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Alte Bäume

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26.10.2001
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Alte Bäume

Alte Bäume(Editierte Version)

Alte Bäume

Die beiden alten Bäume standen schon von je her an der selben Stelle. Es schien mir immer, wenn ich an ihnen
vorbeiging, als hätten sie schon vom Anbeginn der Zeit hier gestanden und würden bis zum Ende der Zeit hier stehen bleiben, selbst dann, wenn auch ich längst nicht mehr wäre.
Sie hatten mich als Kind in ihrer Krone im lichten Blau schaukeln lassen, mir die rauhe Sicherheit ihrer kräftigen Stämme geschenkt und mir Schatten und Trost gespendet.
Unmerklich vollzog sich tief in ihrem Inneren eine Veränderung die ich hätte wahrnehmen können, wenn ich sie hätte sehen wollen. So unmerklich, wie die Veränderungen in meinem Inneren.
Sie wurden knorriger und knotiger, die Wassertriebe streckten sich nicht mehr in solcher Vielzahl ins Blau, wenn es wärmer wurde.
Ja, sie bekamen mit der Zeit etwas Trauriges und Bekümmertes, aber ich tanzte lachend an ihnen vorbei, bedachte sie nur mit einem kurzen Seitenblick und vergaß sie sofort wieder, getrieben von einer inneren Hast, von der Angst, ich könne mein Leben versäumen. Ich streckte meine Fühler voller Lebensgier nach allen Seiten aus, rastlos Suchend und wurde doch nie fündig. Beständigkeit vermochte ich niemandem zu bieten, höchstens die Beständigkeit des Wechsels meiner Gesichter, meiner Ansichten und meiner fortdauernden Suche nach dem Mysterium des Glücks.
Sie aber wurden in aller Heimlichkeit einsamer, älter und kränker.
Sonne, Regen, Mond, Sterne, Wind und Nacht waren die letzten treuen Begleiter dieser beiden und nur noch selten verirrten sich Menschen zu ihnen, denn sie begannen tote Äste auf die wenigen Besucher hinabzuwerfen, fast so, als seien ihnen selbst diese wenigen, noch verbliebenen Gäste lästig geworden.
So standen sie da, nicht direkt nebeneinander, aber doch in gewisser Nähe... Sie waren einander nahe genug um sich austauschen zu können und doch zu weit entfernt um es jemals wirklich versucht zu haben.
Und dann in einer Nacht im Februar erschauerte einer der Bäume bis tief ins Mark und begann die langersehnte Reise zu den Gärten hinter den Sternen.
Der andere Baum bemerkte nur, dass etwas in dieser Welt anders geworden war.
Die Welt war ein Stückchen leerer geworden, schien es.
Wenige Tage später, es hatte gefroren, brach auch im Inneren des zweiten Baumes die trennende Barriere mit einem zerrenden Knacken entzwei und auch er trat seine letzte große Reise an.

Doch unbemerkt von allen keimten in der Erde Schoß ihre Nachkommen, bereit sich der Sonne, dem Wind, dem Regen, den Stürmen, der Kälte und der Nacht zu stellen, sobald das Leben sie rief.

 

Servus Lord Arion!

Du beschreibst sehr schön und bildhaft wie alles sich verändert, wir selbst davon nicht ausgenommen sind. Das Leben fließt neben den Bäumen, den Menschen weiter, vielleicht auch gehetzt und voll Lebensdrang. Es ist gut so. Der junge Mensch kann sich nicht ausschließlich dem Alten zuwenden, würde sonst tatsächlich an seinem eigenen Leben vorbeigehen. Aber es ist auch gut, sich des Wandels, dass das Alte weicht um dem Neuen ein Hervorbrechen zu ermöglichen, bewusst zu werden.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke fürs lesen und richtig verstehen Schnee-Eule.

 

Nachtrag: Das ist für meine zwei Onkel gewesen, die jeder für sich still und einsam in den letzten zwei Wochen gestorben sind.

Lieber Gruss:
Lord

 

Hallo Lord!

