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1979

Seniors
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14.08.2012
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1979

„Bist noch wach, Stefan?“
„Mhh.“
„Rauchen wir noch eine?“
„Mhh.“
„Stell dir mal vor, dass wir jetzt von da hinten auf einmal Musik hören, ganz leise, … Orgelmusik von Bach oder so was in der Art.“
„Du spinnst, echt.“
„Und langsam wird‘s lauter.“
„Heilige Scheiße!“


„Im Finstern rauchen ist irgendwie fad, findest nicht auch?“
„Ja, bringt‘s irgendwie nicht, komisch.“
„Wieso komisch?“
„Na, weil man raucht doch mit dem Mund und nicht mit den Augen, oder?“
„Hast auch wieder recht … Oder Tubular Bells.“
„Was?“
„Weißt eh, Mike Oldfield, … wär auch echt gruselig.“
„Find ich nicht. Das hab ich nämlich gehört, wie ich zum ersten Mal mit der Sabine geschmust hab.“
„Da hätte aber Death on two legs von Queen auch gepasst.“
„Trottel.“


„Stefan? … Stefan?“
„Hmm?“
„Schlafst schon?“
„Fast, was ist?“
„Hast das Buch vom Max Frisch gelesen, wo sich diese zwei Typen in der Riesenhöhle verirren und sich der eine den Haxen bricht?“
„Stiller!“
„Was?“
„Stiller, so heißt das Buch.“
„Genau, … die sind doch da irgendwo in New Mexiko, Carlsbaderhöhle oder so, echt scheißtief drin im Berg und dann haut‘s den einen wo runter. Und zack, ist sein Haxen hin.“
„Kann mich erinnern, ja, … und dann sind sie echt im Orsch. Im Orsch der Erde sozusagen, hähä.“
„Genau, und irgendwann gibt‘s Mord und Totschlag und nur einer schafft‘s raus.“
„Echt leiwande Geschichte … kann ich jetzt bitte schlafen?“


„Stefan?“
„Was ist jetzt wieder?“
„Stell dir vor, du wachst auf in der Nacht, willst Licht machen und findest die Zünder nicht.“
„Jessas, Alter, du bist wirklich irre!“
„Und dann kramst im Finstern rum und mein Schlafsack ist weg, und ich bin auch weg!“
„Sehr witzig, haha! ... Aber dann stell du dir jetzt vor, du wachst auf in der Nacht, ich bin weg, die Lampen sind weg, aber ich hab dir die Streichhölzer dagelassen, sagen wir mal fünf Stück, hähä“
„Toll, und eine Zigarette.“
„Zwei, ich bin ja nicht so.“
„Und dann die Musik von hinten!“
„Können wir jetzt bitte aufhören?“


