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17 Jahre

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23.10.2008
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17 Jahre

Marc sitzt am PC, surft ziellos im Netz umher, obwohl draußen ein milder Sommertag die Menschen ins Freie zieht. Er sollte die große Hecke hinterm Haus schneiden, aber das hat Zeit. Es ist erst kurz nach vier. Das Auto, das auf den Hof fährt, hält er zunächst für das seiner Frau. Die wollte noch etwas einkaufen für das Grillen mit den Schwiegereltern am Wochenende. Auch sein kleiner Sohn ist mitgefahren, weil er eine neue Badehose für den Urlaub am Meer braucht. Doch es ist nicht der vertraute Kombi, sondern ein älteres Fahrzeug mit einer dünnen Staubschicht auf dem blassen Lack. Durch die Fenster kann er es sehen, es hält direkt neben ihm, quasi auf Augenhöhe, nur getrennt durch die Glasscheibe. Die Fahrertür geht auf und eine Frau steigt aus. Sie klingelt an der Haustür und Marc öffnet.

Die beiden stehen sich einen Moment schweigend gegenüber. „Erkennst du mich nicht?“, fragt die Frau ernst. Sie hat ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Marc ist irritiert. Im Auto sitzt noch ein Mädchen mit langen Haaren, vielleicht 17 Jahre, Marc bemerkt es, weil er zum Wagen schaut, um irgendwie eine Idee zu bekommen, was diese Frau hier vor der Tür von ihm will, aber ihm fällt nichts ein. Das Nummernschild ist aus dem Ausland. Er möchte etwas sagen, aber ihm fallen keine passenden Worte ein.

„Denise heiße ich, immer noch“, sagt sie dann knapp und triumphierend. In ihren Augen ist nun auch so etwas wie Spott. In seinem Kopf arbeitet es. Er schaut auf ihre lackierten Nägel. Denise? Scheiße, wie viele Denise kenne ich denn? Gar keine. Es scheinen Minuten zu vergehen, dabei sind es nur wenige Sekunden. Die Sonne blendet und irgendwo dröhnt ein Rasenmäher. Ja, doch, da war mal was, damals bei der Bundeswehr. Irgendein Dorffest. Die Erinnerung kommt langsam zurück. Die mit dem Leberfleck auf der festen Brust. Eine Affäre, völlig ohne Liebe, obwohl sie schon süß war, ein paar Mal flachgelegt, mein bester Kumpel Timo war so unglaublich scharf auf sie und hinterher schließlich sauer auf mich, weil ich sie abgeschleppt habe. Gevögelt habe ich sie in Vaters blauem Van, die große Karre ohne Rücksitze, als bei einer Zeltparty auf dem Dorf alle am Auto vorbei liefen und durch die beschlagenen Scheiben reingeschaut haben. Hinterher, wieder auf dem Fest, haben uns alle mit einem wissenden Grinsen angeschaut.

Die Bilder schießen ihm durch den Kopf, etwas neblig, aber durchaus greifbar, auf einmal ist alles wieder da. Klar und brutal, auch wenn es eine Ewigkeit her ist. Mittlerweile hat er sie erkannt. Sicher, sie ist älter geworden, aber es ist genau diese Denise von damals, keine Frage.

Völlig irre war das, aber lange her und schon vergessen, jedenfalls bis jetzt. Was will die hier, jetzt, nach all den Jahren?, geht es ihm durch den Kopf mit einer Mischung aus Ärger und Neugier. Die Sache war ja damals nach wenigen Wochen vorbei, es war wie ein Sommergewitter, heftig, aber kurz. Er war nach der Zeit beim Bund im Studium und auch weit weg, sie noch in der Schule, danach hatte er nie wieder was von ihr gehört, sein Interesse an ihr war weg, die Sache aus dem Gedächtnis gelöscht und Denise damit eigentlich komplett vergessen. Sie riecht gut. Wie hat sie früher gerochen? Weiß ich das noch?

