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Auf der Treppe

Seniors
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02.01.2002
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Auf der Treppe

Immer an Ostersonntag bekamen wir Besuch von unserer Verwandtschaft. In jenem Jahr waren meine Schwester Klara und ich spät dran. Auf mein Bitten hin hatte sie sich bereit erklärt, mir die Haare zu machen. Mit flinken Fingern flocht sie mir einen Bauernzopf, während wir über das Essen spekulierten.

Ein Klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Jemand ging in den Flur und öffnete die Haustür. Ich lauschte angestrengt, ohne Stimmen ausmachen zu können. Meine Schwester plauderte, als habe sie nichts mitbekommen. Kaum eine Minute später hörte ich Schritte auf der Treppe. Langsame, dumpfe Schritte, denen stets ein Poltern vorausging. Ein Poltern wie von einem Spazierstock, der gegen die Stufen stößt.

»Braucht Onkel Wilhelm jetzt einen Stock zum Gehen?«, fragte ich Klara, die mich verblüfft ansah.

»Wie kommst du darauf?«, entgegnete sie und fuhr mit mit dem Kamm über meine Schläfe. Ich lachte etwas zu schrill auf.

»Klara, bist du taub? Es hat eben geklingelt und irgendjemand kommt die Treppe herauf!« Es polterte erneut. »Hörst du das nicht?« Ich sehe heute noch Klaras Gesichtsausdruck vor mir.

Niemand hatte geläutet. Meine Mutter tat die Frage danach mit einem Kopfschütteln. Ich musste mich verhört haben. Außerdem war es an der Zeit, das Essen zu servieren.

Sie musste Recht haben. Sicher hatte ich mich verhört.

Am gleichen Abend starb meine Tante Lisbeth in unserem Ohrensessel. Sie hatte über Herzbeschwerden geklagt und sich ein wenig ausruhen wollen. Wir hatten sie alleine gelassen und als Mutter etwas später nach ihr sah, war sie tot. Sie war Vaters älteste Schwester und auch wenn sie nicht mehr jung gewesen war, kam ihr Tod überraschend. Mutter weinte, Vater trank zuviel und Klara dachte wehmütig an das letzte Weihnachten, das wir zusammen mit Tante Lisbeth verbracht hatten.

*

Vier Jahre darauf feierten wir den Geburtstag meiner Mutter gemeinsam mit meinen Großeltern und Onkel Wilhelm. Ich war gerade im Schlafzimmer, als es unten läutete. Kurz darauf hörte ich, wie jemand in das Wohnzimmer trat. Als ich mir den Pullover über den Kopf zog, stockte ich. Waren da eben Schritte auf der Treppe gewesen? Ich schloss die Augen und lauschte. Es polterte. Kein Zweifel. Mir schwindelte. Ich war wieder zwölf Jahre alt und saß im Badezimmer, wo Klara mir die Haare flocht, während irgendjemand die Treppe heraufkam. Ich sank auf mein Bett. Ich wollte schreien, wollte nach meinen Eltern rufen, aber gleichzeitig wagte ich keinen Laut von mir zu geben. Wer immer dort unten war, er sollte mich nicht hören, sollte nicht zu mir kommen, sollte keinen seiner gräßlichen Schritte mit diesem Poltern mehr machen! Ich wusste, dass niemand geläutet haben konnte, weil auch damals niemand geläutet hatte, doch was nützt alles Wissen, wenn man allein ist. Allein mit seiner Angst. Ich presste die Hände auf die Ohren und wartete.

Ich konnte nie sagen, wie lange ich dort saß, bis ich es wagte, die Hände herunterzunehmen und die Augen zu öffnen. Die Schritte waren verstummt. Ich wartete noch ein paar Minuten, ehe ich die Schlafzimmertür öffnete und auf den Flur trat. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Niemand war zu sehen. Mit halblauter Stimme rief ich nach meinen Eltern, beim dritten Mal antwortete meine Mutter. Wie beiläufig fragte ich, ob es nicht eben geläutet habe. Nein, hatte es nicht. Ich hatte nichts anderes erwartet.

