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Alte Bäume
Alte Bäume(Editierte Version)
Alte Bäume
Die beiden alten Bäume standen schon von je her an der selben Stelle. Es schien mir immer, wenn ich an ihnen
vorbeiging, als hätten sie schon vom Anbeginn der Zeit hier gestanden und würden bis zum Ende der Zeit hier stehen bleiben, selbst dann, wenn auch ich längst nicht mehr wäre.
Sie hatten mich als Kind in ihrer Krone im lichten Blau schaukeln lassen, mir die rauhe Sicherheit ihrer kräftigen Stämme geschenkt und mir Schatten und Trost gespendet.
Unmerklich vollzog sich tief in ihrem Inneren eine Veränderung die ich hätte wahrnehmen können, wenn ich sie hätte sehen wollen. So unmerklich, wie die Veränderungen in meinem Inneren.
Sie wurden knorriger und knotiger, die Wassertriebe streckten sich nicht mehr in solcher Vielzahl ins Blau, wenn es wärmer wurde.
Ja, sie bekamen mit der Zeit etwas Trauriges und Bekümmertes, aber ich tanzte lachend an ihnen vorbei, bedachte sie nur mit einem kurzen Seitenblick und vergaß sie sofort wieder, getrieben von einer inneren Hast, von der Angst, ich könne mein Leben versäumen. Ich streckte meine Fühler voller Lebensgier nach allen Seiten aus, rastlos Suchend und wurde doch nie fündig. Beständigkeit vermochte ich niemandem zu bieten, höchstens die Beständigkeit des Wechsels meiner Gesichter, meiner Ansichten und meiner fortdauernden Suche nach dem Mysterium des Glücks.
Sie aber wurden in aller Heimlichkeit einsamer, älter und kränker.
Sonne, Regen, Mond, Sterne, Wind und Nacht waren die letzten treuen Begleiter dieser beiden und nur noch selten verirrten sich Menschen zu ihnen, denn sie begannen tote Äste auf die wenigen Besucher hinabzuwerfen, fast so, als seien ihnen selbst diese wenigen, noch verbliebenen Gäste lästig geworden.
So standen sie da, nicht direkt nebeneinander, aber doch in gewisser Nähe... Sie waren einander nahe genug um sich austauschen zu können und doch zu weit entfernt um es jemals wirklich versucht zu haben.
Und dann in einer Nacht im Februar erschauerte einer der Bäume bis tief ins Mark und begann die langersehnte Reise zu den Gärten hinter den Sternen.
Der andere Baum bemerkte nur, dass etwas in dieser Welt anders geworden war.
Die Welt war ein Stückchen leerer geworden, schien es.
Wenige Tage später, es hatte gefroren, brach auch im Inneren des zweiten Baumes die trennende Barriere mit einem zerrenden Knacken entzwei und auch er trat seine letzte große Reise an.
Doch unbemerkt von allen keimten in der Erde Schoß ihre Nachkommen, bereit sich der Sonne, dem Wind, dem Regen, den Stürmen, der Kälte und der Nacht zu stellen, sobald das Leben sie rief.