Marc schwitzt. Er schaut sich um. Trotz kurzer Hose und T-Shirt ist ihm heiß. „Ja, schöne Überraschung, was Marc? Ich wollte dir deine Tochter zeigen, ich meine, die kennst du ja nicht. Das ist Sarah da im Auto.“, sagt sie. In seinem Kopf hämmert es, er hört sein eigenes Blut rauschen. Das kann nicht wahr sein, denkt er. Seine Gedanken werden jäh unterbrochen: „Wir haben die letzten Jahre in der Schweiz gelebt, sind jetzt aber wieder hier. Eigentlich wollte ich das alles nicht, wir sind super ohne dich ausgekommen, aber Sarah hatte irgendwann den Wunsch, dich wenigstens mal zu sehen.“ Das Mädchen – groß und etwas schlaksig - steigt nun auch aus dem Auto und kommt mit kleinen Schritten näher. Sie wirkt unsicher, schaut ihm aber suchend in die Augen. Sie gibt ihm schließlich die Hand, ohne dabei etwas zu sagen. Sieht sie etwa so aus wie ich, fragt Marc sich. Die drei stehen im Eingang des Hauses und keiner sagt etwas.

Eine Nachbarin mäht Rasen und blickt immer wieder interessiert rüber. Sie bleibt sogar stehen, aber das sieht Marc nicht. Er bemerkt auch nicht, dass seine Frau mittlerweile auf den Hof gefahren ist und dicht hinter dem staubigen Kleinwagen geparkt hat. Sie beginnt, den ganzen Einkauf auszupacken, während sie missmutig zu ihnen hinüber sieht. Aber Marc starrt auf das junge Mädchen und hat immer noch Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen.

Sein kleiner Sohn springt vergnügt um beide Autos herum und ruft „Papa, Papa! Schau mal hier, meine neue Badehose!“ Plötzlich bleibt er vor ihnen stehen, eine bunte Badehose mit kleinen gelben Fischen darauf in der Hand und fragt: „Papa, wer ist das da?“.​

 

Hallo @Torqueflite

ich habe dir ein paar Anmerkungen zu deinem Text dagelassen. Vielleicht bringt es dir ja was.

Viele Grüße
Habentus

Marc sitzt am PC im Büro, surft ziellos im Netz umher
Er müsste die große Hecke hinterm Haus schneiden, aber das hat Zeit.
Hier musste ich stutzen. Es mag sein, dass der Arbeitsraum einer Wohnung auch als Büro bezeichnet wird, aber meine erste Assoziation war das nicht. Ich dachte an ein klassisches Büro. Deshalb hat mich der folgende Satz auch zunächst verwirrt. Vielleicht findest sich ja ein besseres Wort?
„Äh, ja, was gibt es denn, kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?“, fragt er, schon etwas gereizt.
Habe nicht verstanden, warum er zu diesem Zeitpunkt schon gereizt sein soll. Überrascht, neugierig, teilnahmslos, meinetwegen genervt. Verstehe ich. Aber gereizt? Es ist doch noch gar nichts passiert. Außerdem habe ich mir mal vorgestellt, bei mir würde es klingeln. Dann würde ich im Leben nicht sagen: "Was gibt es denn? Wie kann ich weiterhelfen?" Das klingt einfach nicht echt. Zumindest in meinem alltäglichen Sprachgebrauch. Vermutlich würde ich es bei einem "Hallo" und einem fragenden Blick belassen.

und interessante Augen, die aber sehr ernst schauen.
Warum das aber?

Es scheinen Minuten zu vergehen, dabei sind es nur wenige Sekunden.
Hmm, diese Formulierung habe ich schon oft gelesen. Klingt ein wenig abgedroschen. Vielleicht findet sich ja was Besseres?