Es ist schwer zu sagen, was ich empfand, als meine Mutter mich in der Nacht weckte und es mir sagte. Mir müssen die Tränen gekommen sein, denn ich weiß noch, wie Mutter mich in den Arm nahm und sagte, ich solle nicht weinen, Großmutter sei friedlich eingeschlafen. Doch auch sie weinte und wir beide wussten, dass nichts Friedliches diesem Abend war. Ich wusste es noch besser als sie.

*

So viele Jahre sind vergangen seit jenem Ostern und seit jenem Geburtstag. Manchmal kamen die Erinnerungen zurück und manchmal dachte ich lange Zeit nicht daran.

Heute hat es geklingelt. Ich bin krank und konnte nicht aufstehen. Ich nahm an, es sei der Postbote. Es klingelte wieder und wieder und wieder. Dann war es still. Wer immer es war, er hat aufgegeben. So glaubte ich.

Bis ich die Schritte hörte. Die Schritte und das Poltern. Gott, es kann nicht sein, die Tür ist verschlossen, sie muss es sein und niemand ist hier, der hätte aufmachen können, niemand!

Doch sie sind da. Ich höre sie. Schritte. Und mit jedem Schritt ein Poltern. Wie mit einem Spazierstock. Sie sind auf der Treppe. Sie kommen herauf. Ein Poltern und ein Schritt, ein Poltern und ein Schritt. Gott, wie lange noch, wie lange noch? Es hallt in meinem Kopf, ich kann nichts hören außer diesem Poltern und diesen Schritten, diesen verdammten Schritten. Es wird lauter und es kommt näher und es ...

Es klopft.

Es klopft an meiner Tür.

 

Hi Ginny!

Ich lachte etwas zu schrill auf.
Wieso schrill? Und wieso zu schrill? Wegen dem Kamm? oder wegem dem Stock?

»Hörst du nicht den Spazierstock?«
Also diese Frage finde ich nun merkwürdig. Sie spekulieren ja nur, dass es ein Spazierstock ist. Sie haben ja nur ein Poltern gehört und vermuten es. Aber wissen tun sie es nicht.
Du könntest schreiben: Hast du den dieses Poltern nicht gehört? (Oder so..., nein, schreib etwas besseres als das, was ich vorgeschlagen hab, aber du weißt, auf was ich hinaus will, oder?)

Wir hatten sie alleine gelassen
Das klingt so, als ob ihr sie absichtlich alleine gelassen hättet...

doch was nützt alles Wissen, wenn man allein ist. Allein mit seiner Angst.
:thumbsup:

Doch auch sie weinte und wir beide wussten, dass nichts Friedliches diesem Abend war. Ich wusste es noch besser als sie.
:thumbsup:

Es klopft an meiner Tür.
Der Schlussatz stört mich irgendwie. Ich weiß aber nicht warum, und mir ist auch kein besserer eingefallen.
Die Geschichte geht mir irgendwie zu schnell. Zuerst sterben zwei aus der Verwandtschaft und dann muss ich annehmen, dass schon unsere Protin daran glauben muss.

Die Idee ist gut und gefällt mir. Ich mag diese Vorahnungsgeschichten. Was mich etwas stört, ist die Umsetzung. Ich finde es zu kurz. (Deinen Stil finde ich wieder mal gut, bis auf die paar Dinge, die ich oben angegeben habe.) Man hätte da schon noch etwas mehr und vor allem ausführlicher schreiben können.
Und am Ende hätte ich nicht meine Prot umgebracht, sondern ihre Schwester. Stell dir vor: die Schwester liegt im Bett, todkrank und unsere Protin ist dabei, und dann klopft es an die Tür. Und dann ein Schlusssatz wie: "Ich sah in Klaras Augen und ich wusste, dass dieses Mal auch sie es gehört hatte."
Ist etwas merkwürdig formuliert, gebe ich gerne zu, aber für mich wäre dieses Ende spannender.
Ist natürlich Ansichtssache, es ist schließlich deine Geschichte.

Also noch einmal kurz: Idee gut, Stil gut, Ausarbeitung der Geschichte etwas unvollständig. Meine Meinung.
Aber vielleicht stehe ich da wieder mal ziemlich alleine da - so wie bei deiner "Und raus bist du"...

