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Alliterationen - Verirrt auf Alphabetaurus
Die freche, x-beinige Hexe Xenia ist sehr neugierig. In der Hexenschule hat sie im Heimatkundeunterricht von einem wunderbaren Planeten gehört – von Alphabetaurus, dem Buchstabenplaneten. Auf Alphabetaurus soll es viele Länder und Kontinente, reißende Flüsse, riesige Seen, Wälder, Wiesen und grandiose Bergketten geben. Und natürlich exotische, wunderbare, unbekannte Städte!
Xenia wünscht sich nichts sehnlicher, als diesen Stern zu besuchen. Heimlich besteigt sie eines Nachts im Mondenschein ihren Hexenbesen Brimborium, spricht den ultimativen Hexen-Reise-Zauberspruch und ...
Mit alarmierender Anfangsgeschwindigkeit brettert Brimborium senkrecht in den Himmel. Der rasante Start überwältigt Xenia, sie bekommt Herzrasen und summt zur Beruhigung einige christliche Choräle.
„Brimborium, du dämlicher Dussel!“, schimpft sie eine ellenlange Ewigkeit später, als sie sich ein wenig beruhigt hat. „Fast fünfzig Fuß unter mir ist die Erde! Ich hätte abstürzen können bei deiner geradezu gemeingefährlichen Geschwindigkeit!“
Brimborium hustet hämisch: „Hört! Hört! Hexe hat hysterische Halluzinationen. Ha!“
Der Hexenbesen hat überhaupt kein Verständnis für Xenias Furcht. Er ist einfach ein irrer, ichbezogener, intergalaktischer Idiot.
Xenia seufzt. Sie weiß, dass es sinnlos ist, mit Brimborium zu streiten. Er macht sowieso, was er will. Mit beiden Händen umklammert Xenia das Hinterteil ihres Hexenbesens. Jählings jagen sie durch die Jahrhunderte alten Sternbilder. Der „Jodhaltige Jadejaguar“, der „Jammernde Jasmin“ und andere, kaum bekannte fantastische Planetensysteme rasen an ihnen vorbei. Die Zeit verfliegt – im wahrsten Sinne des Wortes – wie im Flug.
Endlich taucht vor ihnen aus dem wabernden Weltraumnebel ein kunterbunter, krakeelender Kakadu auf. Ein kleines Schild auf seiner verrückten Uniformjacke weist ihn als alphabetaurinischen Weltraumlotsen aus. Leutselig lächelnd lenkt er seinen leuchtenden Laserstrahl durch die Milchsuppe des Sternennebels und weist so Brimborium den direkten Weg zum Hexenbesenlandeplatz auf Alphabetaurus.
Xenia betrachtet die fremde Umgebung mit großen Augen.
„Mann o Mann!“, murmelt sie. „Das müsste man malen!“
Damit hat Xenia wirklich Recht. Auf Alphabetaurus sieht es fantastisch aus. Alle Gebäude sind aus Buchstaben erbaut. Achttausend alltägliche A’s ; bernsteinfarbene Baumeister - B’s; camparitrinkende, californische C’s; Dutzende draufgängerischer D’s; ellenlange, echte E’s; fantastisch flinke F’s; grandios geniale G’s; Hunderte hastiger H’s; interessante, instinktsichere I’s; jauchzende, japanische J’s; kletternde, körnerfressende K’s; luftig lange L’s; magere, magnetische M’s; nackte, nachgiebige N’s; offenkundig olympiareife O’s; plappernde, platte P’s; quietschend quasselnde Q’s; rauschhaft rasante R’s; sanft säuselnde S’s; Tango tanzende T’s; unheimlich unruhige U’s; verbrecherisch verliebte V’s; wahnsinnig wilde W’s; verflixt x-beinige, xenophile X’s; Yen liebende, rhythmische Y’s und Zehntausende zitternder Z’s haben alles erbaut. Jede Brücke, jeder Turm, alle Hochhäuser und alle Hütten, ja sogar die Strassen und die Verkehrsschilder, die Autos, Busse, Bahnen und Flugzeuge und alle Bewohner – alles und jedes ist aus Buchstaben gemacht.