Ja, schöne Überraschung, was Marc? Ich wollte dir eigentlich nur mal deine Tochter zeigen, ich meine, die kennst du ja nicht. Das ist Sarah da im Auto.
Aha, darum geht es also. Nun, hier habe ich wieder versucht, mich in die Situation reinzuversetzen. Und beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Person eine solche Situation mit diesen Worten beginnt und im zweiten (!) gesprochenen Satz sagt: "Ich wollte dir eigentlich nur mal deine Tochter zeigen."
Das ist jetzt aber echt eine Verarschung, denkt Marc.
Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er an dieser Stelle einen solch lapidaren Gedanken hat. Immerhin wurde ihm gerade eröffnet, dass er ein Kind hat, von dem er nichts weiß. Unabhängig ob er das jetzt glaubt oder nicht, eine solche Reaktion passt für mich nicht.

aber Sarah hatte irgendwann den Wunsch, dich wenigstens mal zu sehen
Ich kann den Wunsch der Tochter verstehen. Und ich kann auch verstehen, dass die Mutter diesem Wunsch entsprechen will. Aber ich kann nicht verstehen, dass ihnen nichts Besseres einfällt, als einfach so vorbeizukommen und zu klingeln. Zumal die Tochter zunächst ja sogar im Auto sitzen bleibt. Das klingt für mich einfach nicht richtig. Ich stelle mir vor, dass die beiden da ja vorher drüber gesprochen haben müssen. Und überlegt haben müssen, wie sie die Situation (die ja durchaus einschneidend sein kann) für die Tochter am besten gestalten. Dann sind sie ja noch aus der Schweiz extra hergefahren. Und dann klingeln sie einfach mal auf gut Glück? Ohne vorher Kontakt aufzunehmen oder sonst irgendwie die Situation im Vorfeld vielleicht ein wenig zu entspannen? Das nehme ich der Situation einfach nicht ab. Klar, sonst würde die Geschichte nicht mehr funktionieren, weil das ja sozusagen der Punkt ist, auf den das Ganze hinsteuert, aber trotzdem. Es wirkt für mich wie eine spontane Handlung. Und das passt wiederum nicht zum Hintergrund.

Tut mir leid, so ist deine Geschichte leider nicht wirklich etwas für ich gewesen. Ich denke, es würde dem Text guttun, wenn du da noch drübergehen würdest, um an der der einen oder anderen Stelle auszubauen. Sind aber alles nur Vorschläge. Nimm davon, was du möchtest.

Viele Grüße
Habentus

 

@Habentus

Lieben Dank für Deine ausführliche Rückmeldung. Ich werde versuchen, das umzusetzen bzw. einige Dinge zu überarbeiten, Deine Hinweise klingen nachvollziehbar. :thumbsup:

Grüße!

T.

 

@Rob F

Danke auch Dir für das ausführliche Feedback und die Hinweise. :thumbsup:

ein überschaubarer Handlungsverlauf, aber falls du gerade erst mit dem Schreiben beginnst, ist er wahrscheinlich genau dafür geeignet.

OK, das ist aber durchaus ein recht typisches Merkmal einer KG. Gut, es ist wenig Handlung da, in der Tat. Allerdings werde ich daran wohl nichts ändern (können), die Grundidee ist in der Hinsicht wahrscheinlich nicht großartig ausbaubar.

Dann brauchst du auch ergänzende Erklärungen durch die Gedanken des Protagonisten nicht. Sie wirken auch eher unpassend, da du ja grundsätzlich nicht aus der Ich-Perpektive schreibst, wie zum Beispiel hier:

Die Ich-Perspektive ist nicht zwingend notwendig, um die Innensicht einer Figur darzustellen (also auch Gedanken), das kann auch über ein auktoriales Erzählverhalten aus der Er/Sie-Perspektive geschehen, trotzdem schaue ich mal, ob ich an der Stelle entsprechend reduziere. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es schwierig wird, darauf völlig zu verzichten.

