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Aus Der Reihe Tanzen

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16.05.2004
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Aus Der Reihe Tanzen

AUS DER REIHE TANZEN

Ein lächerliches Bild gibt er ab. Mit seinen knapp 70 Jahren vor dem Fernseher, Trickfilme gucken, wie ein kleines Kind. Er hat den Verstand verloren, husch, weg war er. W. lebte alleine in einer 3 Zimmer Wohnung auf dem Dorf. Seine Frau und seine beiden Söhne im Sauerland, 2 Stunden mit dem Auto. Nutzloser Gedanke, er hatte kein Auto und die 3 wollten ihn eh nicht sehn. Er stank. Kein Wunder, er duschte ja auch nicht. Er guckte Trickfilme oder trank oder bemitleidete sich selber.
Oh Gott, dieses Selbstmitleid, solch ein schönes, abhängig machendes Gefühl. Wenn man allein ist und aufhört sich zu wehren, die Hemmungen fallen lässt dann überkommt es ein wie ein Sommerschauer, feucht von Tränen und warm, fast schon heiß vom Herzschlag. Es umhüllt ein wie eine Mutter oder eine Geliebte. Alle sind schuld doch man selbst ist sie, die reinste Unschuld. Wie die heilige Mutter höchstpersönlich und trotzdem so traurig. W. wollte seine Frau anrufen. Er wollte mit ihr sprechen, sich entschuldigen, sie sollte ihn trösten, ihn in die Arme nehmen wie den heimgekehrten Sohn. Sein Herz schwitzte von der Anstrengung so doll zu schlagen, dass es durch seine Rippen und Haut aus seinem alten kaputten Körper hinausschoss. Er hielt den Hörer, mit beiden Händen, wie ein kleines Kind, dessen Hände einfach zu klein waren. „Ja?“ Seine Stimme leise und langsam: „Hallo. Ich bin ´s.“ Ihre Stimme bestimmt aber dennoch mit einem jammernden Unterton: „Lass uns in Ruhe, um Gottes Willen lass uns in Ruhe.“ Sie hatte aufgelegt. W. hörte dem Piepton zu, ehe er in Tränen ausbrach, wie ein kleines Kind, total hilflos und es wäre so herzergreifend, aber dieser Mann stank und er war alt, er wirkte nicht herzergreifend, sondern schäbig und ekelig, unerträglich peinlich. W. war abstoßend.
Es war Mittwoch oder Donnerstag, tat auch nichts zur Sache, Aufstehen funktionierte an jedem Tag, Schlafen auch, Trickfilme kamen jeden Tag und die Kneipe war auch jeden Tag offen. Er schmierte sich Brisk in die grauen Haare, kämmte sie nach hinten, fuhr mit seiner Hand über sein faltiges Gesicht und beschloss den leichten, schmutzig aussehenden Bart stehen zu lassen. Seine Hosen waren zu weit, bzw. er war zu schlank, fast schon dürr, er trug ein weißes Hemd, darüber eine braune Anzugjacke. W. wohnte im Erdgeschoss. Draußen war der Himmel bedeckt aber zu mindestens regnete es nicht. Er würde ungefähr 10 Minuten zu Siggi ´s Kneipe brauchen.

Neben W. saß ein müde aussehender Mann von Mitte Sechzig. Graue kurze Haare, ein grauen Schnurrbart und Bierbauch, insgesamt kräftiger als W..
„Sechs Uhr kommt Siggi? Was hat er gesagt?“ W. saß direkt neben ihm, bemerkte ihn aber erst jetzt.
„Ja, sechs.“
„Ich wollte noch Bier kaufen gehen. Beim Edeka.“
„Edeka ist billig.“ „Ja der ist billig, da kauf ich viel, also beim Edeka. Aber... Ich hab ja noch eines vor mir.“
Sie wurden ruhig, und Siggis Frau kam und Nahm W. ´s leeres Glas und stellte ihm ein neues hin, ohne ein Wort zu sagen. Er trank. Der Mann mit dem Schnurbart fuhr fort.
„Diese Blonde ist immer für mich da.“ Dabei hielt er das Glas hoch und drehte sich zu W. um. Die beiden lachten, bevor sie wieder still wurden.
„ Ja beim Edeka kauf ich viel, ich mein, da kriegt man ja auch alles wenn man allein ist.“ W.: „Wenn man allein ist kriegt man nirgendwo genug.“ Die Männer wurden wieder still. Dann wieder der Schnurbart.
„Hab sie noch nie gesehen.“ „Ich wohn auch noch nicht lange hier. Vier Jahre.“ „Vier Jahre. Und vorher?“ „Meschede. Sauerland.“ „Meschede. Ist das Hochsauerland? Ich glaub das ist Hochsauerland.“ „Ja, Meschede, dass ist Hochsauerland.“ „Ja, das hab ich mir gedacht. Hochsauerland... Das ist nicht weit?“ „Meine Frau und die Kinder sind noch da.“ Der Mann mit dem Schnurbart nickt W. verständnisvoll zu.
„Ja, wenn die noch da sind, dann ist alles zu weit... Ich mein, ich bin auch allein, deswegen bin ich sooft hier, was soll ich zu Hause. Es ist nicht schön nach hause zu kommen, wenn da keiner ist. Keiner fragt: ´wie geht´ s? wo kommst ´e her? Wo willst ´e hin? Das ist nicht schön...“ W.: „Nein, das ist gar nicht schön.“
Die beiden verstumm. Eine ganze Zeit schweigen sie sich an, als hätte sich nichts geändert.
Der mit dem Schnurbart
„Soll ich dir was zeigen... Komm mit.“ Die beiden legen ihr Geld auf den Tresen und gehen raus. Der mit dem Bart geht zu einem alten Kadett.
„Komm schon, ich bin nicht betrunken.“ W. steigt ein.