„Scheiße, hast das gehört?“
„Ja … ein kleiner Stein halt.“
„Na ein sehr kleiner Stein war das aber nicht … Ich hätt mir vor Schreck fast in die Hose gebrunzt, kein Scheiß!“
„Geh bitte, Stefan, das war nur ein Stein!“
„Und es kommt nur ein Stein am Tag runter, oder was? Hast das wo gelesen? Vielleicht in der Höhlenbedienungsanleitung?“
„Hör mal, weißt wie alt die Höhle ist? Die gibt‘s schon ewig, meinst die hat mit dem Zamkrachen extra auf uns gewartet?“
„Und die ganzen Riesentrümmer, die da rumliegen? Die müssen ja auch mal runtergekommen sein, du Schlaumeier, oder glaubst vielleicht, die habens von einer Baufirma da herlegen lassen?“
„Genau, im Auftrag vom Alpenverein.“
„Blödmann! … Brrr, schlafen kann ich jetzt echt nimmer … außerdem ist mir saukalt, echt ein Klumpert der Schlafsack!“
„Meiner ist super, echt warm, hähä!“
„Danke, da fällt mir ja ein Stein vom Herzen, … wurscht, morgen beim Runtergehn werd‘n wir eh wieder schwitzen wie die Büffel.“
Mir ist heiß, ich bin heiß, ach warum sind denn nicht alle so heiß, ja isses denn ein Wunder? Dann kam mein Boyfriend unter uns‘re kalte Brause, tach Herr Wixmann wie man weiß, essis heiß! … Jetzt Nina Hagen wär super, was? Hätt ich doch den Walkman mitnehmen solln. … Noch einen Tschick?“
„Danke. Die Sabine packt‘s überhaupt nicht.“
„Was, dass du rauchst?“
„Die Nina Hagen.“
„Na geh! Das Mädel spinnt. Auf was steht‘n die? Auf die Kelly Family?“
„Naja, weißt eh, halt mehr so auf Klassik …“
„Hast dir da ein höheres Töchterchen geangelt, was?“
„Sehr witzig. … Hast sie gesehen vorige Woche im Club 2?“
„Die Sabine? Nein.“
„Trottel, die Nina Hagen!“
„Klar, Wahnsinn! … noch dazu mit meinem Vater, scheiß an Paula, ich hab geglaubt der Alte kriegt gleich einen Herzinfarkt, der hat‘s echt im Schädel nicht ausgehalten, wie sie da an ihrer -“
„HUAHH … Scheiß an!“
„Das war jetzt aber echt ein ordentliches Trumm, bist du deppert!“
„Max, mach jetzt endlich die Scheißlampe an!“
„Okay, dann können die verdammten Steine wenigstens besser zielen.“

 
Zuletzt bearbeitet:

Zit. Nora: Haben die beiden Typen in der Höhle denn keine echten Sorgen, existentiellen Nöte, metaphysischen Fragen, kurz: irgendetwas, das wirklich wichtig wäre?

Haben sie in der Tat, liebe Nora, und nicht zu knapp:

Als den beiden durch einen Felssturz der Rückweg aus der Höhle versperrt wird, sie also ihrem sicheren Tod ins Auge blicken müssen, nehmen nicht nur ihre existentiellen Nöte epische Ausmaße an, sondern obendrein haben sie Gelegenheit und sehr viel Zeit, auch die allerletzten Fragen zu erörtern, sie legen sozusagen einen Abgang allererster metaphysischer Güte hin, und Max‘ letzte Worte sprühen geradezu vor erkenntnistheoretischer Hellsichtigkeit: „Wirklich wichtig wäre, auf einer Bergtour immer ein Reservepäckchen Zigaretten mit zu haben, uarghhh …“

Aber das passiert leider erst später, das ist leider eine andere Geschichte.

Aber jetzt im Ernst, Nora, das wäre wirklich eine ganz andere Geschichte gewesen.
Hier wollte ich ja nur erzählen, wie die beiden Jungs in einer beklemmenden Situation versuchen, über die eingebildeten Gefahren und ihre ehrlichen Ängste sich einfach hinwegzublödeln, wie man’s halt so tut in diesem Alter. Ich mein, das ganze Gespräch dauert nur wenige Minuten, die zwei sind ja praktisch am Einschlafen, was soll ich ihnen denn da großartige ontologische Diskurse in den Mund legen?

Und Möchtegerns Kommentar kommt mir als Argumentationshilfe gerade recht:

Was der Text will, erreicht er bei mir, das ist ein netter kleiner Happen, so Unterhaltung-to-go.

Mehr hatte ich ja nicht vor mit diesem Text, und dass du,
liebe Möchtegern,
die Geschichte gern mochtest, grinsen musstest, sie deine Phantasie beflügeln konnte und du sie gar ein zweites Mal gelesen hast, freut mich wirklich.

ja, fiese, gute Geschichte :)
Hähä.

Vielen Dank euch beiden
offshore

 

Hi offshore,

dein Textchen hat mich unterhalten, ich fand die beiden echt witzig und vermisste, anders als Quinn, durchaus keine "literarische Wendung". Es ist nicht leicht, nur per Dialog Atmosphäre zu kreieren und Personen sichtbar werden zu lassen. Hemingway ist da ein Meister, und du hast es, finde ich, schon gut drauf. Das G'schichterl will nicht mehr sein, als es ist, eine Momentaufnahme, und das finde ich in Ordnung. Das Dialektale hat mir spaß gemacht, du bringst das zwanglos und, das Ganze würzend, effektvoll an.