In diesem Sinne
c

 

hallo ginny,

die geschichte hat spannung, keine frage, aber sie ist mir zu unübersichtlich, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass du viele personen einführst und dann noch erklärst, wer sie sind (z.b. "Sie war Vaters älteste Schwester"), dazu die zeitsprünge - da war ich beim zügigen lesen einfach überfordert, sorry.

die verbindung zwischen "poltern" und "spazierstock" ist für mich auch etwas problematisch und eigentlich überflüssig. wie wäre es, wenn du einfach von "schleppenden schritten" sprechen würdest? wichtig ist doch nur, dass ein klares adjektiv da ist, das wiederholt werden kann, um den effekt zu erzeugen.

Meine Mutter tat die Frage danach mit hochgezogenen Augenbrauen und einer Handbewegung ab.
- warum die hochgezogenen augenbrauen? die mutter konnte ja nichts ahnen..

nach dem letzten Sternchen hast du ungereimtheiten in der zeitenfolge. vergangenheit? gegenwart? - ich schlage die gegenwart vor, das hebt meines erachtens die spannung noch

ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen
herzliche grüße
ernst

 

Hi ihr Beiden,

@chazar: Mann, bist du schnell.

Wieso schrill? Und wieso zu schrill? Wegen dem Kamm? oder wegem dem Stock?
Weil Klara die für die Ich-Erzählerin offensichtlichen Schritte nicht hört, aber vielleicht äner ich das noch um.
Also diese Frage finde ich nun merkwürdig.
<g> Hast Recht, ich hab für's Erste ein schlichtes "Hörst du das nicht" draus gemacht.

Dein alternatives Ende hat was, ich lass es mir zumindest durch den Kopf gehen.

Zum näheren Verständnis: Die Geschichte ist z.T. wirklich so passiert und zwar meiner Mutter. An irgendeinem Feiertag machte sie sich mit ihren Schwestern im Bad zurecht, als sie das Läuten hörte. Jemand schien aufzumachen, sie hörte Stimmen und dann auch Schritte auf der Treppe mit diesem Poltern wie von einem Stock. Ihre drei Schwestern allerdings hörten nichts. Die Schritte kamen bis vor die Badezimmertür, meine Mutter hatte höllische Angst weil sie das Gefühl hatte irgendetwas Böses würde sich nähern - und dann war plötzlich Stille, ohne dass je geklärt wurde was das war, denn natürlich hatte niemand geläutet und war niemand im Haus gewesen.

Mich hat diese Story immer sehr beeindruckt und ich fand's unheimlich - aber für eine Geschichte für fremde Leser wäre das natürlich so zu wenig. Deswegen hab ich die Handlung drumherumerfunden und daran krankt der Text (noch), weil unvoreingenommene Leser ihn nicht so intensiv wahrnehmen wie ich, die damit pesönliches verbindet.

@Ernst Clemens:

(z.b. "Sie war Vaters älteste Schwester")
Wenn das verwirrt, streich ich es gerne - spielt ja für die Geschichte keine Rolle, wer sie genau war.

Der Begriff "Poltern" gefällt mir übrigens auch nicht so sehr, ich hätte gern "Klopfen" genommen, aber das kommt letztendlich ja noch bei der Tür ... vielleicht streich ich es ganz. - Wie eben erwähnt, hat meine Mutter seinerzeit neben den Schritten auch noch das dumpfe Pochen eines Stocks gehört und ich hab es deshalb einfach übernommen, obwohl es für den Inhalt hier ohne Belang ist ... das sind halt die Tücken, wenn man relae Begebenheiten als Ausgangspunkt nimmt. Vielleicht streich ich es wirklich. Schritte alleine sollten schon bedrohlich genug sein. ;-)

Danke Euch beiden für's Lesen und Kommentieren. An dieser Geschichte hier liegt mir nicht so viel wie an anderen und ich habe mir nicht ganz so viel Mühe gegeben wie ich es eigentlich tun sollte. <böse Ginny> <selbst an den Ohren zieh>
Aber in einem Anflug depressiver Stimmung gibt es manchmal nichts besseres - außer in die Badewanne zu gehen. Ich hab momentan aber nur ne Dusche. Also hab ich stattdessen ne Geschichte rausgehauen.

