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Andrea Maria Schenkel: Tannöd

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Andrea Maria Schenkel: Tannöd

Titel: Tannöd
Autor: Andrea Maria Schenkel
Broschiert: 125 Seiten
Verlag: btb TB (4. Februar 2008)
ISBN-10: 3442736730

Mit Preisen überhäuft, zum besten deutschen Krimi des Jahres erkoren, weckte dieser Romanerstling Schenkels auch mein Interesse. So viele Leser können nicht irren, dachte ich, immerhin wurden bereits im Erscheinungsjahr mehr als 150.000 Exemplare verkauft, das Buch führte sogar die internationale Krimi-Bestsellerliste an.
So weit so gut, ich kaufte mir ein Exemplar – und war (etwas)enttäuscht.

Zunächst der Inhalt:

In Tannöd, einem abgelegenen, heruntergekommenen Bauernhof in Bayern, findet ein blutiges Verbrechen statt. Eine ganze Familie wird während eines nächtlichen Gewittersturms mit der Spitzhacke erschlagen, darunter zwei Kleinkinder, auch die neue Magd, nur wenige Stunden zuvor eingestellt, ereilt dieses schreckliche Schicksal. Erst nach Tagen werden die Morde entdeckt, Polizei, Nachbarn und Dorfbevölkerung stehen vor einem Rätsel, niemand kann sich die schreckliche Tat erklären. Vom brutalen Mörder fehlt jede Spur ...
Diesem Romandebüt liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, die sich im Jahr 1922, in Hinterkaifeck, einem Aussiedlerhof in der Nähe des oberbayrischen Waidhofens ereignete. Anders als in „Tannöd“ wurde diese Tat jedoch nie geklärt, der Mörder blieb unerkannt. Rund um diese reale Begebenheit spinnt Schenkel ihren ansonsten weitgehend fiktiven Roman, verlegt die Handlung allerdings in die Fünfzigerjahre und schafft einen erkennbaren Täter. Sie berührt in ihrem Buch soziale Tabus wie Inzucht, Hörigkeit, Gewalt in der Familie, streift die Not der Kriegsheimkehrer, erzählt von Armut und Abhängigkeit des Gesindes dieser Zeit, zeigt den Bauer als allmächtigen Gott auf seinem Hof.

Leseeindruck:

Der eigentliche Text des Bändchens umfasst nur 119 Seiten, davon sind rund 15 mit katholischen Gebeten bedruckt, die ich häufig überblättert habe, die äußerst knappen Kapitel enden zumeist halbseitig, allzuviel Lesesubstanz bleibt nicht übrig. Etwas aufgemotzt wird der literarische Umfang durch ein mehrseitiges, aufschlussreiches Interview mit der sympatischen Schriftstellerin, am Ende des Werks, das ich gerne gelesen habe. Zeigt es doch, wie überraschend manchmal der ganz große Erfolg kommen kann. Ein Erfolg, mit dem sowohl Autorin als auch (Klein)verlag nicht annähernd gerechnet hatten.
Dieses Buch ist kein eigentlicher Roman, auch kein Krimi im klassischen Sinn. Eher erscheint es wie ein tagebuchartiger Bericht, eine Zusammenstellung von Interviews mit den Dorfbewohnern, über die Schenkel die Opfer profiliert, und dem Leser die sozialen Zusammenhänge des tragischen Geschehens näher bringt. Der Täter tritt bereits im ersten Kapitel auf, der Leser folgt ihm auf Schritt und Tritt, ohne lange zu wissen, um wen es sich handeln könnte. Durch den zeitlich geschickt angeordneten Wechsel von Aussagen der Dorfbewohner und des Täterverhaltens entsteht durchaus Spannung, allein mir fehlte auf Grund der Berichthaftigkeit der Lektüre die Nähe zu den Figuren, nur wenig wird bildhaft gezeigt. So blieben mir speziell die Opfer weitgehend gleichgültig. Sprachlich empfand ich die Geschichte sauber, in einfachen, knappen Sätzen wird der bäuerliche Lokalkolorit schön dargestellt. Der unsichtbare Interviewpartner der Dorfleute bleibt seltsamerweise anonym, spielt im Handlungsablauf keine Rolle, in einem der letzten Kapitel wendet sich die Autorin überraschend an den Leser, beantwortet quasi im Zwiegespräch eine imaginäre Frage. An diesem Punkt erschienen mir Perspektive und Erzähler in diffusem Licht.
Dennoch habe ich es nicht bereut, das Buch gekauft und gelesen zu haben, wenngleich ich mir von einem derart hochgelobten Bestseller mehr erwartet hätte.

 

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