„Zuerst gehen wir in den Buchstabenzoo“, will Brimborium wie immer bestimmen. „Und danach will ich in das Hexenbesen-Buchstaben-Museum anschauen.“ Dazu hat Xenia keine Lust. Sie will selber entscheiden, was sie sich ansieht und was nicht.
„Ich gehe allein!“, sagt sie selbstbewusst. „Es reicht schon, dass du mich auf dem Flug hierher fast hättest abstürzen lassen. Ich werde mir doch den Besuch hier nicht von dir vermiesen lassen.“
Energisch packt Xenia Brimborium und parkt ihn in der Nähe des Hexenbesenlandeplatzes in einer Besentiefgarage. Sie kümmert sich nicht um Brimboriums brummelndes Gebrabbel und erkundet in Ruhe zu Fuß Alphabetaurus.
Zuerst durchquert sie einen Buchstabenpark. Neben niedlichen Narzissen und in der offenbaren Obhut ordentlicher Oasen blühenden Oleandersträuchen findet sie dort auch unter Palmen planschende putzige Pandabären und quirlige, in quittengelbem Quellwasser quatschende Quallen.
Stundenlang durchstreift die kleine Hexe Xenia die unbekannte, fremde Welt und erkundet voller Begeisterung jeden Winkel. Doch dann dämmert es und düstere, dunkelblaue Schatten fallen auf Xenias Weg. Erschrocken sieht sie sich um. Wo ist sie? Liegt der Hexenbesenlandeplatz im Norden hinter dem riesigen, ranzig riechenden Rasthaus da vorne?
Oder soll sie sich südlich halten? Soll sie die silbrige Senke dort umrunden oder soll sie sie durchqueren?
Xenia gerät in Panik. Wenn sie nur Brimborium mitgenommen hätte. Der Hexenbesen ist zwar ein nerviger Kerl, aber er weiß immer Rat und er verirrt sich nie.
Xenia läuft auf gut Glück los. Sicher wird sie jemanden treffen, den sie nach dem richtigen Weg fragen kann. Sie erreicht ein Tannenwäldchen. Unter einer teerfarbenen, texanischen Tanne trinken zwei Techniker Tee mit Tequila. Offensichtlich trinken die beiden mehr Tequila als Tee. Sie lallen und lispeln jedenfalls nur noch, die beiden betrunkenen Taugenichtse. Sie sind Xenia keine Hilfe.
Jetzt wird die Hexe unruhig. Unheimliche Ungeduld umgibt sie. Verzweifelt versucht sie Verschiedenes. Sie will sich entspannen und atmet tief durch, aber ihr Herz rast vor Angst. Wenn sie nicht zurückfindet, dann wird sie auf ewig hier in der Fremde bleiben müssen. Sie wird weder Mama und Papa, noch ihre Freunde und Freundinnen wiedersehen. Gleich, weiß Xenia, wird wildes Weinen sie wahrscheinlich überwältigen.
Sie schüttelt sich, sammelt all ihren Mut, beißt die Zähne zusammen und wandert westwärts. Plötzlich hört sie ein vertrautes Klingen, wie leise Xylophonmusik.
„Xenia, du x-beinige Xanthippe!“
Das ist Brimborium, der da summend und klingend durch die Luft geschossen kommt!
Xenia kreischt vor Freude:
„Yippie yeah! Du alter Yeti! Woher wusstest du …?”
„Ein guter Hexenbesen merkt, wenn seiner Hexe etwas fehlt. Ich spürte ein zappelndes Zupfen an meinem Hexenbesenherzen und da bin ich sofort losgeflogen, um dich zu suchen. Die Wächter in der Besentiefgarage versuchten natürlich, mich zurückzuhalten. Sie zeterten zahlreich, doch ich zögerte nicht. Zähnefletschend zauberte ich zügig und - Zack! – zerbröselte die zinnerne Zinktür zur Freiheit. Hier bin ich, dir zu Diensten!“
Überglücklich umarmt Xenia ihren Besen.
“Zum Glück!“, seufzt sie und steigt auf.