichen Weiten des Universums und hört auf Dauerschleife „Non, je ne regrette rien“ von Édith Piaf. „Ist alles okay bei dir?“ frage ich sie, aber ich bekomme keine Antwort, sie starrt nur ins Leere. Darauf verlasse ich mit TERRA das Zimmer, um ihr einen Moment zu geben, wo sie allein sein kann. „Denkst du auch mit ihr stimmt irgendwas nicht, TERRA? Sie weint jede Nacht und starrt oft ins Leere. Sie ist irgendwie so abwesend, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll“, frage ich TERRA. „Ich besitze nicht die Funktion die Psyche des Menschen diagnostizieren zu können, aber anhand der vorherigen Vorfälle lässt sich deuten, dass sie labil sein könnte“, antwortet mir TERRA. „Okay, wie sieht es mit Vorräten aus? Wie viel haben wir noch übrig?“, „Für euch zwei würden die Vorräte noch 18 Tage reichen beim aktuellen Verbrauch.“. Das war ein Schock für mich, was TERRA zu mir gesagt hat. SWE-31A darf das nie erfahren, sie würde sonst durchdrehen, wenn sie erfahren würde, dass wir eventuell verhungern und verdursten könnten. „Danke TERRA, du darfst das aber nicht SWE-31A erzählen. Sie könnte die Realität nicht vertragen.“, sage ich TERRA mit einer nervösen Stimme.
Es sind jetzt weitere 7 Tage vergangen. Ich sitze an meinem Schreibtisch und schreibe Gedichte, sie beruhigen mich. Mein Gedicht soll von den schönen Landschaften in Europa handeln. Ich wünsche mir so sehr die schönen Alpen oder meine geliebte Heimat generell wieder zu sehen, ich muss einfach nur abwarten. Als ich jedoch versuche meine Gedanken und Wünsche auf ein Stück Papier zu bringen, höre ich, wie meine Zimmertür aufgeht und Schritte zu mir kommen. Ich drehe mich um und sehe SWE-31A. Ich frage sie, ob bei ihr alles in Ordnung sei, aber wieder keine Antwort. Sie steht einfach nur dort rum und starrt mich an, ohne Kommentare für ganze 20 Minuten. Ich drehe mich wieder zurück und ignoriere sie. Ich arbeite an meinem Gedicht weiter und höre im Hintergrund wie sie den Raum verlässt und die Tür wieder abschließt. Mir fällt auf, dass sie sich von Tag zu Tag immer merkwürdiger verhält. Als ich versuchte mein Gedicht zu Ende zu schreiben, ging das Licht meiner Schreibtischlampe aus. Scheinbar fängt langsam an die Stromversorgung zu schwächeln. Aber, das ist mir egal, ich lege mich schlafen und beende mein Gedicht einfach morgen.
Als ich aber am nächsten Tag aufwachte stand SWE-31A wieder in meinem Zimmer, aber sie hat jetzt ein Messer in ihrer Hand. Geschockt stehe ich sofort auf und sage ihr „leg das Messer weg, das willst du doch gar nicht.“, sie antwortet aber nicht und läuft zu mir. Sie versucht auf mich einzustechen, aber ich kann mich verteidigen. Als die Gelegenheit kam, riss ich das Messer aus ihrer Hand und sie fängt an zu weinen. Ich gehe mit ihr auf den Boden und versuche sie zu beruhigen. „Es wird alles gut, die NASA wird schon Hilfe schicken.“, flüstere ich ihr zu. Daraufhin verlässt sie wieder den Raum. Immer noch unter Schock gehe ich wieder zu meinem Schreibtisch und beende mein Gedicht als mich laute, quälende Schreie aus der Küche unterbrechen. Ich lasse alles liegen und renne sofort zur Küche und sehe, wie sie auf dem Boden liegt und am Verbluten ist. Sie hat ein anderes Messer genommen und sich die Kehle durchgeschnitten. Leider war es zu spät als ich kam und ich konnte nur zu sehen, wie sie stirbt. TERRA kommt ebenfalls und fragt „Ist sie jetzt auch tot?“, „Ja ist sie.“, antworte ich ohne weitere Kommentare. „Wie war ihr Name?“ fragt mich TERRA, „Ihr Name war Anna, sie war 48 Jahre alt und war aus Schweden.“. TERRA antwortet darauf nur mit „Verstehe.“ und verlässt wieder die Küche.
Heute ist Tag 1080, viele Lichter im Raumschiff sind schon ausgegangen und ich esse die letzten Vorräte, die ich mir gut eingeteilt habe. Die Tage sind jetzt noch viel monotoner und einsamer geworden, seitdem Anna, der letzte andere Mensch hier, gestorben ist. Ich muss meine Tage hier nur noch mit einem Roboter verbringen. Einem Objekt, das Emotionen nicht kennt und nicht wirklich nachvollziehen kann. Sonst ist niemand und nichts hier. Ich gehe ins Aufenthaltszimmer, wo ich auf TERRA treffe. „Hallo TERRA“ sage ich, „Hallo, wie war dein Tag?“ fragt mich TERRA und ich gebe dieselbe Antwort, die ich schon seit fast 3 Jahren gebe: „So wie jeder andere auch.“. „Freut mich zu hören.“, antwortet TERRA mit seiner eintönigen Stimme. „Also TERRA, wie lange hält noch die Stromversorgung?“, frage ich aus purem Interesse. „Meinen Berechnungen zufolge, kann die Stromversorgung im besten Fall noch 9 Tage aushalten.“. „Funktionierst du danach noch?“, frage ich aus Neugier. Ich muss eben wissen, ob ich nach diesen 9 Tagen allein sein werde oder nicht. „Wenn die Stromversorgung abbricht, dann werde ich nicht mehr funktionstüchtig sein.“. Ich brauche ein paar Sekunden, damit ich mit dieser Situation klarkommen kann. „Das heißt also, ich werde völlig allein sein, ist das richtig?“. „Nach 9 Tagen ist es durchaus möglich, dass—“, in diesem Moment, als mir TERRA antworten wollte, hat sich TERRA abgeschaltet. Das System im Raumschiff unterbricht automatisch Geräte mit hohem Stromverbrauch, um viel Strom sparen zu können. Ab jetzt bin ich komplett allein in einem Raumschiff in einem fremden Sonnensystem, weit weg von meiner Heimat.
Jetzt ist Tag 1089, irgendwann heute wird die komplette Stromversorgung unterbrechen. Ich laufe durchs ganze Raumschiff und erinnere mich in jedem Raum an all meine schönen Erinnerungen, die ich mit meinen Kollegen hier hatte. Ich sehe TERRA, wie er auf dem Boden liegt und keine Sorgen haben muss, wie es mit ihm weitergeht. Ich gehe in mein Zimmer und gucke aus dem Fenster. Die unendlichen Weiten des Universums sind beeindruckend, aber irgendwie machen sie mir auch Angst. Plötzlich gehen alle Lichter aus. Ich stehe jetzt allein in einem Raumschiff. Ganz allein im dunklen, kalten Raumschiff, Millionen von Kilometern von der Erde entfernt. Mein Name ist Lucas, ich bin 42 Jahre alt und komme aus Belgien. Es tut mir leid, dass ich keine neue Heimat finden konnte. Over and out.