Ginny

 

Jo_oder_so schrieb:
Sie ähnelt mir zu sehr einem Erfahrungsbericht .
Ja, das ist sie auch irgendwie.
Macht aber nichts, das Schreiben hat mich gestern abgelenkt und wenn ich hier durch ein paar Meinungen Tipps kriege wie ich sie im zweiten Anlauf verbessern kann, genügt mir das. Bei anderen, mir wichtigeren Texten wäre ich sicher frustiert so danebengehauen zu haben, hier ausnahmsweise nicht. :-)

Danke.

Ginny

 

Hi Ginny,

sorry, aber ich find deine story richtig gut. Du schaffst mal wieder mit wenigen Worten eine nette Atmosphere. Super Idee. Ich beneide Leute, die Horror ohne Blut und Ekel schreiben können. Meine Hochachtung (ich kann sowas leider nicht).

Das Ende fand ich absolut passend zur Story. Sie rundet alles ab und gibt den entscheidenden Kick. Ohne das Ende hätte ich die geschichte nicht so gut bewertet; aber genau das war´s!

Fazit:empfehlenswert

Gruß! Salem

 

hey, so süß und putzig.....dafür hab ich doch zeit

Ich wusste, dass niemand geläutet haben konnte, weil auch damals niemand geläutet hatte, doch was nützt alles Wissen, wenn man allein ist. Allein mit seiner Angst.
wenn auch schon tausendmal zitiert, ist ein echter spitzen satz

ich muss wieder mal sagen, dass du einfach sehr gut darin bist, wohligen grusel entstehen zu lassen.
nicht der splatter, sondern das ungewisse macht deine geschichten aus.
was mich ein bisschen gestört hat, ist die schnelligkeit, mit der das poltern immer wieder abgehandelt wird. du weißt schon: schritte, poltern, tod. schritte, poltern, tod.
den schluss hingegen finde ich äußerst ausreichend und der hat mir prima gefallen.


Tama

 

Hi Ginny,


es tut mir ja "leid", aber auch mir hat deine Geschichte gefallen. :)
Mein erster Gedanke war: Das Klingeln, die Schritte, das Poltern. Das hast du nicht erfunden.
Kann mich genau in deine Prot, oder auch Mutter versetzen.
Ich kenne solche Erlebnisse, die seeeeehr vielseitig sein können.
Einen Grund haben sie immer, manchmal erkennt man ihn viel später.

Ich finde, die Wahrnehmung, als Tod zu identifizieren, sehr gelungen.
Auch wenn es Gottlob real nicht so war.
Sicher hättest du deine KG noch spannender und effektvoller schreiben können.
Doch ich weiß wie schwer es ist, selbst erfahrenes, in einen fantasievollen Mantel zu kleiden. Denn irgendwie möchte man schon bei der Wahrheit bleiben.

Hat deine Mutter nie herausgefunden, was ihr Erlebnis zu bedeuten hatte?
Es könnte auch nur eine Warnung/Hinweis gewesen sein.

Wie auch immer, diese mystischen Erfahrungen sind schwer zu begreifen, aber sie geschehen nie ohne Grund.

ganz liebe Grüße,
coleratio

 

Moin Ginny-Rose,


Ich wusste, dass niemand geläutet haben konnte, weil auch damals niemand geläutet hatte, doch was nützt alles Wissen, wenn man allein ist. Allein mit seiner Angst.
:thumbsup:
(Wie war das? Der Fünzigste, der dieses Zitat bringt, bekommt Freibier?)

Ich war wieder zwölf Jahre alt und saß im Badezimmer, wo Klara mir die Haare flocht, während irgendjemand die Treppe heraufkam.
Gefällt mir ebenfalls sehr gut.

Eine schöne Geschichte ist Dir da gelungen. Sie hat so einen melancholischen Unterton, der mir sehr gut gefallen hat. Aber warum hast Du sie so kurz gehalten? Die Familienchronik ist doch gerade dafür geschaffen ausführlicher zu berichten, so dass man etwas mehr über Deine Protagonistin erfährt.
Das Ende ist auch gut, doch ich denke, dass es seine Wirkung noch verstärken würde, wenn man sich besser mit Deiner Protagonistin identifizieren könnte.

Es klopft.

Es klopft an meiner Tür.

Würde ich ruhig so lassen.

Eine gut erzählte, etwas andere Geschichte. Gefällt mir.

Peace Jorgo

 

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