Viele Grüße
makksi

 

Es freut mich, makksi,
dass dir diese Miniatur Vergnügen bereiten konnte.
Leider sind reine Dialoggeschichten nicht jedermanns Sache, was ich schade finde, weil das Schreiben solcher ungemein Spaß macht, mir zumindest.

offshore

 

Hey ernst offshore,

Dialog kann ein höllisches, undankbares Biest sein, das zu zähmen beinahe unmöglich ist. Oft reicht schon ein einziger falscher Wendepunkt, und das Ganze geht den Bach runter.

Hier jedoch muss ich mich Möchtegern's Meinung anschließen; deine Kurzgeschichte zwingt den Leser geradezu zum Grinsen und Weiterlesen, weil sie Vertrautheit vermittelt. 1979, falls es eine reale Zeitangabe ist, mag nicht meine Zeit sein (ich bin mir sicher, in 20 Jahren wird 2012 genau so wahllos erscheinen), aber das Bild von zwei Männern in der Dunkelheit, bewaffnet mit Kippen und schwermütigen Gedanken, ist unsterblich. Mit „Rauchen wir noch eine?“ hattest du mich schon.

„Mir ist heiß, ich bin heiß, ach warum sind denn nicht alle so heiß, ja isses denn ein Wunder? Dann kam mein Boyfriend unter uns‘re kalte Brause, tach Herr Wixmann wie man weiß, essis heiß! … Jetzt Nina Hagen wär super, was? Hätt ich doch den Walkman mitnehmen solln. … Noch einen Tschick?“

Das könnte der deutscheste Satz sein, den ich seit langem gelesen habe.

Mir gefällt, wie dieser minimalistische Schnappschuss eines Abends kein Ende besitzt, denn Schnappschüsse haben per se kein Ende. Wir bleiben in der Schwerelosigkeit der Konversation zurück - ohne wirkliches Wissen gewonnen zu haben, mehr mit einem Nicken bestätigend: "Was die da sagen, fühlt sich echt an."

Leute, die ein tieferes Verständnis für Dialog und ihre Dynamik besitzen, sind selten. Ich hoffe, du nutzt deine Fähigkeiten so gut aus wie möglich! Denn Dialog ist ein höllisches, undankbares Biest...

Sticks

 

Sticks schrieb:
"Was die da sagen, fühlt sich echt an."

Es freut mich, Sticks, dass ich in deinen Augen "das Biest" zähmen konnte, umso mehr, weil ich dich aufgrund deiner Meerjungfrau-Geschichte als wirklich versierten Dialogschreiber schätze.

Das allerdings must du mir erklären:

Sticks schrieb:
Das könnte der deutscheste Satz sein, den ich seit langem gelesen habe.
Den Satz hab ich nicht wirklich verstanden ...

Vielen Dank für deinen lobenden Kommentar.

offshore

 

Hallo Offshore,

aus einem Kommentar:
Ich wollte versuchen, mit nur ganz wenigen Dialogzeilen, die obendrein echt und nicht situationserklärend klingen sollten, so viel wie möglich an Information zu vermitteln. Wer spricht da, wie alt sind die? Wie sind die drauf, die zwei? Wo sind sie? Wann spielt sich das ab?
Das ist dir gelungen, die Dialoge fand ich lebendig und lustig, den Dreh mit "Stiller" interessant.

Nur warum in "Seltsam"? Es passiert ja nichts Übernatürliches.

Gern gelesen.

Gruß, Elisha

 

Hallo Ernst,
das ist witzig!
Nicht alles kapiert, aber sehr gerne gelesen. Du hast die Spannung sehr gut gehalten, von mir aus hätte es noch lange so weiter gehen können. Aber, wenn es am Schönsten ist... perfektes Ende!
LG Damaris :)

 

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