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Aus Liebe
Aus Liebe
Sie rührt sich nicht, sitzt ganz still. Ihr Körper lauscht der Stimme, erwartet die Hand, die eben noch ihren Rock hochgeschoben hat.
„Was darf ich Ihnen bringen?“, hat der Wirt sie gefragt und damit unterbrochen, was diese Hand in ihr ausgelöst hat.
„Wir nehmen das Tagesmenü“, sagt Claude. Seine Blicke verweilen auf Maries Brüsten. „Dazu einen Roten."
„Weshalb sind wir hier?“, fragt Marie und versucht, ihre Verunsicherung gekonnt hinter einer glatten Maske zu verstecken.
„Ich habe Hunger“, sagt er. „ Du nicht?“
Marie nickt. Bemerkt den Funken in seinen Augen, die Blicke, mit denen er ihr Gesicht abtastet.
Das Gasthaus liegt abgelegen. Marie weiß nicht, wo sie sich befindet. Irgendwann hat sie die Orientierung verloren, als er von der Autobahn abgefahren ist.
Wieder schiebt der Mann seine Hand unter ihren Rock, zeichnet die Form ihrer Beine nach.
Kurz vor ihrem Schoß hält die Hand inne.
Marie schließt die Augen, um nichts mehr zu fühlen.
Aber das funktioniert nicht. Sie sieht sich, ein Mädchen, das weint und unten am Hauseingang steht. Die Tränen laufen über das schmutzige Gesicht und hinterlassen Spuren. Sie weint still, sieht die Mutter hinter dem Vorhang am Fenster stehen. Marie weiß nicht, warum die Mutter sie nicht einlässt. Sie möchte hinein, doch ihr Finger erreicht den Klingelknopf nicht. So sehr sie sich auch anstrengt, sich reckt, ihrer Mutter gefallen möchte, es gelingt ihr nicht, zu läuten.
Einem aufmerksamen Gast wäre Maries Irritation sicher aufgefallen.
Aufgefallen, weil sie vom Tisch abrückt.
„Hast du eine Zigarette für mich?“, fragt sie Claude, sieht auf den Tisch, als wolle sie den anderen Mann nicht ansehen.
Sie hat noch nie geraucht. Weiß nicht wie sie die Zigarette halten soll. Die Knöchel ihrer Hand sind ganz weiß, als sie die Zigarette zwischen Mittel- und Zeigefinger balanciert. Sie zieht am Filter, wie sie an einem Eis lutschen würde.
Claude sieht, wie sie sich bemüht.
Versucht, ihm zu gefallen.
Marie kann dem Vater nichts recht machen. Dabei ist sie doch so bemüht. Hat immer gute Zensuren, ist artig gekleidet und holt ihm seine Hausschuhe, wenn er abends eintrifft. Doch statt eines Lächelns sieht sie nur: Die Lippen sind dünn wie ein Strich. Damit der Vater sie endlich wahrnimmt, büffelt sie wie besessen, ist Klassenbeste. Trödelt nicht. Raucht nicht. Spielt Klavier. Wartet auf seine Zuneigung.
„Nicht deine Marke?“ fragt der Fremde und schiebt ihr den Aschenbecher hin.
Marie schüttelt ihren Kopf, drückt unbeholfen die Kippe aus, verbrennt sich dabei die Fingerkuppen.
Der Schmerz weckt etwas in ihr. Ihr Herz pocht schneller, fühlt mehr als nur den Schrecken von heißer Glut auf Haut.
Plötzlich sieht sie, wie ungemütlich der Gastraum, wie schäbig dessen Ausstattung ist.
Auch die laue Luft, die durch blinde halbgeöffnete Fenster hineinströmt, kann ihr nicht nehmen, was in ihr keimt.
„Wo sind wir hier?“ fragt sie daher Claude. Weiß aber: er wird nicht antworten.
Er hat noch nie ihre Fragen beantwortet, wenn sie sich heimlich im Park getroffen haben.
Jedes Mal hat er ihr etwas geschenkt. Ein Parfüm, einen Lippenstift, einen goldenen Kamm.
Mit dem Lippenstift hat er die Form ihres Mundes nachgezeichnet. Er hat sie geküsst und gestreichelt. Liebevoll ist er gewesen.
„Du musst deine Schätze gut verstecken“, hat er ihr ins Ohr geflüstert.
Nachdem Marie Claude kennen gelernt hat, ist sie von ihm fasziniert. Sie verliebt sich, bewundert ihn. Natürlich darf keiner von der Beziehung erfahren. Ihr Geheimnis prickelt, macht sie lebendig.
Lügen werden Maries Spezialität. Ohne diese käme Marie nicht aus ihrem elterlichen Gefängnis heraus.
Statt beim Klavierunterricht zu sein, küsst sie Claude.
„Warum sollte ich die Geschenke verstecken?“, fragt sie Claude und bohrt mit ihrem Zeigefinger Löcher in das abgenutzte Holz des Tisches.
„Es sollte doch unser Geheimnis sein“, sagt er und streichelt ihre Hand. Fühlt deren Kälte.
„Hast du es verraten?“, fragt er mit einer Stimme, die scharf klingt, als ob sie die blaue Luft durchschneiden will.
Marie fühlt, wie entsetzlich falsch es gewesen ist, ihn zu fragen.
„Nein, meine Eltern wissen nichts davon.“
Wissen nicht, wie schön es gewesen ist. Es hat nur sie gegeben, auf dem Vordersitz seines Autos haben sich seine Hände in ihren Hintern gegraben. Marie hat gesprüht, als er sie entjungfert hat.
Sie betrachtet Claude, fühlt ihre Liebe zu diesem Mann, der ihr Vater sein könnte. Claude hat ihr gezeigt, wie kostbar sie ist. Ihr ins Ohr geflüstert, wie sehr er sie braucht. Sie gefragt: „Liebst du mich ebenso sehr?“
„Ich würde alles für dich tun“, hat sie gesagt.
Die Hand unter ihrem Rock findet ihre Scham. Marie zuckt zusammen, als der fremde Mann seine Finger in sie bohrt.