Deine Geschichte von den beiden starken Bäumen, an die sich der Protagonist hier erinnert, ist sehr schön. Liest man dann Deine Anmerkung, bekommt das Ganze noch eine ganz andere Farbe. Diese Art von Nachruf ist Dir wirklich gut gelungen, man merkt, daß Du die beiden Bäu... Onkel lieb gehabt hast bzw. daß sie Dir als Kind sehr viel gegeben haben dürften. Wäre ich einer Deiner Onkel würde ich mich auf alle Fälle sehr darüber freuen, daß Du das geschrieben hast.

Die Stelle, wo Du von der unscheinbaren Veränderung sprichst, die der Protagonist hätte sehen können, wenn er es wollte, finde ich vom Gedankengang her besonders gelungen. Sie beschreibt so schön, wie man als Kind gar nicht mitbekommt, daß rund um einen die Menschen älter werden. Der Onkel ist immer der Onkel, die Oma ist immer die Oma und die Eltern sind immer die Eltern - man erlebt sie irgendwie gleichbleibend alt. Aber so gut und klar, wie Du das in Deiner Geschichte in kurzen Worten rübergebracht hast, kann ich das jetzt gar nicht formulieren.

Die Geschichte hat mir insgesamt gut gefallen und ich hab sie gern gelesen. :)

Ein paar Verbesserungsvorschläge noch:

"standen schon von je her an der selben Stelle"
- von jeher

"würden bis zum Ende der Zeit hier stehen bleiben, selbst dann, wenn auch ich längst nicht mehr war."
- ich bin zwar mit den Zeiten ein bisschen auf Kriegsfuß, aber hier gehört glaub ich schon "längst nicht mehr sein werde/würde"

"mir die rauhe Sicherheit ihrer kräftigen Stämme geschenkt und mir Schatten und Trost gespendet."
- das zweite mir würde ich einfach weglassen

"eine Veränderung die"
- Veränderung, die - würd ich sagen

"etwas trauriges und bekümmertes"
- etwas Trauriges und Bekümmertes

"Sonne, Regen, Mond, Sterne, Wind und Nacht waren die einzigen Begleiter dieser beiden"
- für das, daß es die "einzigen" sind, sind es ein bisschen viele. Ich würde nur "Sonne, Mond und Sterne" nehmen.

"und selten nur verirrten sich nun noch Menschen zu ihnen"
- nur, nun und noch so knapp hintereinander macht sich irgendwie auch nicht gut, der ganze Satz ist etwas kompliziert... Mein Vorschlag: Nur noch/mehr selten verirrten sich Menschen zu ihnen

"sie begannen tote Äste auf die wenigen Besucher hinabzuwerfen"
- das klingt ein bisschen sehr nach Absicht, "hinab fallen zu lassen" wäre vielleicht besser

"als seien ihnen Selbst diese wenigen Besuche"
- selbst

"aber doch in gewisser Nähe... sie waren einander nahe genug"
- besser: Nähe... Sie waren

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Lord Arion,

eine schöne Geschichte, besonders gefallen hat mir „innere Hast, von der Angst, ich könnte mein Leben versäumen.“
Es besteht gerade die Gefahr, durch das Zwanghafte `nicht versäumen wollen´ das Wesentliche (nämlich die harmonische Nähe zu anderen Menschen) zu vernachlässigen. Die von außen kommende Angst bestimmt das Handeln, nicht das eigene Wollen. Schade, daß Du da nicht noch mehr Ausführungen machst.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Häferl, hallo Wolto.
Danke für eure Anregungen. Ich habe versucht, sie umzusetzen und das ganze nochmal überarbeitet.
Vielleicht ist es jetzt noch stimmiger.
Vielen Dank für eure Mühe.
Lord

 

Hallo, Lord!

Jetzt, nach der Überarbeitung, gefällt mir die Geschichte noch besser. Gute Idee, die knorrigen, alten Bäume als Bilder zu verwenden!

Es schien mir immer, wenn ich an ihnen vorbeiging, als hätten sie schon von Anbeginn der Zeit hier gestanden und würden bis zum Ende der Zeit hier stehen bleiben, selbst dann, wenn auch ich längst nicht mehr wäre.
Genau so, ist es. Man hält die Existenz eines Nahestehenden für selbstverständlich, ignoriert nach Kräften die Möglichkeit des Verlustes und ist bei seinem Tod fassungslos.
Sehr eindringlich!