Ich werde das Ganze trotzdem etwas abändern und dann oben neu einstellen.

Vielleicht bringt es ja was.


T.

 

Ah OK, danke. Das meinst Du. Ja, das wäre zumindest stimmiger, stimmt.

Grüße

T.

 

Er müsste die große Hecke hinterm Haus schneiden, aber das hat Zeit.

Ein paar kleine Anmerkung von einem alten Mann, der sich an keine Jugendsünde entsinnen kann (oh, verdammt, warum stößt meine Nase gegen den Bildschirm …). Aber sollte unser Antiheld Marc ein Schlendrian sein ... was ich eher nicht glaube und dem das „müssen“ an sich widerspricht. Gleichwohl schlag ich vor, das zwanghafte „müssen“ durch ein anderes Modalverb zu ersetzen,

lieber Torqueflite,

das „freier“ wirkt und nicht so zwanghaft und selbst in uralten Gesetzestexten statt des eindeutigen „müssen“ verwendet wird, „er sollte die … Hecke … schneiden, aber das hat Zeit“ - was zugleich größere Freiräume schafft ...

Und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Aber was mich besonders interessiert, sind die „interessanten Augen“

Sie hat ein schmales Gesicht und interessante Augen.
unsere „Fenster“ - sind die nicht immer „interessant“?

Von der Wortherkunft eigentlich ein riskantes Wort, das im engl. Zins noch den (versprochenen) Nutzen verrät … (der Duden nennt über 30 Synonyme, da wird doch wohl eines drunter sein, in dem kein Vorteil bzw. Zins mitschwingt ...)

In ihren Augen ist nun auch so etwas wie Spott.
Nicht, dass ich sie kenn ...

Es scheinen Minuten zu vergehen, dabei …
Warum ein Vielfaches von kleinsten Zeiteinheiten, wenn sie sich wie eine Ewigkeit anfühlen (was zumindest auch im Endeffekt „lange weilen“ kann)

Die Sonne blendet und irgendwo dröhnt ein Rasenmäher.
Nur ein n vorm „irgendwo“ und schon ist man nirgends … „draußen" ist vllt. besser

Hier solltestu gegen Ende

Eine Affäre, völlig ohne Liebe, obwohl sie schon süß war, ein paar Mal flachgelegt, mein bester Kumpel Timo war so unglaublich scharf auf sie und hinterher schließlich sauer auf mich, weil ich sie abgeschleppt habe.
Auf die Zeitenfolge/-einheit achten …, besser also "hatte"

Die ganzen Bilder schießen ihm durch den Kopf, …
gibt’s auch halbe Bilder?
Weg mit dem eher entbehrlichen Attribut!

Was will die hier, jetzt, nach all den Jahren?, fragt er sich, mit einer Mischung aus Ärger und Neugier.
Komma weg! Wenn Du eine Pause einlegen willst empfiehlt sich der Gedankenstrich
An sich ist sogar das "sich" entbehrlich - denn wie die Frage gestellt ist, wird kein Leser vermuten, dass er "die" oder das Mädchen fragte ...

Sie beginnt, den ganzen Einkauf auszupacken, während sie missmutig zu ihnen herüber sieht.
Besser „hinüber“, „her“ verweist auf einen selbst (komm her [zu mir], aber geh da hin - bloß weg von mir)

Wie dem auch wird, gern gelesen vom

Friedel,
der nun auch noch ein schönes Wochenende wünscht!

 

@Friedrichard

Auch Dir danke ich herzlich für Deine Mühe und die Tipps - das war ebenfalls sehr ins Detail gehend und betrifft Aspekte, die ich wahrscheinlich selbst so nie gesehen hätte. Top!

Und schön, dass es Dir etwas gefallen hat.

Wie erwähnt, werde ich etliche Vorschläge gerne von Euch umsetzen.

Beste Grüße

T.

 

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