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Arnon Grünberg: Phantomschmerz

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25.11.2007
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Arnon Grünberg: Phantomschmerz

Manchmal, da gibt es diese Momente. Nichts ahnend stand ich in einem Geschäft vor dem Remittendentisch. Brigitte – Edition, als wenn einen dieser Titel allein nicht abschrecken sollte – und dann entdeckte ich unter all den Büchern einen Namen: John Updike. Schließlich wischte ich meine Zweifel beiseite, las die Klappentexte – und genau so fiel mir das Buch von Arnon Grünberg in die Hand. Sofort war ich fasziniert von Namen wie Robert G. Mehlman, seinem Sohn Harpo Saul, der Märchenprinzessin. Von Bücherschrankmassakern, der Bedeutung von „kleinlich sein“, wenn alle Kreditkarten überzogen sind, von einem Kochbuch der jüdisch-polnischen Küche (Kochen nach Auschwitz), der Karpfen-in-Aspik-Stiftung und natürlich dem Sydney Brochstein – Zyklus eines Autors, der zu der Zeit auf dem absteigenden Ast war, wie nur Autoren auf einem absteigenden Ast sein können und wie Schnäppchenjäger alles aufgreifen, von dem sie sich Profit versprechen.

Robert G. Mehlman ist jener Autor. Verheiratet mit der Märchenprinzessin, die als Psychotherapeutin erleben muss, wie geheilte Patienten sich das Leben nehmen, hat er noch zwei weitere Geliebte. Völlig verschuldet flieht er mit Rebecca nach Atlantic City, um sich von seiner Frau zu trennen und endlich wieder an seine lange zurückliegenden Erfolge als Schriftsteller anzuknüpfen. Bitter ist es, wenn nur noch man selbst sich für bedeutend hält, während die eigenen Bücher verramscht werden. Und so ziehen sie in ganz großem Stil in Atlantic City ein, um 5000 Mark zu verspielen, weiter zu reisen und schließlich ein Buch über die vergessene jüdisch-polnische Küche zu schreiben – inklusive dem, was die Kulturbeilage einer deutschen Wochenzeitung davon halten könnte. Und ganz nebenbei wird noch die Gutgläubigkeit einer Frau ausgenutzt, die so das Andenken ihrer Mutter wahren will und bereitwillig wieder und wieder Geld für die Karpfen-in-Aspik-Stiftung zur Verfügung stellt. Geld, das vor allem Mehlman bei der Rückzahlung seiner Schulden hilft.
Sein erster Erfolg hieß „Platz 268 der Weltrangliste“, eine Abrechnung mit seinem über allem schwebenden Vater, der von seiner Mutter geradezu glorifiziert wird – und eben erst spät stellte sich heraus, dass die Tenniskarriere vielleicht doch nicht ganz so großartig war wie dargestellt. Und abrupt endete, als dieser sich in der Wade eines Kontrahenten festbiss. Eine Verschwörung des Tennisbundes versteht sich...

Phantomschmerz ist ein Buch, das einen ständig überrascht und verblüfft. Es enthält tolle Formulierungen und Szenen, so wird zum Beispiel der Aufbau von Bücherschränken fast zu einem Blutbad. Es ist ein Buch über das Verlassen, das Verschwinden, aber eben auch über diesen Mehlman, der sich wie ein Schnäppchenjäger an allen Schicksalen bedient, die er kriegen kann und selbst eigene Briefe an seinen Sohn vermarktet.

Arnon Grünberg wurde 1971 in Amsterdam geboren und gilt dort als enfant terrible. Er gewann inzwischen einige Preise für seine Romane, sein Erstlingswerk war „Blauer Vogel“. Lassen wir uns von Preisen nicht blenden: Tatsache ist, dass er viele Ideen hat und diese gekonnt in einem Roman wie dem Vorliegenden unterbringen kann. Immer wieder muss man ob der skurrilen Szenen lachen, trotzdem schwebt über allem auch so ein leicht melancholischer Unterton. Und diese Mischung funktioniert perfekt, die Charaktere wirken glaubhaft und gleichsam überzeichnet, über Mehlman selbst und seine Dreistigkeit kann man nur staunen.

Erster Satz:
„Ich habe das Zeug zum Monarchen“, sagte Robert G. Mehlman eines Abends.

Szene, S. 192:
Ich klappte die Speisekarte zu. „Die Welt kämpft gegen mich, nicht umgekehrt. Und was mein Ego angeht, wenn es dir zu groß ist, dann geh doch. Hau doch ab, und gib mir endlich auch die Chance, glücklich zu werden.“
Ich bekam ein Glas Mineralwasser ins Gesicht. Es prickelte mehr, als ich gedacht hatte. Ich hatte lange kein Mineralwasser mehr im Gesicht gehabt. Wein schon, auch Champagner und eiskalten Tee, aber kein Mineralwasser.

Bücher, bei denen ich wirklich traurig bin, wenn sie zu Ende sind und die ich gern immer weiter gelesen hätte, gibt es nicht so oft. Dieses hier ist so eins, von den merkwürdigen Namen über die seltsamen Personen bis hin zur Handlung – es passt einfach alles und das wird auch noch überragend erzählt. Sogar das Ende ist gelungen – und dass im Anhang alle Werke des fiktiven Autors Mehlman aufgeführt werden, rundet die Sache ab.
Ich bin absolut und restlos begeistert!

Titel: Phantomschmerz
Autor: Arnon Grünberg
Übersetzer: Rainer Kersten
Verlag: Brigitte - Edition
Originalausgabe: Fantoompijn
Erscheinungsjahr: 2000
Seitenanzahl: 372

 

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