Ciao
Antonia

 

Hallo Antonia.
Freut mich, dass du es gelesen und ebenso empfunden hast wie ich, als ich es schrieb.

Lord

 

hallo sighard
Danke fürs Lesen ... es freut mich, dass du es genauso empfindest wie ich...
jede "gute" Geschichte ist für mich auch keim der Hoffnung, selbst in dunkler Zeit...

 

Hallo mein Lord ;)
Viel habe ich eigentlich nicht mehr hinzuzufügen und so bleibt mir nur noch zu sagen, dass ich deine Geschichte ziemlich gut finde. Deine starke Sprache, die mir indes sehr gefällt, macht alles sehr eindringlich und regt den Leser zum Denken an.
Gut gemacht!

Grüße...
morti

 

Hallo Lord Arion,

eine schöne Geschichte über das Leben eines Menschen im Umkreis seiner Verwandten. Beim ersten Lesen habe ich die personifizierten Bäume als die beiden Elternteile aufgefaßt, und der zeitliche Ablauf symbolisierte eine alternde Ehe. Daß meine >Nebeninterpretation< nur einen seltenen Idealfall in der langjährigen Partnerschaft darstellen würde, dürfte klar sein. Meine abweichende Idee soll freilich deine eigentliche Widmung für deine Onkel in keinster Weise gefährden. Nette kleine Story.

Liebe Grüße,
Emil

 

Beim Lesen erging es mir wie ababwa; die Bäume erschienen mir als Metapher für die Eltern. Diese Sichtweise eröffnet dann mit der Stelle

Sie waren einander nahe genug um sich austauschen zu können und doch zu weit entfernt um es jemals wirklich versucht zu haben.
interessante Interpretationsmöglichkeiten.

Der Protagonist, von Versäumnisängsten getrieben, hastet durch das Leben und bemerkt nicht, wie etwas Wertvolles verfällt und stirbt. Altern als Prozeß äußerer und innerer Veränderungen. Die Metaphorik von Wachstum, Sprießen, Jugend und Alter, in der die Bäume ihre Äste sprießen ließen, findet ihre Entsprechung im Protagonisten, seiner rastlose Suche, seinen vielen Orientierungen. Ich halte das für sehr gelungen.

Das Alter, im Kontrast zwischen Protagonist und Alter dargestellt, findet seine Erlösung in der nächsten Generation. In einem Kreislauf, in dem das einzelne Dasein letztlich wenig zählt.

Der Text hat mir gut gefallen. Hier noch eine kleine Liste technischer Anmerkungen:

  • "wenn ich an ihnen // vorbeiging" - Der Zeilenumbruch ist zu viel.
  • "und würden bis zum Ende der Zeit hier stehen bleiben, selbst dann, wenn auch ich längst nicht mehr wäre" - vgl. auch Häferl: 'sein würde'; zudem halte ich die Variante 'auch dann noch, wenn ich schon längst' für stimmiger. Ist aber nur so eine Gefühlssache.
  • "streckten sich nicht mehr in solcher Vielzahl ins Blau, wenn es wärmer wurde." - Die Formulierung halte ich für etwas ungelenk. Wie wäre es einer Variante wie 'und jeden Frühling streckten sie eine geringere Vielzahl...'
  • "selbst diese wenigen, noch verbliebenen Gäste" - Das Komma ist m.E. nicht richtig.
  • "Sie waren einander nahe genug um sich austauschen zu können und doch zu weit entfernt um es jemals wirklich versucht zu haben." - 'genug, um sich' und 'entfernt, um es'
  • "entzwei und auch er trat seine letzte große Reise an." - 'entzwei, und auch er'
  • " bereit sich der Sonne, dem Wind, dem Regen, den Stürmen, der Kälte und der Nacht zu stellen, sobald das Leben sie rief." - 'bereit, sich'; Zudem tendiere ich am Ende für 'rufen würde'.

 

Hallo cbrusher
Vielen Dank fürs Lesen meiner alten Geschichten, und natürlich auch für deine Anmerkungen, die ich beherzigen werde.
Kann aber eine Weile dauern, bis ich mich drum kümmere, also nicht persönlich nehmen, wenn ich´s nicht gleich ändere.
L.G. Lord

 

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