Die beiden stehen auf dem Parkplatz eines Fitnessstudios, vor ihn eine große Fensterscheibe, mit Blick auf einen Trainingsraum.
„Willst ´e mit mir trainieren gehen?“ „Nee. Wart ´s ab .“ Etwa zwei Dutzend Personen kamen in den Raum zum größten Teil Frauen, in engen Trainingshosen mit trainierten Körpern. Sie fingen an zu hüpfen oder tanzen oder was auch immer, sie tanzten alle den gleichen Tanz, jeder für sich. Eigentlich machten sie alle das gleiche aber sie bemerkten ihren Nebenmann gar nicht. Sie guckten auf den Vortänzer und versuchten ihn so gut es geht zu imitieren um auch mal so schlank und muskulös auszusehen und um auch mal Respekt und Autorität zu spüren. Alle machten den gleichen Tanz und keiner tanzte aus der Reihe und wenn einer nicht mitkam wurde er getadelt. Und sie bemerkten ihren Nebenmann nicht, nicht beim Tanzen und nicht beim Umziehen und nicht im Bus nach Hause und nicht am nächsten Morgen auf der Arbeit und nicht auf der Strasse und nicht im Supermarkt und nicht in der Kneipe. Sie standen, saßen, liefen, tanzten, tranken und was weiß ich nicht alles nebeneinander und bemerkten einander nicht. Und sie kamen nach Hause und sagten sie seien alleine und nur ihr Selbstmitleid spendete ihnen Trost.
Die beiden Männer im Auto, lachten über die Hampelmänner in Turnhosen und sie amüsierten sich über die ernsten Gesichter, die nicht zu merken schienen wie lächerlich sie sich gerade machten.

„Komm ich zeig dir auch mal was.“ Sie fuhren zu W. nach Hause. Er machte den Fernseher an und die beiden guckten, die ´Biber Brüder´ und sie lachten, über sie und über die tanzenden Nylonhosen und deren Ziel, so zu tanzen wie ihr Vortänzer. Sie lachten wie schon lange nicht mehr, wie Kinder.
Lächerlich diese beiden alten Männer, gucken Trickfilme. Bewundernswert diese beiden alten Männer schafften es aus der Reihe zu tanzen.

 

Hallo Florian – herzlich willkommen!

Dein Einstand hier gefällt mir nicht schlecht. Du schreibst großteils flüssig und sauber. Inhaltlich passiert eigentlich nicht viel, dennoch will man wissen, wo Du mit dem alten Mann hinwillst und liest weiter. Die Dialoge haben mir gut gefallen, sauber eingebunden. Besonders gut ausgearbeitet fand ich die Stelle mit dem Selbstmitleid, dem Anruf bei der Frau.
Einige Verbesserungsvorschläge habe ich....

Ich würde dem Prot auf jeden Fall einen Namen geben.

Es umhüllt ein wie
einen

W. hörte dem Piepton zu, ehe er in Tränen ausbrach, wie ein kleines Kind, total hilflos und es wäre so herzergreifend, aber dieser Mann stank und er war alt, er wirkte nicht herzergreifend, sondern schäbig und ekelig, unerträglich peinlich. W. war abstoßend.
diese Stelle gefällt mir nicht. Du zeigst vieles wunderschön, damit der Leser sich sein eigenes Bild machen kann, hier gibst Du vor – er IST soundso. Zeige, anhand der Handlung, show, dont tell! Und lass den Leser selbst entscheiden

bzw. er war zu schlank
bzw ausschreiben

lebte alleine in einer 3 Zimmer Wohnung
Zahlen ausschreiebn, wenigstesn bis 12

Ja, Meschede, dass ist Hochsauerland
das

Keiner fragt: ´wie geht´ s? wo kommst ´e her?
Wie, Wo

auf der Strasse
Straße

Etwa zwei Dutzend Personen kamen in den Raum zum größten Teil Frauen, in engen Trainingshosen mit trainierten Körpern. Sie fingen an zu hüpfen oder tanzen oder was auch immer, sie tanzten alle den gleichen Tanz, jeder für sich. Eigentlich machten sie alle das gleiche aber sie bemerkten ihren Nebenmann gar nicht. Sie guckten auf den Vortänzer und versuchten ihn so gut es geht zu imitieren um auch mal so schlank und muskulös auszusehen und um auch mal Respekt und Autorität zu spüren. Alle machten den gleichen Tanz und keiner tanzte aus der Reihe und wenn einer nicht mitkam wurde er getadelt. Und sie bemerkten ihren Nebenmann nicht, nicht beim Tanzen und nicht beim Umziehen und nicht im Bus nach Hause und nicht am nächsten Morgen auf der Arbeit und nicht auf der Strasse und nicht im Supermarkt und nicht in der Kneipe. Sie standen, saßen, liefen, tanzten, tranken und was weiß ich nicht alles nebeneinander und bemerkten einander nicht. Und sie kamen nach Hause und sagten sie seien alleine und nur ihr Selbstmitleid spendete ihnen Trost.
diese Stelle gefällt mir nicht. Du dränst dem Leser hier weider Deine Meinung auf. Wieder: show, dont tell.

Lächerlich diese beiden alten Männer, gucken Trickfilme. Bewundernswert diese beiden alten Männer schafften es aus der Reihe zu tanzen.
- aus welcher Reihe tanzen sie? Das könntest Du noch klarer herausarbeiten.

schöne Grüße
Anne

 

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